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Herbert Eulenberg: An den Rhein

Vorgestellt von Bernd Kortländer

An den Rhein

Gewalt‘ger Bruder, wag ich es, dein Bild,
Das immerzu an mir vorüberfließt
Und sich voll Majestät in mich ergießt,
Im Vers zu spiegeln als dein helles Schild:


Ich diene dir getreu an meiner Statt.
Mein Haus prangt fest an deinem weichen Rand,
Mit blanken Augen froh dir zugewandt,
Sieht es wie ich sich niemals an dir satt.


Am liebsten freilich bist du uns bei Nacht.
Du schläfst nicht ein, ziehst deine große Bahn
Gleich uns gewunden durch des Daseins Macht


Dem Meer, dem Tode zu. Du fühlst ihn nahn,
Und unter den Gestirnen wirr entfacht
Singst du im Sterben leise wie ein Schwan.


Herbert Eulenberg



Im Werk Herbert Eulenbergs spielt der Rhein als Thema nur eine Nebenrolle. Das kann nicht verwundern bei einem Autor, der sich selbst vor allem als Dramatiker verstand und entsprechend den Schwerpunkt seiner Arbeit auf der Bühne sah. Und dennoch ist der Fluß, ist die spezifische Landschaft des Niederrheins, sind die Menschen des Rheinlands für diesen Autor so etwas wie der geheime Mittelpunkt seiner Existenz und seines Werkes gewesen.


Daß der Rhein für sein Leben eine bedeutende Rolle gespielt haben muß, wird jeder sofort einsehen, der einmal das Wohnhaus des Dichters in Kaiserswerth bei Düsseldorf besucht hat. Es liegt in direkter Nachbarschaft zur zerstörten Kaiserpfalz auf der südwestlichen Ecke des Walls, der früher die Stadt umgab. Die exponierte Lage erlaubt einen weit ausgreifenden Blick auf den Fluß, der hier bereits eine imposante Breite erreicht hat und sich in Richtung Duisburg windet. Über den Strom hinweg geht der Blick auf die flache, weite niederrheinische Landschaft am anderen Ufer. Eine Fähre versieht hier bis heute ihren Dienst und ein reger Schiffsverkehr sorgt für Abwechslung auf dem Wasser. Am Abend leuchten im Süden die Lichter von Düsseldorf, im Norden die von Krefeld und Duisburg, wobei der Himmel hier gelegentlich spektakulär vom roten Schein der Hochöfen zusätzlich illuminiert wird.


Das Arbeitszimmer des Dichters lag im ersten Stock eines Anbaus an das Haupthaus mit einem Fenster zum Rhein hin, von diesem nur durch eine Reihe Pappeln getrennt, die das Haus umstanden. Eulenberg selbst hat die Bedeutung dieses Hauses für sein Leben und Schaffen immer wieder herausgestellt.

Die starke Verwurzelung seiner privaten Existenz am Ufer des Rheins hat er in seinen Lebenserinnerungen mit der Geschichte seiner Familie zu erklären versucht: „Dem Umstand, daß mein Geschlecht schon seit Jahrhunderten am Rhein verwurzelt ist, schreibe ich zum Teil auch meine eigene Anhänglichkeit an diesen meinen heimatlichen Strom zu. Nur einige unter den wenigen Künstlern der Vergangenheit, die am Rhein geboren sind, haben ihrem Heimatstrom ihr Leben lang die Treue bewahrt. ...Ich bin niemals lange von unserem großen Strom, an dem mein Dasein begonnen hatte, entfernt gewesen ...“


In den meisten Geschichten Eulenbergs wie etwa „Das Marienbild“, „Der alte Schäfer“, „Der Turmhahn“ spielt die Landschaft des Niederrheins nur eine untergeordnete Rolle. In „Die alte Windmühle“ wird das Problem der Industrialisierung der Region in recht sentimentaler Form aufgegriffen. Aber gerade in diesem Punkt zeigt sich noch einmal augenfällig Eulenbergs Hoffnung auf die Kraft der Kunst auch angesichts des totalen gesellschaftlichen Wandels. In einer Sonderbeilage zur „Rheinisch-Westfälischen Zeitung“ von 1925 schreibt er über „Duisburg und sein Niederrhein“, und der Artikel ist ein einziger Versuch, die industrielle Überformung der Landschaft mittels Metaphern und Vergleichen wieder rückgängig zu machen und ihr den Anschein einer Naturlandschaft zu geben: „Gerade in das Ebene, Flächige der Landschaft am Niederrhein vermag die Industrie gut hineinzuwachsen: Mit ihren hohen rauchenden Schloten, die wie Säulen in den grauen Himmel ragen, mit ihren Halden, die hier oft wie Gebirge und Krater wirken und mit ihren Kranen, die wie vorsündflutliches Getier oder wie Riesenvögel an den Ufern des Rheins stehen oder sich, unsichtbar betrieben, hin und her bewegen.“

Als pulsierende Handelsstraße mitten in Europa und damit als Schlagader einer erträumten Rhein-Ruhr-Metropole wie etwa in den Visionen Alfons Paquets oder Josef Pontens mochte Eulenberg den Rhein nicht sehen. Im Gegenteil: Es fällt auf, daß über seiner Schilderung der Landschaft des Niederrheins stets ein Hauch von Melancholie liegt. Der Strom ist ihm Greis und Todgeweihter, der sein Ende nahen fühlt. Das ist nun so gar nicht die pathetisch-heroische Attitude, die man sonst angesichts des „deutschen“ oder auch des „europäischen“ Stromes anzutreffen pflegt. Eulenberg, der sonst keinem Pathos ausweicht, ist auf sympathische Weise bescheiden und beschwört die Vergänglichkeit im Ewigen, die Bewegung in der Dauer. Dafür ist ihm der Rhein vor seiner Haustür Symbol geworden. Am eindrücklichsten hat er das in oben zitiertem Gedicht ebenfalls aus den „Deutschen Sonetten“ zum Ausdruck gebracht, der einzigen Gedichtsammlung, die der ständig Gelegenheitsverse schmiedende Autor zum Druck gegeben hat und die sehr viel „rheinische“ oder besser noch „niederrheinische“ Atmosphäre transportiert.


Bernd Kortländer