Drikes van Dahlen, Hen Pithuys, Tei Vermaeren, Jub Klövekorn und Arndt de Greef - so heißt man in den Erzählungen des 1902 in Rheinberg geborenen Erich Brautlacht. Namen sind dies, die für eine literarische Region stehen, für das Hinterland des Niederrheins bei Kleve, Goch und Geldern.
1924 erschien seine erste selbständige Veröffentlichung, Der Werkstudent, eine Geschichte, die zwar schon am Niederrhein angesiedelt war, aber noch allzu akademisch und idealistisch vom Versuch des Jurastudenten Brautlacht getragen war, die Überbrückung der Gegensätze zwischen Geistesarbeiter und Werkarbeiter literarisch überwin-den zu helfen. Ein Münsteraner Bauunternehmer indes, der zu denen gehörte, die Brautlacht in den Semesterferien beschäftigt hatte, beschuldigte Brautlacht, ein Werksgeheimnis verraten zu haben, und kaufte nicht allein in Münster alle erreichbaren Exemplare auf, sondern fuhr sogar nach Mönchengladbach zu dem von Carl Sonnenschein betreuten Verlag Brautlachts und kaufte die gesamte Auflage, mehr als 5.000 Stück, sofort auf. Für eine zweite Auflage hatte sich Brautlacht zu textlichen Änderungen bereiterklärt. In Münster aber, so erzählt Brautlacht, "prangten in allen Buchläden der Universitätsstadt Exemplare der zweiten Auflage mit der stolzen Buchbinde: 'Erste Auflage in einer Woche ausverkauft'." Das Pflichtabgabeexemplar der 'brisanten' ersten Auflage hatte rechtzeitig vor dem hastigen Massenaufkauf seinen Weg in die Staatsbibliothek nach Berlin gefun-den und macht heute einen textkritischen Vergleich der beiden Ausgaben möglich. Es will scheinen, als sei das vermeintlich gelüftete Fabrikgeheimnis allein ein Vorwand gewesen - die Kalksteinfabrik, die keine mehr sein durfte, machte Brautlacht durch Umwandlung in eine Allerweltsbaustelle unkenntlich. Gestrichen wurde indes ein womöglich tatsächlich bela-stender Passus, der der Münstera-ner Leserschaft allzu freimütig die ausbeuterischen Arbeitsmethoden im Kalksteinbruch vorgeführt hätte...
Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen begann Brautlacht seine berufliche Laufbahn am Duisburger Landgericht. Die Beamtenstellung im höheren Dienst sicherte seine Existenz und gewährleistete Brautlacht, ab 1934 Amtsgerichtsrat in Kleve eine literarische Muße fernab des Erfolgszwanges des freiberuflichen Dichters.
In Erzählungen und Romanen schuf Brautlacht eine heitere, kleinstädtisch-bäuerliche Welt, ein zeitloses Idyll, bevölkert von allerlei Streunern, Sonderlingen, Schelmen und Schmugglern im holländischen Grenzgebiet. Im Schatten von Pappelreihen und Windmühlen werden die ewigen kleinen menschlichen Zwistigkeiten und Mühseligkeiten so episch breit wie das Bett des Niederrheins und sein flaches Land und so lustvoll fabulierend, wie das Klischee der Volksdichtung es verlangt, ausgebreitet. Mit bisweilen drastischem Humor, aber aller gebotenen Keuschheit (das nächtliche Nacktbaden einer Jungfrau am Rheinufer bedeutet schon den Höhepunkt an Frivolitäten) vermittelt Brautlacht das Alltagsleben in Wirthäusern, im Stadtrat und auf den niederrheinischen Schützenfesten. Seine Schnurren und Scherze muten an wie eine Literarisierung der Genreszenen Bruegels: die Liebeleien, die zu Hochzeiten werden, die Saufgelage, aus denen Prügeleien in den verfeindeten Dörfern Pöppelswyk und Pöppelwyckerhamm erwachsen, bilden den Kosmos der harmlosen Zwistigkeiten in der überschaubaren heimatlichen Welt.
Inmitten all der Avantgarden, Futurismen und kosmopolitischen Tendenzen der zwanziger Jahre betrieb Brautlacht eine heimelige regionale Nabelschau und erhielt sofort Beifall von der falschen Seite: der frühvölkische NS-Literat Hanns Johst rühmte, Brautlacht habe es vermocht, "den Himmel und die Scholle seiner Heimat, ohne Ismus und ohne literarische Mode, lebendig der schwarzen Kunst zu schenken". Mit seinem nächsten Roman, entstanden 1932, erschienen 1933, wollte Brautlacht ein politisches Sujet aufgreifen - die Resozialisierung von Kriegsheimkehrern in der demokratischen Zivilgesellschaft zu Beginn der zwanziger Jahre - und wiederum wurde er nationalsozialistisch systemkonform interpretiert: vorbildlich habe er Führerprinzip, Unterordnungszwang und Gefolgschaftsdenken romanhaft gestaltet. Brautlacht hätte zum niederrheinischen Vorzeigedichter der Blut- und Boden-Ideologie avancieren können, hätte er es nur gewollt. Aber nach 1933 kehrt der tief religiöse Brautlacht zurück in den bäuerlichen Kosmos seiner Heimat und entsagte weiterhin jeder Weltanschauung. "Ein fröhlicher Roman" lautet vielmehr der Untertitel seines "Meister Schure" von 1939 und demonstriert eine unpolitische Gegenwelt zum Dritten Reich: "Der Herrgott hätte die Zäpfchen dem Schweine wohl als Zierde unter den Bauch geklebt, meinte Belleken, wie kleine Broschen. Oder die Engelchen hätten sie aus lauter Lange-weile aus dem Bauch herausgedreht, als das Schwein noch aus Teig und nicht fertig gebacken war. Aber Kaatje glaubte das nicht. Knöpfe wären dei Zäpfchen sicherlich, meinte sie, mit denen das Schwein sich die Weste zumachen könnte."
Mit zunehmenden Lebensalter verwebt Brautlacht seine niederrheinischen Possen immer stärker mit seinen beruflichen Erfahrungen; der Konflikt des Menschen mit dem Gesetz tritt als vorherrschendes Sujet in das Blickfeld des dichtenden Richters. Das 1942 erschienene Werk "Der Spiegel der Gerechtigkeit" schlägt neben der üblichen Freude am ruralen Ulk erstmals auch ernstere Töne an und breitet ein Panorama der juristischen Tragödien aus: Erzählungen von Schicksalen, Schuld und Verstrickung mischen sich zwischen die gewohnten Humoresken. Treffend sprach Wilhelm Schäfer vom "Dichterbuch des Richters" und vom "Richterbuch des Dichters". Der 'späte' Brautlacht, seit 1953 Amtsgerichtsdirektor in Kleve mit Dienstsitz auf der Schwanenburg, wandte sich bis zu seinem Tod 1957 nun verstärkt auch historischen Motiven, doch seine Hauptwerke bestehen aus der Kultivierung die volkstümlichen Vergnügtheit der Literatur - einem heute vergessenen Genre: mit dem Prädikat "schnurrig und ergötzlich" charakterisierte man seinen Stil, mit Worten also, die heute ebenso vorgestrig und altväterlich wirken mögen wie das Werk Brautlachts selbst. Ein neuentdeckendes Lesen Brautlachts und eine intensivere Beschäftigung der Geschichtsschreibung der rheinischen Regionalliteratur aber könnte die Entdeckung eines ganz ungewöhnlich typischen Vertreters seiner Ära bedeuten: eines bodenständigen, glaubwürdigen und integren Menschen, der es inmitten seiner Heimattreue verstand, Kitsch und völkischem Pathos zu widerstehen.