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Regina Ray: TEXT AUS DEM HALS

Kurzprosa


eine  Brücke  aus  demselben  Stoff  wie die beiden Ufer,  aber  nicht  immer
zieht  ein  Schwan  so  königlich  von  Insel  zu  Insel,   von   denen   beide
glauben, sie wären das Festland, keine kann ohne den anderen und schon
gar  nicht  ohne  ihren  so  ungeschützten  Ort dazwischen, der befrachtet
mit  allen  Erinnerungen an Tod und Todesangst,  Hingabe und  Lust,
Würgegriffe  und  Nackenküsse,  mal  steht, mal hängt,  manchmal
schwarz-blau  wie  Shivas  Hals, nachdem er  das  Gift getrunken, 
die Welt  zu  retten,  genauso  schwarz-blau fand  die  Masseurin
meinen Hals,  besonders links hinten unten, nach einem Kiss-in 
unter Sechzehnjährigen (sechs  Jungs, drei Mädchen) zwischen 
Bänken und Sandboden einer norddeutschen Dünenlandschaft,
eingelullt von salzhaltiger Luft und dem Geruch wilder Rosen,
aufgeputscht  von  Lust  und  Vergessen,  und sagte kein Wort,
lange Haare verdecken das meiste, Sex überraschend entdeckt,
später,  viel viel später,  in  einem  anderen  Evolutionszyklus,
lauten  die  Offenbarungen  einer  uralten Chronik,  sind  unsere
Hälse wie Paarungsorgane:
Durchdringung  der  Kehlen,  Umarmungen  der  Stimmlippen,
Kinder wie Klänge. So eng ist es dort wo der Ton entsteht, daß er
unbedingt  in  den  Kopf,  in den  Bauch,  dort  kann er blühen und
trinken, so  viel  wie ein  neugeborenes Kind.  Ein Atembogen,  der
zurückgefunden  hat;  ein  neuer hofft,  daß sich Herz und Gedanken
verbinden,  ein  endloses  Mahl.  Leiten  und  lassen.  Auch  leiden und
lassen.  Aber  nicht  leidenlassen.  Eine  Brücke  aus  demselben  Stoff
wie die  beiden Ufer. Manchmal zieht ein Schwan königlich
von Insel zu Insel. Manchmal die Angst



Regina Ray, geboren 1955 in Bretten/Baden-Württemberg, lebt in Düsseldorf, studierte zunächst Pädagogik, später Indologie und Ethnologie an der Universität Heidelberg. Sie veröffentlichte Lyrik und Erzählungen und schreibt Kulturfeatures für den Rundfunk. (www.reginaray.de)