Der Literaturrat NRW, ein Gremium, dem Vertreter verschiedener Nordrhein-westfälischer Institutionen und Vereinigungen angehören, hat es seit seiner Gründung als eine seiner Hauptaufgaben angesehen, die Situation der literarischen Nachlässe im Lande NRW zu verbessern. Dort liegt, was Aufbewahrung, Erschließung und Neuakquisition angeht, seit langem vieles im Argem. Mit Unterstützung des Landschaftsverbandes Rheinland, des zuständigen Ministeriums und des Literaturrates wurde daher vor einigen Jahren im Heinrich-Heine-Institut der Landeshauptstadt Düsseldorf ein ”Rheinisches Literaturarchiv” eingerichtet. Ähnlich hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Münster ein ”Westfälisches Literaturarchiv” begründet, das eng mit dem ”Rheinischen Literaturarchiv” kooperiert, teilweise allerdings unter anderen Bedingungen steht und deshalb auch anders angelegt ist. Denn während die Verhältnisse in Westfalen eher eine zentrale Struktur erfordern, hat sich für das Rheinland mit seinen vielen Oberzentren eine dezentrale Struktur als sinnvoll erwiesen. Das ”Rheinische Literaturarchiv” soll denn auch zunächst Servicestelle für alle mit dem Problem ”Literarische Nachlässe” befassten Einrichtungen sein; es soll darüber hinaus zentraler Anlaufpunkt für die Benutzung solcher Nachlässe werden und natürlich auch, da es sich unter dem Dach des wichtigsten Literaturarchivs im Rheinland befindet, Sammelstelle für Nachlässe sein.
Um eine Vernetzung der zahlreichen Institutionen, die im Rheinland literarische Nachlässe aufbewahren, zu erreichen, wird momentan an der Erstellung eines Internet-Portals ”Literarische Nachlässe in rheinischen Archiven” gearbeitet, das die Publikation "Literarische Nachlässe in NRW. Ein Bestandsverzeichnis” aus dem Jahre 1995 korrigieren, aktualisieren und ergänzen soll. Schließlich ist in den letzten Jahren bei den Archiven ein wachsendes Interesse an der Übernahme kultureller Überlieferungen zu verzeichnen. Seit September 2004 steht die Datenbank unter der Adresse www.rheinische-literaturnachlaesse.de im Netz.
Inzwischen verteilen sich etwa 400 Autorennachlässe auf über 75 Stadt-, Gemeinde-, Stiftungs-, Firmen- und Privatarchive, Bibliotheken und Museen im Rheinland, Einrichtungen sehr unterschiedlicher Art also. Einen Nachlassort überhaupt zu ermitteln, ist schwer genug, die Fülle einzelner Autografen zu überblicken, die in Nachlässen anderer Autorinnen und Autoren liegen mögen, ist nahezu unmöglich. Gerade die regional begrenzte Perspektive lässt hier eine Tiefenrecherche zu, die das großangelegte Autografen-Projekt KALLIOPE nicht leisten kann. Denn auch in eher peripheren Institutionen existieren - wie eine flächendeckende Anfrage ergab - Autografen und Mini-Sammlungen bedeutender Literaten, sowie interessante Materialien zur Erschließung regionalgeschichtlicher Entwicklungen. Oft sind gerade die weniger zentralen Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in der regionalhistorischen Forschung von Interesse, lassen sich doch hier unmittelbare Rückschlüsse auf die infra-strukturelle Entwicklung der spezifischen kulturellen Physiognomie einer Region ziehen. Das ist nicht nur aus allgemein-historischer, sondern auch literatur-geschicht-licher Sicht von Bedeutung, da analog zur Ausrichtung der historischen Wissenschaften hin zur Mikroanalyse auch in der Literaturwissenschaft regionalgeschichtliche Forschung, die Konzentration auf immer kleinere geographische Einheiten, zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Das Internet-Portal ist darum bemüht, bereits im Vorfeld intensive Nachlassbeschreibungen anzubieten und dem Nutzer dabei umfangreiche Recherche- und Interaktionsmöglichkeiten einzuräumen: neben einer Volltextrecherche listet das Portal sämtliche rheinischen Archive mit literarischen Nachlässen, nach Städten sortiert. Klickt man auf eine dieser Institutionen werden grundlegende Informationen über das betreffende Archiv vermittelt (Adresse, Öffnungszeiten, Ansprechpartner, E-Mail-/Telefonkontakt, Sammelschwerpunkte). Auch werden hier die aufbewahrten Dichternachlässe aufgeführt und verlinkt. Klickt man auf einen Nachlasstitel, erscheinen neben ausführlichen Bio- und Biblio-Data möglichst genaue Informationen über Art und Charakteristik des überlieferten Materials: z.B. Nachlasstyp- und -umfang, Nutzungsmöglichkeiten sowie ausführliche Angaben über den Nachlassinhalt, also ob und welche Werkmanuskripte vorliegen, Lebensdokumente bzw. literarisch relevante Korrespondenzen (mit Dauer und Umfang des jeweiligen Briefwechsels).
Falls in den Archiven selbst bereits Findbücher oder Inhaltskataloge online vorliegen, kann ein direkter Link auf diese Seiten gelegt werden. Als alternativer Zugang fungiert eine alphabetische Liste von Autoren- und Körperschaftsnamen, über die man ebenfalls zu den Nachlassinformationen gelangen kann.
Neben der Exportfunktion, die ein Herunterladen der Daten auf Festplatte (zur Weiterverwendung z.B. mit einem Textverarbeitungssystem) erlaubt, ist eine Druckversion disponibel. Da sämtliche Recherche- und Anwendungsmöglichkeiten des Portals jedem Nutzer - ob Forscher oder Laie - frei und kostenlos zugänglich sind, werden sich eine Vielzahl von eventuellen Archiv-Anfragen bereits im Vorfeld erledigen lassen, was zu einer spürbaren Entlastung der entsprechenden Institutionen führen kann. Zugleich aber vermittelt das Portal da, wo es nötig ist, einen direkten Kontakt zwischen Nutzern und den jeweils zuständigen Mitarbeitern der Archive.
Ausschlaggebend für den Eintrag im Portal “Literarische Nachlässe in rheinischen Archiven” ist nicht die Herkunft des Autors, sondern die geographische Lage des betreffenden Archivs. So wird ein westfälischer oder auch chinesischer Autor aufgeführt, wenn sein Nachlass in einem rheinischen Archiv liegt, nicht aber ein rheinischer Autor, dessen Nachlass in einem westfälischen Archiv gelagert ist.
Kontakt: Dr. Enno Stahl (enno.stahl@stadt.duesseldorf.de), Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Bilker Str. 12-14, 40213 Düsseldorf, Tel.: 0211/8995582