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Bild und Text und Text und Bild

Neue Visuelle Poesie des MĂĽnsterer Autors SJ Schmidt

In SJ Schmidts neuer Veröffentlichung „an den windstillen vorbei“ stehen sich – Doppelseite für Doppelseite – Text und Bild gegenüber. Es liegt im Auge des Betrachters, ob er diese Komposition als komplementär oder konträr ansieht. Der Autor plädiert für die Autonomie beider Welten. Im Vorwort erklärt er: „hüte dich vor den erklärern und deutern. ein bild ist ein bild und eine rede ist eine rede. wer nur ist auf die idee gekommen, die beiden hätten etwas miteinander zu tun?“

„an den windstillen vorbei“ ist eine Meditation über die Bedeutung des Bildes in seiner immanenten Relevanz und im Kontext einer von optischen Reizen überfluteten Welt. „die zeiten der bilder sind im zeitalter der bilder vergangen“, heißt es weiter im Vorwort. Und wie eine halbe Notwehrreaktion fordert der Autor auf: „tag für tag der weg durch die hierarchien der bilder / sieh alle als gleichwertig an / jedes bild ist gleichgültig gegen sein abgebildetes / können wir uns denn anders gegen die gewalt der bilder wehren als durch anästhesie des herzens?“ Wobei, weitergedacht, die Macht des Bildes dem Zauber des Wortes überlegen scheint: „(du weißt: du magst schreiben was du willst gegen die bilder bist du machtlos).“ Nimmt der Text deshalb eine untergeordnete Funktion ein? Nein, er ist im glücklichen Fall ein selbständiges Konstrukt, dessen Entstehung vom Bild evoziert wurde und danach ein Eigenleben entwickelte: „bilder haben kein geheimnis. entweder sie bringen dich zum erzählen oder nicht. wer sollte dir dann klug reinreden wollen.“

Die Fragestellung kann die zweite, die berufliche Seite des Autors nicht ganz verleugnen. Siegfried Johannes Schmidt (besser bekannt als SJ Schmidt, wie sich der Autor auch selbst nennt) war bis zu seiner Emeritierung 2005 Kommunikations- und Literaturwissenschaftler in Bielefeld, Siegen und Münster. In jenen Jahren war er Herausgeber der Reihen „Lumis“ und „Delfin“, die Grenzbereiche zwischen Kunst und Wissenschaft ausloteten.

Der Autor selbst zieht zwischen seiner wissenschaftlichen und literarischen Tätigkeit keine strenge Trennlinie. Im Gegenteil. In einem Interview forderte er schon vor zwanzig Jahren, dass sich die Literatur gegenüber Phänomenen der Medienwelt wie Videoclip und Werbespot, Computer und Visualität öffnen solle. Nach der digitalen Revolution stellt sich die Frage nach der Relevanz von Bild und Text um so dringlicher.

In produktionsästhetischer Hinsicht führte Schmidt ein Doppelleben. Neben seinen wissenschaftlichen Werken, die vielfach den Rang von Standardwerken erlangten, veröffentlichte er seit 1969 23 selbständige literarische Veröffentlichungen vornehmlich im Bereich der Visuellen Poesie, die SJ Schmidt auf eigene, ganz spezifische Weise produktiv weiterentwickelte. Neben Eugen Gomringer und Max Bense zählt er zu deren wichtigsten Theoretikern dieser Kunstrichtung. Mehrfach war er mit seinen Texten Gast des legendären Bielefelder Colloquiums Neue Poesie. Das alles macht den Autor zu einem der innovativsten und renommiertesten internationalen Vertreter seiner Kunstrichtung. Zu seinen Weggefährten und Freunden zählen illustre Namen des Genres. Sie sind mit Widmungstexten zu finden auf www.sjschmidt.net – einer virtuellen Festschrift zu Schmidts 65. Geburtstag, die ihm seine Freunde ins Internet stellten.

SJ Schmidts Bücher sind etwas fürs Spartenprogramm und wollen nichts anderes sein. Als solche sind sie Raritäten und Kostbarkeiten im Dschungel eines Buchmarktes, der seine elementaren Grundlagen, wie sie sich im Verhältnis von Bild, Text, Zeichen spiegeln, oft aus den Augen verloren hat.

„an den windstillen vorbei“ erschien zeitnah zu SJ Schmidts 70. Geburtstag am 28. Oktober 2010. Begleitend veranstaltete das Westfälische Literaturarchiv im LWL-Archivamt für Westfalen eine kleine Ausstellung für den Autor, der dem Haus zeitlich parallel seinen literarischen Vorlass überlassen hatte.

Walter Gödden