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Abenteuer Schimanek

Unweigerlich musste ich an Hans Dieter Schwarzes Manteltaschen-Notiz denken: „Wann bekommen Lyriker, diese notorischen Bluter, endlich Minderheitenschutz?“ Jürgen Schimanek und ich waren über das neu gegründete „Westfälische Literaturarchiv“ wieder miteinander ins Gespräch gekommen. Der Künstler bot für dieses Archiv Teile seiner Sammlung an und lud zu sich nach Gelsenkirchen ein. Und der Besucher kam aus dem Staunen nicht heraus. Immer neue Exponate schleppte der Autor aus seinem Arbeitsatelier heran und breitete sie auf dem Teppich seines Wohnzimmers aus, das immer mehr einem Kuriositätenkabinett glich: Texte auf und in Butterbrotdosen, auf Autoreifen, Orgelpfeifen, Plastikherzen, Staubsaugerbeuteln, Schmirgelpapier, Lederhosen, metergroßen Blechtafeln, Mafia-Gedichte, Blasrüsselgedichte auf Schultüten und und und.

Immer mehr dämmerte dem Betrachter die Einsicht: Nein, hier geht es gar nicht um das eine oder andere der sicherlich mehr als Tausend Objekte oder Texte, die Schimanek liebevoll-chaotisch erschaffen und gehortet hat: Dieser Mensch ist selbst ein Kunstwerk, ein Dada-Fossil, ein Aktions- und Universalkünstler ersten Ranges, ein Original und Unikat, wie es sie heutzutage

nur noch ganz selten gibt. Dabei hatte alles ganz seriös und bieder begonnen. Schimanek wurde 1939 in Münster-Hiltrup geboren und besuchte das ehemalige Hiltruper Missionsgymnasium. Hieran schloss sich das Studium von Malerei, Modedesign und Musik an. Über seinen Freund Otto Jägersberg kam er zur Literatur. Parallel arbeitete als freier Redakteur und Regisseur für den WDR. Es folgte eine ausgedehnte Phase der Globetrotterei, die ihn als Dozent nach Afrika, Asien, Amerika und in die Türkei führte. Über zwanzig Jahre verbrachte er in Kampala/Uganda.

Nach Deutschland zurückgekehrt, lebte er eine Zeitlang in Auggen/Baden-Württemberg. Seit 1989 ist sein Wohnsitz Gelsenkirchen. Hier gründete er 1991 die „Fegefeuer-Press für Gedichtobjekte“. Er liebt das Ruhrgebiet und die Mentalität der Menschen. Hier ist er „bekannt wie ein bunter Hund“, nimmt an Musikperformances und Kunstveranstaltungen teil und startet immer wieder verrückte Aktionen. So trat er 1999 und 2000 „erfolgreich“ (O-Ton Schimanek) als parteiloser Einzelkandidat bei den OB- und Landtagswahlen an. Er zog mit dem Bollerwagen durch die Stadt und gab die Parole aus: “Wohlstand und Wohlbefinden für alle.“

Literarisch begann Schimanek mit zwei „richtigen“ und „anerkannten“ Romanen, „Negerweiß“ (1979) und „Die Staatssekretärin“ (1981). In seinen späteren Texten wie „Hörsse mich Küttelken?“ (1988) und „Heda, holla, Batzelohna!“ (1992) greift er das Ruhrpott-Idiom auf, wählt eine einfache, „anmachende“ Sprache. „Nicht hehre, große Literatur ist sein Ziel, sondern eine Sprache, die jeder verstehen kann“ – so schrieb 1993 Jörg Loskill im "Westfalenspiegel".

Mit einer solch freien Kunstauffassung hat er manchen Künstlerkollegen, auch manchen Leser verschreckt. Aber der Grenzgänger zwischen den Künsten ist nun einmal in keine Schublade zu packen. Und das um den Preis eines sicherlich möglichen kommerziellen Erfolges. In der Schalker Küppersbusch-Straße lebt der Künstler von der „Hand in den Mund“. Wöchentlich ein Gedicht für die „taz“, ab und zu der Verkauf eines Bildes, gelegentliche Teilnahme an Ausstellungen – das reicht gerade, um über die Runden zu kommen. Was nicht heißen soll, dass er in der einschlägigen Kunstszene nicht bekannt ist. So hat er gerade im renommierten Hannoveraner Sprengel-Museum ausgestellt, einer der ersten Adressen für Nachfahren Dadas.

Geld interessiere ihn nicht, sagt Schimanek. Er wolle nur arbeiten, produzieren, neue Ideen verwirklichen. Und dies tut er unablässig, rund um die Uhr – derzeit mit Plakaten für eine Ausstellung in einem Gelsenkirchener Kindergarten.

Minderheitenschutz für Lyriker? Nein, das will Schimanek nicht. Er wäre schon zufrieden, wenn er seine Sammlungen von Zeit zu Zeit ausstellen könnte. Wann finden sich Museen oder Mäzene, die sich seiner annehmen? Das Staunen (und gelegentlich Kopfschütteln) des Publikums wäre jeder Präsentation sicher.