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Enno Stahl: Ratinger Hof - Thomas Kling und die Düsseldorfer Punkszene

Nebst einem Interview mit Carmen Knoebel und Franz Bilemeier

Anhang 1 - Interview mit Franz Bielmeier am 26.9.2007


E.S.: Wie ist der Ratinger Hof zu dem geworden, was er war? Also ein bekannter, ja legendärer Szeneort, eine Geburtsstätte von Punk und NDW in Deutschland? Ich habe mal gelesen, du und Peter Hein, seid damals irgendwann, mit 15 dort aufgetaucht, und das sei ein völlig anderer Laden gewesen zu der Zeit, und der ist dann innerhalb kürzester Zeit durch Punk subvertiert worden.

Bielmeier: Der wurde an die neue Zeit angedockt, und vor allen Dingen, weil die Carmen und so, die waren auch damals in New York gewesen, und die haben das als Strömung schon registriert, und wenn da ein paar Leute rumgelaufen sind, wie Peter Hein und ich, das war dann nur der letzte Beweis, dass das auch schon hier war, und dass man diese Strömungen hierzulande auch schon einführen sollte. Dieses Nüchterne und Klare, mit dem Neonlicht.


E.S.: Und wie ist dann abgelaufen? Anders gesagt: Wie sah der Laden vorher aus und wie sah dann nachher aus?


Bielmeier: Das war ne gemütliche Höhle. Ich war da zum ersten Mal wirklich so mit 15 drin, ohne den Peter Hein, den kannte ich noch nicht. Das war ne gemütliche Hippiehöhle, dunkle Wände, wo man gar nicht mehr sah, ob das ne Farbe war. Es waren Tische, gemütlich, sehr viele, mit so drei vier Stühlchen drum. Da lagen Glasplatten drauf und darunter waren alte Teppiche, so indische Teppiche oder so. Dann gab\'s, es war sehr gemütlich, man wurde nicht genötigt, viel zu trinken. Ich hab da mal n Kakao getrunken mit nem Schulfreund. Es war halt ziemlich gemütlich, so ne dustere, ziemlich gemütliche Kneipe.


E.S.: Dann seid ihr da rein gekommen. Und wie kann das so ne unglaubliche Wirkung gemacht haben, dass zwei sehr junge Menschen alles so verändert haben?


Bielmeier: Wie gesagt, wir waren nur eine in Deutschland rumlaufende Erinnerung daran, dass sich in der Welt generell was Neues tat. Und da die Carmen und n paar Künstler durchaus schon mal in New York gewesen sind, und in Amerika, das weiß ich im Nachhinein, das habe ich gespürt auch damals, hat man so mitgekriegt. Da haben die gesehen, gespürt auch, dass das was ist, was kommt, was in Deutschland noch nicht soweit ist wie anderswo. Aber das war so ne Gegenrichtung, das war so \'n Wegwaschen von dem ganzen Hippiekram, das ist musikalisch, künstlerisch gesehen, musikalisch kann ich das eher sagen, in so ne Langeweile ausgelaufen ist. In so ne musikalische völlige Langeweile, und das wurde irgendwie weggewaschen durch die neuen Strömungen. Und wir waren auch nur informiert durch den New Music Express und ganz gering aus der deutschen Sounds und so, und aus Platten halt von der Musik. Das war n ganz anderes Feeling. Wie man das so sagt.


E.S.: Und wie hat sich das dann verändert? Das war vorher ne dunkle gemütliche Höhle, und dann war ’s das plötzlich nicht mehr? Was ist da passiert? Haben die renoviert, haben die alles rausgerissen?


Bielmeier: Das war ganz und gar nischt. Wir haben den Markus kennengelernt, der hat da Platten aufgelegt. Der war befreundet oder kannte die Carmen, die Betreiber…


E.S.: Markus Oehlen?


Bielmeier: Ja… der hat Sachen gespielt, die wir aus dem Plattenladen nachmittags reingebracht haben, die hat der dann aufgelegt, wenn\'s noch ziemlich leer war. Und der fand das auch gut, die Musik. Der war etwas älter als wir, wobei Peter Hein etwas älter war als ich damals. Und das war der erste Punkt, da fand das jemand gut, der die Dinger da laut gespielt hat, auch wenn\'s keiner gehört hat, außer uns, mit Genuss, am Anfang. Das wurde dadurch irgendwie …, dadurch hatten wir so \'n Zuhausegefühl, bekamen wir ganz schnell. Und das mit dem Interesse, und der Umstellung, das war wirklich zu großen Teilen dadurch, dass die Carmen und so, die waren ja noch ne Generation älter als wir, als ich, dass die so irgendwie so offen waren für die neuen Sachen und dass die eben schnell verstanden habe, schnell kapiert haben, dass das nicht nur ne Musik ist, nicht nur ne Sache wie Bay City Rollers, die sich so karierte Dinge an die Hosen nähen, sondern dass das auch ne Ästhetik ist und so was. Das habe ich damals selber auch nicht gewusst, das habe ich auch erst später kapiert, ich habe vieles kapiert auch durch den Markus Oehlen, weil der damals an der Akademie war und ich war mit 17 gerade von der Handelsschule gekommen, abgebrochen, und hatte keine Ahnung von Kunst, außer von Andy Warhol oder so, und wusste auch nur, dass mit der Musik der damaligen Zeit, Disco und so, war nichts für mich. Und die Gitarrenmusik, die Platten usw., das war mir alles zu langweilig und so machomäßig.
Es war einfach richtig, das war n langweiliger Hippieladen, der war nicht mal für damals zeitgemäß, der war wie n Relikt aus den Sechzigern. Und da war auch kein besonderes Publikum, ich weiß noch, ich habe damals da mal ne Frikadelle gekauft mit dem Peter Hein in der ersten Zeit, und da war ne Nadel drin in der Frikadelle. Und wir kannten die Leute so vom Sehen, die die immer reinbrachten, das waren irgendwelche Hippies aus irgendner Kommune, das waren die Frikadellenbäcker, die sahen schon so aus mit langen Haaren und so, da wunderte man sich nicht, dass dann auch ne Nadel drin war und so.
Wir haben einfach so dagegen rumgestänkert, auch so pubertär. Gegen diese Hippieatmosphäre, was hätte das gesollt halt.


E.S.: Und wie ging das dann weiter? Wirklich so mit innenarchitektonischen Änderungen, als ich jetzt in den Ratinger Hof kam, 82 oder 83, da war das nur noch ne leere Halle…


Bielmeier: Da war auch alles schon vorbei. Da war auch Carmen Knoebel nicht mehr dabei. Da war auch nicht mehr die damalige Avantgarde der Musik…


E.S.: Aber noch mal: dieser Übergang rein räumlich, wie ist das vonstattten gegangen, wer hat das gemacht? Wann?


Bielmeier: Zuerst wurde das gemacht wie\'n Objekt. Alleine aus Freude dran, aus Solidarität mit der Musik, und aus Freude der Besitzer daran, diese Solidarität zu zeigen. Es kamen aber auch ständig mehr punkbegeisterte Leute, wir hatten ja n Fanzine, und das verbreitete sich ja erst wie n kleines und dann wie\'n größeres Lauffeuer, die Szene wuchs ständig. Man war, wenn die von außen kamen, die Leute, dann war man so outfit-technisch, gestaltungstechnisch und ästhetisch, war man immer schon einen Schritt voraus aus Düsseldorf schon. Und dann fanden die das natürlich toll, die hatten keine so ne Kneipe in Solingen oder sonstwo in Wuppertal, die so aussah. Der Hof sah ja, glaube ich, schon Ende 77 mit den Neonröhren und so. Aber danach so richtig rausgewaschen wurde das auch durch die Leute, durch die immer größer werdende Zahl von Leuten. Und das gipfelte dann, auch das Wochenende, da kamen dann auch Touristen rein, die die Punks sehen wollten. Wenn wir getanzt haben auf der Tanzfläche, Pogo, dann hat sich so ein Kreis von Zuschauern gebildet, das war die Sensation, die haben nicht mitgetanzt, die hatten Angst, das sah schlimm aus, war’s aber nicht, du musstest ja nur hüpfen, dann passierte dir nichts. Aber die fanden das ein Spektaktel, und viele Leute kamen gestylet wie gemäßigte Schicki-Mickis, die kamen, um zuzugucken, um das zu sehen, dieses Feeling, diese Punk-Feeling. Und die eigentlichen Leute, die sich da getroffen haben, als sich die Szene formierte, das waren Leute, von zehn Leuten haben neun komma fünf Leute selber Musik gemacht oder irgendwas. Es gab gar keine Zuschauer, man war Zuschauer, gleichzeitig Erzeuger, und Zuschauer beim anderen, es gab kaum mehr Zuschauer als Erzeuger von irgendwas.
Und die Leute, die dann reinkamen, das waren nicht Zuschauer von den Bands unbedingt, die da spielten, sondern das war dann dieser Begriff, der wuchs halt raus, und wir waren so früh dabei, wir wussten vorher nicht, dass das ne ganz große Sache wird. Hätte mir auch keinen Spaß gemacht, wenn ich \'s gewusst hätte, mir persönlich. Weil ich stand immer auf seltene Sachen, nicht Massengeschmackszeug.
Aber es war wie n Rausch, wenn du das als Jugenderinnerung hat. So wie wenn noch früher, man zündet irgendwo n Feuer an und plötzlich brennt die ganze Stadt, dann brennt das ganze Land, dann brennt es überall oder so. So ähnlich war das.


E.S.: Und welche Zeit war das genau? Von 77 bis …?


Bielmeier: Wo ich persönlich dann nicht mehr da war, das war so 81. Ende 81 rum etwa. Und Anfang/Mitte 83 bin ich dann…, also 82 war ich noch sporadisch im Ratinger Hof, aber da gab\'s auch nicht mehr dieses Szenegefühl oder so was.


E.S.: Was war der Grund dafür? Dass du dich rausgezogen hattest?


Bielmeier: Das ist einfach so populär geworden. Es war einfach kein adäquater Rahmen mehr, der Ratinger Hof, der war ne Insider-Kneipe, mehr oder weniger. So n kleiner Laden. Und die ganzen Bands vom Anfang, die hatten 81 schon, die waren in der Industrie und haben große Konzerte gemacht oder die waren schon halb tot oder haben ganz damit aufgehört, ich hab damals auch so gut wie nichts mehr gemacht, mit Musik aufgehört, es war erledigt, dieser Rush, dieser Sprint für mich so. Und dieses Punk-Erlebnis für mich so, wo ich als Jugendlicher so drauf hingesteuert bin, mit vierzehn habe ich angefangen, ich mochte immer simple Musik, so Gary Glitter, so Glam Rock und dann Velvet Underground und so, das war wirklich, das führte ganz schnurgerade dahin und die Energie da war einfach auch vorbei, als das so in New Wave auslief und allgemein bekannt wurde. Und dann gab’s Tschiboläden in den Achtzigern, die sahen schon so\'n bissel vom Design so aus, dieses dreieckige New-Wave-, dieses Memphis-Design, das hat was, das könnte man, wenn man das möchte, zurückverfolgen auf so ne Punk-Ästhetik, was der Urvater von so nen Sachen war. Und das war für mich uninteressant. Da gabs nichts mehr Neues, da war nicht mehr Pionierzeit von irgendwas, das wurde von der Industrie abgeschöpft, und viele Bands sprangen auf, die waren nicht originell, die dachten: "Ach, wir machen so was Ähnliches!" oder so. Das war als Revolte gegessen.
Hat man ja auch gesehen, war ja auch allgemein auf der Welt so mit den Sex Pistols, was da passiert war, war ja allgemein so, war eingeschlafen so, aber hat in der Musik und in der ganzen Kunstästhetik ne Menge angestoßen.
Für mich war da nix mehr, aus mehreren Gründen, aber auch aus ästhetischen Gründen, ich war aus der Musik damals raus, das war für mich zu Ende.
Und der Ratinger Hof, dieses Altstadtleben, und warum sich treffen? Ich hab ja nie getanzt oder so. Wir haben uns tatsächlich getroffen, anfangs so, wir haben im Keller geprobt damals, und dann waren Konzerte oben, da haben wir was besprochen, Leute kennen gelernt, das wirklich n Austausch so. Und je mehr das zu ner spaßgesellschaftlichen Sache wurde, dass da Leute, dass da diese Wochenendsache kamen, die die Punks sehen wollten und so, desto mehr wurde das auch anstrengend, das war zwar ne Zeitlang so ne orgiastische Steigerung von so was. Und wirklich auch, das Gefühl könnte man haben, man ist am Puls der Zeit, ganz nah dran, ganz global, auch wenn ich damals nicht in New York war, und akut, okay, ich war das letzte Mal davor 77 auf 78 in London gewesen. In Düsseldorf war das Ganze mehr ästhetisch, mehr euphorisch. In London war die ganze Bewegung, Punk, das war das zum Teil mehr sozial, das war Skin Heads gegen Teddy Boys, da lief alles mit der Faust ab, wie die Engländer das aus dem Arbeiterleben heraus kennen oder so. Aber in Düsseldorf war das mehr die Ästhetik, dieser große Blow am Anfang.


E.S.: In der Zeit danach ist der Ratinger Hof dann ein ganz normaler Szeneladen geworden? Wie es eben überall so angesagt war?


Bielmeier: Es war etabliert halt alles, es war nichts Seltenes, es war kein Underground mehr. Es war auch vor allem dann ein Konsens auf New Wave zu stehen, und der Ratinger Hof ist dann immer mehr so eine Bejahung geworden, so\'n Konsensladen, und am Anfang war das ne Revolte. Niemand von den Hippies, die haben den Laden auch so gemacht, vom Styling her, mit Neonlicht, weiße Wände, ganz kahl und so, dass man sich nicht mehr verstecken konnte, das haben die auch so gemacht, weil die waren begeistert von dieser Message des Punk, man erfindet sich auch selber. Die Leute wollten sich nicht verstecken in schummrigen Ecken, die wollten sich exponieren, verdammt noch mal. Die wollten beleuchtet sein in jedem Winkel, und jeder ist ein Star, da, überall. Deswegen haben die das auch gemacht. Vorher, das war einfach zu sehr ein Versteck, so ne Versteckmöglichkeit.


E.S.: Wer hat den Laden dann übernommen?


Bielmeier: Nach der Carmen kam, glaube ich, der langjährige Geschäftsführer, der immer auch alles gemacht hat, Manfred Heckhausen. Der hat das weitergemacht. Also weiß ich nicht, der hat früher gekellnert, glaube ich. Der hat das einfach so vom Kommerz und vom Geschäft her gesehen, das war n netter Kerl, aber beileibe keine Künstlernatur wie die Carmen. Der hat das einfach so weitergeführt mit "Iggy Pop musste laufen"… Und das waren ja dann auch Djs da in den Achtzigern, die sind auch relativ bekannt geworden, sind auch immer noch, haben Namen und so. Die haben das so weitergeführt, das war dann aber ne traditionelle Geschichte, eine konservative Sache, das dann so weiterzuführen.


E.S.: Ist der Ratinger Hof eigentlich auch  ein Abschleppladen gewesen? Also so ein typischer Szene-Laden dann eben, Nachtleben mit Sehen und Gesehen werden, gucken, was man so sexuell auf die Reihe kriegt… Das kommt in den Kling-Gedichten relativ klar zum Ausdruck…


Bielmeier: Das war mehr oder weniger schon da, als wir kamen. Das wurde dann halt bloß mit übernommen und neu gefärbt und neu geändert, dieses typische Nachtleben- und Abschleppdings. Und als wir auftauchten, mit Charley\'s Girls damals, wir haben dann auch n Gig gemacht, im New Orleans damals, auf der Kö, das war, da wären wir nie reingekommen, weil das so n teurer Nachtclub war, aber das war noch, bevor der Hof umgerüstet hat, und die fanden das eben ultraschick, ne Punkband zu engagieren. Und da waren nur Schickimickis, da waren Leute, die haben sich ausm Kostümverleih Nazi-Uniformen geliehen und so, da waren wirklich so High-Society-Leute und so, die haben das nur benutzt, um noch mehr und abgefahrener zu feiern, für die war das nur n Clou in ihrem Nachtleben. Aber wir haben uns auch damals schon redlich bemüht, das darzustellen, dass das, hähä, nicht so ohne Weiteres als Solches zu verwenden ist.

 

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