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Wolfgang Delseit (Köln): Franz M. Jansen (1885-1958)

Ein Porträt

Jedes Künstlerleben ist heißer Wille, hemmungslos an die Dinge sich hinzugeben; ist wilder Drang, schrankenlos liebend sich zu verlieren; ist so immerwährendes Sterben, von Tod zu Tod gestürzt zu werden.
Künstlerleben ist: lächeln trotz Todwissen; immer wieder sich hingeben trotz vom Tod-beraubt-werden; heilige Glut zur Dingnähe trotz Todesqual. (Franz M. Jansen, 1920)

Die Stilströmungen einer Epoche werden zumeist an ihrer Avantgarde gemessen. Dabei wird häufig übersehen, wie wichtig das Alte, Traditionelle für das Neue ist: Es greift entweder die Traditionen auf und verbessert sie hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit oder grenzt sich von ihnen ab und findet über die Abgrenzung hin zu einer eigenständigen Ausdrucksform. Dies gilt für alle künstlerischen Ausdrucksformen (Literatur, Malerei, Musik etc.) der künstlerischen Moderne im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, die von einer Vielzahl von Künstlern und Künstlergruppen bestimmt und geprägt wurde. Vertreter des Impressionismus, Naturalismus, Symbolismus und Realismus strebten danach, jene traditionalistischen Kunstauffassungen zu bewahren, die heute der sog. klassischen Moderne zugerechnet werden. Die Avantgarde der "Moderne" dagegen unterlag kontinuierlichen Veränderungen, sie war keiner Richtung allein und eindeutig zuzurechnen und prägte in der Kunst mehrere Stilrichtungen und Zeitströmungen gleichzeitig. Ihrer Regel folgte eine große Anzahl von Künstlern, deren Kunst einer qualitativen Mittellage entsprach. Einer solchen gehörte auch der rheinische Maler Franz M. Jansen, der sich in einer Ausstellungspublikation der Berliner Galerie Fritz Gurlitt, in der 1921 seine Bilder gezeigt wurden, wie folgt vorstellte:

Zuerst das Personale: ich bin 1885 in Köln geboren; bin Sohn katholischer Eltern, der Glaube ist hin, die besondere Seelengrundstimmung blieb, bin verheiratet; lebe in einem kleinen rheinischen Bergdorf.

Jansen, der seine größten Erfolge als Graphiker in der zweiten und als Maler in der dritten Dekade des 20. Jahrhunderts feiern konnte, gehörte zu den bedeutenderen Künstlern aus dem Kreis der rheinischen Expressionisten und ist als Maler und Graphiker der "Rheinischen Moderne" heute zu Unrecht fast vergessen. Wie der 1981 veröffentlichte Auszug aus seinen Lebenserinnerungen und sein umfangreicher schriftlicher Nachlaß bezeugen, unterhielt Jansen zeitlebens enge Kontakte zu Malern, Graphikern und Schriftstellern, die heute der "Moderne" zugerechnet werden, und nahm an allen wichtigen Ausstellungen im Wirkungsbereich der rheinischen Avantgarde teil.

Franz Lambert Jansen wurde am 4. Februar 1885 in Köln (Friedenstraße 36-39) geboren. Seine Eltern, der Kaufmann Peter Franz Jansen (1855-1924) und dessen Ehefrau Margaretha, geb. Manstetten (1856-1931), gehörten dem Mittelstand an und versuchten, ihren acht Kindern eine fundierte Ausbildung zukommen zu lassen. Nachdem Jansen die Volksschule und das Gymnasium besucht hatte, entschied der Vater, der die früh ausgeprägte Malleidenschaft seines Sohnes nicht zum Beruf werden lassen wollte, daß Jansen eine solide Handwerkerausbildung durchlaufen und schließlich Architektur studieren sollte, um so seine künstlerischen Neigungen mit einer bürgerlichen Existenz vereinbaren zu können. 1901 mit dem Einjährigen ("Mittlere Reife") vom "Katholischen Gymnasium an Marzellen" in Köln entlassen, begann Jansen eine Ausbildung zum Maurer, die bis 1903 andauerte. Anschließend besuchte er für ein Jahr die "Königliche Baugewerkschule" in Köln und absolvierte das studiennotwendige Volontariat im Jahre 1905 bei dem Architekten Franz Brantzky (1871-1945). Bereits in dieser Zeit entstanden die ersten Zeichnungen, die zumeist Motive aus der näheren Umgebung Kölns illustrieren.

1905 begann Jansen ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Karlsruhe bei Carl Schäfer (1844-1908) und Max Läuger (1864-1952), der ihm auch das Aquarellieren beibrachte, wechselte aber, von seinen Eltern unterstützt und begünstigt durch seine Qualifikationen, 1906 als Schüler des Architekten Otto Wagner (1878-1941) an die Akademie der Künste nach Wien. Wagner galt damals als Reformarchitekt und als einer der Wegbereiter der "Moderne" innerhalb der Architektur. Wien war zu dieser Zeit das Zentrum der europäischen Architektur, und eine Ausbildung dort war eine besondere Empfehlung innerhalb der bürgerlichen Kreise Deutschlands. Jansen zählte zu den besten Schülern seines Jahrgangs und baute rasch einen persönlichen Kontakt zu seinem Lehrer auf. Sowohl die persönliche Beziehung zu Wagner als auch die Ergebnisse seiner Prüfungen ließen Jansen in den Genuß von Stipendien kommen, die ihm in den Semesterferien der kommenden drei Jahre mehrmonatige Reisen nach Ungarn, Bosnien, Montenegro, Dalmatien, Italien und in die Schweiz ermöglichten. Während dieser Reisen muß sich Jansen für eine Laufbahn als freischaffender Künstler entschieden haben, denn im Dezember 1909 kehrte er nach Köln zurück und brach sein Studium ohne Abschluß ab.

Im 1887 von seinen Eltern bezogenen Haus am Hansaring 45 richtete er ein eigenes kleines Atelier ein und widmete sich der Malerei und der Radierkunst. Die Maltechniken eignete er sich autodidaktisch an. Er sollte auch in Zukunft keine weitere Ausbildung mehr erhalten.

Die zahlreichen Zeichnungen aus der Umgebung Kölns, die er in dieser Zeit anfertigte, tragen zwar noch unfertige, fast laienhafte Züge, sind aber in Technik und Ausdruck bereits dem Expressionismus zuzurechnen. Im Frühjahr 1910 begann Jansen, sich intensiv mit der Radierkunst zu beschäftigen und bearbeitete Zink- sowie Kupferplatten.

In Alfred Hagelstange (1874-1914), seit 1908 Direktor des Wallraf-Richartz-Museum in Köln, der durch den Ankauf von Werken moderner Maler und seine Mitarbeit im Kölnischen Kunstverein Köln zu einem regionalen Zentrum der "Moderne" machte, fand er seinen ersten Förderer. Dieser führte ihn in die rheinische Kunstszene ein, in der Jansen sich bald mit "Elan und kulturpolitischem Einfallsreichtum [...] an den ersten Schlachten der Avantgarde gegen die Konservativen" beteiligte. Hagelstange unterstützte als Vorstandsmitglied des "Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler" die rheinische Künstlerszene. Der "Sonderbund" war 1909 als progressive Künstlervereinigung in Düsseldorf gegründet worden, bevor er sich 1911 als Verband von Künstlern, Kunsthistorikern, Sammlern, Museumsleitern u.ä. etablierte. Man hatte sich das Ziel gesetzt, die zeitgenössischen Tendenzen wie etwa Fauvismus, Futurismus, Kubismus oder Expressionismus zu verbreiten. Unter Hagelstanges Leitung entwickelte sich das Rheinland zu einem Zentrum der künstlerischen Avantgarde Deutschlands.

Auf Vermittlung Hagelstanges stellte Jansen - zusammen mit Olga Frederike Oppenheimer (1886-1941) - im November 1910 auf der "2. Ausstellung des Kölner Künstlerbundes" im Kölnischen Kunstverein 34 seiner frühen Werke aus. Doch die Resonanz war alles andere als vielversprechend. Ein Kritiker der Kölnischen Volkszeitung stellte fest:

Er bringt das secessionistische, gar neosecessionistische Element herein, indem er sich nicht nur als teilweisen Schüler van Goghs sich bekennt, sondern auch oft an Roheit in Farbe und Zeichnung den sogenannten Modernen kaum nachgibt. Er ist ein Talent, ohne Zweifel, von Vielseitigkeit und außerordentlich schmiegsam, hat nur zu wenig von echter Eigenart. Bald nippt er hier, bald da, schielt bald nach Wien und bald nach Paris herüber. Und doch ist er ein Talent, wird jeder zugeben, der manche der feinen Zeichnungen sieht. Wie weit er dieses Talent durch strenge Selbstzucht mit wirklichem Können paaren wird, wie weit er in der geistreichelnden Oberflächlichkeit stecken bleibt, ist abzuwarten.

Die Presse lehnte Jansens Bilder als wenig ausgereifte Werke ab, und auch die Offiziellen des Künstlerbundes werteten die Ausstellung als Mißerfolg. Besonders das Triptychon Familienbild (Öl 1908), das in klarem Flächenstil mit kräftigen Farben auf die Leinwand gebracht worden war, stand im Zentrum der Kritik. Allerdings verdeutlichen die Kritiken auch, daß Jansen eine Vielzahl von Stilen und Tendenzen aufgrund seiner handwerklichen Fähigkeiten und seiner Flexibilität adaptierte, die ihn vom Symbolismus (Familienbild; Märchenwald, Öl 1909), über Fauvismus (Junge mit roter Tüte, Aquarell 1909), Neoimpressionismus (Selbstbildnis, Öl 1910) und van Gogh-Rezeption (Vorstadt, Öl 1910; Garten mit Wäsche, Öl 1911) zu einem naturalistisch gefärbten Expressionismus (Selbstbildnis, Öl 1913) mit graphischen Zügen führte. In seinen Memoiren Von damals bis heute beschrieb Jansen die Hintergründe, die zu seinem Ausschluß aus der "Kölner Künstlervereinigung"
Betroffen war ich von dem Widerhall der Ausstellung. Die Besucher bekamen leichte Lachanfälle von unseren Bildern; die Kollegen, deren Ausstellungen bis dahin billigende Zeitungskritiken erhalten hatten, fühlten sich geschädigt und benachteiligt, denn die Kritiker schrieben von Hochstapelei und allzu billiger Kühnheit. (S. 67)

Die Ablehnung, die Jansen hinsichtlich der Ausstellung, die seiner Meinung nach den Beginn der "Moderne" in Köln einläutete, von Presse und Honoratioren erfuhr, führte ihn zur Gründung der "Kölner Secession" und des "Gereonsclubs" im Januar 1911:

Die "Kölner Secession" wurde im Rahmen der zweiten Welle sezessionistischer Bestrebungen der jungen Künstler überall in Deutschland als Instrument des Widerstandes und des Protestes gegen die etablierte und institutionalisierte Kunst gegründet. "Die verschiedenen Sezessionsbewegungen waren eine Demonstration oder eine Rebellion gegen" die "politisch begründete und unbeholfene Zwangsverordnung einer unaufgeklärten akademischen Kunst und einer imperialen Kulturauffassung." (Arno J. Mayer) Man hatte sich das Streben aus den Willkürlichkeiten des Naturalismus heraus zu neuen stilisierenden Tendenzen zum Ziel gesetzt. Gerade die übersättigte Atmosphäre der Vorkriegszeit erzeugte bei den jungen Künstlern eine Suche nach neuen Ausdrucksformen, die ihren Niederschlag in den expressionistischen Bestrebungen fand. Die Ablehnung überkommener Traditionen und bürgerlicher Trägheit war aber auch das einzige einigende Moment, das die verschiedensten Kunstrichtungen innerhalb der Künstlervereinigungen verband. Die Offenheit gegenüber den Neuerungsbestrebungen in der internationalen modernen Kunst und die Ablehnung der ornamentalen Stilisierung und Harmonisierung des vorausgegangenen Jugendstils prägten die Grundhaltung der Künstler. Man brach rücksichtslos mit der Tradition und wandte sich einer heftigen, übersteigerten und kontrastreichen, reduzierten Formsprache zu. Zu den Mitbegründern der "Kölner Secession" gehörte August Deusser (1870-1954), der der Vereinigung auch vorsaß. 1912 und 1913 veranstaltete die "Kölner Secession" zwei Ausstellungen, an denen Jansen teilnahm.

Der "Gereonsclub" wurde ebenfalls in Januar 1911 gegründet. Die Gründungsmitglieder waren neben Jansen Olga Oppenheimer und Emmy Worringer (1889-1961). Seinen Namen hatte man sich von dem 1910 von Carl Moritz erbauten Gereonshaus in der Gereonsstr. 18-31 entliehen, in dem Olga Oppenheimer ein Atelier besaß. Für die Eröffnungsveranstaltung des "Clubs" am 21. Januar 1911 entwarf Jansen die Einladung. 1912 trat der Bonner Expressionist August Macke (1874-1914) dem "Club" bei und leitete bis zu seinem Tod dessen Geschicke. Der "Gereonsclub" betätigte sich als eine Art kunstpädagogisches Zentrum mit einer von Olga Oppenheimer geleiteten Malschule, einem von Emmy Worringer und ihrem Bruder,dem bekannten Kunsthistoriker Wilhelm Worringer (1881-1965), organisierten Vortragsprogramm und gelegentlichen Ausstellungen, wie die bereits im Oktober 1911 veranstaltete, erste anerkannte Ausstellung mit Bildern von Franz Marc (1880-1916) u.a.

Mit mehr Erfolg als in Köln nahm Jansen an der "2. Ausstellung des Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler" in der Düsseldorfer Kunsthalle (20. Mai - 2. Juni 1911) teil. Diese war als eine Ausstellung rheinischer und französischer Künstler für den deutsch-französischen Dialog organisiert worden und zeigte u.a. Bilder von George Braque (1882-1963), Paul Cézanne (1839-1906), Paul Gauguin (1848-1903) und Pablo Picasso (1881-1973) - Jansen selbst war mit fauvistischen Malereien vertreten.

Im Sommer 1911 trat er eine Reise durch Flandern an, die später in einigen großformatigen Landschaftsgemälden ihren Niederschlag fand. Zudem konzentrierte er sich in den folgenden Monaten auf die Plakatmalerei und konnte mehrere Plakatpreise gewinnen. Einer seiner Entwürfe wurde für die im Januar 1912 im Kunstmuseum eröffnete "1. Ausstellung der Kölner Secession" verwendet. Andere wurden im selben Monat auf der "Internationalen Plakatausstellung der Vereinigung Bildender Künstler der Österreichischen Secession" in Wien gezeigt.

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