„Der Ort war wahnsinnig wichtig. Ich glaube, der Ort war deshalb so wichtig, weil sich da ′ne ganze Menge Leute trafen, die sich ungern langweilten und einfach unheimlich getrieben waren, etwas zu tun.“
Carmen Knoebel, Frau des Künstlers Imi Knoebel, hatte 1974 zusammen mit Ingrid Kohlhöfer, auch sie mit einem Maler verheiratet, den Ratinger Hof übernommen. Schon in dieser Zeit hatte das Lokal – Carmen Knoebels Meinung nach – eine besondere Bedeutung, Künstler wie Blinky Palermo, Ulrich Rückriem, Sigmar Polke, Katharina Sieverding waren Dauergäste, auch Josef Beuys ließ sich sehen. Das Interieur hingegen war noch ganz dem Stil der 70er Jahre verhaftet:
„Das war ′ne gemĂĽtliche Hippiehöhle, dunkle Wände, wo man gar nicht mehr sah, ob das′ ne Farbe war. Es waren Tische, gemĂĽtlich, sehr viele, mit so drei vier StĂĽhlchen drum. Da lagen Glasplatten drauf und darunter waren alte Teppiche, so indische Teppiche oder so.“Â
So jedenfalls die Erinnerung Franz Bielmeiers, Herausgeber des ersten deutschen Punk-Fanzines The Ostrich, später Bandmitglied von Mittagspause. Carmen Knoebel dagegen sieht das ganz anders:
„Nee, nee, die Teppiche waren schon ′74 weg, und da war Herr Bielmeier bestimmt noch nicht da. Weil, als wir ′74 das Ding ĂĽbernommen hatten, da gab’s keine Teppiche mehr auf den Tischen, ich kann mich erinnern, dass jeder Tisch′ ne andere Farbe hatte, von Rot, Rosa, GrĂĽn, Gelb, Blau, alles Mögliche, und darauf war ′ne Glasplatte, auf der Farbe, also ich weiĂź nicht, ob das so gemĂĽtlich ist. Also, die Teppiche gab’s nicht. Aber er hat natĂĽrlich Recht, die Decke war dunkel und mit Sternen von Chris Kohlhöfer gemalt, und die Lampen hatten ′n recht antiquierten Touch, das mag immer noch ′ne GemĂĽtlichkeit ausgestrahlt haben. So als Menschen, so gemĂĽtlich, waren wir eigentlich nicht, kann ich jetzt nicht gerade sagen.“
Teppiche hin oder her, gemütlich oder nicht: der Hippiegeist scheint schon noch sehr präsent gewesen zu sein, wie folgende Anekdote Franz Bielmeiers nahelegt:
„Es war einfach richtig, das war ′n langweiliger Hippieladen, der war nicht mal fĂĽr damals zeitgemäß, der war wie ′n Relikt aus den Sechzigern. Und da war auch kein besonderes Publikum, ich weiĂź noch, ich habe damals da mal ′ne Frikadelle gekauft mit dem Peter Hein in der ersten Zeit, und da war ′ne Nadel drin in der Frikadelle. Und wir kannten die Leute so vom Sehen, die die immer reinbrachten, das waren irgendwelche Hippies aus irgendner Kommune, das waren die Frikadellenbäcker, die sahen schon so aus mit langen Haaren und so, da wunderte man sich nicht, dass dann auch ′ne Nadel drin war und so. Wir haben einfach so dagegen rumgestänkert, auch so pubertär. Gegen diese Hippieatmosphäre, was hätte das gesollt halt.“
Bielmeier, alias Monroe, war als fünfzehnjähriger Punk in den Ratinger Hof gekommen, wo er dann Peter Hein, den späteren Fehlfarben-Sänger, kennen lernte.
Um diese beiden herum gruppierte sich nach und nach die Düsseldorfer Punkszene, die den Ratinger Hof bevölkerte, als zweite Stammgruppe blieben die – natürlich älteren – Maler dabei. Kontakte bestanden durchaus, schon aufgrund eines gemeinsamen Musikinteresses. Bielmeier und Hein etwa lernten den Maler Markus Oehlen kennen, damals Akademie-Student, der bisweilen im Ratinger Hof Platten auflegte. Ihm brachten sie dann ihre neuen Errungenschaften, Oehlen spielte sie, und so vermittelte das Lokal den jungen Punks, eine Art „Heimatgefühl“ , wie Bielmeier es ausdrückt. Umgekehrt wurden sie für Carmen Knoebel und die Malerszene zum Beleg einer neuen Entwicklung, die in New York längst stattgefunden hatte, in Deutschland aber noch in den Grundzügen lag.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die innenarchitektonische Umgestaltung, die den Ratinger Hof letztlich erst zu dem machte, wofür er auch heute noch steht. Während Bielmeier sich anscheinend nicht wirklich erinnert, wie es zu dieser fundamentalen Veränderung kam, sondern etwas vage davon spricht, dass diese ganzen Hippie-Relikte mit der Zeit „rausgewaschen“ wurden, kann Carmen Knoebel – als damalige Mitbetreiberin – zwangsläufig genauere Angaben machen:
„Das war ′ne Idee eigentlich von meinem Mann, die von mir sofort freudig aufgenommen und weiter getragen wurde, doch mal ′ne ganz grundsätzliche Renovierung zu machen, den Mist und den Plunder alles raus. Einfach glatte Wände, weiĂźe Wände, Neonlicht rein. Das war im FrĂĽhjahr ′77, und die Leute waren natĂĽrlich erschrocken. Also bei der Eröffnung, die Leute kamen nicht rein, sondern blieben drauĂźen stehen und gafften, und die, die reinkamen, fĂĽhlten sich nicht wohl, weil sie so präsent waren, sie waren ja wie auf dem Präsentierteller, also das war ihnen alles viel zu hell.“