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Wolfgang Delseit: »Dickschädel aus bäurisch-westfälischem Kornsaft«

Paul Zech (1881-1946)


»Ich werde hier nicht heimisch werden können.«
Paul Zech im argentinischen Exil (1933-1946)

Die Gründe, warum der damals 52-jährige Zech Deutschland verließ, sind nicht ganz geklärt. Es gilt allerdings festzuhalten:

1. Als Zech 1933 emigrierte, war er trotz seiner literarischen Erfolge, »so gut wie vergessen«. Er hatte »seinen Tiefpunkt als Schriftsteller bereits längst erreicht«, wurde vom Literaturbetrieb »weitgehend ignoriert, vom deutschen Lesepublikum vergessen und von vielen Zunftgenossen gemieden«.
2. Zechs Bücher und Schriften waren während der Jahre zwischen 1933 und 1942 im NS-Deutschland nicht verboten.
3. Entgegen verschiedener Darstellungen gehörte Zech nicht zu den »verbrannten Dichtern«: Bereits 1946 hat Walter A. Berendsohn in Die humanistische Front (Zürich 1946) nachgewiesen, dass Zech in der maßgeblichen Liste der Nazis "Entstellende Kriegsliteratur" (trotz seines Antikriegsbuches Das Grab der Welt von 1919), die am 26. April 1933 in Berlin veröffentlicht wurde, nicht genannt war. Andere das literarische Exil 1933-1945 oder die »Bücherverbrennung« (Mai 1933) analysierende Darstellungen verzeichnen Zech nicht.
4. Zech wurde 1933 von Seiten der neuen Machthaber keine Aufmerksamkeit geschenkt; man nahm ihn nicht als »regimefeindlichen Intellektuellen« wahr, von dem eine Gefahr ausgehen könnte.
5. Die von Zech immer wieder behauptete Ausbürgerung lässt sich bis heute nicht nachweisen.

Am 20. März 1933 verlor Zech seine Stelle als Hilfsbibliothekar; ein förmliches Arbeitszeugnis wurde nicht erstellt. Zechs Datierung der Entlassung auf Mitte April 1933 und eine nicht nachzuweisende anschließende Inhaftierung hängen mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 zusammen, das in seiner Umsetzung sämtliche jüdische und sozialdemokratische Beamte, aber auch missliebige Personen aus dem Staatsdienst entfernte. Da Zech aber weder jüdischer Religion noch Beamter war, konnte das Gesetz auf ihn keine Anwendung finden. Es ist anzunehmen, dass Zech diesen Zusammenhang konstruierte, um sich als politisch Verfolgter darstellen zu können. Fragwürdig bleibt auch eine Hausdurchsuchung im Juli 1933 im Haus Zechs in Groß-Besten, da Zechs postalische Anschrift und damit sein Wohnsitz im Königsweg 22 war.

Die im Berliner Document-Center überlieferte Akte Paul Zech aus den Beständen der Reichskulturkammer der Jahre 1933 und 1942 lässt die von Zech immer wieder aufs Neue umgedichtete Historie im Zwielicht erscheinen. Demnach hat sich Zech noch im Juli 1933 darum bemüht, in den Reichsverband deutscher Schriftsteller aufgenommen zu werden. Sein Antrag vom 20. Juli 1933, dem auch eine vorformulierte eidesstattliche Versicherung (sich »jederzeit für das deutsche Schrifttum im Sinne der nationalen Regierung einzusetzen«) beigefügt war, wurde bereits am 28. Juli 1933 abgelehnt. Die Aktennotiz des zuständigen Sachbearbeiters in der Reichskulturkammer Alfred Richard begründet die Entscheidung: »Die Aufnahme Zechs bitte ich abzulehnen. Z. ist durch Dr. Bühlke wegen einer üblen Plagiatsaffäre [aus dem Schutzverband deutscher Schriftsteller] ausgeschlossen. Im uebrigen hat er längere Zeit unbefugt den Dr.-Titel geführt«. Erst 1942 wird seitens der Reichskulturkammer gebeten, »von jeder Veröffentlichung Abstand zu nehmen, da die Aufnahme Zechs in den Reichsverband deutscher Schriftsteller bzw. der Reichsschrifttumskammer unter dem 28.7.1933 abgelehnt wurde.«

In der zweiten Augustwoche verließ Zech Deutschland über Prag und Paris, wo er die Einladung seines Bruders nach Argentinien er-hielt. Über Genua, Neapel, Rio de Janeiro, Porto Allegro und Montevideo reisend, erreichte er Ende November/Anfang Dezember 1933 Buenos Aires. Das Exilleben wurde für ihn zu einer prägenden Erfahrung der letzten Lebensjahre: »Ich werde hier nie heimisch werden können. Man lebt wie ein Tier, das angeschossen ist und sich im Gebüsch verkrochen hat.«

Literarisch konnte Zech in Argentinien nicht Fuß fassen. Wie vielen seiner ins Exil vertriebenen Kollegen war es auch ihm nicht möglich, von den Erträgen seiner literarischen Arbeit allein zu leben. Weder die namhaften Exil-Verlage noch die bekannten Exil-Bühnen interessierten sich für seine Romane, Gedichte oder Zeitstücke. Obwohl er von Juni 1934 bis November 1936 als freier Mitarbeiter beim Argentinischem Tage- und Wochenblatt (Buenos Aires) arbeitete und hier zahlreiche satirische Zeitgedichte (in der Rubrik "Gedicht der Woche"), Glossen und Erzählungen verfasste, gelang es ihm nicht, die im südamerikanischen Exil entstandenen Romane und Dramen zu Lebzeiten zu veröffentlichen. Einzig die Lyriksammlung bäume am rio de la plata (1935), der Zyklus Neue Welt. Verse aus der Emigration (1939) und die Erzählungen Ich suchte Schmied und fand Malva wieder (1941) konnten ohne größeren Erfolge in Argentinien veröffentlicht werden. Auch die Uraufführung seines Dramas Nur ein Judenweib (verfasst unter seinem Pseudonym »Rhenanus«) an der Jiddischen Bühne Buenos Aires am 5. April 1935 konnte an diesem Zustand nichts ändern. In die vorderer Reihe der Exilanten vermochte Zech nicht vorzudringen.

Seine Schaffenskraft blieb ungebrochen: 14 Dramen entstanden während dieser Jahre: Die Stücke Der rote Faden, Südamerikanische Nächte, Der Fall Robert Pfuhl, Emigranten oder Der letzte Inka blieben ebenso ungedruckt und unaufgeführt wie das den Männern des 20. Juli gewidmete Drama Die drei Gerechten. Einzig das Drama Heuschrecken wurde 1938 in Basel uraufgeführt.

Zech kann nicht als Exilant im üblichen Sinn gelten: Er mied meist die politischen oder gesellschaftlichen Organisationen der Exilanten, beteiligte sich auch außerhalb seiner zeitbezogenen Werke nicht an den öffentlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen der Exilanten. Er verweigerte zwar nicht, Vorträge über die Werke seiner Kollegen zu halten, Solidaritätsaktionen gegen den Nationalsozialismus zu fördern oder persönliches Engagement zu zeigen, verstand sich selbst aber »als Kampfgefährte aller deutschen antifaschistischen Schriftsteller«.´

1937 stellte sein Bruder Rudolf, der bis dahin Zechs Unterkunft finanziert hatte, die Unterstützung Zechs aus unbekannten Gründen ein. In Briefen an das American Committee for German Refugees und die American Guild for German Cultural Freedom schilderte Zech seine finanzielle Situation in dramatischen Worten – auch wenn er es wieder einmal mit der Wahrheit nicht so genau nahm. An Frank Riechie schrieb er unter dem 27. Januar 1938, er trage noch immer den Anzug (aber »keine Unterwäsche«), den er bei seiner Ankunft getragen habe, bei Hubertus Prinz zu Löwenstein, dem Leiter der Organisation, klagte er, Mantel und Unterwäsche schon seit drei Jahren nicht mehr zu kennen. Auf Vermittl-ung von Max Hermann-Neisse (1886-1941) bewilligte die American Guild ihm Anfang 1938 ein Stipendium von 40 US-Dollar (1 $ = 4 Pesos) für die Dauer von drei Monaten, das Zech mehrmals auf schließlich zwei Jahre ver-längern konnte. Hinzu kamen auch noch die spärlichen Honorare aus seinen Veröffentlichungen. Für 1946 ist nachgewiesen, dass Zech über ein monatliches Handgeld von rund 140 Pesos – bei freier Kost und Logis – verfügte, das ihm von Freunden und Förderern zur Verfügung gestellt wurde. Seit 1937 gehörte Zech zu den »höchst-alimentierten Emigranten der American Guild for German Cultural Freedom«.

Doch immer wieder findet sich dieser doch recht freie, fast schon wahrnehmungsverzerrte Umgang mit der eigenen Realität. Die in den überlieferten Briefen an die American Guild gemachten Angaben sind äußerst widersprüchlich: Mal hat Zech Kinder – 16 und 18 Jahre alt (tatsächlich waren beide über dreißig) –, dann wieder keine, mal ist sein Haus in Groß-Besten von den Nationalsozialisten zerstört worden, obwohl Frau und Kinder bis 1962 darin lebten, ein anderes Mal muss er Geld für den Erhalt zuschießen. Und immer wieder werden Verfolgungsängste begründet (ein Messer-Angriff auf Zech – politisch motiviert oder nicht – fand tatsächlich statt).

Im Herbst 1941 gehörte Zech zu den Initiativgründern des Comité Alemán Democrátio (Deutsches Hilfswerk für Demokratie), seine einzige nachweisbare Teilnahme an einer Exilorganisation. Das Hilfswerk aus Kommunisten, Sozialdemokraten und parteilosen Regimegegnern arbeitete eng mit dem argentinischen Roten Kreuz, der Junta de la Victoria, der Comisión Democrátia Argentina des Ayuda a la URSS zusammen und sammelte bis Ende 1941 Spenden zum Ankauf von Medikamenten, Wolldecken, chirurgischen Instrumenten und Wäsche für die Rote Armee.

Von 1942 bis zu seinem Tod lebte Zech dann im Haus der Familie Else de Kuschs. Sein gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich rapide. Physische (Herzleiden) und psychische Probleme (Bewusstseinsstörungen) zwangen ihn zu Aufenthalten in Krankenhäusern. Auch wenn er 1943 als Redaktionsvertreter der Exil-Zeitschrift Die deutschen Blätter auftrat, verbesserte sich seine Lebenssituation kaum, da die durch Spenden und Sponsoren getragene Zeitung nur geringe Honorare zahlen konnte.

Was blieb, war dieser den meisten Exilanten eigene Weltschmerz, den der Verlust der sprachlichen wie tatsächlichen Heimat ausmachte, dieser – wie Thomas Mann es nannte – »Herzschmerz des Exils«.
Zech starb am 7. September 1946 im Alter von 65 Jahren in Buenos Aires. Seine sterblichen Überreste wurden im Krematorium der Chararita, des Hauptfriedhofes von Buenos Aires, eingeäschert und seine Urne beigesetzt. Seine endgültige Grabstätte fand Zech in den frühen 1970er Jahren in Berlin-Friedenau. An seinem Berliner Wohnhaus Naumannstraße 78 (früher: Königsweg 22) unweit der Torgauer Straße befindet sich seit dem 22. August 1983 eine Gedenktafel aus Bronze.

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