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Bernd KortlÀnder: Herbert Eulenberg

Doch trotz aller Mißerfolge - einzig das Drama „Belinde“ hatte in ganz Deutschland eine positive Resonanz - hielt Eulenberg unbeirrt an seinem antinaturalischen Ansatz fest. Was Eulenberg selbst seinen ‚neuromantischen Stil‘ nannte, knĂŒpft an die große deutsche Tradition der voraufgehenden Jahrhundertwende insofern an, als die Kunst von vornherein als konsequenter Gegenentwurf zur Lebenswelt gesehen wird. „Die Phantasie an die Macht“, das war Eulenbergs Parole. Die Geschichten seiner Dramen nehmen auf logischen Zusammenhang und stringenten Figurenaufbau kaum RĂŒcksicht, ein Vorwurf, der sich durch die gesamte Kritik zieht und den jeder heutige Leser dieser Dramen sofort bestĂ€tigen wird. Darum ging es Eulenberg aber auch gar nicht. Er entwirft bestimmte Figuren-Konstellationen, aus denen sich GefĂŒhle und Handlungen ergeben, die dem Betrachter zur Beurteilung vorgelegt werden. Leidenschaftliche historische Stoffe, z.B. der vom Frauen mordenden „Ritter Blaubart“ oder von der mörderischen Liebe eines Vaters zu seiner Tochter in „Anna Walewska“ können da ebenso eingesetzt werden wie Stoffe aus der kapitalistischen Gesellschaft wie in „Alles um Geld“, in dem der unheilvolle Einfluß des Geldes am Beispiel eines heruntergekommenen Mannes aus reichem Hause und seiner Familie dargestellt wird. Die Sprache dieser StĂŒcke soll die „Andersartigkeit“ der KunstentwĂŒrfe unterstĂŒtzten. Sie ist deshalb der gesprochenen Sprache in jeder Hinsicht entgegengesetzt, herausgehoben durch Vokabular, hĂ€ufig durch das Metrum und teilweise auch noch gereimt. Programmatisch heißt es dazu in einer nachtrĂ€glich verfaßten Vorrede zum StĂŒck „Anna Walewska“: „Es war in einer stilisierten Sprache geschrieben, die in jedem Satz geradezu einen Horror vor der alltĂ€glichen Ausdrucksweise unseres gewöhnlichen Lebens offenbarte.“ An diesem Programm hat Eulenberg bis zum Schluß festgehalten, auch in den StĂŒcken, die er nach seinem unfreiwilligen Verschwinden von der BĂŒhne beharrlich weiter verfaßte.

Was steckt hinter solcher HartnĂ€ckigkeit? Ich denke, Eulenberg versucht sich auch gegen den offensichtlichen Trend auf diese Weise in eine kulturelle Tradition einzubinden, versucht dieser kulturellen Tradition in einem sich Ă€ndernden gesellschaftlichen Zusammenhang eine Stimme zu verschaffen, Gewicht zu geben, das ihr seiner Meinung nach zusteht und das das einzige Gegengewicht zu den materialistischen Tendenzen des Zeitalters bilden kann. Kunst, Literatur sind Ausdruck von SpiritualitĂ€t, von Geistigkeit, sie dokumentieren die FĂ€higkeit des Menschen, sich mittels Phantasie und KreativitĂ€t ĂŒber die RealitĂ€t zu erheben und eine eigene Wirklichkeit zu konstruieren, eine Wirklichkeit, die den Zuschauer entlastet, erhebt, belehrt, wenn er sich nur darauf einlĂ€ĂŸt. So etwa lĂ€ĂŸt sich die gemeinsame Botschaft all dieser StĂŒcke zusammenfassen.

Diese EinschĂ€tzung der Kunst als zentraler gestaltender Kraft fĂŒr das menschliche Zusammenleben, als „edle Arznei“ und „Therapeutikum“ fĂŒr den Alltag, hat bei Eulenberg auch weltanschauliche Grundlagen. Er bekannte sich zum Monismus, einer Weltanschauung, die zurĂŒckgeht auf die Darwinsche Evolutionstheorie und in Deutschland in den Jahren zwischen 1906 und dem 1. Weltkrieg insbesondere von dem Biologen Ernst HĂ€ckel und dem Chemiker Wilhelm Ostwald ausgearbeitet wurde. Grundlage ist die Vorstellung, daß alle PhĂ€nomene, physische wie psychische, soziale wie kulturelle, aus natĂŒrlichen Ursachen erklĂ€rbar, damit dem Zugriff der empirischen Wissenschaften und einer endgĂŒltigen Regelung durch die Vernunft zugĂ€nglich sind. Das RationalitĂ€tsprinzip sollte die Überwindung des Leib-Seele Dualismus bringen und die Welt endgĂŒltig von allem Aberglauben befreien. Kern des Monismus ist ein konsequenter wissenschaftlicher Atheismus, und seine Hauptzielrichtung in gesellschaftlicher Hinsicht war denn auch das Bestreben, die Kirchen aus möglichst vielen Bereichen herauszudrĂ€ngen. An die Stelle des christlichen Gottes sollten "die großen Geister" treten; die BeschĂ€ftigung mit ihren Werken, die BeschĂ€ftigung mit Kunst, Musik, Literatur, Philosophie etc., wird zum Religionsersatz.

Aber Eulenberg hat diese KunstreligiositĂ€t nicht nur proklamiert, erhat sie ganz konkret inszeniert. Die bekannten Morgenfeiern im DĂŒsseldorfer Schauspielhaus der Louise Dumont waren nichts anderes als kunstsakrale Veranstaltungen: „Diese Matineen ... wollten nicht mehr und nicht weniger als dem Volke an seinen Sonntagen den Gottesdienst ersetzen, der in seinen alten Formen den höheren Menschen heute nicht mehr Befriedigung geben kann. Sie vereinten an jedem Sonntag ein zahlreiches Publikum unter dem Sockel eines großen Mannes zu einer schönen stillen Feier zu seinen Ehren, in seinen Manen die Gottheit achtend, die ihn uns schenkte. Denn uns heutigen sind wirklich die gewaltigen oder zarten KĂŒnstler vor uns in der Musik, der Malerei, der Philosophie, der Staats- und der Dichtkunst zu unseren Heiligen und Schutzpatronen geworden, an denen wir uns im GlĂŒck erfreuen, im Leiden trösten können.“ (XXIf.) So steht es in der Vorrede zu dem Buch „Schattenbilder. Eine Fibel fĂŒr KulturbedĂŒrftige in Deutschland“, in dem er 1910 48 seiner Einleitungsreden zu den Schauspielhaus-Matineen zusammengefaßt hatte. Das Buch wurde ein sensationeller Erfolg und brachte es bis 1927 auf eine Auflage von immerhin 85.000 StĂŒck. Eulenberg sah dieses Genre, auch wenn er es aus kommerziellen GrĂŒnden bis zum Schluß weiter pflegte, immer nur als ein Nebenprodukt seines Schaffens an, als ein Instrument seiner kulturellen Mission, als Äußerungen eines „Volkspredigers“. Und so sind die meist nur 5-6 Seiten langen PortrĂ€ts auch angelegt: „Es galt, sich kurz zu fassen, klar zu sein, Phrasen zu vermeiden und jedem, auch dem Laien in literarischen Dingen, verstĂ€ndlich zu bleiben.“ Die Zugangswege, auf denen er sich Schicksal und Wesen der vorzustellenden Figuren nĂ€hert, sind sehr unterschiedlich und bunt: Mal sind es anekdotenhafte Schilderungen, mal erfundene GesprĂ€che oder Begegnungen; mal wĂ€hlt er drei Tage exemplarisch aus, um das gesamte Leben zu zeichnen, mal gibt er einen kompletten Überblick. Immer wollen diese Skizzen nur so etwas wie ein Introitus zum Eigentlichen sein, zur LektĂŒre der heiligen Texte selbst, wie ja auch tatsĂ€chlich in den Morgenfeiern zeitlich der Vortrag der Originaltexte dominierte.
Bemerkenswert an den „Schattenbildern“ ist ĂŒber ihre Machart hinaus ihre InternationalitĂ€t. Das Inhaltsverzeichnis weist aus, daß 28 BeitrĂ€gen zur deutschen Geistesgeschichte (24 Literatur, 2 StaatsmĂ€nner, 1 Maler, 2 Philosophen) 20 zu GeistesgrĂ¶ĂŸen anderer Nationen gegenĂŒberstehen (18 Literatur, 1 Staatsmann, 1 Maler).

Hier haben wir jetzt das komplementĂ€re Element zu dem bereits beschriebenen Beharrungswillen Eulenbergs, seiner ZĂ€higkeit hinsichtlich der eingenommenen Ă€sthetischen Positionen: Die UniversalitĂ€t und InternationalitĂ€t seiner Kulturvorstellung. Die Zukunft Europas sah er in einer Familie der Völker, in friedlichem und fruchtbarem Austausch der Kulturen. Vorstellungen von nationaler Überlegenheit oder einer besonderen Herausgehobenheit der deutschen Kultur waren ihm völlig fremd. Er fußt hier auch in Ideen der europĂ€ischen Friedensbewegung, deren idealistischer AusprĂ€gung, vertreten durch Bertha von Suttner, er sein Leben lang anhing. Beim Aspekt der InternationalitĂ€t von Eulenbergs Kulturkonzept kommt dann auch wieder seine rheinische IdentitĂ€t ins Spiel. Die Offenheit zu den europĂ€ischen Nachbarn sah er bei den RheinlĂ€ndern in besonderer Weise ausgebildet. Sein „Schattenbild“ ĂŒber den Dichter Heinrich Heine gibt in diesem Punkt Auskunft. Er nimmt Heine in Schutz vor den Angriffen, die ihm eine „Nestbeschmutzung“ seiner deutschen Heimat vorwerfen: „Nun sind die RheinlĂ€nder ihrem Naturell und ihren Neigungen nach schon mit dem benachbarten, weintrinkenden Volk der Franzosen verwandt. Sie sind und waren es noch mehr vor hundert Jahren, Halbfranzosen.“

Der 1. Weltkrieg stĂŒrzte Eulenberg auch als KĂŒnstler in tiefe Depressionen. In einem Vortrag 1914 in Duisburg ĂŒber „Der Krieg und die Kunst“ heißt es: „Wir haben alle mehr oder minder in den letzten Jahrzehnten in dem Glauben oder doch in der Hoffnung auf eine internationale VerstĂ€ndigung gelebt. Namentlich wir Deutschen. Wir fĂŒhlten uns schon als gute EuropĂ€er ... und konnten uns die Möglichkeit eines solchen Krieges kaum noch vorstellen.“ AnfĂ€nglich sah er sich noch zusĂ€tzlich in den Konflikt zwischen Patriotismus und kulturelle InternationalitĂ€t gestellt: „FĂŒr den Patrioten im KĂŒnstler ist es ganz einfach und leicht, hier Stellung zu nehmen. Sein Blut entscheidet ĂŒber seinen Kopf hinweg und drĂ€ngt ihn mit ĂŒbermĂ€chtiger Gewalt zu seinem Volke und zu seinem Vaterland.... Anders steht es um den rein kĂŒnstlerisch empfindenden Teil seines Wesens, der an keine bestimmte Nation gebunden sich aus den geistigen Errungenschaften aller Völker und Zeiten nĂ€hrte und zusammensetzt.“

Meist, und so auch bei Eulenberg, schlug der anfĂ€ngliche Kriegsenthusiasmus mit zunehmender Dauer dann aber auch schnell wieder um in ebenso enthusiastische Ablehnung. Und insbesondere dann nach Kriegsende geht Eulenberg daran, seine kulturelle Missionarsarbeit noch stĂ€rker in den Dienst der Friedensarbeit zu stellen. Wichtigster Beitrag in dieser Hinsicht wird der ErzĂ€hlungsband „Der Bankerott Europas“ von 1919, ein veritables Antikriegsbuch, das den Autor im Kreis der Friedensfreunde wieder hoffĂ€hig und fĂŒr die rechtskonservative Presse zu einer beliebten Zielscheiben machte. Die Geschichten dieses Bandes, die das Grauen des Krieges ganz einseitig in den Vordergrund stellen, lassen an drastischer Kriegs- und MilitĂ€rverachtung nichts zu wĂŒnschen ĂŒbrig. Wenn man bedenkt, daß damals beinahe 90% der mit dem Krieg befaßten Literatur diesen als eine Art Abenteuerurlaub zu Land, Wasser und Luft darstellte, so war das bereits eine ganze Menge.

In seinem Roman „Auf halbem Wege“ von 1921 hat Eulenberg dann versucht, die Ziele und Anstrengungen der Friedensbewegung in einem Roman mit radikal pazifistischer Aussage literarisch zu gestalten, ein Versuch, der nur unzureichend gelungen ist. Denn auch als Prosaautor, der er seit den 20er Jahren in zunehmendem Maße und, wie er selbst vermerkt, eher aus der Not der fehlenden BĂŒhnenakzeptanz heraus als freiwillig, zunehmend wurde, bleibt Eulenberg seinem Schreibansatz treu: Immer noch geht es weniger um Motivierung von Handlungen und realistische Personenzeichnung als um sinnfĂ€llige Konstruktion und möglichst bedeutungstrĂ€chtige Zuspitzung. Eine Figur etwa wie die des Zynikers Samuel Söchting aus „Auf halbem Wege“ hat bereits die zeitgenössischen Leser zur Verzweiflung getrieben. Eulenberg hat in ihr gleich ein ganzes BĂŒndel von Problemen zu gestalten versucht. Samuel steht fĂŒr die schwierige Rolle der deutschen Juden ebenso wie fĂŒr die Rolle der Intellektuellen in der Zwischenkriegszeit, ihre Scheu, sich zu engagieren, ihren antibĂŒrgerlichen Affekt mit der Verachtung aller bĂŒrgerlichen Einrichtungen, im Roman an den Institutionen Ehe und Theaters demonstriert, bei ungebrochenem bĂŒrgerlichen Habitus. Samuel, der WeltbĂŒrger, der Sternenmensch, inszeniert am Ende seinen Selbstmord als weltbĂŒrgerlichen Festakt fĂŒr Körper und Geist mit einem Festmahl im „EuropĂ€ischen Hof“ als Abschluß, dessen Speisenfolge die InternationalitĂ€t seiner Gesinnung abspiegeln soll.

Der Roman machte Eulenberg endgĂŒltig zur Zielscheibe heftiger Kritik von Seiten einer nationalen und konservativen Presse, wobei allerdings weniger literarische als politische GrĂŒnde vorlagen. Von einer vorwiegend literarischen Kritik verrissen wurde dann sein Roman "Um den Rhein" von 1927, wo er eines seiner stĂ€ndig benutzten Stilisierungsmittel, die sprechenden Namen der Figuren, endgĂŒltig zu Tode reitet. „Unruh“ und „Wohlleben“ heißen die Helden nicht nur, sie benehmen sich auch entsprechend und tĂŒrmen Klischee auf Klischee. Immerhin hat Eulenberg hier einmal wieder ein rheinisches Thema aufgegriffen, die Besetzung eines Teils des Rheinlandes durch französische Truppen. Die Intention des Romans, diese Besetzung als einen RĂŒckfall ins Barbarentum zu geißeln und dagegen die natĂŒrliche Zusammengehörigkeit der beiden Nationen und die europĂ€ische Verbundenheit herauszustellen, wird durch die Handlung teilweise unfreiwillig konterkarriert. Auch die Mittelrheinlandschaft, in der der Roman spielt, gewinnt keine wirklichen Konturen.

„Das Haus am Strom“, „Haus Freiheit“: Wir haben gesehen, wie der latente Widerspruch dieser Beschreibungen von Eulenbergs Lebensmittelpunkt sich in seinem Werk wiederfinden lĂ€ĂŸt als Widerspruch zwischen Ă€sthetischer BodenstĂ€ndigkeit und kultureller Offenheit, als generelle Tendenz zur Gebrochenheit.

Heimatdichtung im engeren Sinne war unter diesen Voraussetzungen nicht möglich. Auch nicht die eines Wilhelm Schmidtbonn, der Anfang des Jahrhunderts als Prototyp des „rheinischen ErzĂ€hlers“ galt. Immerhin ist Eulenberg in den Jahren bis 1910 zumindest ansatzweise auf den Spuren Schmidtbonns gewandelt. Dieser legte 1903 und 04 die erfolgreichen ErzĂ€hlungsbĂ€nde „Uferleute. Geschichten vom unteren Rhein“ und „Raben. Neue Geschichten vom unteren Rhein“ vor und machte sich damit zum ersten PortrĂ€tisten der Landschaft des Niederrheins. Eulenbergs erster ErzĂ€hlungsband "Sonderbare Geschichten" von 1910 versammelt eine Reihe von Texten, die ebenfalls am Niederrhein spielen. Am ehesten denen Schmidtbonns vergleichbar ist „Die Geschichte einer Frau“. Hier ist der Rhein, wie bei Schmidtbonn, mehr als bloße Kulisse, er ist Element der ErzĂ€hlung selbst, spiegelt das Geschehen, verkörpert das Geheimnis des Lebens, seine stete Bewegung. Ein Mann und eine Frau treffen und lieben sich regelmĂ€ĂŸig in einem Gasthof direkt am Rheinufer, ohne etwas voneinander zu wissen. Sie kennen nicht einmal die Familiennamen. Die Neugier des Mannes bricht schließlich das RĂ€tsel und zugleich den Zauber der Beziehung. In seiner Verzweiflung rennt er hinaus an den Fluß. „Und der Strom, in den er nun stĂŒrzte, trug ihn ins Meer und in die Ewigkeit zurĂŒck.“ Bei Schmidtbonn ist der Strom stets der schicksalsmĂ€chtige Begleiter der Menschen, die an seinen Ufern leben. So etwa in der Geschichte „Die SĂŒnde im Wasser“, wo die beiden Hauptfiguren am Ende vom Fluß statt in den zunĂ€chst erhofften Tod in ein neues Leben getragen werden. Aber auch in dieser Geschichte sind die Unterschiede zwischen beiden Autoren unĂŒbersehbar. WĂ€hrend es Eulenberg hauptsĂ€chlich um die Psychologie der beiden Protagonisten zu tun ist, um ihre GefĂŒhle, ihre Motive, wobei er sich auch hier in die gewohnten Ungereimtheiten verirrt, zeichnet Schmidtbonn seine Figuren ganz in der Holzschnittmanier eines symbolistisch ĂŒberformten Naturalismus: der naturhaft-robuste Held, das schamhafte MĂ€dchen, schamlos zugleich als Frau und VerfĂŒhrerin des Mannes, der sein GefĂŒhl allein gemeistert hĂ€tte, wĂ€hrend sie nicht dagegen leben kann. Kontrolliert werden die Figuren von ihren Trieben, vom Blut und vom Boden ihrer Heimat. Bei Eulenberg ist dagegen alles sehr viel kultivierter, der Konflikt ergibt sich aus der Delikatesse der Situation, nicht aus einem triebhaften Geschehen.

In den ĂŒbrigen Geschichten Eulenbergs wie etwa „Das Marienbild“, „Der alte SchĂ€fer“, „Der Turmhahn“ spielt die Landschaft des Niederrheins nur eine untergeordnete Rolle. In „Die alte WindmĂŒhle“ wird das Problem der Industrialisierung der Region in recht sentimentaler Form aufgegriffen. Aber gerade in diesem Punkt zeigt sich noch einmal augenfĂ€llig Eulenbergs Hoffnung auf die Kraft der Kunst auch angesichts des totalen gesellschaftlichen Wandels. In einer Sonderbeilage zur „Rheinisch-WestfĂ€lischen Zeitung“ von 1925 schreibt er ĂŒber „Duisburg und sein Niederrhein“, und der Artikel ist ein einziger Versuch, die industrielle Überformung der Landschaft mittels Metaphern und Vergleichen wieder rĂŒckgĂ€ngig zu machen und ihr den Anschein einer Naturlandschaft zu geben: „Gerade in das Ebene, FlĂ€chige der Landschaft am Niederrhein vermag die Industrie gut hineinzuwachsen: Mit ihren hohen rauchenden Schloten, die wie SĂ€ulen in den grauen Himmel ragen, mit ihren Halden, die hier oft wie Gebirge und Krater wirken und mit ihren Kranen, die wie vorsĂŒndflutliches Getier oder wie Riesenvögel an den Ufern des Rheins stehen oder sich, unsichtbar betrieben, hin und her bewegen.“

Als pulsierende Handelsstraße mitten in Europa und damit als Schlagader einer ertrĂ€umten Rhein-Ruhr-Metropole wie etwa in den Visionen Alfons Paquets oder Josef Pontens mochte Eulenberg den Rhein nicht sehen. Im Gegenteil: Es fĂ€llt auf, daß ĂŒber seiner Schilderung der Landschaft des Niederrheins stets ein Hauch von Melancholie liegt. Als einen „Strom, der schon breit und lĂ€ssig geworden, sein Wasser langsam durch das Land dem Meere, dem Tode zu wĂ€lzte,“ beschreibt er den Fluß in der Geschichte „Der SchĂ€fer“. Und in den „Deutschen Sonetten“ heißt es im ersten Gedicht des „Kaiserswerth“-Zyklus: „Wie ein milder ernster Greis,/ Der sich den Tod lĂ€ngst nicht mehr schrecklich weiß,/ Wallt leis der Rhein vorbei, gewillt zu enden.“

Der Strom ist ihm Greis und Todgeweihter, der sein Ende nahen fĂŒhlt. Das ist nun so gar nicht die pathetisch-heroische Attitude, die man sonst angesichts des „deutschen“ oder auch des „europĂ€ischen“ Stromes anzutreffen pflegt. Eulenberg, der sonst keinem Pathos ausweicht, ist auch hier auf sympathische Weise bescheiden und beschwört die VergĂ€nglichkeit im Ewigen, die Bewegung in der Dauer. DafĂŒr ist ihm der Rhein vor seiner HaustĂŒr Symbol geworden. Am eindrĂŒcklichsten hat er das in einem Gedicht ebenfalls aus den „Deutschen Sonetten“ zum Ausdruck gebracht, der einzigen Gedichtsammlung, die der stĂ€ndig Gelegenheitsverse schmiedende Autor zum Druck gegeben hat und die sehr viel „rheinische“ oder besser noch „niederrheinische“ AtmosphĂ€re transportiert.


An den Rhein


Gewalt‘ger Bruder, wag ich es, dein Bild,
Das immerzu an mir vorĂŒberfließt
Und sich voll MajestĂ€t in mich ergießt,
Im Vers zu spiegeln als dein helles Schild:


Ich diene dir getreu an meiner Statt.
Mein Haus prangt fest an deinem weichen Rand,
Mit blanken Augen froh dir zugewandt,
Sieht es wie ich sich niemals an dir satt.


Am liebsten freilich bist du uns bei Nacht.
Du schlĂ€fst nicht ein, ziehst deine große Bahn
Gleich uns gewunden durch des Daseins Macht


Dem Meer, dem Tode zu. Du fĂŒhlst ihn nahn,
Und unter den Gestirnen wirr entfacht
Singst du im Sterben leise wie ein Schwan.


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