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Michael Matzigkeit: Hermann Harry Schmitz. Der Dandy vom Rhein

Rezensiert von Kerstin Dümpelmann

Durchgeschmitzt – Ein Lesebuch zum 125. Geburtstag des Düsseldorfer Schriftstellers Hermann Harry Schmitz

Ein sonniges Gemüt kann man dem Schriftsteller Hermann Harry Schmitz kaum attestieren, obwohl er doch, geboren im Juli 1880, ein Sommerkind sein müßte. In seinen Grotesken blähen sich die Köpfe ungeliebter Schwiegermütter ballonartig auf und hysterische Kleinbürger heilen sich im Sanatorium in den Wahnsinn. Zum 125. Geburtstag ist nun ein umfangreiches Lesebuch zu Leben und Werk des Rheinländers erschienen.


Die Publikation “Der Dandy vom Rhein” löst schon auf den ersten Blick ein, was sie verspricht: Mit müdem Lippenschwung und Weltschmerzfalte auf der Stirn blickt der junge Schmitz vom Einband. Ein Dandy der alten Schule. Man darf gespannt sein. Dann folgt die Warholsche Ouvertüre mit dem Lieblingsschmuck und Markenzeichen des Dichters, u. a. ein Ring in Form eines Katzenauges, aufgefächert in aberwitzige Farbvariationen. Und ebenso schräg geht es weiter. Rote, schwarze, orange und weiße Schrift steht munter neben-, durch- und übereinander; mal im Block, mal im Fließtext; mal in Groß-, mal in Kleinschrift. Dazwischen, darüber und darunter Fotos und Bilddokumente. Seien Sie gewarnt, hört man den Schmitz-Spezialisten Michael Matzigkeit durch die Zeilen wispern, und auch versichert, dass der Düsseldorfer Dandy seine Freude an dieser Verwirrung hätte. Diesen Eindruck jedenfalls scheint die Publikation zu beabsichtigen. Manchmal fehlt dem Schmitz-Einsteiger einfach eine Gebrauchsanweisung, der Schmitz-Kenner hingegen wird sich schnell zurechtfinden.

Katalogartig (ohne nur einer sein zu wollen) wird das Schmitzsche Leben in Themenblöcken dargeboten: “Der jungen Dandy”, “Acht Krankheiten und ein Todesfall” oder der “Hagel von Browningschüssen“. Schmitz führte ein offenkundiges Doppelleben als unglücklicher Industriellensohn und schonungsloses Enfant macabre der Düsseldorfer Kunstszene. Doch der eigentliche Mensch Hermann Harry blieb stets ein Mysterium. Er ist es immer noch, doch die Mauer des Unbekannten bröckelt. Nach 25-jähriger Spurensuche versammelt Michael Matzigkeit in Zusammenarbeit mit Sabine Brenner-Wilczek nun in „Der Dandy vom Rhein“ erstmals alles, was über den Groteskenautor in Schrift und Bild bekannt ist. Der Band liest sich wie ein Mosaik aus Splittern und Schmucksteinen: hier eine bebilderte Groteske (z. B. die mit Fotos von Zandergeräten gespickte „Im Sanatorium“), da ein vergilbtes Telegramm, dort handschriftliche Notizen zu den Einaktern. Dazwischen der posierende Lebemann Schmitz. Dann noch eine Postkarte an Victor M. Mai, eine Kaffeepreisrecherche und schließlich die Sterbeurkunde vom 9. August 1913, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Daneben wirft das Buch eindrucksvoll einen Seitenblick auf die Düsseldorfer Stadt- und Kulturgeschichte der Jahrhundertwende. Kein Mosaik ohne Muster, haben sich Matzigkeit und Brenner-Wilczek vermutlich gedacht, und leiten den Leser per Farbleitsystem, dass jedoch eher als Faustregel betrachtet werden muss, durch die reichhaltigen Kapitel. Der Kommentar steht in schwarz, die Schmitzschen Federergüsse in rot und die Archivalien in orange. So auch die fiktive Leichenrede Herbert Eulenbergs auf Schmitz. Die Leiche antwortet halb verwest, aber „guten und frohen Sinnes“ aus dem Grab. Übrigens in rot. Dieses makabre Fundstück wurde erst kürzlich im Archiv der Yale University entdeckt und ist hier erstmals veröffentlicht.

Nach der bizarren Kür dokumentiert Matzigkeit, Leiter der Sammlungen des Düsseldorfer Theatermuseums, schließlich noch die nie erloschene Liebe der Düsseldorfer zu ihrem Groteskenautor, woraus schließlich 1990 die Gründung der „Herrmann-Harry-Schmitz-Societät“ entspringt. Bemerkenswert ist auch für jeden Schmitzkenner die bislang umfangreichste, teils bebilderte Bibliografie. „Der Dandy vom Rhein“ erscheint zum 125. Geburtstag des Schriftstellers und ist das Meisterstück des bekennenden Schmitz-Liebhabers Michael Matzigkeit, der sich seit einem Vierteljahrhundert mit dem rheinischen Kleinod beschäftigt und auch schon an mehreren Wiederauflagen des Schmitz-Werkes als Herausgeber mitwirkte. Ein guter Grund, sich und dem Leser mit einem Extra zu beschenken: Günter Dybus, Thomas Lang und Hannah Seiffert vom Schauspielhaus Düsseldorf lesen auf über 75 Minuten fünf der bekanntesten Grotesken, die als CD „Schmitz im Ohr“ dem Buch beiliegt. Nur Lachen kostet extra.


Michael Matzigkeit: „Hermann Harry Schmitz. Der Dandy vom Rhein“. Droste, Düsseldorf, September 2005. 245 S., geb. 29,95 EUR. (= Dokumente zur Theatergeschichte XV, Theatermuseum der Landeshauptstadt Düsseldorf)