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FĂŒr einen MitmĂ€rtyrer in DĂŒsseldorf. Eine Widmung Herbert Eulenbergs an Arthur Schlossmann

Von Karoline Riener

Dass Eulenberg Schlossmann gerade MÀchtiger als der Tod aus seiner sehr produktiven LiteraturtÀtigkeit als Widmungsexemplar dargebracht hat, erklÀrt sich wohl aus dem darin behandelten Problemkomplex der Sterbehilfe.
Eulenbergs Bestreben, sozial- und gesellschaftspolitisch aktuelle Debatten literarisch aufzuarbeiten und sie gleichzeitig – bei allen bekannten, hier nicht zu berĂŒcksichtigenden SchwĂ€chen in der sprachlichen Umsetzung und Figurenzeichnung – mit einem utopisch-menschheitsverĂ€ndernden Gehalt zu versehen, findet sich hĂ€ufiger in seinem Werk.

Im Jahr 1910 hatte er zunĂ€chst anonym eine Schrift mit dem Titel Das keimende Leben(9) veröffentlicht, die sich mit dem Problemkomplex der Abtreibung und dessen juristischer Behandlung befasste – ein Thema, dass im Kontext der Frauenbewegung und den Forderungen nach Gleichberechtigung seit Beginn des Jahrhunderts zunehmend an AktualitĂ€t gewann. Diese fiktiven Memoiren eines plötzlich durch eigene Hand gestorbenen angesehenen jĂŒdischen Rechtsanwaltes, der zum Pflichtverteidiger einer illegale Abtreibungen vornehmenden Frau bestimmt wird, ist in der Hauptsache ein leidenschaftliches PlĂ€doyer fĂŒr die weibliche Emanzipation und die Selbstbestimmung ĂŒber den eigenen Körper und gleichzeitig das Symbol fĂŒr das Scheitern des idealistischen Individuums an dem UnverstĂ€ndnis der Menge – ein beliebter Topos in Eulenbergschen Werken. Der Selbstmord erscheint hierbei als die Konsequenz aus dem gescheiterten BemĂŒhen, ausgehend von einem radikalen Vernuftspostulat, das die Seele eines Kindes, „im Hodensack des Mannes“ und im „Eierstock des Weibes“(10) verortet, eine gesellschaftliche BewusstseinsverĂ€nderung herbeizufĂŒhren, die Heuchelei der Masse in der Fragen der Abtreibung durch eine vernunftbestimmte, individualistisch-philantropisch bestimmte Sichtweise zu ersetzen. So stirbt der Anwalt als ein an der „Menschheit krank“ gewordenes Individuum. (11)

Das 1921 veröffentlichte StĂŒck MĂ€chtiger als der Tod ist sicherlich nicht zufĂ€llig im selben Jahr publiziert, in dem der „Deutsche Monistenbund“ an den Reichstag, den Reichsrat und die Reichsregierung eine Eingabe richtete, dem § 216 des Strafgesetzbuches einen Absatz hinzuzufĂŒgen, der die „Tötung auf Verlangen“ unter gewissen UmstĂ€nden straflos lassen sollte. (12)
Dieses „Leiden- und Freudenspiel“ um einen Gelehrten, der seiner unheilbar erkrankten Frau auf eigenen Wunsch ein tödlich wirkendes Gift verabreicht, sowohl die Vertuschung seiner Tat als auch die „Vermarktung“ derselben durch den „Verein fĂŒr Euthanasie“ ablehnt und schlussendlich mithilfe eines durch den ehemaligen behandelnden Arzt seiner Frau ĂŒbergebenen Giftes Selbstmord begeht, zeigt in mehrerer Hinsicht Eulenbergs Monismus-Rezeption: Zum Einen kann es als literarischer Beitrag zur intensiven BeschĂ€ftigung der Mitglieder des „Deutschen Monistenbundes“ mit dem Thema Euthanasie vor allem in ihrem publizistischen Sprachrohr „Das monistische Jahrhundert“ gelten. (13)
Zum Anderen erfĂŒllt Eulenberg damit eine von ihm selbst gestellte Forderung an die Dichter der Gegenwart, in ihren Werken „festes, gerades, monistisches Empfinden“ (14) zum Ausdruck zu bringen. Eulenberg, wahrscheinlich durch die Vermittlung seiner Frau Hedda mit monistischem Gedankengut in BerĂŒhrung gekommen, rezipierte innerhalb dieser Bewegung, deren Intention die Installierung einer auf einem wissenschaftlich fundierten RationalitĂ€tspostulat fußenden Weltdeutung und die VerdrĂ€ngung des traditionell-klerikalen Einflusses auf Gesellschaft und Staat war, vor allem die kultur- und gesellschaftspolitischen Implikationen.

So betrafen die sozial- und gesellschaftsreformerischen Ambitionen des „Monistenbundes“ Fragen der Verbesserung des Mutterschutzes, der Schulreform, aber auch der Euthanasie und Eugenik. Ebenso wie seine Frau Hedda war Herbert Eulenberg Mitglied im „Frauenbund fĂŒr Mutterschutz und Sexualreform“, der schon bald mit dem „Monistenbund“ zusammenarbeitete. Auch engagierte sich Eulenberg fĂŒr die Durchsetzung einer monistischen Ritual- und Festkultur, die er – sozusagen in der Nachfolge Hermann Hesses – in seiner Rede vor dem „Kölner Monistenbund“ gefordert hatte – seine AffinitĂ€t fĂŒr solche ersatzreligiösen Inszenierungen, hatte sich schon frĂŒh in seinen „Morgenfeiern“ im DĂŒsseldorfer Schauspielhaus gezeigt.
Doch am wichtigsten war fĂŒr Eulenberg vielleicht die vollstĂ€ndige Ersetzung jeglicher transzendenten Weltdeutung, von ihm selbst auf die Formel: ‚Monismus=Gottlosigkeit‘ (15) gebracht.
So ist auch das Drama MĂ€chtiger als der Tod – wie schon im Titel angedeutet – eine Anlehnung an die christliche Heilsgeschichte, deren eschatologischer Gehalt jedoch verworfen wird.
Die Hauptfigur des Gelehrten Faber – schon durch seine vielen Anspielungen auf Kreuzestod und Menschheitserlösung eine der zahlreichen Christusfiguren in Eulenbergs Werk (16) scheint als VerkĂŒnder umfassenden Mitleids- und Liebesbotschaft, seine Sterbehilfe ein emphatisch-humanitĂ€rer Akt. Der Freitod Fabers ist – in Anlehnung an das urchristliche MĂ€rtyrertum – ein Opfertod fĂŒr seinen „neuen Glauben“ (17), bei ihm die utopische Hoffnung auf eine gegenseitige Menschenliebe, die nicht mehr aus der Jenseitserwartung gespeist wird.


Obwohl Arthur Schlossmann sicherlich sowohl mit dem Problem der Euthanasie, als auch dem der Abtreibung konfrontiert worden ist – als Abgeordneter der DDP im Reichstag war er fĂŒr bevölkerungspolitische Fragen zustĂ€ndig – fand sich bislang keinerlei publizistischer Beitrag von ihm dazu. Die Verbindung zwischen Eulenberg und Schlossmann ist vor allem in der Ähnlichkeit einer allgemeinen „freigeistigen“ Geisteshaltung zu suchen, die unter dem Eindruck einer schon lange virulenten Religionskrise im wilhelminischen Deutschland verschiedene Gruppierungen einer die gesellschaftspolitische Modernisierung verfechtenden bildungsbĂŒrgerlichen Opposition hervorbrachte (18); zu diesen Gruppierungen gehörte sowohl der „Monistenbund“, als auch die verschiedenen GrĂŒndungen Friedrich Naumanns, zu dessen AnhĂ€ngern das Ehepaar Schlossmann zĂ€hlte. So kommt es, dass Schlossmann und Eulenberg sich mit Fragen des Frauenrechtes und des Mutterschutzes auseinandersetzten, Schlossmann jedoch seine sozialreformerischen Ambitionen – Friedrich Naumanns eher politischen Stoßrichtung seiner freigeistigen Bewegung gemĂ€ĂŸ – in konkret parteipolitischer Arbeit verfolgte.

Was nun die eingangs gestellte Frage nach der Vernetzung DĂŒsseldorfer Intellektueller betrifft: Ein Beispiel fĂŒr eine Zusammenarbeit kultureller und politischer ReprĂ€sentanten der Stadt DĂŒsseldorf ĂŒber alle Differenzen hinweg zeigt sich in einer gemeinschaftlichen Aktion ausgerechnet fĂŒr den Dichter, der seit seinen Lebzeiten fĂŒr besonders heftige Kontroversen ĂŒber sich und sein Werk gesorgt hatte: in der Denkmalsinitiative fĂŒr Heinrich Heine gegen Ende der zwanziger Jahre; dem Ortsausschuss DĂŒsseldorf gehörten u.a. Herbert Eulenberg, Hanns Heinz Ewers, Arthur Schlossmann, Robert Lehr und Ernst Poensgen an.

Die MachtĂŒbernahme der Nationalsozialisten machte dieses Vorhaben zunichte, ĂŒbrigens ebenso wie der kurz nach Schlossmanns Tod im Jahr 1932 aufgekommene Plan, ihm ein Denkmal auf dem GelĂ€nde der heutigen Uniklinik zu setzen.

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