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Martin Hollender: „... die Stümpfe germanischer Eichen...“

Erich Bockemühl (1885-1968)

Selbst bei einer vorsichtigen Schätzung dürfte die Druckauflage der mehr als 70 Bücher von Erich Bockemühl bei annähernd einer halben Million Exemplare liegen. Wer war Erich Bockemühl, zu seiner Zeit in gleichem Maße erfolgreich wie heute vergessen? Sein Lebensweg war so bieder und ereignisarm, daß er zusammengefasst nur einige wenige Zeilen umfaßt: geboren als Sohn eines Schulleiters 1885 im oberbergischen Bickenbach, wächst er in Kettwig an der Ruhr auf. Autobiographische Texte sprechen von einer behüteten, bürgerlichen Kindheit. Im Hause des Großvaters in Ratingen erfährt der junge Bockemühl erste, prägende Eindrücke von der Welt der Literatur: „Wir Kinder blätterten während der Mittagsstunden in dem Stoß der gebundenen Jahresbände der ‚Gartenlaube’, der Familienzeitschrift jener Zeit. In der Gartenlaube habe ich die ersten Romane gelesen: die Heimburg, Marlitt und Ganghofer waren die Autoren...“

Als Junglehrer in Barmen fand Bockemühl Anschluß an den Charon-Kreis, jene elitär-esoterische Dichtergemeinschaft, deren Zentralgestalt Otto zur Linde schon 1902 ein ‚volksdeutsches Thule auferstehn sehn’ wollte. Die Teilnahme am Weltkrieg blieb Bockemühl aus gesundheitlichen Gründen erspart, so daß sich die Jahre ab 1914, als er eine Lehrerstelle im Heidedorf Drevenack annahm, für ihn wahrhaft paradiesisch gestalteten. Voll Entzücken schildert der naturbeseelte Bockemühl, wie sich auf dem Hof seiner Schule am Waldrand nicht allein Eichhörnchen, sondern hin und wieder auch mal ein Reh verirre... - Hier, zwischen dem niederrheinischen Wesel und dem westfälischen Dorsten, fand er seine Doppelberufung als Pädagoge und Dichter, ging er auf in der flachen Landschaft, die ihn so begeisterte.


Kitsch, Pathos und Germanentreue kennzeichnen sein literarisches Schaffen. Die „eigentliche Jahreszeit des Niederrheins“ sei der „herbe Herbst, da unter dem herabgezogenen grauen Unendlichkeitshimmel die Wacholder wie verlassen und die Stümpfe germanischer Eichen wie drohende Schicksalsgestalten auf der alten Landwehr stehen.“ Zunehmend driftet Bockemühl in den zwanziger Jahren ins Reaktionäre ab. „Hastiges Lesen“ sei ein Zeichen der „rastlosen, dekadenten Zeit“; die Lektüre der altdeutschen Literatur erst öffne, „ohne die rationalen Finessen moderner Virtuosität“, die Augen für das „Erdgewachsene“. Es war nur naheliegend, daß die Freundschaft zum Drevenacker Nachbarn, dem sozialistischen Künstler Otto Pankok, nicht von langer Dauer blieb.


Bockemühls Lyrik mit ihren lispelnden Erlen, den summenden Bienen und den Ebereschentrauben im Abendsonnenglanz wäre nichts weiter als hochtrabend und schwülstig, träte nicht neben den Dichter stets auch der Volkserzieher Bockemühl, der seine Reputation als arrivierter Heimatdichter nutzt, um die Schuljugend politisch zu indoktrinieren. Die ‚neue Zeit der nationalsozialistischen Belebung der Idee der volkhaften Instinkte und der grundlegenden Anerkennung des rassischen Prinzips’ erklärt Bockemühl auch im Hinblick auf seine Lehrertätigkeit als „eine wahrhafte Befreiung“ – und verfasst didaktisch raffinierte Erzählungen für Kinder, in denen er in glühenden Farben das Winterhilfswerk und die Massenorganisation Kraft durch Freude lebendig macht. „Denn je mehr Kinder eine Familie großzieht“, läßt Bockemühl da einen Lehrer dozieren, „um so mehr Kraft und Geist hat sie dem Vaterland gegeben, vorausgesetzt natürlich, daß es gesunde und nicht erbkranke Kinder sind.“ Mit seinen plumpen Sprechchordichtungen (Wenn Donner grollen und die Blitze splittern,/ Wir dürfen nicht erzittern./ Und wenn die Frauen weinen,/ Müssen unsere Herzen versteinen./ Hart wollen wir sein, so hart wie Stahl./ Hinauf, hinauf aus dem Jammertal) traf Bockemühl den Nerv der Zeit mit ihrer Stilisierung von Blut und Boden präzise.


Seine Jugendschriften sind ebenso plakativ eingängig wie geschichtsklitternd. Eine beliebte Figur bei Bockemühl ist der altersweise Großvater, der die lesende Kinderschaft belehrt, schon die Revolutionäre von 1848 hätten für die ‚Volksgemeinschaft’ gekämpft und der dann verkündet: „Der Bismarck hat gesiegt, weil er die deutschen Eisenbahnen hatte. Heute bauen wir Reichsautobahnen.“

Im Herbst 1944 wurde der mittlerweile sechzigjährige Bockemühl, mit Kriegsbeginn als Rektor nach Mönchengladbach versetzt, total ausgebombt – ein tragisches Schicksal für den Dichter, bedauerlich aber auch für die literaturhistorische Forschung, denn der Nachlaß Bockemühls im Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut ist somit nur ein Splitternachlaß, der Aufschluß allein über das Alterswerk erlaubt. Ohnehin aber ist das späte Schaffen Bockemühls demokratisch ‚gereinigt’. Bis zu seinem Tode 1968 publizierte er nur noch unpolitische Idyllen und Legenden von niederrheinischen Wiesen und Wäldern.