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Hildegard Moos-Heindrichs zum 70. Geburtstag am 5. April 2005

Beitrag von Ingrid Hein

Am 5. April 1935 wurde sie in Köln geboren, heute lebt sie in Bonn und in der Eifel, seit 1983 erschienen kontinuierlich ihre Lyrikbände und Prosaarbeiten.
Sie hat sich scheinbar marginalen Themen in Kurztexten verschrieben, in einem humorvoll-besinnlichen, bisweilen satirischen Stil, was, wiewohl von Wilhelm Busch, Ringelnatz, Tucholsky und Erich Kästner auch gepflegt, hierzulande meist als Kleinkunst belächelt wird und allerhöchstens männlichen Autoren einen Preis einträgt.
1983 hat sie „Knöpfe im Dutzend“,
1986 „Kurzwaren“,
1989 „Alle Tassen im Schrank“,
1992 „Ich kriege die Motten“,
1994 „Über Tisch und Bänke“ veröffentlicht.
Alle erschienen 1995 in einem Sammelband: „Sticheleien“ (Horlemann-Verlag, Unkel am Rhein).
Im Köln-Bonner Raum, in der Eifel wurde sie damit schnell bekannt und beliebt und schuf sich ihre kleine Leser- und Zuhörergemeinde, die sie als Autorin ebenso schätzen wie als Rezitatorin.
Regionaldichterin mag man sie nennen, Heimatdichterin im landläufigen Sinne ist sie aber nicht.
Das Land, seine Leute, seine Geschichte, soziale, kulturelle Eigentümlichkeiten dieser Region sind – wenige Ortsbezeichnungen ausgenommen – in ihren Versen nicht vertreten. Ihre Biografie, ihr Lebensumfeld arbeitet sie – anders als viele jetzige Autorinnen – nicht reproduktiv auf.
Dennoch mutet uns vieles in ihrer Lyrik heimatlich an.
Ihre Domäne, d. h., das Vokabular, das bei ihr vorherrscht, ist das Wortfeld des ganzen Hauses, des Haushalts, des Oikos, wie die Griechen sagten. Der häusliche Innenraum, die Wohnung mit ihren Ingredienzien der Einrichtung über Möbel, Hausrat bis zu den Schubladeninhalten, nützlichen und dekorativen Utensilien, jedwedes Inventar wird einer Inventur unterzogen. Textilbezogenes Wortmaterial, Kleider, Tücher, Bänder, Fäden, Nadelarbeiten, Nähwerkzeuge in Verstrickungen und Webarten sind die ‚roten Fäden’, die ihre Texte durchziehen, als ‚Stoff’ im doppelten Sinne und als Leitmotiv. Es ist, als wollte die Autorin wieder wörtlich erinnern, dass Text Textur ist, Wortgewebe.
Wenn da nicht die Knöpfe wären!
‚Eulen nach Athen’, bzw. ‚Knöpfe nach Köln’, wird man beschieden, erwähnt man diese Requisiten, die ihr poetisches Markenzeichen geworden sind. Knopf als Ding, als Metapherngeber war lösend und bindend punctum saliens für sachliche und übertragene Verknüpfung. Er war im Anfang dichtungsauslösendes Element sowie seelisches Überlebensinstrument für ihren biografischen wie künstlerischen Werdegang.
Seit der genauen, sozusagen ‚linientreuen’ Beschreibung eines Knopf-Individuums gelangt sie aus präziser Beobachtung zur Darstellung weiterer Einzelobjekte aus Hausinnenraum und Familiärbereich.
Im Alltagsplauderton sprechen sich kleine Alltagsdinge scheinbar selber aus, oder die Lyrikerin spricht sie an wie vertraute Hausgenossen, eingebunden in Kreuz- oder Paarreim, im altertümelnden Knittelvers. Das hat Methode, denn immer sind die Sachen, die zu Worte kommen, alt, abgenutzt, übrig geblieben, ein wenig museal, aus der Mode gekommen, Erinnerungsstücke. Als kleine Dinggedichte benennen sie hinter den Namen deren Hintersinn, ihre Sprichwörtlichkeit und die Symbolfähigkeit minimal geachteter Objekte bäuerlich-ländlichen Hauswesens, die es der Autorin aber Wert sind, bevor sie aus unserer Erfahrungswelt verschwinden, im Wort aufgehoben z werden. Ihnen gönnt sie liebevolle Beschreibung, wohingegen sie den menschlichen Nutznießern von einst und jetzt Spott und Satire angedeihen lässt. So sammelt sie ‚Dingwörter’, deren Gebrauchs- und Bedeutungsinhalt und ihr komisches Potential und Beziehungsgeflecht, wie in einem Hausmuseum.
Das in schlichtgebundener Verssprache erprobte Verfahren, Gegenstände sprechen zu lassen, wird in den vierundzwanzig Erzählstücken „Das Mühlrad ist zerbrochen“(Rhein-Mosel-Verlag, Briedel/Mosel, 2000) in Prosa überführt. Hier ist die Erzählhaltung der Ich-Perspektive bei allen zu Sprache gekommenen, naiv personifizierten Mühlenpartikeln durchgehalten, die als „Restbestände“ einer zerfallenen Eifeler Wassermühle monologisch ihre alte, auch nicht immer ‚gute’ Zeit Revue passieren lassen und Kritik an der Gegenwartskultur üben.
Aus eigener Anschauung, Sach- und Geschichtserkundung, Archivforschung und Imagination hat die Autorin scheinbar aus dem Blickwinkel der historischen Erzählfiguren, relativiert durch den heutigen Blick der Erzählerin, fragmentarisch – dem Ruinenzustand der fiktiven wie empirischen Mühle angepasst – ein ‚abgesunkenes’ Kulturgut in ihre Erzählung hineingerettet. Sie bewegt sich erzählerisch, wie sie selber anmerkt, zwischen „Rest“ und „Bestand“, mit den Erzählresten setzt sie, wie in einem Nachruf, ein Denkmal.
Autobiografisch ist sie mit ihrer Mühlengeschichte insofern verbunden, als sie die von ihr erworbene Mühle auch realiter restauriert und in Stand setzt, also ein Zeugnis historischer Kultur vor der gegenwärtigen Wegwerfgesellschaft in (Denkmal-)Schutz nimmt und sie in dieser Rolle (als „Städterin“ von ihren Figuren apostrophiert) in ein Literaturphänomen eingeht.
Auf diese Weise ist sie, die sich am Beginn ihres Schreibens hinter ihren Dinggedichten eher verbirgt und Ort- und Zeitbezüge ausspart, mit der Geschichtenfolge der Mühlenstimmen doch zu einer Heimatschriftstellerin geworden, allerdings ist es nicht ihre Heimat und ihre Vergangenheit, deren Spuren und Geschichte sie sucht, sondern sie erzählt die alten Heimatgeschichten anderer nach.
Bei Gelegenheit dieses Geburtstagsfestes wünschen wir, Freunde und Leser, ihr, von der wir wissen, dass sie Heimatverlust früh erfahren musste und bewältigen lernte, dass ihr, die neue Heimat im Leben wie im Schreiben gewonnen hat, ‚Wasser auf ihre Mühle’, darüber hinaus, auch für uns, dass bei ihr der eigene, der eigentliche Bewusstseinsstrom ihrer Erinnerungsgeschichten – das Feld der Knopf- und Mühlespiele sei nun verlassen – nun endlich ‚Oberwasser’ gewinne!


Ingrid Hein