Pop-Literatur â eben noch in aller Munde - steht jetzt bereits auf dem Abstellgleis: innerhalb von fĂŒnf Jahren mutierte sie vom MarktknĂŒller zur Lachnummer. Verwundert reibt man sich die Augen, was ist geschehen? Ist man einer Seifenblase aufgesessen? Haben sich deutsche Feuilletons ganz umsonst vehemente Auseinandersetzungen, erbitterte ScharmĂŒtzel, ĂŒber das FĂŒr und Wider der vorgeblich neuen Schreibweisen geliefert? Schwer zu sagen, aber zum GlĂŒck gibt es die Germanistik.
Im Zuge der Pop-Literatur selbst ist in der deutschen Literaturwissenschaft so etwas wie ein Nachfolgeboom entstanden, Monographie folgt auf Sammlung, folgt auf Anthologie. Kaum ist die Erbmasse der Pop-Poesie verhökert, kreisen bereits die Resteverwerter ĂŒber dem Leichnam?
Nein, ganz so despektierlich sollte man das nicht sehen. Denn immerhin ist es ja schön, dass die Germanistik ausnahmsweise nicht erst mit dreiĂig-jĂ€hriger VerspĂ€tung auf eine literarische Entwicklung reagiert. Den interpretatorischen Mehrwert der âPop-Literaturâ, zumindest der jener Autoren, die in den Feuilletons gewöhnlich unter diesem Markt-Siegel subsummiert werden, sollte man nicht ĂŒbertrieben hoch veranschlagen. Daher drĂ€ngt sich die Frage auf, ob sich eine Wissenschaft hier nicht allzu sorglos kommerziellen Interessen ausgeliefert hat, womöglich gar den eigenen?!
Der Siegener Germanist Jörgen SchĂ€fer, der in der renommierten Theorie-Reihe âtext + kritikâ einen Sonderband zum Thema Popliteratur herausgeben hat, sieht andere GrĂŒnde fĂŒr die besondere Aufmerksamkeit dem PhĂ€nomen gegenĂŒber:
SCHĂFER: Ja, nun ist die Literaturwissenschaft ja immer, oder bedarf gewisser Verzögerungen, um sich ihrem Gegenstand zu nĂ€hern. In den letzten Jahren sind, angefangen von Einzelstudien ĂŒber die Pop-Literatur der 60er Jahre ĂŒber Brinkmann, zum Teil auch ĂŒber Handke und Jelinek, sukzessive erste Ăberblicksdarstellungen erschienen. So hat Johannes Ullmaier im Ventil Verlag einen Band drausgebracht, âVon Acid nach Adlon. Eine Reise durch die deutschsprachige Pop-Literaturâ, in dem er einen historischen Bogen ĂŒber vier Jahrzehnte schlĂ€gt, und erst angesichts dieser Veröffentlichung ist die Tatsache ins Augenmerk der Ăffentlichkeit gerĂŒckt, dass es vor fĂŒnfunddreiĂig Jahren schon einmal eine erste Welle der Pop-Literatur gab, genau unter diesem Label.
In den USA und GroĂbritannien, den GeburtslĂ€ndern der populĂ€ren Musik, existiert der Begriff âPop-Literaturâ so nicht, warum wird ausgerechnet in Deutschland davon gesprochen?
SCHĂFER: Ich beantworte das erst einmal fĂŒr die 60er Jahre, vielleicht. Da muss man sich erst mal vor Augen halten, dass die Rezeption des Pop-Begriffs in Deutschland sich zunĂ€chst im Zuge der Rezeption der Pop-Art vollzogen hat, und das in einer etwas dubiosen Mischung aus verschiedenen EinflĂŒssen aus Pop-Art, aus dem, was wir heute als Popmusik bezeichnen, was aber damals als Beat-Musik rezipiert worden ist. Dann wieder die NĂ€he zu den literarischen Texten der Beat-Generation, die allerdings auch nicht direkt etwas mit der Beat-Musik zu tun hatte. Und da haben sich schon gewisse Verzögerungen eingestellt, wĂ€hrend also die amerikanische Pop-Art ein PhĂ€nomen der frĂŒhen 60er gewesen ist, hatten die Texte der Beat Generation ihren Höhepunkt lĂ€ngst hinter sich, das ist eher ein PhĂ€nomen der spĂ€ten 40er und 50er Jahre, und das kam in Deutschland, sagen wir mal, um 1968 in einen ganz anderen Kontext. Und dann gabs damals die in deutschen Feuilletons erregt gefĂŒhrte Debatte um Thesen des amerikanischen Literaturkritikers Leslie Fiedler, der unter dem Schlagwort âCross the border, close the gapâ forderte, die Literatur mĂŒsse die Dichotomie von âHoch-â und âTrivialliteraturâ auflösen. FĂŒr Leute wie Brinkmann war das gewissermaĂen so ein Initiationserlebnis, diese ganze Mischung aus amerikanischem Underground, aus Pop-Art, aus Popmusik, den er mit Freunden in verschiedenen Anthologien erst mal vorgestellt hat, genau in dieser etwas unĂŒbersichtlichen Mischung. So und dann kam eher von Seiten des Feuilletons die Bezeichnung âPop-Literaturâ, die Brinkmann und andere zunĂ€chst etwas zögerlich akzeptiert haben, die sich dann aber recht schnell festsetzte.
Beat Generation, Underground-Literatur, Rolf Dieter Brinkmann, Poesie des Alltags, Trash, schön und gut. Jedoch, die geglĂ€tteten Formate jener literarischen Dandies, die seit Mitte der 90er Jahre mit dem Etikett âPop-Literaturâ beworben werden, haben wenig mit dem rebellischen Gestus der 60er Jahre tun. Wie kommt es zu diesem Begriffs-Transfer fĂŒr eine völlig anders geartete Schreibweise?
SCHĂFER: Ja gut, so eine richtige Antwort habe ich darauf auch nicht. Das fĂŒhre ich zum Teil wahrscheinlich auf so eine Erinnerung zurĂŒck, dass es so was schon mal gegeben hat wie Pop-Literatur und der Begriff zur Bezeichnung von Texten von Rainald Goetz oder von Thomas Meinecke, von Andreas Neumeister auch in den spĂ€ten 80er, frĂŒhen 90ern nie so ganz verschwunden war. Dass er dann ganz verstĂ€rkt ab Mitte der 90er Jahre fĂŒr eine doch ganz anders geartete Literatur aufkam, ist wahrscheinlich doch zu hohem MaĂe auf bestimmte Marketing-MaĂnahmen von Verlagen, vor allem von Kiepenheuer & Witsch, als auch auf eine bestimmte eher abwertend gemeinte Rezeption in Feuilletons, also ich erinnere immer gerne an eine Sammelrezension in der ZEIT von 1999, in dem das als Dandyismus, als oberflĂ€chliche Literatur, als Abfall sogar, bezeichnet wurde.
Das Marketing-Argument ist nicht neu. Vieles spricht dafĂŒr. Doch wenn das PhĂ€nomen Pop-Literatur sich darauf reduzieren lieĂe, wĂ€re das jĂŒngst erwachte Interesse der Germanistik tatsĂ€chlich wenig verstĂ€ndlich. SchĂ€fer mutmaĂt, dass der historische Kontext, mit Jugendkult und Boom der New Economy, eine Rolle bei der AusprĂ€gung popliterarischer Schreibstile gespielt haben könnte. Dann wĂ€re das Sujet weniger literatur- als kulturwissenschaftlich bedeutsam. Um so mehr knĂŒpfte sich dann die Frage daran, ob bloĂer Zufall Pate stand oder ob doch gewisse KontinuitĂ€ten existieren, die ĂŒber Marketing-Strategien hinausweisen. Darauf versuchten, so SchĂ€fer, die ernstzunehmenderen Veröffentlichungen der letzten Zeit eine Antwort zu finden. So etwa das viel rezipierte Buch âDer deutsche Pop-Romanâ des Rostocker Germanisten Moritz BaĂler oder das 2003 erschienene âGerade Eben Jetztâ von Eckhard Schumacher. Inbesondere Letzterer bringe eine neue Perspektive in die Diskussion ein:
SCHĂFER: Der zentrale Moment bei Schumacher ist, dass das, was als Pop-Literatur bezeichnet wird, sich durch einen ganz spezifischen Bezug zur jeweiligen Gegenwart auszeichnet. Und dass dabei insbesondere Medieneffekte thematisiert werden. Bei Schumacher heiĂt das dann immer, die âSerialisierung des Jetztâ, also dass Autoren in den 60ern wie Brinkmann, in der Gegenwart wie Goetz, Thomas Meinecke, Kathrin Röggla, so etwas wie eine Geschichte der Gegenwart schreiben, die dann hĂ€ufig, wie zum Beispiel bei Goetz in âAbfall fĂŒr alleâ ganz dezidiert, Medienmitschriften sind Interessant in diesem Zusammenhang auch, dass die Metapher der âMomentaufnahmeâ sich durch diese vier Jahrzehnte zieht, das ist ein ganz zentraler Begriff bei Brinkmann, taucht bei Goetz wieder auf, auch bei Stuckrad-Barre, entweder als âMomentaufnahmeâ oder als âSnapshotâ. Also diese Gegenwartsfixierung ist ein Moment der KontinuitĂ€t, ein zweites wĂ€re die Auseinandersetzung mit Medieneffekten.
Die Mehrheit der bisherigen literaturwissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Popliteratur bietet allerdings weniger solche diachronischen Analysen als vielmehr allgemeine RĂŒckblicke und Zusammenstellungen, so Thomas Ernsts BĂ€ndchen âPop-Literaturâ, erschienen bei Rotbuch, die didaktisch aufbereitete Textsammlung von Dirk Frank im Reclam Verlag, sowie die bereits angesprochene Publikation Johannes Ullmaiers. SchĂ€fer beurteilt diese Veröffentlichungen unterschiedlich:
SCHĂFER: Zu Ullmaier ist zu sagen, dass das eine wirklich beeindruckende Sammlung ist, die eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur ankĂŒndigt, sich aber dann meines Erachtens ein wenig in der MaterialfĂŒlle verliert. Der Verdienst dieser Sammlung ist die eindrucksvolle Bibliografie, auĂerdem ist Band sehr bibliophil aufgemacht, es liegt eine CD bei mit Hörproben von Brinkmann bis zu Max Goldt. Der Band von Thomas Ernst, der natĂŒrlich auch nur 90 Seiten umfasst und eher, denke ich, fĂŒr einen ersten knappen Ăberblick geeignet ist, krankt ein wenig daran, all diese Namen aneinander zu reihen, ohne den Bezug zum Thema Pop wirklich zu thematisieren. Die Sammlung von Dirk Frank ist insofern verdienstvoll, als sie die entlegen publizierten Texte, von denen in diesem Zusammenhang immer die Rede ist, in einer Sammlung, die vier Jahrzehnte umfasst, zusammen trĂ€gt.
Ob sich mit diesen Buchpublikationen ein grundsĂ€tzlich geĂ€nderter Zugang der germanistischen Textbehandlung andeutet, ob es also analog zur Popliteratur so etwas wie eine âPop-Germanistikâ gibt, vermag SchĂ€fer indes nicht zu entscheiden. Das dĂŒrfte im Augenblick auch schwierig sein, denn germanistische Veröffentlichungen unterliegen nun einmal denselben Historisierungsprozessen wie die PrimĂ€rliteratur auch. Jedoch, dass deutsche Philologen nunmehr Songtexte zitieren, Band- und Produktnamen verwenden dĂŒrfen, das lĂ€sst eigentlich hoffen!
Bibliografie:
Thomas Ernst, Popliteratur, Rotbuch, 8,60 Euro
Dirk Frank, Arbeitstexte fĂŒr den Unterricht. Popliteratur, Reclam, 4,40 Euro
Moritz BaĂler, Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten, Beckâsche Reihe, 12,90 Euro
Jörgen SchÀfer, Pop-Literatur. Rolf Dieter Brinkmann und das VerhÀltnis zur PopulÀrkultur in der Literatur der sechziger Jahre, Metzeler 1998
Pop-Literatur. Sonderband text + kritik, hrsg. von Jörgen SchÀfer, November 2003, 28 Euro
Eckhard Schumacher, Gerade Eben Jetzt. Schreibweisen des Jetzt, edition suhrkamp 2003, 10 Euro
Johannes Ullmaier, Von Acid nach Adlon. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur, Ventil Verlag, 20.40 Euro
(erstveröffentlicht im Deutschlandfunk)