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Bernd Kortländer: Rheinische Schriftsteller als Vermittler der literarischen Moderne

Ein Vortrag

I.

Wenn ein Schriftsteller aus der Region im Zeitraum 1900-1914 den Titel eines Vermittlers der Moderne durch sein Werk wie seine Biographie in besonderer Weise einlöst, die Begegnung mit der europäischen Moderne selbst vollzogen und zugleich auf breiter Front gefördert hat, so war das der 1871 in Düsseldorf geborene und 1943 in Berlin gestorbene Hanns Heinz Ewers. Es ist wahr: Man spricht nicht gern von ihm, es entwickeln sich leicht Ekelgefühle. Zu unappetitlich war sein Verhalten in den Jahren von etwa 1929 bis 34, als er zunächst erfolgreich um die Sympathie der Nationalsozialisten buhlte und von Adolf Hitler höchstselbst den Auftrag erhielt, ein Horst Wessel-Buch zu schreiben. Brecht hat diese Zusammenarbeit mit den Nazis später treffend folgendermaßen beschrieben: „Zur Herstellung einer endgültigen Lebensbeschreibung des jungen Helden (Horst Wessel) suchte Joseph Goebbels einen Fachmann und wandte sich an einen erfolgreichen Pornographen. Dieser Experte, ein Herr namens Hanns Heinz Ewers, hatte unter anderem ein Buch geschrieben, in dem ein Leichnam ausgegraben und vergewaltigt wurde. Er schien hervorragend geeignet, die Lebensgeschichte des toten Wessel zu schreiben. ... Der Pornographist und der Propagandadoktor, der Fachmann für Entschleierung und der Fachmann für Verschleierung, setzten sich zusammen ...“ (Bd. 20, S. 210f.)

Es ist nicht angenehm, sich in derart kompromittierte Gesellschaft zu begeben, und da hilft es auch nichts, daß Ewers Anbiederungsversuch - wie konnte es angesichts seiner anrüchigen Vergangenheit und der spießbürgerlichen Ausrichtung der Partei anders sein - scheiterte, er 1934 mit all seinen Büchern, einschließlich des „Horst Wessel“-Romans, auf der schwarzen Liste stand, nichts von ihm mehr gedruckt, veröffentlich oder verkauft werden durfte und seine Romane auf den Scheiterhaufen der Bücherverbrennung landeten. Trotzdem fand ich es in diesem Fall lohnend, mich wieder einmal aufzuraffen und in den umfangreichen Ewers-Nachlaß hineinzuschauen, den seine 2. Gattin nach dem Kriege der Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf vermacht hat und der heute im Rheinischen Literaturarchiv im Heinrich-Heine-Institut liegt. Heine und Ewers, eine Kombination, die auf den ersten Blick monströs wirkt, etwas von dieser Monstrosität aber verliert wenn man weiß, daß Ewers bis 1932 sicher der lautstärkste Kämpfer für die Anerkennung Heines in Deutschland und vor allem in Düsseldorf war. Vielleicht sollten wir uns vorerst mit der allgemeinen Einsicht trösten, daß das Leben gelegentlich sehr verworren sein kann.

Nach dieser, ich muß es gestehen, unumgänglichen Vorbemerkung, komme ich auf die Eingangsbehauptung zurück, daß Ewers in besonderer Weise die Öffnung unserer Region zu europäischen Moderne repräsentiert und unter dem, was man rheinische Autoren nennt, sicher von keinem anderen auch nur annähernd in seiner Wirkung erreicht wurde.
Dabei spielen verschiedene Komponenten eine Rolle:


1. Persönliche Beziehungen
Ewers reiste viel im europäischen Ausland und in Übersee, als Tourist, aber auch als Lesereisender. Er spricht passabel Englisch und Französisch und lernte eine ganze Fülle europäischer Autoren und Journalisten persönlich kennen. Insbesondere in Frankreich hatte er durch den ihm eng befreundeten Chansonier und Dichter Marc Henry, den er bereits 1901 von den Münchner „Elf Scharfrichtern“ an sein Berliner „Überbrettl“ geholt hatte und mit dem er später verschiedene Projekte realisierte - u.a. die erste künstlerisch gestaltete Zirkusrevue -, ein Entrée zur literarischen Avantgarde der Jahrhundertwende. Er war mit Guillaume Apollinaire bekannt, in dessen Nachlaßbibliothek verschiedene Widmungsexemplare von der Beziehung zeugen, war in Kontakt zu dessen großen Freundeskreis und hatte 1912 mit dessen Geliebter, der Malerin Marie Laurencin ein Verhältnis; er lernte Autoren wie Charles Bargonne, Frederic Boutet, Pierre Loti, Pierre Mille kennen und stand mit ihnen zeitweise in Briefwechsel. Der bedeutende polnische Autor Stanislaw Przybyszewski, der eine Zeitlang in Berlin lebte und dessen Theorien über den Satanismus Ewers in deutscher Übersetzungen unter dem Titel „Die Religion des Satans“ auf Vortragstourneen als sein Eigentum vortrug, übersetzte und bevorwortete mehrere seiner Romane und Erzählungssammlungen. In England, das Ewers nicht mochte und wohin er seltsamerweise nie gereist ist, hat er mit Israel Zangwil einen Gewährsmann, dessen Werke er ins Deutsche übersetzt und der sich seinerseits um die Verbreitung von Ewers Werk in Großbritannien kümmert. Auch Oscar Wilde ist er persönlich begegnet, ebenso Somerset Maugham, mit dem er einen Sommer auf Capri verbrachte.


2. Ãœbersetzungen seiner Werke
Während die genauen persönlichen Kontakte zu europäischen Autoren trotz der minutiösen Arbeit von Wilfried Kugel zu Ewers bewegtem Leben kaum bekannt und erforscht sind, gibt es einen relativ guten Überblick über die Übersetzungen, die von Ewers Texten in genau 20 Sprachen existieren. Von den meisten hat er Belegexemplare gesammelt, die heute zu seinem Nachlaß gehören. Besonders ausgedehnt ist die Bibliographie der Übersetzungen ins Französische; bereits 1910 erschien die gräßliche Geschichte „Tomatensauce“ aus der Sammlung „Das Grauen“ im „Mercure de France“; es folgten bis in die 20er Jahre die wichtigsten Horrorgeschichten sowie die Romane „Der Zauberlehrling“ und „Alraune“. Aber auch ins vorwiegend amerikanische Englisch ist er ab 1914 häufig übersetzt worden - seine Erzählung „Die Spinne“ wurde 1931 von Dashiel Hammett in die Schauergeschichten-Sammlung „Creeps of the Night“ aufgenommen.

II.
Ist Ewers selbst so in seiner Zeit ein viel gelesener und in der europäischen und amerikanischen Öffentlichkeit intensiv wahrgenommener Bestseller-Autor, so bemüht er sich seinerseits auf verschiedene Weise um Vermittlung wichtiger bzw. ihm wichtig scheinender ausländischer Autoren an das deutsche Publikum.
Das geschieht auf zweierlei Weise. Durch Übersetzungen, auf die ich später zu sprechen kommen werde, und durch eine umfangreiche publizistische, essayistische und herausgeberische Tätigkeit, die, was die Literaturvermittlung betrifft, gipfelt in dem 1906 zum ersten Mal erschienenen „Führer durch die moderne Literatur“, der im Globus-Verlag, dem Verlag des Berliner Kaufhauses Wertheim herauskam, äußerst preiswert war und bis in die 20er Jahre in vielen Zehntausend Exemplaren und immer wieder überarbeiteten und ergänzten Versionen auf den Markt kam. Auf dem Titelblatt firmierte als Herausgeber Hanns Heinz Ewers; als Mitarbeiter wurden genannt Victor Hadwiger, Erich Mühsam, René Schickele und Dr. Walter Bläsing. Dr. Bläsing war ein Pseudonym, wie Erich Mühsam erklärt, erfunden, „um die Würdigungen derjenigen Schriftsteller und Dichter zu verantworten, von denen keiner von uns genügend wußte, um seinen Namen unter eine kritische Betrachtung setzen zu mögen. Da wurde das Nötigste aus schon vorhandenen Literaturführern zusammengekratzt und Dr. B. drunter geschrieben.“ (Kugel, 85) In späteren Auflagen kam als realer Mitarbeiter noch Peter Hamecher hinzu, als weiteres Sammelpseudonym ein Balduin Möllhausen. Es ist davon auszugehen, daß die Auswahl der im Literaturführer vorgestellten Autoren stark von Ewers geprägt ist und seine Vorlieben und Abneigungen genau widerspiegelt. Kugel vermutet hinter den pseudonym gezeichneten Artikeln meist Ewers als Verfasser, der dann den größten Anteil geschrieben hätte. Dabei ist zunächst interessant, daß dieser Führer, im Gegensatz zum bis heute üblichen Vorgehen, die nationalliterarischen Grenzen aufgegeben hat. Wie selbstverständlich finden sich zwischen den wenigen Stars und vielen Sternchen der deutschen Szene die wichtigsten Vertreter der modernen europäischen Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende. Gerade solches Vorgehen rief natürlich die konservative Kritik auf den Plan, die denn auch von einem „agitatorischen Parteiwerk“ spricht, „im Dienst jener engsten Richtung ..., die man als Nur-Literatentum und radikalsten Modernismus zu bezeichnen hat.“ Der berüchtigte Antisemit Adolf Bartels spricht abschätzig von einem Führer durch die „deutsch-jüdische Literatur“. (Kugel, 86).

Gleich zu Anfang, ich beziehe mich auf die überarbeitete Ausgabe von 1911, findet man einen von René Schickele verfaßten hymnischen Artikel zu Charles Baudelaire, einem der wichtigen Bezugspunkte für Ewers, wie überhaupt die französische Literatur mit Flaubert, Gautier, Gide, den Goncourts, mit Huysmans, Loti, Rimbaud, Verlaine, Villiers de l‘Isle-Adam und Zola in der Auflage von 1911 am stärksten vertreten ist, gefolgt von der skandinavischen (Björnson, Jacobson, Ibsen, Lagerlöf, Strindberg) und russischen Literatur (Dostojewski, Gorki, Tolstoi, Turgenjew; Tschechow nur kurz und abwertend). Die längsten Artikel erhielten neben Gerhard Hauptmann, den Ewers sehr verehrte, Nietzsche und Strindberg, was die Richtung bereits zu erkennen gibt. Manche Urteile fallen auch sehr harsch aus, wie etwa das über Hermann Hesse, dessen „Peter Camenzind“ mit Gustav Frenssens „Jörn Uhl“ verglichen wird, für Ewers und seine Freunde der Inbegriff des schlechten Geschmacks. Wie Frenssen sei Hesse ein Heimatkünstler mit den „paar guten und vielen schlechten, durchweg kulturrückschrittlichen Seiten. ...“. (86) Von rheinischen Autoren sind 1911 Herbert Eulenberg, Rudolf Herzog, Else Lasker-Schüler, Wilhelm Schäfer, Wilhelm Schmidtbonn und Clara Viebig im Literaturführer vertreten, meist in eher kritischem Zusammenhang. Ein auffällig langer und natürlich sehr positiver Artikel ist Ewers selbst gewidmet. Er ist gezeichnet mit Dr. B., also dem Pseudonym, und man darf befürchten, daß Ewers sich hier selbst anpreist mit Sätzen wie: „Diese Symphonie menschlicher Leidenschaften wurde selbst von der ungeheuren Stimme Poes nicht übertönt.“ (52).

Der Verzicht auf die nationalliterarische Abgrenzung entspricht der Einstellung, die Ewers im selben Jahr bereits in einem Essay über Edgar Allan Poe geäußert hat. Dort heißt es: „Schon erkennen wir klar den Weg, der von Jean Paul und Th. A. Hoffmann zu Baudelaire und Edgar Poe führt, diesen einzigen Weg, den eine Kunst der Kultur gehen kann, schon haben wir manche Ansätze - Diese Kunst wird nicht mehr im engen nationalen Kleide stecken. Sie wird sich bewusst sein, wie sich Edgar Allan Poe als Erster bewusst war, dass sie nicht für „ihr“ Volk da ist, sondern einzig für die dünnen Kulturschichten, ... Kein Künstler hat je für „sein“ Volk geschaffen ... “ (38f.)

Der Internationalismus der Moderne ist hier längst selbstverständliche Realität. Ewers stellt sich immer wieder in die Traditionslinie einer phantastischen Literatur, die von Jean Paul über Hoffmann und Poe zu Gautier und Baudelaire und von dort über die französischen Symbolisten und Nietzsche bis zu den bedeutenden oder auch weniger bedeutenden Vertretern der Phantastik und des Grauens in seiner Gegenwart reicht. In der von ihm herausgegebenen Buch-Reihe „Galerie der Phantasten“ stehen Hoffmann und Poe am Anfang, gefolgt von Oskar Pannizza, Karl Hans Strobl, Alfred Kubin und Ewers selbst. Ein besonders ins Auge springendes Moment dieser Tradition ist das Interesse der meisten Autoren für den Zusammenhang von Rausch und Kunst, ein Punkt, mit dem sich auch Ewers ausgiebig sowohl in lebenslangen Selbstversuchen mit allen möglichen Formen von Drogen wie auch theoretisch beschäftigt. Es ging um den Versuch, im Rausch, aber auch in der Steigerung des Schreckens und des Grauens neue Dimensionen der Wirklichkeit zu entdecken, einer Wirklichkeit jenseits aller Bürgerlichkeit, vor allem auch aller Moral, aus der sich die Maßstäbe einer Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Welt entwickeln lassen sollten. Wie sehr Ewers gerade diesen Aspekt und damit den wesentlichen Teil der Leistungen der von ihm beanspruchten Vorbilder von Jean Paul bis Baudelaire verfehlte, kann ich hier nicht im einzelnen zeigen. Nur in ganz wenigen Texten gelingt es ihm, jenseits des bloßen Effekts eine Wirkung zu erzielen; das sonst so vorzüglich genaue und nützliche Buch von Wilfried Kugel hat im übrigen in diesem den grundlegenden Mangel des Ewersschen Schreibansatzes betreffenden Punkt ganz offenkundige Schwächen, wie überhaupt die neuere Literatur zu Ewers, so etwa auch zuletzt die 2002 erschienene Dissertation von Marion Knobloch, eine Neigung hat, diesem Autor und seiner bizarren Selbstdarstellung zu verfallen.


III.
Es ist in gewisser Weise verständlich und konsequent, wenn Ewers, als er begann Übersetzungen zu planen und Möglichkeiten hatte, sie bei Verlagen unterzubringen, sein Interesse von Anfang an auf solche Autoren richtet, die die von ihm gepflegte Traditionslinie verstärken. Das hatte einerseits den Vorteil, daß allgemein die phantastische Literatur, die Literatur der Dekadenz, auf dem Buchmarkt verstärkt vertreten war. Andererseits wurde sein eigenes Werk durch die Verbindung solcher Autoren mit seinem Namen auf die von ihm gewünschte Ebene gehoben. Überblickt man die von Ewers und seinem Kreis übersetzte Literatur, so kann man in der Tat eine strategische Anlage in der Auswahl der allermeisten Namen und Texte erkennen. Natürlich spielt auch der finanzielle Aspekt eine Rolle bei einem Autor, der bis er 1913 endgültig seinen Durchbruch erlebte, ständig klamm war und doch immer einen ganzen Schwarm von Menschen mit zu versorgen hatte und auch wirklich versorgte, darunter auch bittere Not leidende Kollegen wie etwa Paul Scheerbart.
In den ersten Jahren hatte Ewers noch selbst die gesamte Arbeit übernommen; sein erster Versuch war die Übersetzung zweier Bücher von George Washington Cable, des Porträtisten kreolischen Lebens in den Südstaaten der USA, die im Verlag Max Bruns in Minden erschienen und Ewers wegen des darin beschriebenen Voodoo-Kultes interessierten.

Doch bald wurde ihm klar, daß er einerseits bei der rastlosen Tätigkeit auf allen möglichen Gebieten als Kabarettleiter, Autor, Herausgeber, Welt- und Vortragsreisender, nur mehr sehr beschränkt würde übersetzen können; daß andererseits gerade bei Übersetzungsprojekten sein Name sich auch dann vermarkten ließ, wenn er nicht selbst die Hauptlast trug. Er suchte sich deshalb einen Kreis von Mitarbeitern und Vertrauten, mit denen er seine Projekte realisieren konnte. Das lief dann meist so ab, daß Ewers den Autor auswählte, sich um die Rechtefrage kümmerte, den Kontakt mit dem Verlag herstellte, seit 1907 vorzugsweise mit dem Georg Müller Verlag, der nach vielfältigen anderen Versuchen sein Hausverlag wurde, und die Honorare aushandelte und einen Vertrag schloß. In den meisten Fällen scheint er auch noch eine Art Endredaktion der Übersetzung vorgenommen zu haben. Dem Verlag gestattete er die Benutzung seines Namens in irgendeiner Form, indem er etwa als Herausgeber firmierte oder auch ein kleines Vor- oder Nachwort zu Papier brachte. In einem besonders eklatanten Fall ist sogar auf einem Band der Villiers-Ausgabe außen als Reklame aufgedruckt:„Übersetzt von Hanns Heinz Ewers“, während innen auf der Rückseite des Titelblattes der Name der tatsächlichen Übersetzerin vermerkt ist.

Zu dem Kreis, aus dem die Übersetzungen stammen, gehörten neben Ewers selbst seine Frau Ilna Ewers-Wunderwald, seine Mutter Maria Ewers aus‘m Weerth und der engste Freund der Familie, der in Düsseldorf als Beamter der Provinzialbehörde im Brot stehende Rolf Bongs senior, Vater des 1981 verstorbenen Düsseldorfer Schriftstellers gleichen Namens. Für einen kurzen Zeitraum arbeitete auch noch Gisela Etzel, die Ehefrau seines Freundes und Kollegen Theodor Etzel mit. Ich möchte ihnen die Kerngruppe kurz vorstellen.
Caroline Wunderwald, Ilna war ihr Künstlername, wurde 1875 in Düsseldorf geboren. Der Vater betrieb eine Fahnenfabrik, ein Bruder war Maler. Über diesen Bruder geriet Ilna im Düsseldorfer „Malkasten“ 1895 zuerst in den Kreis um Ewers, der damals in Neuss als juristischer Referendar tätig war. Über Ilnas Jugend, ihre Schulausbildung und die Herkunft ihrer Fremdsprachenkenntnis ist nichts bekannt. 1897 gilt sie als Ewers Verlobte, und als dieser 1901 seine erste bezahlte Anstellung am Berliner Überbrettl erhält, heiraten die beiden. Das junge Paar tritt gemeinsam auf der Kabarettbühne auf; Ilna erhält glänzende Kritiken. Doch schon bald trennen sich die Wege: seit 1904 ist Ilna in Düsseldorf, Hanns Heinz in Berlin. Zwar unternimmt das Paar noch verschiedene ausgedehnte Reisen zusammen, so etwa 1910 nach Indien, Australien, Japan und China, doch kommt es kurz danach zur Trennung und im April 1912 zur förmlichen Scheidung. Bereits früh hatte Ilna begonnen zu zeichnen, dabei einen ganz eigenen ornamentalen, an japanische Holzschnitte erinnernden Stil entwickelt, der viel Anklang fand. Sie entwarf Buchillustrationen, auch Titelbilder für Werke ihres Mannes, und hatte seit 1909 verschiedene Ausstellungen in Düsseldorfer und anderswo. Leben konnte sie nicht von ihrer Kunst und blieb auf finanzielle Zuwendungen ihres geschiedenen Mannes angewiesen, die dieser auch bereitwillig leistete. Später tat sie sich mit der aus wohlhabender Düsseldorfer Familie stammenden Bildhauerin Elli Unkelbach zusammen und zog 1938 mit ihr nach Allensbach am Bodensee, wo sie am 29. Januar 1957 starb. Noch für eine Ausstellung 1947 in Radolfzell wirbt das örtliche Blatt mit dem Hinweis, bei Frau Ewers-Wunderwald handele es sich um die Witwe des berühmten Schriftstellers Hanns Heinz Ewers.

Ilnas Stütze in Düsseldorf war in der Zeit der Trennung von Ewers und auch noch danach dessen Mutter Maria Ewers aus‘m Weerth. Sie wurde 1839 in Bonn geboren. 1848 übersiedelte die Familie nach Düsseldorf, wo Maria bis zum Alter von 16 Jahren die Schule besuchte. 1869 heiratete sie den Maler Heinrich Ewers. Seit der Jahrhundertwende hatte Maria Ewers, die von ihren Freunden nur „Mutter Maria“ genannt wurde, ihr Talent als Märchen- und Geschichtenerzählerin auch schriftlich unter Beweis gestellt. Einiges erschien 1902 in dem von Ewers und Theodor Etzel herausgegebenen Band „Singwald. Märchen und Fabeln für große und kleine Kinder“. Ihr Arbeitsfeld wurde dann die Übersetzung aus dem Englischen und Französischen. Vor allem im Französischen war sie sehr gut zu Hause, wie ein Brief ihres Sohnes vom 23. April1912 zeigt, der an „Madame Je sais tout“ gerichtet ist. Zwischen 1904 und 1914 erschienen 10 von ihr übersetzte Bücher. Maria Ewers, die ihren Sohn verehrte und von diesem rührend umsorgt wurde - er schrieb ihr in den letzten Jahren täglich entweder eine Karte oder einen Brief, alle im Ewers-Nachlaß zu besichtigen - starb 87jährig am 18. Juli 1926. Ihr geliebter Sohn hielt sich damals in Capri auf, von wo er auch nicht zum Begräbnis nach Düsseldorf gerufen wurde.

Rolf Bongs berichtet ihm brieflich über die Beerdigung und beruhigte ihn mit den Worten: „vielleicht tröstet Dich ein wenig das Gefühl, das Du immer und immer bemüht warst, ihr die letzten Jahre so schön und sorglos als möglich zu machen, darüber sprach sie immer mit mir.“ (Kugel, 279) Wie bereits diese Sätze zeigen, gehörte Rolf Bongs irgendwie zur Familie dazu. Er war für Ewers, seine Mutter und seine Frau so etwas wie ein Sekretär und Sachwalter vor Ort, der briefliche Anweisungen erhielt, sich später im Auftrag des Sohnes um die alte Mutter Maria kümmerte, der aber in zwei Fällen auch selbst als Übersetzer eingesetzt wurde, als Herausgeber diverser Sammelbände im Müller-Verlag fungierte („Seltsame Begebenheiten“; „Das Buch der Abenteuer“; „Die Jagd auf Menschen“, die letzten beiden mit Vorworten von Paul Scheerbart, zu dessen Begräbnis die Familie Bongs nach Berlin fuhr) und schließlich 1922 als Betreuer eines „Ewers-Breviers“, wo er die goldenen Worte des Meisters zusammengetragen hat. Bongs lebte von 1875 bis 1943 und arbeitete in Düsseldorf für den Provinzialverband (heute Landschaftsverband). Über seine Ausbildung und seine Lebensumstände in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg ließ sich nichts in Erfahrung bringen. Der Sohn Bongs hatte ein offenbar sehr schwieriges Verhältnis zu seinen Eltern und berichtet in seinen Erinnerungen, wie sein Vater später die enge Beziehung zur Familie Ewers völlig aus seinem Leben ausgeblendet hat, nie davon sprach und auch nicht darauf angesprochen werden wollte.


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