Ein halbes Jahrhundert vor den âRheinbildernâ von Keller hat Heinrich Heine nicht nur im Reisebild âIdeen. Das Buch Le Grandâ seine rheinische Herkunft verraten und gefeiert. Er kann uns auch durch einige andere Texte als Zeuge fĂŒr die Besonderheit der Rheinliteratur dienen. Bereits im Zyklus âJunge Leidenâ seines berĂŒhmtesten Lyrikbandes âBuch der Liederâ von 1827 hat ein rheinisches Gedicht als Nr. VII der âLiederâ aus dem Bonner Studienaufenthalt des Jahres 1820 Aufnahme gefunden. Schöne Landschaft, sonniges Wetter und stille Liebe bilden die Voraussetzungen, aber Wonne und Untergang wohnen allzu eng beieinander. Der Rheinstrom ist in seiner heiteren AbgrĂŒndigkeit ein Spiegelbild fĂŒr die Geliebte. Der Stabreim, wie er den Anfang prĂ€gt, liegt bei allen romantischen Gebilden nicht fern:
Bergâ und Burgen schauân herunter
In den spiegelhellen Rhein,
Und mein Schiffchen segelt munter,
Rings umglÀnzt von Sonnenschein.
Ruhig sehâ ich zu dem Spiele,
Goldner Wellen, kraus bewegt:
Still erwachen die GefĂŒhle,
Die ich tief im Busen hegtâ.
Freundlich grĂŒĂend und verheiĂend
Lockt hinab des Stromes Pracht;
Doch ich kennâ ihn, oben gleiĂend,
Birgt sein Innâres Tod und Nacht.
Oben Lust, im Busen TĂŒcken,
Strom, du bist der Liebsten Bild!
Die kann auch so freundlich nicken,
LĂ€chelt auch so fromm und mild.
Im sich anschlieĂenden âLyrischen Intermezzoâ stehen als XI. Gedicht jene Zeilen mit dem Auftakt âIm Rhein, im schönen Stromeâ, in dessen Wellen sich âMit seinem groĂen Dom / Das groĂe, heilige Cölnâ spiegelt; im Kölner Dom dann gleicht das Bild der Madonna von Stefan Lochner genau der Geliebten. Hier wird in Variation zum gerade zitierten Gedicht jene IntimitĂ€t aus Landschaft, Kunstwerk und privaten GefĂŒhlen hergestellt, wie sie im folgenden Zyklus âDie Heimkehrâ gleich beim zweiten Gedicht mit der berĂŒhmten Anfangszeile âIch weiĂ nicht, was soll es bedeutenâ gewissermaĂen zum Rezept fĂŒr eine internationale Wirkung geraten ist: Heine nimmt sich selber, sein Nichtwissen zu Beginn und sein vages Glauben am SchluĂ, als persönlichen, melancholischen Rahmen fĂŒr eine Abendstimmung, die mit dem fĂŒr die Schiffahrt nicht ungefĂ€hrlichen Loreleyfelsen verbunden wird, der in seinem wahrzunehmenden Aussehen wĂ€hrend des zauberhaften Sonnenuntergangs auf seinem Gipfel die Gestalt der schönsten und goldensten âJungfrauâ erhĂ€lt und offenbar, gemÀà der angeblich tradierten Geschichte, einem unaufmerksamen âSchiffer in kleinen Schiffeâ durch ihre Erscheinung und ihren Gesang den Untergang bringt, weil er fĂŒr nichts anderes mehr Augen und Ohren hat.
Heine ist nicht der Erfinder dieser Kunstfigur; er steht nicht allein. Brentano hat, wie bereits vermerkt, die âLureleyâ erschaffen und sie als Zauberin mit derartigen KrĂ€ften ausgestattet, daĂ sie nicht nur âDer MĂ€nner rings umherâ, wie es im Volksliedton heiĂt, âviel zuschandenâ macht, sondern sogar den Bischof, der sie vor sein Gericht laden muĂ, zur Liebe entflammt. Er bestimmt sie, die von einem Manne betrogen wurde und ihres eigenen Zaubers mĂŒde ist, nicht zum von ihr erbetenen Tod durch das Schwert, sondern schickt sie als Nonne in ein Kloster. Auf dem Felsen, auf dem ihr von den drei Begleitern auf der Reise dorthin eine Rast gewĂ€hrt wird, winkt sie noch einmal dem ihr auf einem Schiff folgenden Bischof zu und stĂŒrzt sich in den Rhein. Die lange Ballade wird im Stile alter Chroniken ausgegeben als ein Lied, das âEin Priester auf dem Rheinâ gesungen hat. Eine solche Gestalt aus FrivolitĂ€t und erotischem Zwang wie die Loreley bleibt literarisch gesehen nicht lange allein. Joseph von Eichendorff hat ihr sein kurzes, unheimliches âWaldgesprĂ€châ gewidmet, Otto Heinrich Graf von Loeben hat in seinem Gedicht âDer Lurleyfelsenâ dem âZauberfrĂ€uleinâ, poetisch betrachtet, nicht gerade die gelungensten Verse geschenkt. Auch die lyrischen Aussagen von Karl Simrock und Adelheid von Stolterfoth, denen sie gleich mehrmals Modell gestanden hat, Ida GrĂ€fin Hahn-Hahn oder Wolfgang MĂŒller von Königswinter können Heine in der Tat das Wasser nicht reichen. Es bleibt durchaus verstĂ€ndlich, daĂ seine Strophen, zumal in der Vertonung von Friedrich Silcher, auch wenn sich Karl Kraus zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer noch ĂŒber dieses PhĂ€nomen geĂ€rgert und darum lustig gemacht hat, einen Siegeszug durch die Welt angetreten haben. Selbst im Nationalsozialismus war das zum Volkslied avancierte Gedicht nicht aus dem GedĂ€chtnis zu löschen. Bis heute ĂŒbrigens haben sich die Dichter der Loreley angenommen. Die erfundene Sage nimmt Teil am groĂen Mythos, den der Rhein im Laufe der Zeit in sich versammelt hat. Die Ambivalenz des Stromes wird durch die vom Loreleyfelsen ausgehende Betörung deutlich: Die Schönheit und GefĂ€hrlichkeit der Landschaft können zur gleichen Zeit GlĂŒck und Verderben beinhalten.
5.
Auch fĂŒr den ĂŒber den Loreleyfelsen weit hinausreichenden, den ganzen âVater Rheinâ umgreifenden Mythos ist Heine ein ausgezeichneter Zeuge. Sein Versepos âDeutschland. Ein WintermĂ€hrchenâ erscheint 1844 kurz nach den politischen und literarischen deutsch-französischen Auseinandersetzungen, die mit jeweils groĂen Portionen Nationalismus versetzt waren. Nicolaus Becker stimmt 1840 seine sieben Strophen an mit der trotzigen Forderung: âSie sollen ihn nicht haben,/ Den freien deutschen Rheinâ; Alfred de Musset antwortet ihm mit einem Hinweis auf den Rheinwein, der in den französischen GlĂ€sern gefunkelt hat: âNous lâavons eu, votre Rhin allemand, / Il a tenu dans notre verre.â Heine seinerseits, der berĂŒhmte deutsche Emigrant in Paris, sieht nach zwölf Jahren zum ersten Mal seine Heimat wieder und liefert ein klassisches Spottgedicht mit höchsten politischen AnsprĂŒchen. Auch er ist Patriot, erklĂ€rt er im Vorwort zum Einzeldruck des âWintermĂ€hrchensâ souverĂ€n und witzig, wenn denn die Deutschen bereit sind, ihr Bestes an kosmopolitischer HumanitĂ€t als maĂgebendes Prinzip auszurufen! Dann werden ganz Frankreich, ganz Europa, die ganze Welt deutsch werden! Vorher aber beschwichtigt er seine Landsleute: âSeyd ruhig, ich werde den Rhein nimmermehr den Franzosen abtreten, schon aus dem ganz einfachen Grunde: weil mir der Rhein gehört. Ja, mir gehört er, durch unverĂ€uĂerliches Geburtsrecht, ich bin des freyen Rheins noch weit freyerer Sohn, an seinem Ufer stand meine Wiege, und sich sehe gar nicht ein, warum der Rhein irgend einem Andern gehören soll als den Landeskindern.â
In den Köln-Kapiteln, den Capita IV bis VII seines Epos, schildert der Reisende, der von Paris kommt, in Aachen ĂŒber die Grenze gegangen ist und ĂŒber das Rheinland und Westfalen nach Hamburg zu seiner Familie und seinem Verleger fĂ€hrt, sein nĂ€chtliches GesprĂ€ch mit dem Vater Rhein. âRheinfluĂâ und âRheinweinâ bestimmen den spĂ€ten Abend und die Nacht von vorne herein. Die Unterhaltung fĂŒllt das V. Caput: Heine sieht âden Vater Rhein / Im stillen Mondenglanzeâ flieĂen und spricht ihn in einer Mischung aus burschikoser FamiliaritĂ€t und Respekt an:
Sey mir gegrĂŒĂt, mein Vater Rhein,
Wie ist es dir ergangen?
Ich habe oft an dich gedacht,
Mit Sehnsucht und Verlangen.
Der Dichter hört den Rhein âim Wasser tiefâ, und zwar âgrĂ€mliche Töne, / Wie HĂŒsteln eines alten Mannes, / Ein BrĂŒmmeln und weiches Gestöhneâ. Der Auftakt der Rede des Rheins, der sich anschlieĂend ĂŒber das Rheinlied von âNiklas Beckerâ Ă€rgert, weil es ihn besinge, âals ob ich noch / Die reinste Jungfer wĂ€reâ, entspricht dem ZusammengehörigkeitsgefĂŒhl, mit dem Heine sich als RheinlĂ€nder versteht:
Willkommen, mein Junge, das ist mir lieb,
DaĂ du mich nicht vergessen;
Seit dreyzehn Jahren sah ich dich nicht,
Mir ging es schlecht unterdessen.
Nach langer Rede des Rheins und tröstender Antwort verabschiedet sich der Dichter mit dem Appell:
Gieb dich zufrieden, Vater Rhein,
Denkâ nicht an schlechte Lieder,
Ein besseres Lied vernimmst du bald â
Leb wohl, wir sehen uns wieder.
Heine macht auf sein eigenes neues und besseres Lied aufmerksam, das sich freilich unter den Zensurbedingungen in Deutschland noch nicht offen entfalten kann und auf die nÀchste, verstÀndigere Generation zu warten hat.
Den Rhein hat Heine, trotz seines Abschiedsversprechens, nicht wiedergesehen, dennoch den Strom seiner Kindheit auch in den spĂ€teren Dichtungen nicht vergessen. Der âRomanzeroâ von 1851 enthĂ€lt das rĂ€tselhafte Gedicht von der âPfalzgrĂ€fin Juttaâ, die ĂŒber den Rhein fuhr, wĂ€hrend ihrem âleichten Kahnâ die Gespenster der von ihr zur Besiegelung der unverbrĂŒchlichen Treue in den Wassertod geschickten sieben Verehrer folgen. Die Verse aus dem Zyklus âZum Lazarusâ aus den âGedichten. 1853 und 1854â, die an eine Cousine in Hamburg erinnern, entsprechen genau dem romantischen Gestus, der eben den Rhein und, trotz einiger Varianten, auch keinen anderen deutschen Fluss beschwören mag: Das Gedicht âDu warst ein blondes JungfrĂ€ulein, so artigâ sollte nĂ€mlich in der Handschrift zuerst, was biographisch nahe lag, am âElbestrandâ, dann gar am âWeserstrandâ spielen und wurde zuletzt erst am âschönen Rheinâ beziehungsweise âStrand des Rheinsâ lokalisiert!
Und unter den NachlaĂgedichten findet sich jener bewegende Erinnerungstext âMir lodert und wogt im Hirn eine Fluthâ, in dessen siebzehn Strophen Heines Phantasien als Reminiszenz an ein Weinlokal in Godesberg im Angesicht des Drachenfelsens wiedergegeben werden. Die Heimat, die der Rhein ihm gewesen ist, wird nur noch im Fiebertraum und als erbitterter Kampf mit seinem jungen und gesunden DoppelgĂ€nger erlebt. Das böse Erwachen findet dann in der BanalitĂ€t seiner schrecklichen Krankenstube zu Paris statt.
6.
Dieser hohe und ergreifende Ton wurde im Zuge einer Andenkenindustrie, was den Rhein und den Wein anging, nur allzu schnell vergessen. Schon Hoffmann von Fallersleben hatte auf manche Unsitten der englischen AndenkenjĂ€ger und die Pervertierung einer WertschĂ€tzung des Rheins und seiner schönen Aspekte, wenn auch ziemlich unbeholfen, hingewiesen. Ob nun die poetischen BemĂŒhungen von Ernst Moritz Arndt, Robert Reinick oder Ferdinand Freiligrath, Georg Weerth, Gottfried Kinkel, August Kopisch oder Emanuel Geibel, so wirkungsvoll sie zu ihrer Zeit gewesen sein mögen, dem Rhein seinen unvergeĂlichen Platz in den Annalen der deutschen Literatur erobert und gesichert haben? GewiĂ nur mit den mancherlei anderen, auch besseren Stimmen, die dem Rhein und dem dortigen Leben huldigen wollten. Heine war nur ein Beispiel fĂŒr einige Namen von gröĂerem Gewicht und ĂŒberzeugenderem Klang: Goethe und Droste gehören dazu, Hölderlin, Eichendorff und Keller wurden schon genannt. Allerdings ist erst dem gesamten Chor jene Wirkung zu entnehmen, die der Rhein auf die Kunst und deren Publikum gehabt hat.
Eine ketzerische Anmerkung zum SchluĂ: WĂ€re es aber dennoch nicht unfair, etwa vorhandene schlechte Dichtungen zu beklagen und die Flut von Andenken zu verdammen? Hat nicht auch das ĂŒberbeanspruchte Schöne weiterhin seinen Reiz, der fĂŒr einige nun eben erst durch manche Ăbertreibungen vermittelt werden kann? Ist nicht die Sitte, trotz ihrer fĂŒr viele ĂŒbertriebenen Wiederholung, doch ganz nĂŒtzlich und rĂŒhrend, die angeblichen Volkslieder vom Rhein, darunter das Loreley-Gedicht von Heine, immer wieder zu Gehör zu bringen, wenn wir auf dem Schiff am entsprechenden Felsen vorbeifahren? Sollte der, selbstverstĂ€ndlich mĂ€Ăig genossene, Rheinwein nicht doch auch weiterhin erstaunliche Wunder vollbringen können, bei jungen wie alten Menschen, zumal er sich, wie wir gehört haben, jahrhundertelang hĂ€lt? Mit anderen Worten: Der Wunsch lautet, der Rhein möge sich unter seinen geschĂ€ftsmĂ€Ăig betriebenen Verderbnis als so widerstandsfĂ€hig erweisen, daĂ seine Glorifizierung im 19. Jahrhundert der Nachwelt wenigstens verstĂ€ndlich erscheint.
Der Aufsatz wurde zuerst gedruckt in: âGanges Europas, heiliger Stromâ. Der literarische Rhein (1900-1933). Katalog zur Ausstellung des Heinrich-Heine-Instituts in Verbindung mit dem Arbeitskreis zur Erforschung der Moderne im Rheinland e.V. und der Heinrich-Heine-UniversitĂ€t DĂŒsseldorf, mit UnterstĂŒtzung des Landschaftsverbandes Rheinland. Hrsg. von Sabine Brenner, Gertrude Cepl-Kaufmann, Bernd KortlĂ€nder. DĂŒsseldorf 2001 (Veröffentlichungen des Heinrich-Heine-Instituts, DĂŒsseldorf. Hrsg. von Joseph A. Kruse).
Dort finden Sie auch die ausfĂŒhrlichen Quellenangaben zu den Zitaten.