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Brief von Peter Hille an Wilhelm Schäfer

Faksimile, Transkription und Kommentar

Der Dichter Peter Hille (1854-1904) stammte aus Westfalen (Erwitzen, Nieheim), lebte seit den 1880er Jahren aber in Berlin. Der Erforschung seines Lebens und Werks widmet sich die neue Peter-Hille-Forschungsstelle der Literaturkommission für Westfalen und der Universität Paderborn.

Hille3.jpg

Transkription:

Berlin N.
ChausseestraĂźe 95
II. Hof 3. Tr.


Lieber Freund!
Ihr Mangold, Uhrmacher der Seele Sie, wie trefflich er spielt in der berückenden Vortrefflichkeit all’ der Mordinstrumente!
Hier einige Aphorismen und die benachbarten Szenen „Religions-Gespräch“ und „Westfalengeist“ aus Sohn des Platonikers für Rheinlande.
Wollen Sie es ihrem hohen Rate unterbreiten, dankenswerter Schönster-Versteher, berufener Kunstwart Sie?
Viele Grüße an Frau Elisabeth und das fröhliche Gesundheitszellen Gebäude. Bei Heller und Renner ist am 8. Dezember Reform...
Echter DichtergruĂź!
Peter Hille


auf der RĂĽckseite
Ob ich eine Jahreseinahme von 600 M erzielen werde?
Bis nun sind es 538 M 50 gegen 444 M im Vorjahre.
Mehrere Dramen zurückgewiesen oder schon lange liegend. Deshalb: vorwärts!
Westfalus est sind pi, sine pu, sine con, sine veri!


Kommentar


Ăśberlieferung

Handschrift in Rheinischen Literaturarchiv, Heine-Institut DĂĽsseldorf


Datum

Durch den Ort der Abfassung, die Chausseestraße, in der Hille von Herbst 1902 bis Frühjahr 1903 wohnte (bevor er im Mai 1903 in die „Neue Gemeinschaft“ der Brüder Hart umzog) sowie die Art und Weise, wie Hille seine schriftstellerischen Einkünfte bilanziert, ergibt sich der Abfassungzeitraum Herbst 1902.


Erläuterungen

Die Bekanntschaft Hille-Wilhelm Schäfer fiel in den Zeitraum Juni 1898 bis Februar 1900, als Schäfer – damals als Anzeigentexter – in Niederschönhausen bei Berlin lebte und im selben Freundeskreis wie Hille verkehrte. In Schäfers „Erzählende Schriften“ 1918 erwähnt er, dass er „noch aus Berlin in einer freundschaftlichen Beziehung“ zu Hille stand und dass man sich später in Köln wiedergesehen habe. In „Lebensabriss“, zehn Jahre später, erzählt er über seine Berliner Zeit: „Ich wohnte draußen in Niederschönhausen in einem Nachbardreieck mit Dehmel und Paul Scheerbart, das sich in täglichen Gängen durch den märkischen Sand und mit gelegentlichen Trinkfeiern betätigte; vom literarischen Leben der Reichshauptstadt waren die Nächte im ‚Schwarzen Ferkel’ ziemlich das einzige, was mir näher kam, als ihr Herold erschien gelegentlich nur der Weltwanderer Peter Hille, der damals seinen Prophetenbart noch unberührt vom Lärm seiner Cabaret-Gemeinde in unsere Abgeschiedenheit trug“. In „Rechenschaft“ (1948) findet sich der Hinweis: „Einzig Peter Hille kam manchmal zu mir heraus. Er hatte Hunger und große Pläne, meist mit einer Zeitschrift, für die er Geldgeber suchte.“
1900 übernahm Schäfer die Herausgabe der Zeitschrift „Rheinlande“, in der in der Folgezeit mehrere Texte Hilles erschienen, zunächst im September 1902 „Am Ende. Skizze“, dann, April-September 1903, die im Brief erwähnten zwei Szenen aus Hilles Erziehungsdrama “Des Platonikers Sohn” sowie postum in der Ausgabe Juli-Dezember 1905 „Vom Podium aus. Konzertskizze von Peter Hille, mitgeteilt von Ludwig Schröder, Iserlohn“.
Der angesprochene Abdruck der beiden Szenen aus „Des Platonikers Sohn“ (1896) ist eingebettet in eine geradezu hymnische Vorstellung Hilles durch Schäfer. Darin heißt es unter anderem: „Ich wüßte keinen Lebenden von gleich genialischer Anlage zu nennen, nicht zum wenigsten auch in dem Sinn, daß er vor lauter Einsicht hilflos darin steht... Von seinem Leben weiß eigentlich keiner mehr, als daß er lebt wie eine Blume auf dem Felde. Irgendwo taucht er auf mit dem gütigen Gesicht und den wundervoll schlanken Händen, ein Wesen, fast wie jener Pilger in dem Gorkischen Drama, nur nicht evangelistisch predigend wie dieser, sondern, wo er auch sei, beglückt von der Welt und in einem ungetrübten Zustand inneren Genießens; nicht beunruhigt durch das moderne Leben, ein Sohn der Großstadt und ein Kind seiner westfälischen Wälder zugleich.“ Im weiteren Verlauf des Intros bezeichnet Schäfer Hille als einen „Heiligen mit moderner Bildung, ein Denker, der alles durchdacht hat, was an Neuem auf uns eingebrochen ist, in dem die kühnsten Zukunftsträume ihre Wolkenberge bauen, ein Gelehrter sondergleichen an historischem Wissen und ein Trunkener in der Sicherheit seines Gefühls: ein Mann, der nicht weiß, wohin er sein Haupt am Abend hinlegt und der alle Königreiche der Welt mit gütiger Hand verschenkt.“
Anlässlich Hilles Tod veröffentlichte Schäfer, wiederum in den „Rheinlanden“, einen Nachruf auf Hille. Darüber hinaus kolportierte er Hille-Anekdoten. Besonders bekannt und später von Tucholsky aufgegriffen, war die Anekdote „Der fremde Hund“, die Schäfer 1914 in den „Rheinladen“ und im selben Jahr in einem 5-seitigen Sonderdruck veröffentlichte. 1939 erschien dann, Schäfer entpuppt sich als geschickter Mehrfachverwerter, in der Kölnischen Zeitung „Peter Hille. Anekdoten von Wilhelm Schäfer“. 1940 fanden die Anekdoten Eingang in Schäfers „Hundert Histörschen“.
Das Schreiben eröffnet einen Blick auf das noch unbekannte Verhältnis Hilles zum Rheinland. Hille hielt sich nachweislich mehrfach in Köln auf, vorrangig mit dem Ziel, dort Verlagskontakte zu knüpfen. So im Oktober 1884, als er nach einem längeren Aufenthalt in London und Amsterdam mittellos nach Münster zurückkehrte. Ein zweiter Besuch ist für 1890 nachweisbar, als Hille, wiederum mittellos, auf der Rückreise von Rom in Köln Station einlegte. Im folgenden Jahr versuchte er über seinen Iserlohner Bekannten Wilhelm Schröder einen Rezensenten für „Des Platonikers Sohn“ bei der Kölnischen Zeitung zu gewinnen. 1901 erkundigt er sich, wiederum bei Schröder, ob in der „Kölnischen Zeitung“ ein Beitrag über ihn erschienen sei – ein entsprechender Artikel ist leider nicht nachweisbar.
Im Februar des Folgejahres hielt sich Hille in Köln auf, um am Karneval teilzunehmen und darüber in der „Lippischen Landeszeitung“ zu berichten. Eine trinkfreudige Rheinreise ist für 1902 nachweisbar, im Herbst des Jahres besuchte er in Köln den Verleger Schaffstein, der – nach einem vollmundigem Bekenntnis Hilles, dem man nicht unbedingt Glauben schenken muss – von ihm angetan und bereit gewesen sein soll, einen Vorschuss auf zukünftige Beiträge Hilles zu zahlen – die Spur verliert sich auch hier im Sande. Einen weiteren Anknüpfungspunkt bietet ein anderes bislang nicht bekanntes Schreiben Hilles an einen unbekannten Absender vom 6. Dezember 1899: Hille schreibt darin: „Es ist mir eine Stelle als Opern-Kritiker zugesagt bei der Köln. Volkszeitung – aber wie lange das dauert! Wenn Sie Ihren Einfluß etwas regen wollten, als Theater-, Kunst-, Musikkritiker sowie in Buchbesprechungen würde ich mich bemühen.“ Auch hieraus wurde bekanntlich nichts. Die Rheinreise 1902 wird auch in Else Lasker-Schülers „Das Peter-Hille-Buch“ von 1906 kurz gestreift.
Zwei weitere Schreiben Hilles an Schäfer aus dem „Rheinischen Literaturarchiv“, für deren Mitteilung Bernd Kortländer herzlich gedankt sei, sind ganz anderer Natur. In ihrer Gesamtheit dokumentieren die Briefe schon durch ihre Anredeformel den Verlauf der Beziehung und späteren Freundschaft. Eine Transkription und Erläuterung wird zur Zeit in der Hille-Forschungsstelle (Literaturkommission für Westfalen / Universität Paderborn) vorbereitet.

Walter Gödden