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Enno Stahl: Ratinger Hof - Thomas Kling und die DĂĽsseldorfer Punkszene

Nebst einem Interview mit Carmen Knoebel und Franz Bilemeier

Anhang 2 - Interview mit Carmen Knoebel (10.10.2007)

E.S.: Es ist für mich erstaunlich, dass bislang noch nichts zum Ratinger Hof erschienen ist, auch nicht im Katalog zur Düsseldorfer Punk-Ausstellung. Schließlich handelte es sich ja um einen Ort, in dem sich die verschiedensten Kräfte jener Zeit bündelten, quasi abstrahlten von Düsseldorf ausgehend in das Rheinland, in die Republik…


Knoebel: Der Ort war wahnsinnig wichtig. Ich glaube, der Ort war deshalb so wichtig, weil sich da ne ganze Menge Leute trafen, die sich ungern langweilten und einfach unheimlich getrieben waren, etwas zu tun. Das fing natürlich, ehrlich gesagt, bei den Malern an. Und das war in erster Linie schon am Anfang ein Lokal, wo sich mehr Maler als Musiker trafen. Aber die Maler haben natürlich auch einen wesentlich offeneren Geist und nehmen natürlich Dinge anders wahr, als wenn man jetzt so in ne normale Kneipe gegangen wäre. Die Frauen, die den Ratinger Hof betrieben haben, die Ingrid Kohlhöfer und ich, waren auch noch mit Malern verheiratet. Ehrlich gesagt, haben wir’s gemacht, um Geld zu verdienen, und nicht, um was Besonderes in der Welt zu machen, sondern das war die einfachste Art für den Unterhalt zu sorgen. Kinder habe ich ja auch noch gehabt. Das kam dann halt zusammen, und klar: ne Vorliebe für Musik.


E.S.: Wie und wann wurde das Lokal denn eigentlich gegrĂĽndet?


Knoebel: Den Ratinger Hof gabs schon immer. Und der war früher ein gutbürgerliches Lokal, hatte hinten `n Western-Saloon. Mich gibt’s auch schon ne ganze Weile. Ich habe halt auch so’n Weg hinter mir, der über n ganz normalen Beruf ging, dann habe ich bei Konrad Fischer in der Galerie gearbeitet, was mir großen Spaß gemacht hat, nur da habe ich zu wenig verdient, und dann guckt man, wie man was dabei verdient, dann fängt man in ner Kneipe an, dann fing ich beim Spoerri an, dann habe ich noch woanders gearbeitet, und irgendwann denkt man, diese Arbeit muss man nun wirklich nicht für andere Leute machen, die kann man wirklich für sich selber machen, also so gut kriegt man ne Kneipe auch hin. Und so kam das einfach. Dann hab ich mit der Ingrid Kohlhöfer das Domino übernommen, was auch schon existierte, wo wir gearbeitet hatten, beide, so haben wir uns auch kennen gelernt. Weil denen, denen das Domino gehörte, die haben den Ratinger Hof übernommen, die haben da so ne Hippie-Kneipe draus gemacht. Die wollten dann später da auch wieder raus, weil die zu den Jesus People gegangen sind, und wir haben gedacht, das ist doch prima: vom Domino vergrößern in den Ratinger Hof. Das war der blödeste Gedanke, den wir eigentlich haben konnten, denn das Domino war gerade richtig. Es war 30 Quadratmeter, hatte Super-Boxen, es lief immer Super-Musik und man konnte das Ding alleine bewältigen. Das Andere war dann eigentlich fast überdimensioniert, aber man hatte es ja dann und muss dann auch etwas damit anfangen. Wenn ich meine Schicht gefahren habe, habe ich schon immer meine eigene Platten von zu Hause mitgebracht, also das drückte schon etwas aus, dass ich die Abende schon gern auch mit besonderer Musik verbrachte. Nicht dass ich die Leute damit volldröhnen wollte, aber dadurch kamen vielleicht auch bestimmte Leute, weil man dann so eine Wellenlänge signalisierte. Und so wurde das dann vielleicht auch immer mehr zu meinem Ding, und deshalb reden die Leute heute manchmal mehr von mir als von der Ingrid Kohlhöfer, weil die Musikszene ja dann da irgendwann ziemlich durchsetzte. Ich will nicht sagen, dass das auf meinem Mist gewachsen ist, aber vielleicht habe ich das auch an mich gerissen und dann stärker verfolgt als die Ingrid Kohlhöfer damals, die vielleicht doch gern ein bisschen ruhiger gefahren wäre.


E.S.: Und wann war das?


Knoebel: Wir haben den Ratinger Hof übernommen… 1974. Das war ne Idee eigentlich von meinem Mann, die von mir sofort freudig aufgenommen und weitergetragen wurde, doch mal ne ganz grundsätzliche Renovierung zu machen, den Mist und den Plunder alles raus. Einfach glatte Wände, weiße Wände, Neonlicht rein. Das war im Frühjahr 77, und die Leute waren natürlich erschrocken. Also bei der Eröffnung, die Leute kamen nicht rein, sondern blieben draußen stehen und gafften, und die, die reinkamen, fühlten sich nicht wohl, weil sie so präsent waren, sie waren ja wie auf dem Präsentierteller, also das war ihnen alles viel zu hell. Na ja, gut, das waren die Anfangswehwehen, ich kann nicht sagen, dass der Laden dann später irre voll dauernd war. Also man fühlte sich nach wie vor in der dunklen Ühl wohler, aber bei uns passierte halt mehr, bei uns wars spannender, bei uns kamen so – sagen wir mal – die extremeren Geister. Vielleicht auch die mit mehr Selbstbewusstsein, die Exzentriker, die sind ja auch immer sehr beliebt. Also wir wurden vielleicht einfach der interessantere Laden, und das wollten wir ja auch sein. Also wir fanden uns ja auch selber total interessant.
Ich bin dann 77 im Mai auch mit meiner Freundin in New York gewesen und hab dann die Ramones im CBGB’s gesehen, das ja so’n bisschen ähnlich geschnitten war, dieser lange Schlauch, und CBGB’s hatte ja schon ne lange Musikkultur hinter sich. Aber wir hatten das ja hier schon gefühlt, dass unheimlich was im Aufbrechen war, und diese Woche New York war für uns vollgestopft, ein Konzert nach dem anderen, wir haben gesehen, „das geht ja jetzt richtig ab, irgendwie“, das war schon vorher in New York sichtbar. Aber wir haben’s ja hier gar nicht so richtig mitgekriegt, das wurde einem später erst ein bisschen plausibel, manches auch heute erst. Aber damals gab’s halt in New York schon ne ganze Menge, das gab’s The Kitchen, und da gab’s ne Stelle, wo man die ganzen B-Movies sehen konnte.
Dann bin ich nach Düsseldorf zurück, und hab gesagt, bei uns proben ja auch Bands im Keller, und also rauf, Live-Musik, wir brauchen wieder Live-Musik. Na ja, und dann haben wir eben auch direkt losgelegt, wir hatten also hinten Billardtische, indem man zwei Billardtische zusammenschob, und darauf, da konnte dann jemand Musik machen. Und irgendwie haben wir auch gleich richtig losgelegt, ich hatte ziemlich schnell n Kontakt nach England, und dann kam – großartig! – Wire. Das vergess ich nie, das war ja nun ganz früh,  das war 78. Und die kamen mit zwei Riesen-Lastwagen vorgefahren, die waren schon richtige Häuser gewöhnt mit richtigen Bühnen, und kamen da an und sahen die beiden Billardtische. Und dann haben die Roadies natürlich geschrieen und geflucht und haben gesagt: „Die Band spielt hier nicht!“ Na ja, die hat dann doch gespielt, und das war dann eins der besten Konzerte, wie sie mir immer wieder bestätigten und bestätigen. Na ja, so lief das.
Und ich bin 79 raus, und ich fand, da war’s dann fast schon totgelaufen. Da wurde es dann viel zu professionell, zu sehr weg von der Improvisation. Die Musiker wollten ihre Verträge und so.


E.S.: In den Rückblicken wurde das immer so dargestellt, dass Franz Bielmeier und Peter Hein in den Ratinger Hof gekommen wären, als junge Punks von 15 Jahren, und dann hätte sich so quasi die Punkszene im Ratinger Hof gebildet…


Knoebel: Da würde ich sagen, da haben die bestimmt Recht. Wir waren eine Gruppe und die waren die andere Gruppe. Da habe ich auch nicht so viele Einblicke rein. Ich fand die nur recht munter, ich fand die exotisch. Ich fand die recht schräg. Mich haben die irgendwie interessiert, deswegen habe ich sie auch zugelassen. Und ich hab mich auch gerne mal mit denen unterhalten, weil die haben da wirklich was reingebracht, klar, die zogen natürlich auch Leute nach, also Umsatz haben die nicht gebracht, ich meine, die tranken da ne Cola, die wenigsten von denen haben Alkohol gesoffen, sage ich jetzt mal, wie das immer so gedacht wird, das stimmt ja eigentlich gar nicht. Die Säufer waren eigentlich die Künstler, die da nach wie vor kamen. Und irgendwo fanden natürlich diese jungen Leute auch die Künstler ganz toll, weil härtere Kritiker hätten’se gar nicht kriegen können. Und von denen wurde natürlich auch einiges angefordert. Also irgendwo war das schon so mit der Zeit so’n Geben und Nehmen in ner – sagen wir mal – intellektuellen, relativ harten Anforderung.


E.S.: Bielmeier war ja schon vor der Umwandlung des öfteren im Ratinger Hof, er beschrieb das explizit als eine sehr „gemütliche“ Hippiekneipe, dunkel, eine richtige Höhle, mit Teppichen usw.


Knoebel: Nee, nee, die Teppiche waren schon 74 weg, und da war Herr Bielmeier bestimmt noch nicht da. Weil, als wir 74 das Ding übernommen hatten, da gab’s keine Teppiche mehr auf den Tischen, ich kann mich erinnern, dass jeder Tisch ne andere Farbe hatte, von Rot, Rosa, Grün, Gelb, Blau, alles Mögliche, und darauf war ne Glasplatte, auf der Farbe, also ich weiß nicht, ob das so gemütlich ist. Also, die Teppiche gab’s nicht. Aber er hat natürlich Recht, die Decke war dunkel und mit Sternen von Chris Kohlhöfer gemalt, und die Lampen hatten n recht antiquierten Touch, das mag immer noch ne Gemütlichkeit ausgestrahlt haben. So als Menschen, so gemütlich, waren wir eigentlich nicht, kann ich jetzt nicht gerade sagen. Es war noch dunkel, und man konnte sich schon noch in der einen oder anderen Ecke verdrücken.
Und ich glaube, der Franz könnte es auch irgendwo ganz gemütlich finden, wo’s interessant ist. Wo’s langweilig ist, hätte er’s auch nicht gemütlich gefunden.


E.S.: Bielmeier erzählte, das ging bei ihm und Peter Hein sehr stark über den Austausch mit Markus Oehlen, der dann dort aufgelegt, und dann sind die immer, wenn sie neue Platten gekauft haben, dort hingekommen und er hat sie dann direkt gespielt…


Knoebel: Der Markus Oehlen hat ab und zu Platten aufgelegt. In der Woche sowieso nie. Am Wochenende hat der Markus mal Platten aufgelegt. Später verstärkt, aber vor 77, glaube ich, hat der Markus Oehlen da keine Platten aufgelegt. Da hat, wenn überhaupt mal, der Jimmy Platten aufgelegt, wenn wir mal irgendne Party gemacht haben. Ansonsten hat der die Platten aufgelegt, der das Bier gezapft hat.


E.S.: Nein, vor 77 hat er wohl auch nicht gemeint, sondern später erst…


Knoebel: Also der Austausch mit dem Markus war ganz bestimmt da. Aber es gab auch noch mehr Austausch. Da gab’s dann den Kamener, manche sagen auch Krause zu ihm, der dann später – ich hab ja später n Plattenladen gemacht, den der Krause dann übernommen hat, der kam immer (der hieß Kamener, weil er aus Kamen kam) nach Düsseldorf und kaufte immer das Neueste und kam immer mit dem Neuesten in den Ratinger Hof, und dann standen immer ganz viele da, und der Markus, weil er bei uns arbeitete ab und zu, konnte natürlich dann mit den Schätzen, die die eingekauft hatten, hinter die Theke gehen und die Schätze auflegen. Das heißt, er konnte sich da frei bewegen. Und da wurden dann also sofort die neuen Scheiben gespielt, die dann eingekauft wurden. Das war natürlich toll.


E.S.: Welche Maler waren denn in dieser Zeit im Ratinger Hof präsent?


Knoebel: Ja, also von 74 an war halt der Palermo auch da, da war der Rückriem, der Polke war da, der Konrad Fischer kam immer rein, ich zähl jetzt die auf, mit denen man so befreundet ist, da kamen zig andere, mit denen ich nicht so befreundet war, die Namen habe ich mir noch nicht mal gemerkt…


E.S.: Ich meinte mehr wirklich so diese Gruppe der Maler, die Sie oben angesprochen haben, die eine Gruppe, während die andere eben die Punks waren…


Knoebel: Also da waren die Jungen, die mehr guckten, was kommt an neuer Musik… Wobei Markus nun einfach ein junger Akademiestudent war… Nein, ich darf natürlich auch nicht diese unbekannten Maler vergessen, ich darf nicht Brigitta Rohrbach vergessen, die bei uns gearbeitet hatte, Jürgen Mayer. Also mit Markus Oehlen kamen auch Stoja, da kam der Ruff, das waren die, die damals gerade so studierten. Also, da könnte man Endloslisten schreiben. Wer in der Akademie sich für was interessierte, kam. Das wären die Jungen. Und von den Alten waren natürlich auch immer welche da, mein Mann natürlich, Mann von der Ingrid Kohlhöfer. Paar Tote.


E.S.: Wie es ja immer so ist.


Knoebel: Ja.


E.S.: Danke für das Gespräch.

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