Magazin > Archivwesen > Beitrag
Weitere Beiträge
  • Enno Stahl: Das Archiv als gesellschaftliches Gedächtnis

    Aktenhölle, Staubkerker oder vitaler Erinnerungsspeicher?
    [12.12.2017]
  • Grabbe-Portal

    Werke, Briefe, Bilder - ein digitales Informationssystem
    [17.11.2017]
  • Kulturelle Überlieferungen. Vereine, Verbände, Gesellschaften

    Tagungsbericht von Daniela Schilling
    [03.11.2017]
  • Friedemann Spicker: Deutsches Aphorismus-Archiv Hattingen im Entstehen

    Ein Zwischenbericht
    [07.10.2017]
  • Christian Leitzbach: Geschichte in Düsseldorf

    Ein Internetportal für Jedermann
    [31.07.2017]
  • Christian Leitzbach: Dichterfürst und Revolutionär

    Bedeutende Sammlung über Ferdinand Freiligrath im Hermann-Smeets-Archiv
    [13.07.2017]
  • Internet-Datenbank für westfälische Schriftstellernachlässe freigeschaltet

    Westfälisches Literaturarchiv stellt Nachweise von mehr als 600 literarischen Nachlässen ins Netz; bearbeitet von Jochen Grywatsch
    [23.05.2017]
Backlist
Alle bisherigen Beiträge finden Sie in unserer Backlist.

Zu den Netz-Datenbanken von RLA und WLA

Autorenbefragung des RLA: Literaturarchive heute

von Enno Stahl

Anfang 2005 hat das Rheinische Literaturarchiv (RLA) im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf etwa 60 Autorinnen und Autoren aus dem gesamten Bundesgebiet, im Alter von 29 bis 74 Jahren, zu ihren Erfahrungen mit Archiven befragt. Die ersten Ergebnisse wurden inzwischen sukzessive aktualisiert.

Neben den grundsätzlichen Fragen, ob sie überhaupt Archive für ihre Arbeit nutzen und wenn ja, welche (Kommunal-, Privat- bzw. andere Archive), wollten wir wissen, wie die Zusammenarbeit mit den Archiven von Autorenseite bewertet wurde und ob spezielle Wünsche an die Archivbetreuung existieren, zum Beispiel, ob neben der inhaltlichen Unterstützung in Rechercheangelegenheiten auch eine Beratung in Bezug auf ihren eigenen Nachlass gewünscht würde.

Folgende 27 Autorinnen und Autoren haben an der Umfrage Teil genommen und unseren Fragebogen ausgefüllt: Katrin Askan (Köln), Crauss (Siegen), Dietmar Damwerth (Münster), Volker W. Degener (Herne), Marc Degens (Berlin), Marcel Diel (Bonn), Ulrike Draesner (Berlin), Peter Farkas (Köln), Hildegard Gill-Heinlein (Düsseldorf), René Hamann (Berlin), Thomas Hoeps (Krefeld), Rainer Junghardt (Köln), Wolfgang Kubin (Bonn), Stan Lafleur (Köln), Ulla Lessmann (Köln), Roma Maria Mukherjee (Essen), Jürgen Nendza (Aachen), Thorsten Nesch (Leverkusen), Jan Off (Darmstadt), Mithu M. Sanyal (Düsseldorf), Louisa Schaefer (Köln), Philipp Schiemann (Düsseldorf), Erasmus Schöfer (Köln), Ron Schmidt (Goch), Leander Scholz (Bonn), Daniela Seel (Idstein/Taunus), Achim Wagner (Köln).

Schreibpraxis

neunzehn Männer und acht Frauen haben an unserer Umfrage Teil genommen, zunächst fragten wir nach den literarischen Gattungen, in denen die Autoren tätig sind, hier waren Mehrfachnennungen möglich. Es ergab sich, dass die Mehrzahl der befragten Schriftsteller mehr als eine Gattung praktiziert, 19x Lyrik, 23x Prosa, 16x Roman, 20x Journalistik und Essayistik wurden genannt, nur ein Autor beschäftigt sich mit Dramatik.

Wir wollten ferner wissen, wie der unmittelbare Schreibprozess vor sich geht, mit welchen technischen Mitteln die erste Niederschrift erfolgt. Zur Auswahl standen Computer, Schreibmaschine und Handschrift. Hier ergab sich überwiegend eine Zweigleisigkeit, die meisten Autoren verwenden sowohl einen Computer (21) als auch direkte Niederschrift per Hand (19). Dabei gab es zwei Autoren, welche die Auswahl des Mediums von der literarischen Gattung abhängig machen, die Prosa immer am PC, Lyrik dagegen immer mit der Hand verfassen. Außerdem schreiben insgesamt sechs Autoren ausschließlich mit der Hand, vier ausschließlich mit dem Computer.

Wir fragten dann nach der Überarbeitungspraxis: die überwiegende Mehrzahl der Autoren versieht Ausdrucke mit handschriftlichen Korrekturen (23) und überarbeitet die Texte am Computer (19), bei nur zwei Autoren finden auch die Überarbeitungsprozesse handschriftlich statt. Ausschließlich am Bildschirm korrigieren nur fünf Autoren ihre Texte.

Archivierung

Natürlich interessierte uns, ob zeitgenössische Autoren ihre Manuskripte aufbewahren, und wenn ja, in welcher Form. Wir erfuhren, dass immerhin fünf Autoren alles aufbewahren, von den ersten Niederschriften über Vorstufen bis zur Endfassung. Fünf Autoren behalten die erste Niederschrift, ebenso viele die Endfassung. Die Mehrzahl (12) bewahrt Zwischenfassungen auf (hier gab es Mehrfachnennungen, also Autoren, die sowohl die erste als auch die letzte Fassung oder die erste Fassung und Zwischenfassungen sammeln). Vier Autoren machten ungenaue Angaben, etwa dass sie sporadisch bzw. teilweise Texte aufbewahren, aber anscheinend, ohne dass sie diese einer der Kategorien genau zuordnen konnten. Zwei Autoren speichern ihre Fassungen dabei ausschließlich digital.

Festzuhalten bleibt aber, dass kein einziger der befragten Autoren nichts aufhebt, alle behalten etwas zurück, das einer zukünftigen Literaturwissenschaft Rückschlüsse zur Textgenese ermöglichen könnte.

Dasselbe Bild ergab sich bei der Korrespondenz, nur drei Autoren kommunizieren ausschließlich per Email, die überwiegende Mehrzahl (24) nutzt neben digitaler weiterhin konventionelle Briefpost. Die meisten (22) heben diese Briefe auch auf (eine Autorin sammelt lediglich nicht abgeschickte Briefe), zwölf speichern ihre Mailverzeichnisse auf Festplatte, sieben exportieren ihre Mails als txt-Volltextdatei und speichern sie auf CD-Rom, Diskette o.ä., drei Autoren gaben an, ihre Mails auch auszudrucken und zu archivieren. Nur ein einziger Autor hebt überhaupt keine Bestandteile seiner Kommunikation auf.

Man sieht, auch hier bietet sich Material für die archivarische Forschung, auf Mailverzeichnisse und gespeicherte Maildateien lässt sich zugreifen, durch die digitalen Suchfunktionen wird die Bearbeitung teilweise sogar erleichtert. Wenn die Frage der Langzeitsicherung von Daten dereinst gelöst sein sollte, wäre auch bei zeitgenössischen Autoren kein Generalverlust von Informationen zu erwarten.

Autoren und Archive

Besonders interessant war für uns die Beziehung der Autoren zu Archiven: immerhin sechzehn gaben an, schon einmal Archive für ihre literarische Arbeit benutzt zu haben (elf dagegen noch nie), davon fielen auf kommunale, also historische/städtische Archive (dreizehn Nutzer), Privatarchive, also Stiftungen, Vereine, Sammlungen (acht Nutzer) bzw. andere Archivtypen (zwölf Nutzer), hier gab es Mehrfachnennungen.

Sodann baten wir die Autoren die Zusammenarbeit und den Rechercheerfolg auf einer Notenskala von 1 bis 6 (wie Schulnoten) zu bewerten: die Mehrzahl äußerte sich positiv, zwei Autoren verliehen die Note 1 (=sehr gut), sieben Autoren die Note 2 (=gut), einmal wurde die 3 (=befriedigend) und zweimal die 4 (=ausreichend) vergeben. Zwei Autoren empfanden die Zusammenarbeit als mangelhaft (5). Interessant ist daran, dass die schlechten Noten sich weitgehend auf die nicht-kommunalen Archive verteilen (Privatarchiv einmal “mangelhaft”, andere Archive einmal “ausreichend”, einmal “mangelhaft”). Man kann also sagen, dass die Mehrzahl der archivnutzenden Autoren speziell mit der Arbeit kommunaler Archive sehr zufrieden waren. Und die Tatsache, dass deutlich mehr als die Hälfte der befragten Autoren bereits Archive benutzen, dürfte ebenfalls als positives Zeichen zu sehen sein.

Um detaillierte Rückschlüsse auf die Nutzererwartungen ziehen zu können, fragten wir die Autoren dann nach ihren Wünschen, was ein Archiv für ihre Arbeit leisten könnte. Hier war das Resultat ein recht homogenes: allen voran wünschte man sich eine Digitalisierung und Verfügbarmachung der Archivdaten im Internet, ein Autor erwähnte in diesem Zusammenhang zudem eine mögliche Vernetzung verschiedener Archive untereinander, auch ins Ausland.
Zwei weitere, mehrfach genannte Desiderata waren Übersichtlichkeit des Archivangebots in Breite und Tiefe sowie persönliche Recherchehilfe. Ein leichterer Zugang, ein besserer Überblick über die Bestände würden begrüßt, so wurde etwa angeregt, Quellen auch über Stichworte zugänglich zu machen bzw. sie kategorial zu vernetzen.

Man sieht, die Bedürfnisse dieser speziellen Nutzergruppe (die sich in Einigem jedoch auch mit denen anderer Nutzer decken dürfte) richten sich vornehmlich auf den Service-Aspekt, man wünscht sich möglichst ungehinderten Zugriff auf Information (am besten via Internet) und eine möglichst übersichtliche Anordnung des Gesamtbestandes bei gleichzeitiger persönlicher Betreuung.
Als letztes wollten wissen, ob sich die Autoren eine spezielle oder bessere Beratung in Fragen ihres eigenen Nachlasses wünschten, dies bejahten sieben, verneinten fünf der Befragten, die Mehrzahl (15) hatte dazu keine Meinung bzw. hielt die Nachlassthematik an diesem Punkt noch nicht für relevant.

Obwohl es sich bei dieser geringen Anzahl von Teilnehmern nicht um eine repräsentative Umfrage handeln kann, sind die Ergebnisse aus archivarischer Sicht dennoch aufschlussreich: sie lassen sich kurz dahingehend resümieren, dass auch heutige Autoren ein Interesse daran haben, ihr Werk zu dokumentieren, ihre Korrespondenz zu sammeln. Obwohl diese Gruppe Archive durchaus nutzt und im Großen und Ganzen positive Erfahrungen gemacht hat, wünscht sie sich doch eine persönliche Betreuung und Beratung sowie eine bessere, zeitgenössische Aufbereitung der Archivalien. Es geht offensichtlich mehr um die Information als um das Original.


Weitere interessierte Autorinnen und Autoren, die sich - zusätzlich zu den bislang eher unsystematisch Ausgewählten - an dieser Umfrage beteiligen möchten, können den Fragebogen hier anfordern.