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Joseph A. Kruse: Über Dichter, Musiker, Künstler und eine Kultur der Region

Die Bestände des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorf

1.

Um es gleich von vornherein zu sagen: die Originalhäuser jener Heldinnen und Helden der kulturellen Szene, denen man in der heutigen nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf (und manchmal durchaus sogar weltweit darüber hinaus) dankbar zu sein hat, haben sich zwar teilweise durch die Zeitläufte gerettet oder wurden wenigstens wieder gemäß ihrem Vorbild aufgebaut oder erhielten an ihrer Stelle derart veränderten Ersatz, dass nur die Hausnummern bestehen blieben. Sämtliche Adressen wurden aber bestenfalls mit einer Gedenktafel versehen, sind jedoch keineswegs (gelegentlich wie bei Jacobi, Heine und Schumann wenigstens im Ansatz) als Gedenkstätten für die Persönlichkeiten der Düsseldorfer Kulturgeschichte hergerichtet, handele es sich nun um ein freilich kaum reproduzierbares Domizil des im heutigen Stadtteil Kaiserswerth geborenen Jesuitendichters und Hexenanwalts Friedrich Spee von Langenfeld aus dem 17. Jahrhundert; das gastfreie Anwesen des Philosophen, Schriftstellers und Goethefreundes Friedrich Heinrich Jacobi wie seines Dichterbruders Johann Georg Jacobi mitsamt dem Garten in Pempelfort aus dem 18. Jahrhundert; das Geburtshaus Heinrich Heines in der Bolkerstraße (über das gleich noch zu sprechen sein wird), das Wohnhaus seines in jeder Weise dramatischen Mitstreiters Christian Dietrich Grabbe in der Ritterstraße nahe der Düssel, das Sterbehaus des Heine-Freundes Karl Immermann in der Ratinger Straße, der jedoch ganz ohne diesen Bezug für die Düsseldorfer Theater- wie Literaturgeschichte wichtig wurde und dessen Adresse erst in jüngerer Vergangenheit einem lukrativen Neubau weichen musste, die Wohnungen von Felix Mendelssohn Bartholdy, der der Düsseldorfer Musik kurze Zeit vorstand, und der damaligen Künstler der Düsseldorfer Malerschule wie Peter Cornelius oder Wilhelm Schadow sowie die letzte gemeinsame Wohnung des die Musikgeschichte bis heute intensiv beschäftigenden Ehepaars Clara und Robert Schumann in der Bilker Straße aus dem 19. Jahrhundert; schließlich um das ,Haus Freiheit‘ in Kaiserswerth des ungemein kommunikativen Schriftstellerehepaares Hedda und Herbert Eulenberg oder die Wohnung im linksrheinischen Stadtteil Oberkassel von Joseph Beuys, der die moderne Kunst wesentlich beeinflusst hat, aus dem 20. Jahrhundert.


Die Wahrung des Andenkens der Genannten und vieler Persönlichkeiten darüber hinaus aus den Gebieten Literatur, Kunst, Musik und Wissenschaft, mit stets engerer oder weiterer Beziehung zu Düsseldorf und dem niederrheinisch-bergischen Raum, nehmen dafür an jeweils anderen über die Stadt verteilten Orten neben dem Heinrich-Heine-Institut, das sich für alle bisher Genannten sammelnd und präsentierend seit jeher allein schon aus entstehungsgeschichtlichen Gründen engagiert hat, gleich mehrere Einrichtungen durch oft allerdings eher beiläufige archivische, bibliothekarische oder museale Tätigkeiten wahr: das Dumont-Lindemann-Archiv / Theatermuseum, hinzu kommt für andere, hier nicht aufgezählte Namen inzwischen das Filminstitut, weiterhin sind zu nennen das Goethe-Museum, das Stadtarchiv, das Stadtmuseum, die "Stiftung Museum Kunst Palast" im Ehrenhof, die das frühere Kunstmuseum umfasst, die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, weiterhin die Universitäts- und Landesbibliothek – diese breite Streuung der je unterschiedlichen Fürsorge und die Aufzählung der Zuständigkeiten mit offiziellem Charakter ließe sich gewiß noch ergänzen, auf jeden Fall beispielsweise durch einige private Initiativen von Seiten literarischer Gesellschaften wie der Harry Hermann Schmitz Societät oder Heimatvereinen wie etwa der Bilker Heimatfreunde, die sich etwa unter anderem der Pflege des Andenkens an den Dichter Ferdinand Freiligrath verschrieben haben. Genannt sei auch das Archiv des Malkastens, das für die Geschichtsschreibung über diesen Künstlerverein unerlässlich ist.


An viele der genannten Persönlichkeiten erinnern in der Stadt, das darf wenigstens zur kommunalen Rechtfertigung gesagt werden, wie es sich gehört und andernorts für das lokale Gedenken nicht anders geschieht, Denkmäler, Büsten, Tafeln (so ist am Hause Bilker Straße 14, das zusammen mit dem Hause Nr. 12 vom Heinrich-Heine-Institut genutzt wird, ein Gedenkstein an die Anfang des 19. Jahrhunderts dort wohnende Dichterin Luise Hensel angebracht), Auszeichnungen und Preise sowie Namengebungen von Einrichtungen von der Schule bis zur Universität, weiterhin zahlreiche Straßennamen, Ehrengräber und Gedenkveranstaltungen. Das Jacobi-Haus und der zugehörige Garten werden vom 1848 gegründeten Künstlerverein Malkasten betreut, was für diesen zwar nicht immer unproblematisch verlaufen ist, insgesamt aber eine Tradition der Erinnerung an vielerlei kulturelle Initiativen, vor allem aber auch an die Brüder Jacobi gestiftet hat. Insofern besitzt die kulturelle Vergangenheit in unserer Stadt durchaus eine wahrnehmbare Gegenwart, die zweifellos an diesem oder jenem Punkte zu einer respektableren Zukunft ausgebaut werden könnte und müsste.


2.

Hier soll nun von Geschichte, Bestand und Wirksamkeit sowie von möglichen Perspektiven des Heinrich-Heine-Instituts der Landeshauptstadt Düsseldorf die Rede sein, das – und dies ist dem Namen nicht ohne weiteres zu entnehmen, klang aber bereits durch das oben angedeutete sehr weit gefächerte Engagement an – als Neuere Handschriftenabteilung der ehemaligen Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf seit 1970 deren auf die Dichter, Musiker, Künstler, Wissenschaftler und überhaupt auf eine Kultur der Region bezogene Aufgaben in erweitertem Umfang fortsetzt, während die sonstigen Buchbestände und mittelalterlichen Handschriften wie Frühdrucke der zwei Jahrhunderte früher, sogar spätestens 1770 vom Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, Herzog von Jülich, Kleve und Berg (1742-1799) begründeten alten Bibliothek zur selben Zeit als Dauerleihgabe an die damals gerade ins Leben gerufene, heutige Universitäts- und Landesbibliothek der Heinrich-Heine-Universität, die 1965 aus einer Medizinischen Akademie entstand, damit also an das Land Nordrhein-Westfalen übertragen wurden. Somit ist also nur bedingt von einem einzigen Dichter und seinem Haus die Rede, sondern eher von einem ganzen Konglomerat, das aus der Düsseldorfer und einer die Stadt umgebenden Kulturgeschichte hervorgegangen ist. Mit dieser Historie will allerdings die Landeshauptstadt Düsseldorf, die sich immer wieder als ausgesprochen junge und unverstaubte Metropole verstand, dem ersten Anschein nach nur bedingt einige Fäden der Identifikation suchen und finden. Mode und Werbung, Jugendkult und glamouröse Einkaufsmöglichkeiten lassen sich offenbar nur schwer mit dem Begriff Archiv und Geschichte kombinieren, auch wenn sich immer wieder überraschende Konversionen verzeichnen lassen.


Die Nachlässe, Teilnachlässe und Sammlungen aus dem durchaus feinen Hades (das Wort Unterwelt könnte zu doppeldeutig sein!) einer noblen Vergangenheit wie Umgebung halten im Magazin des Heinrich-Heine-Instituts gewissermaßen ein Geistergespräch mit immer auch rheinischen Bezügen, wenn auch mancherlei Abschweifungen, jedoch zumeist in freundschaftlich-familiärem Grundton. Meine eigenen variierten Darstellungen zum Heine-Institut aus einem ganzen Vierteljahrhundert sind zum wenigsten immer gezwungen gewesen, ständige Veränderungen aufzunehmen, die zumeist Verbesserungen oder Erweiterungen betreffen, auch wenn die Zustände längst noch nicht so sind, wie ich sie mir für das Heinrich-Heine-Institut, seine Bestände und Benutzung sowie für das Andenken an den Dichter als optimal vorstellen würde. Da haben, ich muss es neidlos zugeben, andere Literaturarchive oder Literaturmuseen und Dichterhäuser oder sonstige kulturelle Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland längst vorbildlichere Verhältnisse erreicht, denen gerade unter den speziellen deutschen Umständen mit ihren je verschiedenen Schwerpunkten in den Bundesländern und der jeweiligen Anbindung an historisch bedingte Traditionen von gewachsenen Regionen nachzueifern sich lohnt. In diesem Kontext möchte ich gerne noch einmal, wie auf einer Loccumer Tagung über Literaturarchive und Literaturmuseen von 1999, für einen ,gestaffelten Zentralismus‘ plädieren, der sich auf die bereits vorhandenen Möglichkeiten des Tradierens und Vermittelns besinnt und eine Einheit des gesamten Erscheinungsbildes von Literaturarchiven und Literaturmuseen in der Bundesrepublik Deutschland gerade in ihrer dringend erforderlichen präsentablen und öffentlichkeitswirksamen Vielfalt anerkennt.


Dennoch vermögen wir wenigstens im Falle Heines, dessen Andenken unter allen Düsseldorfer Namen das umstrittenste und schwierigste war, dabei gleichzeitig die größte Aufmerksamkeit verdiente und aus vielen naheliegenden Gründen nach wie vor verdient, auch von seinem Geburtshaus als von einer vorläufigen Gedenkstätte zu berichten, da das Haus nunmehr seit dem Jahre 1990 aufgrund der Erwerbung durch die Stadt Düsseldorf und, auf Antrag der Heinrich-Heine-Gesellschaft, durch die Nordrhein-Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege endlich der Öffentlichkeit gehört. Dieses Haus in der Bolkerstraße 53, wo die Familie bei entfernten Verwandten der Mutter zur Miete wohnte und wo der Dichter und seine Geschwister geboren wurden: Heinrich Heine wahrscheinlich im Jahre 1797, während seine Schwester Charlotte, später verheiratete Embden in Hamburg, und die beiden Brüder Gustav, später zum Freiherrn geadelter Zeitungsbesitzer in Wien, und Maximilian, später geadelter Hofarzt in St. Petersburg, in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts folgten, - dieses Haus und das damit gekoppelte Grundstück haben trotz mancher Veränderungen durch bauliche Eingriffe und aufgrund von Kriegsfolgen trotzdem wenigstens einige reale Spuren aus der Heine-Zeit vom Ende des 18. Jahrhunderts im Übergang zu den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bewahren können, während das der Heine-Familie gehörende gegenüberliegende Haus Bolkerstraße 42, das sie von 1809 bis 1820 bewohnt hat, ein Opfer des 2. Weltkrieges geworden ist, so dass heute ein kompletter Neubau an dessen Stelle steht.


Heine selbst hatte in seiner frühen autobiographischen Schrift Ideen. Das Buch Le Grand über seine rheinische Herkunft berichtet und über die zukünftige Gedenkkultur zumal seines Geburtsortes ironisch prophezeit, das Haus werde einmal sehr merkwürdig sein.Den Doppelsinn der langen Auseinandersetzung um die bleibende Präsenz in seiner Geburtsstadt vermochte der Dichter 1826 nicht zu ahnen. Das typische Altstadthaus besaß ein Vorder- und Hinterhaus mit einem kleinen Gärtchen und blieb während und nach dem Aufenthalt der Heine-Familie in Düsseldorf im Besitz der entfernten Verwandten von Heines Mutter Betty van Geldern, deren jüdische Vorfahren seit mehreren Generationen in der kleinen Residenzstadt am Rhein eine wichtige Rolle spielten: als Hoffaktoren und Obervorgänger der bergischen Judenschaft, als Judendoktoren und Geschäftsleute.


Die Verwandten trennten sich von dem Haus allerdings bereits vor Mitte vorletzten Jahrhunderts und bildeten selbst das Modell für den Aufstieg einer Bankiersfamilie mit Gründerfunktionen im nahen Ruhrgebiet. Man zog von der Bolkerstraße im Herzen der Altstadt zum Schwanenmarkt am Ende der Karlstadt hin zur Königsallee. Die jüdisch gebliebene Familie und ihr Bankhaus Bernh. Simon u. Co. gingen durch den Nationalsozialismus unter. Immer begegnen in der Beschreibung der Heineschen Wirkungsgeschichte selbst in ihrer überschaubaren Düsseldorfer Form und trotz ihrer manchmal überwältigenden positiven Fülle die fatalen Folgen von Ausgrenzung und Vernichtung. – Doch zurück zum Geburtshaus Heinrich Heines! Später fungierte es gar als Geschäftshaus für eine Metzgerei, seit Anfang letzten Jahrhunderts als Bäckerei. Der letzte Eigentümer bot das Haus schließlich Ende der 1980er Jahre der Öffentlichkeit an, weil er es bereits längere Zeit vor dem Verkauf selber nicht mehr als Bäckerei betreiben konnte und statt einer anonymen, auf die Altstadt (mit ihrer sogenannten längsten Theke der Welt) zugeschnittenen Gastronomie ein gezielteres Heine-Andenken befürwortete, zumal von seiner Familie bereits vor dem Dritten Reich ein privates Heine-Zimmer als Museum eingerichtet worden war, das dann der politischen Realität geopfert und aufgegeben werden musste. Heute befinden sich im Hause ein Literaturcafé namens "Schnabelewopski", benannt nach dem Protagonisten aus Heines Fragment eines Schelmenromans mit dem Titel Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski, in dem auch die Heinrich-Heine-Gesellschaft und das Heinrich-Heine-Institut in regelmäßigen Abständen eigene literarische Veranstaltungen durchführen. Weiterhin sind dort das Literaturbüro Nordrhein-Westfalen untergebracht und die Heinrich-Heine-Gesellschaft präsent. Somit geschieht im Heine-Geburtshaus lebendige literarische Arbeit. Weitergehende Pläne, was eine museale Nutzung, eventuell kombiniert mit Bedürfnissen von Buchhandlung und literarischen Austauschmöglichkeiten angeht, mussten aufgrund der schwierigen Finanzlage zum Zeitpunkt des Erwerbs erst einmal auf Eis gelegt werden und werden jetzt wieder debattiert. Schließlich hatte auch das Heinrich-Heine-Institut an der Bilker Straße, das dort zuerst Ende 1974 das Patrizierhaus Nr. 14 übernahm und Ende 1988, dem Jahr des 700-jährigen Stadtjubiläums, das Nachbarhaus Nr. 12, das vorher vom Dumont-Lindemann-Archiv genutzt worden war, vor allem für seine Ausstellungstätigkeit dazu bekam, immer auch die Funktion einer Gedenkstätte im originalen Umfeld der Heine-Zeit wahrgenommen: in enger Nachbarschaft zu Heines ehemaliger Schule neben der Maxkirche und dem 1981 eingeweihten Heine-Monument von Bert Gerresheim am Schwanenmarkt sowie der Schumann-Wohnung Bilker Straße 15. Erfreulich ist, dass neben dem Heine-Geburtshaus inzwischen auch das kleine Haus seines Großvaters und Onkels in der Mertensgasse, wo der Dichter als Junge in der Hinterlassenschaft seines Großonkels Simon van Geldern kramte, für öffiziösere Belange bereitsteht. 1997 hat der Heimatverein Düsseldorfer Jonges, dessen Gründer im Jahre 1932 der Besitzer des Heine-Geburtshauses gewesen war, das Haus als Archiv- und Vereinshaus erworben.


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