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Jakob Kneip (1881-1958)

Ein Porträt von Wolfgang Delseit

Sucht man in Literaturgeschichten nach dem Namen Kneip, so sucht man meist vergeblich. Wenn sein Name erwähnt wird, dann fast nur im Zusammenhang mit der Gründung der Werkleute auf Haus Nyland und fälschlich als Mitherausgeber ihrer Zeitschriften Quadriga und Nyland. Kneips schriftstellerisches Schaffen gehört jenem breiten literarischen Mittelfeld an, in dem sich zumeist die Vertreter einer regional oder konfessionell gebundenen Literatur befinden. Abgesehen von ersten literarischen Versuchen bei den Werkleuten blieb Kneips Werk seit den 20er Jahren konfessionell auf die katholische Dichtung, regional auf die Hunsrücker Dorfidylle und personell auf die Glorifizierung des Bauernstandes beschränkt - und dies alles, ohne dabei große Auflagenzahlen zu erreichen. Als Mensch und Schriftsteller war er ein Kauz, einsam und wortkarg; jemand, der kaum für eine Zeitung oder Zeitschrift tätig war. "Die Zahl seiner Bücher ist gering und so ist es nicht verwunderlich, daß erst eine kleine Schar seinen Namen kennt", schrieb der Literaturkritiker Kurt Offenburg 1922 in Der Hellweg. Daran sollte sich weder in der Folgezeit noch nach dem Tode Kneips etwas ändern. Innerhalb des Literaturbetriebes blieb er, trotz aller Versuche sich durchzusetzen und vielfältiger Kontakte zu Schriftstellerkollegen, ein Außenseiter, fast ja ein Sonderling.

Aufgewachsen im Hunsrücker Dorf Morshausen, sozialisiert innerhalb einer festgefügten bäuerlich geprägten Gemeinschaft, in der Ordnung und Gottesfürchtigkeit die Eckpfeiler der menschlichen Existenz bildeten, fühlte sich Kneip zeitlebens seiner Herkunft verpflichtet. In der autobiographischen Notiz Spiegelbild im Traum (Rheinischer Merkur, 1946) bekannte er sich zu den "Brüdern auf der Scholle". Die häufige Aufwertung der dörflichen Idylle bei gleichzeitiger Abwertung des städtischen Lebens dominiert in seinen bäuerlich-geprägten Romanen und Erzählungen als Gegensatz von Gut und Böse, weshalb er nicht zu Unrecht häufig als Heimatschriftsteller tituliert wurde. Doch ist die Landschaft zwischen Rhein und Mosel für Kneip nicht nur idyllischer Gefühls- und Erinnerungsbesitz, sondern - in Ansätzen - auch Ort realistischer Betrachtungsweisen menschlicher, vor allem bäuerlicher Existenz. Alle gängigen, der Heimatliteratur zugeordneten literarischen Themen fanden Eingang in sein Hauptwerk, ein Priesterroman "unserer Zeit" (Porta Nigra, Teil 1; Feuer vom Himmel, Teil 2; Der Apostel, Teil 3), der auch Auskunft über Kneips dichterisches Verständnis gibt. Kneip empfand sich nie als Schriftsteller oder Literat; er wollte Dichter sein, Prophet, Seher, Mahner und Richter, wollte als Beauftragter Gottes Zeugnis in seiner Zeit über seine Zeit ablegen - diese Einstellung behielt er bis zu seinem Tod bei.


"Von dem Dichter aber wird heute und immer zu fordern sein, daß er über die Formung seines Werkes mit sich selber zu Gericht geht, daß es ihm erlaubt, ja geboten ist, in Zeiten der Verwirrung und Entscheidung als Mahner, Bekenner, Prophet und Richter vor sein Volk, seine Mitmenschen zu treten und in höchster Verantwortung vor den Menschen und vor seinem Gott das auszusagen, was den Einzelnen wie die Gemeinschaft aufrüttelt und zu Tat oder zur Umkehr zwingt."


Kneip wurde am 24. April 1881 im Dorf Morshausen (Kreis St. Goar) im Hunsrück als zweites Kind des Bauern Johann Josef Kneip (1834-1915) und seiner Frau Elisabeth Ludovika, geb. Windhäuser (1844-1909), geboren. Nach dem Besuch der Volksschule im heimatlichen Dorfe, wo er durch den Pfarrer im Privatunterricht auf das Gymnasium vorbereitet wurde, beendete er seine Schullaufbahn 1902 mit dem Abitur auf dem Kaiserin-Augusta-Gymnasium in der nahen 'Großstadt' Koblenz. Dem Wunsch der sehr religiösen Eltern und der Empfehlung des Dorfpfarrers folgend schrieb sich Kneip im katholischen Seminarium Clementium in Trier ein, um zum Geistlichen ausgebildet zu werden. Doch der bis dahin sehr angepaßt und unauffällig agierende Kneip fügte sich erstmals nicht der väterlichen Regel, sondern verließ das Trierer Seminar nach nur einem Semester, um sich im Wintersemester 1902 an der Universität Bonn, erst in den Fächern Alte Sprachen und Geschichte, später dann Neuere Sprachen und Germanistik, einzuschreiben. Der dabei entstehende familiäre Dissens zwischen Kneip und seinem Vater konnte bis zu dessen Tod 1915 nicht behoben werden. Sein Studium wurde von mehreren Auslandsaufenthalten unterbrochen, von welchen ein Besuch Londons von 1902 bis 1903 der längste war.

Noch sehr desorientiert und unsicher ob seiner Zukunft und seines beruflichen Werdegangs trat Kneip im Winter 1903 in Kontakt zu Mitgliedern der "Akademischen Vereinigung zur Förderung von Kunst und Litteratur", die an der Universität Bonn von kunstsinnigen Studenten gegründet worden war. In der von dem Literaturprofessor Oskar Walzel geförderten Gruppe lernte Kneip den Philologiestudenten und Vorsitzenden der Vereinigung Wilhelm Vershofen (1878-1960) und den Studenten der Zahnmedizin Josef Winckler (1881-1966) kennen. Gemeinsam legten sie 1904 den Detlev von Liliencron gewidmeten Gedichtband Wir drei! vor, der bei allen dreien den Beginn der literarischen Karrieren darstellte, die bis in die Mitte der zwanziger Jahre gemeinsam gestaltet werden sollte. - Doch zwischen dem Erfolg des Lyrikbandes und der weiteren literarischen Arbeit vergingen acht Jahre, in denen die drei Jung-Schriftsteller sich dem Auf- und Ausbau ihrer bürgerlichen Existenz widmeten: Vershofen, der sein Studium bereits 1905 abschloß, ging nach Thüringen, um sich in der Jenaer Porzellanindustrie einen Namen als Ökonom zu machen, Winckler ließ sich 1907 als Knappschaftszahnarzt in Moers und Homberg nieder und Kneip, der 1908 sein Staatsexamen ablegt hatte - die geplante Dissertation über den britischen Schauspieler und Dramatiker David Garrick (1717-1790) wurde nicht verwirklicht -, ging als Lehramtskandidat nach Fulda. In den nächsten Jahren führte Kneip berufsbedingt ein Wanderleben: Lehramtskandidat in Limburg (1909; Probejahr), Wissenschaftlicher Hilfslehrer in Bad Ems (1910), Lehrer am Realgymnasium Wiesbaden (1911), Hilfslehrer an der Realschule Diez an der Lahn (1912) und schließlich Studienrat an der Oberrealschule mit Realgymnasium in Köln, wo er 1929 - nach längerer Krankheit - in den Ruhestand versetzt wurde. Er war nicht glücklich in der geistigen Begrenztheit seines Berufs und seiner Lehrerkollegen, weshalb er die Pensionierung überschwenglich begrüßte. Von nun an wirkte er als freier Schriftsteller - ohne allerdings sonderlich erfolgreich zu sein.

Am 1. Juni 1922 heiratete Kneip in Bonn Ida, genannt "Inge", Neukranz (1889-1961) - die Ehe blieb kinderlos. Kneip war zuvor schon einmal in Koblenz verlobt gewesen. Seine im Sommer 1919 mit der Industriellentochter Frieda Stock geschlossene Verlobung wurde nach nur wenigen Monaten wieder gelöst. Inge Kneip blieb zeit ihrer Ehe ohne großen Einfluß auf die berufliche und künstlerische Entwicklung ihres Mannes.

1912 trat Kneip - nach 1904 - erstmals wieder in die Öffentlichkeit - anonym. Zu Ostern trafen sich Winckler, Vershofen und Kneip im Kölner Gasthof "Zur ewigen Lampe", um jene Vereinigung zu gründen, die in Deutschland die Beschäftigung mit der Industrie und dem industriellen Fertigungsprozeß zum literarischen Gegenstand erklärte: die Werkleute auf Haus Nyland. Weitere literarische Erfahrung nach 1904 hatten nur Vershofen, der in Jena die politischen "Viertelsjahreshefte für Kultur und Freiheit" redigierte, und Winckler sammeln können, der sowohl unter seinem Namen als auch unter verschiedenen Pseudonymen kleinere Erfolge erzielt hatte. Kneip, der seit 1904 weitere Gedichte verfaßt hatte, fand keine Publikationsmöglichkeit, so daß seine Gedichte nur im Freundeskreis diskutiert wurden. Während Winckler Kneips Ansätze lobte, erntete er von Vershofen teils harsche Kritik. Bei den Werkleuten erhielt Kneip den \'Feinschliff\' seiner lyrischen Ambitionen. Winckler und Vershofen machten Kneip zum ersten Mitarbeiter der seit Sommer 1912 herausgegebenen Zeitschrift Quadriga, die als Vierteljahresschrift der Werkleute auf Haus Nyland bis 1914 erschien und in der die Beiträge anonym abgedruckt wurden. Seine im ersten Heft der Quadriga erschienene Dichtung "We clamb the hill thegither" beginnt mit den Zeilen:

"Ich komm' aus einem düstern Land
Wo meiner Väter harte Hand
Jahrhundertlang geführt den Pflug
Und wo der Frauen stummer Zug
Allmorgentlich die Kirche füllt."


Schon hier deuten sich die thematischen Komponenten des gesamten Kneipschen Werkes an: der Hunsrück, die bäuerliche Herkunft und die Religiosität - Kneip verkörpert bei den Werkleuten die Verbindung von Zeitgeist und bäuerlich-gläubiger Lebenswelt aus der starken Innigkeit seines individuellen Glaubens.

Insgesamt veröffentlicht Kneip nur drei Dichtungen in der ersten acht Heften; in der von 1918-1921 von Winckler und Vershofen herausgegebenen Quadriga-Nachfolgerin Nyland erschienen gar nur zwei Veröffentlichungen. So sehr es den beiden Herausgebern gelang, die Gruppe zum Sprungbrett ihrer literarischen Karrieren zu funktionalisieren, so wenig konnte Kneip daran partizipieren. Ihm fehlte, wie Winckler einmal feststellte, das "Talent zur höheren Marktschreierei", sprich: Selbstvermarktung.

Doch stimmt dies eben nur zum Teil: Als bedeutendes Hemmnis erwies sich auch Kneips Verhältnis zu Vershofen - Winckler mußte zwischen beiden wiederholt vermitteln -, in dem sich Vershofen als der Stärkere, der Skrupellosere, erwies, dem es gelang, Kneips literarische Entfaltung mehrfach zu behindern (hiervon legen die überlieferten Briefe beredtes Zeugnis ab). Dennoch war die Gruppe für Kneip ungeheuer wichtig: Bei den zahlreichen Tagungen und Gruppentreffen lernte er verschiedene Maler, Schriftsteller und Verleger kennen, zu denen er freundschaftliche Beziehungen entwickelte. Neben dem Kölner Maler Franz M. Jansen (1885-1958) war es besonders der Schriftsteller Gerrit Engelke (1890-1918), den er 1914 in Köln kennengelernt hatte. Kneip fühlte schon beim Lesen der Gedichte, die im letzten Heft der Quadriga unter dem Titel Dampforgel und Singstimme veröffentlicht wurden eine, - wie er schrieb - verwandte Seele sprechen. Kneip ermöglichte Engelke einen mehrmonatigen Aufenthalt in seinem damaligen Wohnort Diez. Nach dem frühen Tod Engelkes verwaltete Kneip dessen literarisches Erbe bis in die vierziger Jahre hinein: Mit zahlreichen Erinnerungsbeiträgen suchte er das Andenken an den Freund zu bewahren. Kneip besorgte zudem eine Nachlaßausgabe mit Gedichten und eine Briefausgabe.

Darüber hinaus gelangen Kneip bei den Werkleuten noch drei selbständige Veröffentlichungen: Unter dem Titel Bekenntnis fügte Kneip den bereits 1904 in "Wir drei!" erschienenen Gedichten 1917 einige neue, vor allem autobiographisch gefärbte hinzu, die als dritter Band der Nyland-Bücher im Insel-Verlag erschienen. Jugend und Heimat bilden die Grundtöne und -themen dieses ersten selbständigen Werkes Kneips, wobei die Wiedergabe stark sinnhafter Eindrücke dominiert. Zwei Jahre später konkretisierte sich Kneips religiöse Dichtung, die in Zukunft bestimmend für sein Werk bleiben sollte. Als der "Nyland-Werke vierter Band" erschien im renommierten Eugen Diederichs-Verlag, bei dem die Werkleute seit 1917 publizierten, erschien "Der lebendige Gott. Erscheinungen, Wallfahrten und Wunder". In naiver, stellenweise fast barocker Art konzeptionierte Kneip hier seine Heiligenlegenden, die vom sakralen Kult katholischer Religiosität beeinflußt sind. Es zeigt sich, wie sehr Kneip seit seiner Kindheit von den kirchlichen procederes beeindruckt wurde. Dies deutete sich beireits in der dritten, zeitlich früheren Schrift an, die Kneip gemeinsam mit Winckler und Vershofen als "Kriegsgabe der Werkleute auf Haus Nyland" verfaßt hatte: "Das brennende Volk" - Kneip veröffentlichte darin Kriegsgedichte unter dem Titel "Ein deutsches Testament".

Wie Heinrich Lersch (1889-1936) und Winckler - allerdings weit weniger erfolgreich - beteiligte sich Kneip an der Legitimierung des I. Weltkrieges. Seine Kriegslyrik ist durch religiöse Überhöhung des Kampfes und der Gemeinschaft gekennzeichnet: eine Beschwörung des heiligen Vermächtnisses der Toten des großen Krieges an die Überlebenden und Lebenden, hymnische Prosa in 35 Aufrufen, kraftvolle Bibel- und Prophetensprache, verheißungsvolle Prophetie, ein gehämmerter erzner Klang (Hajo Klein). Kneip spürt den Krieg als elementaren Aufbruch des deutschen Volkes zu Gott, als heiligen Krieg. Er wertete den Krieg nicht als Ausdruck fortschreitender Technisierung, sondern als Vereinigung von Kunst, Glauben und Leben, als zeitgenössisches Ereignis, das gestaltet werden mußte. Dieses propagandistische Engagement zur Unterstützung des I. Weltkriegs ließ ihn ebenso wie seine bäuerlichen Erzählungen für die Nationalsozialisten geeignet erscheinen, nach 1933 zu einem Repräsentanten ihrer Kulturpolitik gemacht zu werden, zumal er die Gedichte 1935 in einem schmalen Bändchen wiederveröffentlichte. Ein Übriges taten Verse wie die folgenden, die im Bekenntnis erschienen sind und die Franz Alfons Hoyer 1939 als "ein Blut-Bekenntnis zu dem Boden, der ihn geschaffen, zu der Heimat, die ihn gehalten" hatte, bezeichnete:


"Wenn hinterm Pflug ich in der Furche ging,
Der Himmel über mir voll Lerchen hing,
Mein Ackerland
Lag blauumspannt
Vom Horizont der Welt:
Wie schritt ich hoch!
Wie fühlt ich auserlesen mich bestellt!"


Die Kontroversen zwischen Vershofen und Kneip, in die Winckler stärker als gewollt einbezogen wurde, führen schließlich zum Austritt Kneips aus der Vereinigung, die er gemeinsam mit Lersch vollzog. Mit Vershofen sollte er bis zu seinem Lebensende nur noch selten Kontakt haben; doch seine Freundschaft zu Winckler blieb - obwohl häufig angespannt - erhalten. Im Gegensatz zu Winckler oder Vershofen ging Kneips Engagement für den Krieg über ein nur propagandistisches hinaus: Am 15. Dezember 1915 wurde Kneip als Kriegsfreiwilliger beim Train-Bataillon No. 16 in St. Avold angenommen, doch bereits im Mai des folgenden Jahres - ohne Fronteinsatz - zur weiteren Verwendung im Schuldienst aus dem Heer entlassen. 1917 wurde er eingezogen und als Mitglied des Presseamtes in die Dolmetscherschule Berlin versetzt.

Kneips Einstellung dem Krieg gegenüber änderte sich erst 1917, als er in Berlin mit den Kriegserlebnissen von Freunden konfrontiert wurde. Im Dezember 1917 schrieb er an Winckler:


"Krieg gegen den Krieg! Denn für die Mächtigen ist dieser Krieg ja nur der Weh zum Glück, u[nd] nur die Armen, Schwachen, \'Untergebenen\' müssen sich opfern... Ich bin in diesem Krieg radikaler Demokrat geworden [...] Wir m ü s s e n gegen diese brutalen Unterjocher angehen die mit der Vaterlandspartei pp jetzt noch dem Volke seine Rechte vorenthalten und weiter w ü s t e n wollen."


Der Erkenntnis der politischen Bevormundung und Beeinflussung folgt aber nicht, wie etwa bei F.M. Jansen, die Radikalisierung innerhalb der Kunst. Hier bleibt Kneip im Rahmen der offiziellen, staatstragenden Vorgaben.

Das Ende des Kaiserreiches und den Beginn der ersten deutschen Republik erlebte Kneip in Berlin, allerdings ohne sich aktiv an den politischen Ereignissen des Novembers zu beteiligen. Wie viele seiner konservativen Kollegen empfand er das Kriegsende als Zusammenbruch des Deutschen Reiches, allerdings ohne dem Kaiser der Deutschen nachzutrauern. Im Gegensatz zur Vorkriegszeit - sicherlich auch bedingt durch den Einfluß seines Freundes Jansen - wurde Kneip in seinem Selbstverständnis politischer. Ab 1919 engagierte er sich nachhaltig für die "Gross-Deutsche Sache im besetzten Gebiet" innerhalb des sozialdemokratischen Heimatdienstes in Frankfurt. Hierfür ließ er sich durch die SPD für drei Monate vom Schuldienst beurlauben. Teil der Politisierung Kneips ist auch, daß er sich in der aufkommenden Friedensbewegung mitarbeitet; 1922 lernte er deren Leiter, den französischen Pazifisten Marc Sangnier kennen. Aus diesem Kontakt heraus konzentriert sich Kneips weiteres Engagement in den 20er Jahren vor allem auf das Rheinland. In seiner Kleinschrift An Frankreich, die 1922 erscheint, setzt er sich für die deutsch-französische Verständigung ein; er konstatiert das Ende des preußischen Einflusses im Rheinland und propagiert eine "völlig neue Epoche europäischen Geisteslebens", in dem der Rhein "das große Misch-Bett zweier Kulturen werden" muß, und warnt die Sieger von 1918 vor ungebührlicher Härte gegenüber den Unterlegenen.

Kneip sieht die politische Zukunft der deutschen Republik in einem gesamteuropäischen Verständnis, an dem auch die Rheinlandbesetzung nach dem I. Weltkrieg nichts änderte. Im Rahmen der 1925 zelebrierten "Tausendjahrfeiern" der Zugehörigkeit des Rheinlands zum Deutschen Reich fühlten sich die rheinischen Schriftsteller nicht ihrer Wichtigkeit entsprechend vertreten, weshalb sie - allen voran Alfons Paquet und Josef Winckler - sich für eine eigene, von ihnen einberufene, organisierte und geleitete Tagung einsetzten. Doch erst ein Brief Kneips an den Koblenzer Oberbürgermeister sorgte dafür, daß aus der Idee eine Tagung wurde. Kneip regte an, daß die Stadt Koblenz zu einer informellen Dichtertagung laden sollte. Im Juli 1926 begann das erste Treffen rheinischer Schriftsteller in Koblenz, das die Grundvoraussetzungen für den Bund rheinischer Dichter legte, der von 1927-1933 (ab 1930 als eingetragener Verein) existierte und sich auf zahlreichen Tagungen mit Problemen der Zeit und der Dichtung beschäftigte. Aus den Einladungs- und Teilnehmerlisten geht das außerordentliche Interesse der Schriftsteller an diesen Tagungen hervor, die sie jedoch zumeist als Forum der literarischen und persönlichen Selbstdarstellung benutzen: Von Kasimir Edschmid über Adolf von Hatzfeld, Armin T. Wegner Winckler, Kneip und Lersch bis hin zu Carl Zuckmayer. "Ein diffenenziertes Spektrum zeitgenössischer literarischer Stile und politischer Bekenntnisse kam hier zusammen" (Gertrude Cepl-Kaufmann). Politisch nutzten die Schriftsteller den Bund zum Ausdruck ihres regionalistischen Protestes gegen den politischen wie kulturellen Moloch Berlin. Allerdings gelang es den Verantwortlichen - darunter Kneip - nicht, die konservativ starre Organisation, die von bürgerlichen Feierritualen dominiert wurde, zu durchbrechen. Dazu gehörte auch, daß die großen Jahrestagungen unter ein gemeinsames Motto gestellt wurden: u.a. "Dichtung und Industrie" (1930), "Dichtung und Landschaft" (1931), "Begegnung mit dem Nachbarn" (1932).

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