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Ein Leben ohne Mops...

...ist möglich, aber sinnlos, sagt Loriot. Thomas Krüger hat den Satz seinem Science-Fiction- Epos „Alarm auf Planet M“ vorangestellt: 23 Szenen einer munteren Chaostheorie über das Absurde des Hier und Jetzt

Dies ist ohne Zweifel das seltsamste und verrückteste Buch, das in den letzten Monaten auf dem Schreibtisch der Westfalenspiegel-Redaktion landete. Denn wer schreibt heute noch Terzinen? Jene komplizierte Strophenform, die in Reinkultur aus drei fünfhebigen Versen besteht, von denen sich der erste mit dem dritten reimt und bei mehreren Strophen die zweite Zeile mit der ersten und dritten der folgenden und so weiter und so fort...
Und das alles zusammengepuzzelt in einem Science-Fiction-Epos, das sich als erbarmungslose Gesellschaftssatire entpuppt und die nicht unexistenzielle Frage aufwirft: Wie würde die Menschheit reagieren, wenn wohlgesinnte Außerirdische vom Stern Divinus unseren Planeten betreten, um ihm einen zivilisatorischen Entwicklungsschub zu verpassen? Das Ganze kann, wie unschwer zu erraten ist, nur in einer Katastrophe enden. Denn sie treten gleich in Heerscharen auf, diejenigen, die aus dem Spektakel Kapital schlagen wollen. Der amerikanische Präsident zum Beispiel, der gemeinsam mit den Regisseuren Steven Spielberg und George Lucas Agent 2001 losschickt, um Geheimverhandlungen mit der vermuteten fremden Medienmacht aufzunehmen: „Steve, dieser Star-Wars-Feuersturm, / könnte es Werbung für den neuen Fish-Mac sein?“
Die Mission der Sternenpiloten führt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu einem surreal-grotesken Showdown. Und zum Ausnahmezustand. Polizeikräfte evakuieren die Bevölkerung, Streitkräfte formieren sich und warten auf den Angriffsbefehl. Ein Pulk von Zauberhüteträgern rückt heran. Es sind Jerry-Cotton-Fans auf der Suche nach ihrer verschwundenen Göttin: Joanne Dark, der Autorin der Romane. General Whitehead, der den Militäreinsatz leitet, lässt angreifen. Doch die Außerirdischen schlagen mit ihren Waffen, einer ausgeklügelten Illusionstechnik, zurück. Plötzlich sehen sich die Waffensysteme der Streitkräfte riesigen weißen Kaninchen und einer überdimensionalen Richard-Nixon-Gestalt gegenüber...
Damit nicht genug. Zu guter Letzt bemerkt man, dass die Weisheitspillen, die eigentlich auf dem Planeten M verteilt werden sollten, heimlich vom Mops Apollo aufgefressen wurden, der sich damit gewaltig den Magen verkorkst hat. Womit wir wieder beim eingangs angeführten Loriot-Zitat wären...

Alles wahr und nichts erfunden

Thomas Krügers Comic im antiken Versgewand geht zu keinem Zeitpunkt die Puste aus. Wozu auch das bunt zusammen gewürfelte Personal des Raumschiffs beiträgt. An Bord befinden sich Commander Yahoo, Johann Sebastian Bach II, Linda Evangelista und Pedro Dollar. Für Yahoo ist die Exkursion zu den „schwarzen Schafen“ auf der Erde ein ganz und gar ungeliebter Trip. Als er mit Bach und dem Gen-Forscher George in der New Yorker Kanalisation strandet, wird ihm klar, was er schon immer geahnt hatte: Dem Planeten, diesem „Explosivgemisch von Größenwahn und Fortschritt“, ist nicht zu helfen: „Die träge Masse fängt erst jetzt zu laufen an, / weshalb sie jetzt auch kritisch wirkt und ungelenk. // Die Energie, Genetik dieser Spezies / ist selbstzerstörerisch genug, denn mancher denkt, / der Weg des Fortschritts führt direkt ins Paradies.“ Und: „Am Anfang war so ein Typ, der hat ‚Alles fließt’ / gesagt. Nun müssen sie durch Blutströme waten.“
„Alarm auf Planet M“ ist ein gewaltiger Crossover. Ein ebenso ausgeflippter wie seriöser – man bedenke die Raffinesse des Versbaus – Stil- und Genremix quer durch Raum und Zeit. Und eben deshalb ist Krügers Reverenzerweis an Vorbilder und Antipoden im Vorwort ein bunt-schillerndes Vexierbild: „Ich bedanke mich bei Lord Byron, Heinrich Heine, Wilhelm Busch, Loriot und Derek Walcott. Als Quintett sind sie unschlagbar, auch wenn sie selten gemeinsam auftreten. Ich bedanke mich bei Heinrich von Kleist und entschuldige mich für den Fall, daß meine Version des Marionettentheaters nicht seine Zustimmung findet. Ich bedanke mich bei Dante, Washington Irving und T.S. Eliot für ein paar schöne Bilder, Formulierungen und stimmige Szenen. Diesen Satz möchte ich hinsichtlich gewisser anderer Szenen, Formulierungen und Bilder an eine ganze Reihe von Dichtern richten sowie an Orson Welles, die Heiligen Drei Könige, Adam und Eva, Käptn Kirk und die Besatzung von Star Trek, Immanuel Kant, Tarzan, Charlie Chaplin, Stanley Kubrick, Silvester Stallone, James Bond, Wild Bill Hickok, Charles Lindbergh, Cat Stevens, Alfred Hitchcock, Rembrandt, Baron Münchhausen, Craig Venter, Francisco Goya, George Washington, Platon, das Moorhuhn, Cicero, Lorenzo de Medici, den Alligator aus der New Yorker Kanalisation, Bram Stocker und Castor & Pollux. Ich bedanke mich bei all denjenigen, die ich vergessen habe, und entschuldige mich bei Johann Heinrich Voß für den laxen Umgang mit Terzinen. Dank geht auch an Terry Pratchett, dem ich bei seinem Hobby, dem Zusammenbruch der Zivilisation zuzusehen, über die Schulter schauen durfte. In gewisser Weise entschuldige ich mich bei Joanne K. Rowling, Walt Disney, Stephen Spielberg und George Lucas, obwohl der Erfolg ihrer Bücher und Filme schon vieles entschuldigt. Ich entschuldige mich ausdrücklich bei Bischof Odo von Bayeux, weil ich seinen schönen Wandteppich durch den Schmutz gezogen habe und trotzdem hoffe, dass die Farben lebendig bleiben. Dank wiederum geht an Marvel Comics und Stan Lee für die Fantastischen Vier und an Niklas, den ich mindestens 20 Mal am Tag in seinem Bilderbücher-Bastkorb schaukeln darf. Ich habe nun Arme wie Popeye, obwohl ich seit Monaten am Schreibtisch sitze. Desgleichen danke ich Steve Martin, bei dem ich diese Art der Danksagung abgekupfert habe. Oder sollte ich mich entschuldigen?“
Übrigens: „Alarm auf Planet M“ hat nach Auskunft des Autors eine reale Folie: Bis vor kurzem war der Schauplatz auf der Fantasy-Webseite „www.mapquest.com“ zu sehen. Dort war es möglich, überall in den USA Kamerabilder und dazu korrespondierende Kartenbilder bis auf eine Höhe von etwa 100 Meter über dem Erdboden anzusteuern. Dies bot die Möglichkeit, topografisch exakt zu arbeiten. Dort war auch das Haus von George und Eva in Pennsylvania zu sehen, von dem das Geschehen seinen Ausgang nimmt. Womit die Vorstellung endlich beginnen kann...

Thomas Krügers „Alarm auf Planet M“ ist 2004 im Bielefelder Pendragon-Verlag erschienen.

Walter Gödden