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Wolfgang Delseit: „Ein kurzes Künstlerleben“

Ernst Isselmann 1885-1916

Im Obernier-Museum zu Bonn hat die Gesellschaft für Literatur und Kunst das Werk des im Frühjahr vor 100 Jahren verstorbenen Malers Ernst Isselmann zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, insgesamt 70 Gemälde, Radierungen und Lithographien, der künstlerische Nachlaß eines Frühvollendeten, der als Dreißiger einer schleichenden Krankheit erlag, noch bevor er die volle Höhe seiner Entwicklungsmöglichkeiten erreicht hatte. Als Maler der niederrheinischen Industrielandschaft hat Isselmann sich schnell einen Namen gemacht, und in dieser Schau seines Schaffens nehmen denn auch die Motive aus dem Industriegebiet einen breiten Raum ein. Mit einer gewissen Vorliebe wählt er nichtssagende Stoffe, um den Triumph zu haben, aus der Armut den Reichtum hervorgehen zu lassen und um zu zeigen, wie in dem anscheinend Nichtigen doch etwas künstlerisch Wertvolles enthalten sein kann. Isselmann versteht es, dem Kohlenrauch, dem aufgeschütteten Eisenbahndamm, den Schornsteinen, den Hebekranen und Transmissionen einer Fabrik und anderen Dingen, denen man früher als etwas Häßlichem aus dem Weg ging, malerische Reize abzugewinnen. Aus diesem scheinbar so spröden Stoffgebiet hat er öfter Stimmungs-bilder gestaltet, die erstaunlich sind, wenn man auch keines von ihnen als Industriebild großen Stiles bezeichnen möchte.

Wilhelm Carl Ernst Isselmann, im Alter von 30 Jahren am 17. März 1916 verstorben und um eine lange Schaffenszeit sowie die damit verbundene weitere künstlerische Entfaltung gebracht, hat ein ausdrucksstarkes Werk hinterlassen. Dieses infolge zweier Weltkriege erheblich reduzierte Lebenswerk findet heute bei Kunstwissenschaftlern, die sich mit der Erforschung der rheinischen Kunstszene des beginnenden 20. Jahrhunderts befassen, zunehmende Aufmerksamkeit. Sein nur schwierig ausfindig zu machendes Lebenswerk ist, soweit im Original erhalten, weit verstreut oder verschollen.

Auch anhand eines vom Künstler geführten Werkverzeichnisses - das sich nicht auf seine Vollständigkeit hin überprüfen läßt und das die Käufer/Besitzer seiner Werke nicht vermerkt - ist es schwierig, dem Gesamtschaffen dieses Malers der Moderne auch nur annähernd gerecht zu werden.

Isselmann, der in seinen letzten Lebensjahren durch eine Lungenkrankheit in seiner Arbeit beeinträchtigt war, hatte einen ausgeprägten Schaffensdrang, dem bereits zu Lebzeiten in der kunstinteressierten Öffentlichkeit und bei Kunstwissenschaftlern die nötige Aner-ken-nung zuteil wurde. Er verstarb zu einem Zeitpunkt, als er gerade seine künstlerische Ausdrucksweise gefunden hatte. In dem Bildnis Hans Niemeyer (1915) zeigt sich der eigene Stil von Isselmann. Indem er über künstlerische Gestaltungsmittel souverän verfügen konnte, gelang ihm die ausdrucksstarke Charakterisierung des Porträtierten.

Anhand der überlieferten Gemälde läßt sich die künstlerische Entwicklung Isselmanns nachvollziehen und in drei Phasen unterteilen: Die frühen Arbeiten um 1907 sind in das Umfeld der Akademie einzuordnen und spiegeln die traditionelle Kunstauffassung wider. Demgegenüber zeigt sich in den zwischen 1908 und 1913 entstandenen Arbeiten die stufenweise Hinwendung zur Moderne über die kontinuierliche Auseinandersetzung mit der französischen Kunst. Die atmosphärische Wiedergabe der Lichtverhältnisse in der Natur belegt Isselmanns Orientierung am Impressionismus um 1910/11, während in den Werken aus den Jahren 1912/13 Einflüsse von Vincent van Gogh (1853-1890) und Paul Cézanne (1839-1906) spürbar sind und die Abwendung von einer naturalistischen Kunstauffassung nach sich ziehen. Die willkürliche, das heißt nicht abbildende Verwendung von Farbe und Duktus hat hier ihren Ausgangspunkt und bildet eine Grundlage für die expressive, das Wesentliche charakterisierende Malweise in den Bildern der letzten, eigenständigen Phase.

Die weniger bekannten Zeichnungen aus dem Oeuvre Isselmanns verdeutlichen die unterschiedliche Handhabung dieser Technik. Der andeutungshaften Wiedergabe einzelner Motive als spontane Umsetzung oder Ideenskizze von Wahrnehmungen - wie beispielsweise bei den Tier- oder der Landschaftszeichnung - stehen jene Blätter gegenüber, die wegen ihrer sorgfältigen und durchdachten Komposition entweder eigenständigen Wert haben oder als unmittelbare Vorlage für Gemälde zu verstehen sind.
Isselmanns künstlerische Entwicklung ist in vielerlei Hinsicht typisch für den Werdegang von Malern der Moderne im Rheinland vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Durch die Arbeiten aus den Jahren 1909 bis 1915 läßt sich Ernst Isselmann in den Zusammenhang einer rheinischen Moderne einordnen. Schon 1911 hatte er als Mitglied der „Cölner Secession“ seine Zugehörigkeit zu einer Kunstrichtung bekundet, die sich von den akademischen Konventionen abwandte. Durch zahlreiche Ausstellungen im Kölner Kunstsalon Schulte, im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum und im Kunstverein Barmen waren seine Werke im Rheinland bekannt geworden. In Ausstellungsbesprechungen wurde er als ein Künstler gewürdigt, der durch die Orientierung an der Bildsprache des französischen Post-Impressionismus zu einer modernen Malweise gefunden hatte. Isselmann war zudem Mitbegründer der Künstlergruppe „Rheinische Künstlervereinigung, Sitz Köln“, in der sich sechs junge Maler im Januar/Februar 1914 im Kölnischen Kunstverein als „gute Vorkämpfer für die neue Kunst“ präsentierten.

Die Umschreibung „neue Kunst“ war ein Synonym für die malerischen Tendenzen, die vor 1914 von Zeitgenossen mit dem Begriff Expressionismus zusammengefaßt wurden und die im Gegensatz zur impressionistischen Malweise die Abwendung vom Naturalismus beinhalteten. Im Juni 1914 nahm Isselmann in der Berliner „Neue Galerie” von Otto Feldmann an einer Ausstellung teil, die auch August Macke und andere moderne Maler der Rheinregion unter der von den Künstlern selbstgewählten Bezeichnung „Rheinische Expressionisten“ präsentierte. Es war die letzte von insgesamt fünf Ausstellungen mit diesem Titel, durch den die Künstler den Anspruch signalisierten, als rheinische Avantgarde einen Beitrag zur internationalen Bewegung des Expressionismus zu leisten.


Leben und Schaffen


Isselmann wurde am 29. April 1885 in Rees am Niederrhein geboren. Sein Geburtshaus - das Haus Sa(h)lmann - lag in der Rünkelstr. 21, unweit des Reeser Marktplatzes, auf dem sich ein wesentlicher Teil des täglichen Lebens abspielte. Rees war seinerzeit ein idyllisches Kleinstädtchen, das viele malerische Winkel beherbergte und auf zahlreiche Maler des Rheinlandes, vor allem Künstler aus der traditionsreichen Kunststadt Düsseldorf - wie etwa den Akademieprofessor Helmut(h) Liesegang (1858-1945) -, einen besonderen Reiz ausübte. Hier konnten die Maler in die freie Natur gehen und ihre Eindrücke von der atmosphärischen Ausstrahlung abseits gelegener Altrheinarme und der Einheit von Landschaft und Lebewesen in stimmungsvollen Farben auf die Leinwand bannen.

In dieser Umgebung wuchs Isselmann als Sohn des Möbelfabrikanten Conrad Johann Isselmann (1845-1913) und seiner Frau Catharina Caroline Auguste Emilie (†1925), geb. Fuchs, auf. Die Faszination, die das Element Wasser auf ihn ausübte, fand ihre Ausformung in zahlreichen, stimmungsvollen Rheinbildern, die entstanden, als er den Rhein samt seinen Nebenarmen zwischen Rees und Bienen erkundete. Arbeitete Isselmann nicht in der Natur, so entstanden in seinem lichten Atelier im Gartenhaus großformatige Stilleben und Portraits, die oft von Mitgliedern der kleinen evangelischen Kirchengemeinde, der die Isselmanns an-ge-hörten, in Auftrag gegeben worden waren. In diesen Jahren gehörte es für die bürgerliche Oberschicht in Rees zu einer Selbstverständlichkeit, in der „guten Stube“ ein oder mehrere Gemälde des vielbeachteten jungen Malers hängen zu haben.

Schon früh entstand bei ihm der Wunsch, Malerei zu studieren; ein Wunsch, dem sein Vater als Handwerker und Geschäftsmann standesgemäß ablehnend gegenüberstand. Es muß Isselmann dennoch gelungen sein, die gesellschaftlichen Bedenken seines Vaters auszuräumen, denn 1904 nahm er sein Kunststudium an der Akademie in Düsseldorf auf, wechselte aber wegen der räumlichen Nähe zu Heimatstadt und Familie 1905 nach Dresden, wo er in die Malklasse von Prof. Carl Bantzer (1857-1941) aufgenommen wurde.

Da es wenig alternative Ausbildungsstätten gab, galt die erfolgreiche Absolvierung der Akademie seinerzeit als Voraussetzung für eine Karriere als Künstler im kulturkonservativen wilhelminischen Deutschland. Das Lehrprogramm war entsprechend traditionell: Zeichnungen nach Gipsabgüssen und Kopien nach Historienbildern sollten das handwerkliche Rüstzeug bilden und auf die detailgetreue Ausführung von Schlachtenbildern, Krönungszeremonien oder mythologischen Themen vorbereiten. Moderne Strömungen fanden keinen Eingang in die Akademie, sie konnten von den jungen Künstlern nur in Ausstellungen, die von einem fortschrittlich gesinnten Personenkreis organisiert wurden, oder anhand von Abbildungen in Kunstzeitschriften und Kunstbüchern aufgenommen werden. Regelmäßige Kontakte zur Künstlerkolonie Willingshausen brachten Isselmann um 1907 die Bedeutung einer reinen Landschaftsmalerei nahe, die ähnlich wie in den Künstlerkolonien Dachau und Worpswede im Mittelpunkt eines auf den Einklang mit der Natur gerichteten Denkens stand.

Isselmann freundete sich mit Bantzer an und begleitete ihn zu verschiedentlichen Besuchen in der Künstlerkolonie Willingshausen unweit von Kassel. In dieser Zeit freundete sich Isselmann mit dem neo-impressionistisch arbeitenden Dresdener Maler Paul Baum an. Die neuen Anregungen aus der Künstlerkolonie und durch den Freund finden Eingang in seine Malerei, werden aber zunächst noch mit einer an der Akademie geschulten Auffassung verbunden. Beispielhaft ist das Ölbild La Prairie (um 1907), das eine idyllische Landschaft mit Kühen in pointillistischer Maltechnik wiedergibt. Die Auseinandersetzung mit dem Neo-Impressionismus beschränkt sich auf den aus einzelnen Punkten zusammengesetzten Duktus, verzichtet jedoch auf die leuchtende, prismatische Farbigkeit der Neo-Impressionisten, zumal Isselmann sich motivisch an ein Tierstück des niederländischen Malers Paulus Potter aus dem 17. Jahrhundert anlehnt. Obwohl Isselmann durch Baum mit dieser Malweise vertraut gemacht worden war und auch die Ausstellung „Belgische und Französische Neo- und Post-Impressionisten“ im Februar 1906 in der „Sächsischen Künstlervereinigung“ in Dresden gesehen haben dürfte, konnte er sich nur langsam von der Tonigkeit einer traditionellen Kunstauffassung lösen.

Seine Bildstimmung baut noch ganz auf dem Kontrast von hellen und dunklen Bildzonen auf und betont durch die exakte und dominierende Darstellung einer Wolke das romantische Element. Durch ausgedehnte Studienreisen nach Berlin und Paris, wo er die Museen und Galerien für moderne Kunst besuchte, erweiterte er die Eindrücke zu einer eigenständigen künstlerischen Ausdrucksform. Van Gogh, Cézanne und die pointillistische Malerei hinterliessen deutliche Spuren in Isselmanns Werk jener Jahre.

1908 kehrte Isselmann ins Rheinland zurück, wo sich um diese Zeit ein Zentrum für moderne Kunst herauszubilden begann. Die Rezeption des französischen Impressionismus hatte seit Anfang des Jahrhunderts in Deutschland eine wachsende Bedeutung erlangt und erhielt im Rheinland durch die Sammlungs- und Ausstellungspolitik der Museen und Galerien in Elberfeld, Barmen und Köln sowie im westfälischen Hagen einen sichtbaren Ausdruck. Durch die Beschäftigung mit dieser Kunstrichtung begann für die jungen Künstler, die das Verharren in akademischen Traditionen als wirklichkeitsfremd und damit als Sackgasse empfanden, die Loslösung von der Konvention.

Während eines Aufenthaltes in Berlin 1909 und auf einer Studienreise nach Paris 1910 erschloß sich Isselmann durch das Studium von Bildern französischer Impressionisten eine Malweise, die den akademischen Stil endgültig aus seinem Werk verdrängte. In den Gemälden Seine-Brücke in Paris (1911) und Eisbahn (1911) spiegelt sich die neue Auffassung wider. Isselmann wählte typische Motive des Impressionismus: einerseits das Sujet des Flusses mit Brücke, verbunden mit der Darstellung städtischen Lebens, andererseits eine Szene des städtischen Freizeitvergnügens.

Auch die Malweise knüpft an den Impressionismus an. Die Bilder sind in einer gleichmäßig hellen Farbigkeit ausgeführt, die den Eindruck eines Wintertages vermittelt und die Stimmung atmosphärisch einzufangen sucht. Vor allem in dem Gemälde Eisbahn erfolgt in „impressionistischer Virtuosität“ die Reduzierung der Figuren auf einzelne, undefinierbare farbige Flecken, die nur noch andeutungshaft und flirrend die sich in Bewegung und Licht auflösende Menschenmasse wiedergeben. Anläßlich der Ausstellung seiner Gemälde in einer Kölner Galerie im Jahre 1911 urteilt die Kunstkritik, er sei „ganz Pariser Impressionist geworden“.

Die Charakteristika der impressionistischen Gestaltungsweise überträgt Isselmann auf die Landschaftsbilder der niederrheinischen Heimat, die in der Folge sein bevorzugtes Sujet darstellen. Obwohl die gleichmäßige Helligkeit, die Farbigkeit der Schatten und die divisionistische Zerlegung der Faktur zum Grundprinzip seiner Arbeiten werden, erhalten die Gegenstände ihre Geschlossenheit zurück. Die Auflösung der Formen, in der Eisbahn Träger der atmosphärischen Bildstimmung, wird nicht weiter verwendet. Der Vergleich von Claude Monets Gemälde Kohlenträger (1872) mit der Umsetzung eines ähnliches Motives in Isselmanns Bild Entladen eines Seglers an der Reeser Kay (1910/11) verdeutlicht die Unterschiede. Anders als bei Monet entsteht bei Isselmann keine homogene, aus einzelnen Farbtupfen zusammengesetzte Bildkomposition. Obwohl stark vereinfacht, bleiben die Gegenstände erkennbar und sind an der Lokalfarbigkeit orientiert. Mit der flächigen Wirkung der Farben erweist sich der „orthodoxe“ Impressionismus für Isselmann nur als eine Durchgangsstation, die dem jungen Künstler die Möglichkeiten einer neuen, naturnahen Malweise vermittelt hatte.

Inzwischen hatte im Rheinland die französische Avantgarde seit 1910 durch die jährlichen Ausstellungen des „Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler“ ein Forum erhalten. Den Höhepunkt stellte 1912 die große internationale Präsentation in Köln dar, die neben der Retrospektive mit Werken von van Gogh (dessen Werke hier in Köln ihren internationalen Durchbruch fanden) und Cézanne die aktuelle europäische Kunst vorstellte. Diese Veranstaltung, die den Ruf des Rheinlandes als Zentrum für die Moderne festigte, eröffnete Isselmann neue künstlerische Anregungen.
Die beiden verschollenen Gemälde Stilleben und Knabenbildnis, beide 1912 entstanden und nur in Schwarz-Weiß-Abbildungen überliefert, zeigen einen deutlich sichtbaren, aus einzelnen Linienschwüngen bestehenden Duktus, wie er insbesondere für die Malweise van Goghs charakteristisch ist. Der Pinsel wird in kreisenden Bewegungen wie im Tisch des Stillebens geführt, beziehungsweise in der sehr vereinfachenden, fast grob schraffierenden Technik wie im Knabenbildnis eingesetzt, ohne dabei die Stofflichkeit des Objektes zu bezeichnen.

Ebenso unabhängig von den realen Vorgaben sind die perspektivischen Verzerrungen: So kontrastieren im Stilleben die Aufsicht, durch die der Tisch als runde Fläche erscheint mit der frontalen Ansicht der Vase, während im Knabenbildnis die Aufsicht der Sitzfläche und der Beine des Mannes im Gegensatz zur frontalen Sichtweise des Oberkörpers stehen. Indem Isselmann sich von der genauen Abbildung des realen Vorbildes löste - wie es auch van Gogh getan hatte - erhielt er die Möglichkeit, sein persönliches, malerisches Anliegen in seinen Bildern zum Ausdruck zu bringen: „Wie van Gogh mit innerer Leidenschaft nur Ausdruck gibt, so ist auch für Isselmann die Naturform nur Anlaß, nur Gleichnis für inneres Erleben.“ Die leuchtende reine Farbigkeit, wie sie in dem Gemälde Zirkusreiterin (1911) verwendet wird, der gestaltende Pinselduktus und der Verzicht auf perspektivische Korrektheit werden zu bildbestimmenden Merkmalen.

Gleichermaßen deutlich ist die Auseinandersetzung von Isselmann mit Cézanne in zwei Stilleben - Stilleben mit Äpfeln, Schale und zwei Krügen und Stilleben mit Pfeife, Krug, Glasschale, Austern und Südfrüchten -, die in der zweiten Jahreshälfte 1912 im Zusammenhang mit der Kölner „Sonderbund“-Ausstellung entstanden sein dürften. Nicht nur im Bildaufbau knüpft Isselmann mit der Darstellung von Früchten und Tüchern auf einer in starker Aufsicht gemalten Tischplatte an die Kompositionen des Vorbildes an. Ähnlichkeiten werden auch in der Konzentration auf grün-blaue Farben und in dem zu kleinen Farbpaketen eng nebeneinander gesetzten parallelen Pinselstrich deutlich. In einer Rezension von 1913 heißt es: „Die Landschaften und Portraits von Isselmann zeigen entschiedenen Sinn für malerische Nuancen, verstimmen jedoch durch die zu deutliche Abhängigkeit von Cézanne.“ Die fast bis zur Kopie gehende Anlehnung an Cézanne, in der Isselmann die in seinem Atelier arrangierten Gegenstände darstellt, kann sicherlich als Aneignung von dessen künstlerischer Absicht verstanden werden, nicht naturalistische Richtigkeit, sondern die Intensität des Natureindrucks im Bild wiederzugeben und so eine eigene Bildwirklichkeit zu schaffen, die Farben und Formen mit dem Bildganzen vereint.

Die deutlich sichtbare Phase der Auseinandersetzung mit van Gogh und Cézanne vermittelt dem jungen Rheinländer die Kenntnis von Gestaltungsmitteln, die das Gemälde zur eigenständigen Aussage des Künstlers werden lassen. Sie bildet die Grundlage für die Entwicklung eines eigenen Malstils, der in Isselmanns Werken der Jahre 1913 bis 1915 abzulesen ist. In zwei Selbstportraits (1912 und 1913 - vergl. Abbildung) kommt eine erste Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit als Künstler zum Ausdruck. Beide Male stellt sich Isselmann als Schaffender vor einer gerade noch sichtbaren Staffelei in seiner Atelierumgebung dar, wobei als persönliches Element die Vorliebe für die Pfeife eingebracht wird.

Im Januar 1909 läßt sich im Kunstsalon Schulte in Düsseldorf eine erste Ausstellung Isselmanns feststellen, in der er 21 Arbeiten zeigte. Eine Rezension gibt Aufschluß über seine Malweise dieser Zeit, die die Auseinandersetzung mit der modernen Kunst bereits erahnen läßt, aber bislang durch Gemälde nicht konkretisierbar ist: Isselmanns Landschaften, Bildnisse und Interieurs zeigen eine sehr ehrliche und naive Auffasssung der Natur und scharfe Beobachtung. Er verspricht ein wertvoller Genosse der jungen Düsseldorfer zu werden.

Daraus ist zu schließen, daß der detaillierte, die Natur abbildende Stil, in dem die Gemälde ausgeführt sind, demnach noch durch die Akademielehren geprägt ist. Andererseits gibt die Zuordnung zu den Düsseldorfer Künstlern einen indirekten Hinweis auf eine dem Impressionismus nahestehende Naturauffassung, da sie auf die Maler anspielt, die sich 1908 als „Sonderbund“ gegen die Traditionen der Akademie gestellt und dies in einer eigenen Ausstellung dokumentiert hatten.

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