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Bühne frei!

Kabarettheroen aus Westfalen geben im Museum für Westfälische Literatur ihre Visitenkarte ab

Peter Hille (1854-1904), erster des Sextetts, eröffnete 1902 in Berlin eines der frühesten deutschen Kabaretts überhaupt. Das „Cabaret zum Peter Hille“ gastierte im Hinterzimmer eines kleinen italienischen Lokals und bot nur wenigen Besuchern Platz. Es war Jungbrunnen einer neuen, unverbrauchten Dichtung, die sich – im Stil heutiger Lesebühnen– unbekümmert, frei und spontan präsentierte. So dilettantisch die Aufführungen auch aufgezogen waren, es wurde „große Kunst“ geboten, die ein Gegengewicht zum „Amüsiergeschäft“ und „Tingeltangel“ anderer Kabaretts bildete. Mit Else Lasker-Schüler und Erich Mühsam traten Literaten auf, die später Literaturgeschichte schrieben.

Hille knüpfte an die große Weltliteratur an, mit der er freilich mutwillig umging. Erlaubt war, was beliebte. Alles Starre, Schulmäßig-Versklavte; Verzopfte wurde abgelehnt. Kabarett präsentierte sich als offene Lebensform, als Weltanschauung und auch als Überlebens-Philosophie in einer Zeit, in der sich hunderte Weltentwürfe erbittert bekämpften. Hille stellte der „lauten Zeit“ seine humanen Utopien entgegen, die vor allem bei Künstlern auf offene Ohren stießen. Hilles obskures Etablissement war stadtbekannt. Es war ein Glücksfall, überhaupt Einlass zu erlangen. Dem König der Aphorismen, wie Hille genannt wurde, spülte es zumindest einige Reichstaler in die notorisch knappe Kasse.

Ein ganz anderes Naturell war Joseph Plaut (1879-1966). Ihm ging es, anders als Hille, nicht um „hehre Kunst“, sondern darum, sein Publikum mit seinen „Plautereien“ amüsant und hintergründig zu unterhalten. Der ehemalige Opernsänger zog landauf, landab Hunderttausende mit seinen „heiteren Abenden“ in den Bann. Die Bühne war seine Welt, für sie war er geboren. Plaut war einer der beliebtesten Sprechkünstler seiner Zeit. Er trat in den bekanntesten Häusern auf und war häufig im Rundfunk zu hören. Im Fernsehen war er Gast beliebter Unterhaltungssendungen von Peter Frankenfeld, Hans-Joachim Kuhlenkampff, Hans Rosenthal oder Heinz Schenk.

Plauts Stärke waren die (Dialekt-)Parodie, die Persiflage, der Sketch. Er ist das klassische Beispiel eines Alleinunterhalters, der auf der Bühne ohne große Kulissen auskam – lediglich ein Stuhl diente ihm als Requisite. Diesem Stil und seinem „klassischen“ Repertoire (Kästner, Fontane, Reuter...) blieb er zeitlebens treu, auch, als in den 1950er und 1960er Jahren das politisch-satirische Kabarett seinen Siegeszug antrat. Was nicht heißen soll, dass Plauts Programme unkritisch waren. Mit Vorliebe nahm er menschliche Schwächen (oft die seiner lippischen Landsleute) aufs Korn, verspottete dümmlichen „Kommissgeist“ oder wichtigtuerisches Gehabe staatlicher Behörden. Sein bekanntester Text ist der von ihm umgedichtete „Schlager“ „Lippe-Detmold, eine wunderschöne Stadt“. Mit ihm wurde Plaut in ganz Deutschland bekannt.

Ein weiterer Handlungsreisender in Sachen Humor war Fred Endrikat (1890-1942). Er war umjubelter Star aller größeren deutschen Kabaretts. 1937 gründete er mit der „Arche“ in Köln ein eigenes Ensemble. Der Sohn eines Bergmanns wuchs in Herne auf. Schon früh trat er auf Kleinkunstbühnen der näheren Umgebung auf und machte dies zu seinem Beruf. Seit seinem 18. Lebensjahr schrieb er für Bühnengrößen wie Claire Waldoff oder Marita Gründgens Couplets, Chansons und Sketche. In den 1920er und 30er Jahren stieg Endrikat zum gefragten Brettl-Solisten auf, tourte durch Deutschland und schrieb inzwischen auch Texte für andere Kabarettgrößen. Sein Lieblingsbrettl war der hemdsärmelige Münchener „Simpl“, in dem er ungezählte Male auftrat. Hier beerbte er den legendären Joachim Ringelnatz als „Hausdichter“.

Endrikat war ein Autor des breiten Publikums. Ein Unterhaltungskünstler, der den Klamauk liebte und bei dem doch – unter dem Strich – besinnliche Töne dominierten. Sein Improvisationstalent war legendär. Es kommt auch in seinen Allerweltsreimereien zum Ausdruck, die er aus dem Ärmel schütteln konnte. Der Kunstanspruch tritt mal launisch, mal parodistisch und immer zwanglos auf. Später zog er sich von der Bühne zurück und gab seine gereimten heiter-moralischen Lebensweisheiten in Buchform heraus. Sie erlangten eine Millionenauflage.

Der in Münster geborene Peter Paul Althaus (1892-1967) machte die Literatur schon früh zu seinem Lebensinhalt: mit studentischen Literaturzeitschriften, einem eigenen kleinen Verlag und der Leitung literarischer Freundeskreise. Das war noch in seiner Münsterer Zeit, die 1922 endete, als Althaus bei einem Verlagsbesuch in München hängen blieb. Er wurde schnell Teil der Schwabinger Künstler-Szene, in der er „herrliche Jahre“ verlebte und mit vielen „ganz Großen“ befreundet war. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als freier Autor und als Rundfunkmoderator. Nebenbei gründete er 1930 das Improvisations-Kabarett „Zwiebelfisch“. Jeden Tag wurde ein anderes, tagsüber entworfenes Programm gespielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Althaus maßgeblichen Anteil an der Wiedergeburt Schwabings. Seine Bühnendarbietungen waren umjubelt. 1948 gründete er mit jungen Studenten das „ziemlich berühmt gewordene Monopteross“. Hier trat auf, wer Rang und Namen hatte, selbst berühmteste Schauspieler und Schauspielerinnen. Mit seinem 60. Geburtstag zog sich PPA aus der Öffentlichkeit zurück, um sich ganz dem Bücherschreiben zu widmen. Es erschienen sechs Gedichtsammlungen, die sein literarisches Vermächtnis darstellen. In ihnen brilliert Althaus als literarisch-musikalischer Formvirtuose, dessen Texte den Charme eines formgewandten Fabulierers versprühen, der mit fast überbordendem Esprit zu Werke geht.

Jürgen von Manger (1923-1994) schuf mit dem Kumpel Adolf Tegtmeier eine der legendären Figuren der deutschen Unterhaltung. Tegtmeier war eine Identifikationsfigur „zum Anfassen“. In unnachahmlicher Manier schwadronierte er über die Zwickmühle des modernen Lebens. Tegtmeier war jedoch mehr als eine bloße Parodie des kleinen Mannes aus dem Kohlenpott. Die Schilderungen des Alleralltäglichsten bereicherten die Kabarettgeschichte um eine eigene Note. Auch sprachlich. Bei von Manger wird Sprache bis zur Absurdität „veranstaltet“, „inszeniert“, was ihn in die Nähe des grotesken Theaters rückt.

Von Manger war weder ein Kind des Ruhrgebiets, noch stammte er aus der Arbeiterschaft. Er wurde 1923 als Sohn eines Staatsanwalts in Koblenz geboren. Seiner Karriere als Kabarettist und genialer Volksschauspieler gingen mehrere schauspielerische Stationen voraus. Sein komödiantisches Talent wurde eher zufällig, während seines Engagements am Gelsenkirchener Stadttheater (ab 1950), erkannt. Damals begeisterte er im privaten Kreis mit ersten Tegtmeier-Episoden. „Wir schrien vor Lachen“, erinnerte sich Tana Schanzara. Bis zum großen Erfolg vergingen noch mehrere Jahre. Die Ausstrahlung des „Schwiegermuttermörders“ am Silvesterabend 1961 im NDR-Radio (Mittelwelle) brach dann alle Dämme. Von Manger stieg zum Medienstar auf, der tausende Auftritte in vollen Hallen absolvierte, dessen Schallplatten sich hunderttausendfach verkauften und dessen Fernsehauftritte Kultstatus erlangten.

Erwin Grosche (Jg. 1955) durfte bei der Revue der „Kabarettheroen“ nicht fehlen. Grosche ist ein „Klassiker zu Lebzeiten“, der unter anderem mit dem „Deutschen Kleinkunstpreis“ ausgezeichnet wurde. Innerhalb seiner Zunft ist er ein Unikum. Bei ihm ist alles anders: Requisiten, Kostümierung (z.B. Tropenhelm, Tigeranzug, Badekappe, die noch nicht verpönte Pappnase, Königskrone…), die musikalischen Accessoires (Miniaturklavier, Schellenbaum, ISDN-Telefon…). „Da muss man umdenken“, fordert er in einem Text. Genau darauf kommt es ihm an: Die nüchterne Wirklichkeit für einen Wimpernschlag außer Kraft zu setzen, um sie anschließend wie bei einem Puzzle neu zusammen zu setzen.

Grosches Kommentare zum Alltag sind poetisch, verspielt und oft surrealer Natur. Das Publikum kann gar nicht anders, als sich auf seine Spielregeln einzulassen. Verdutzt reibt es sich die Lachtränen aus den Augen und fragt sich: Was passiert hier eigentlich? Wer spricht da? Vielleicht ein Außerirdischer?
„Kabarettheroen“ ist ein Projekt der Literaturkommission für Westfalen. Es erschien ein umfangreiches Begleitbuch („Kabarettheroen aus Westfalen.“ 284 Seiten, zahlr. Fotos, 24,80 €. – ISBN 978-3-89528-701-5)


Walter Gödden


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