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Kerstin Glasow: Hermann Hesse und die Kulturzeitschrift »Die Rheinlande«

Hesse und das Rheinland

Aus dem Katalog: "Beiden Rheinufern angehörig". Hermann Hesse und das Rheinland (hrsg. v. Sabine Brenner, Kerstin Glasow und Bernd Kortländer), Düsseldorf 2002 (Reihe: Ausstellungskataloge des Heinrich-Heine-Instituts, hrsg v. Joseph A. Kruse) - vgl. dort: alle Fußnoten und Quellenangaben, die hier aus technischen Gründen entfallen!)

Als Autor der »Rheinlande« und als Mitglied des »Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein« hatte Hesse über die persönlichen Beziehungen zu Autoren und Künstlern der Rheinregion hinaus auch Kontakte zu Institutionen, die sich der Förderung der »rheinischen« Kultur verpflichteten.

Die Zeitschrift »Die Rheinlande« erschien von 1900 bis 1922 und vertrat als Kunst- und Literaturzeitschrift eine regionale Kulturkonzeption. Dabei wird ein erweitertes Verständnis des ›rheinischen‹ Gebietes zugrunde gelegt, das länderübergreifend auch Gegenden im Elsaß, in der Schweiz und in den Niederlanden einschließt. Das ›Rheinland‹ umfaßt nach dieser Definition also nicht nur die preußische Rheinprovinz, sondern alle anliegenden Gebiete von der Quelle bis zur Flußmündung, so daß nach diesem Verständnis auch Hermann Hesse, der von 1904 bis 1912 am Bodensee lebte, in den der Rhein mündet und als Hochrhein wieder hinausfließt, ein ›Rheinländer‹ war.

Das Ziel der Zeitschrift war die Förderung einer ›rheinischen‹ Kultur, wodurch eine Stärkung gegenüber der kulturellen Übermacht Berlins erreicht werden sollte. Ursprünglich als Werbeblatt zur Stärkung des Düsseldorfer Kunstmarktes und zur Förderung des kulturellen Selbstbewußtseins der Region gegründet, entwickelte sich die Zeitschrift unter der Leitung Wilhelm Schäfers zu einem wichtigen Organ, das die kulturellen Dimensionen der Zeit zwischen 1900 und 1922 widerspiegelte. Inhaltlich umfassen die Beiträge die Gebiete Literatur, Theater, bildende Kunst, Architektur, Kunstgewerbe und Musik. Durch diese breite Themenstreuung und die abgedruckten Bilder, den Buchschmuck und die Notenbeilagen erfuhr die Zeitschrift eine breite Resonanz und diente so als Identifikationsmuster für das kollektive Bewußtsein der ›rheinischen‹ Region.

Im Jahre 1904 wurde »Die Rheinlande« zum Publikationsorgan des im Dezember 1903 von Schäfer initiierten »Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein«, dessen Geschäftsführer er bis zur Auflösung im Jahr 1922 war. Der nach der Gründung bereits aus 2.000 Mitgliedern bestehende Verband, der sich vor allem aus Adligen, Industriellen und Künstlern zusammensetzte, verstand es als sein vorrangiges Ziel, Autoren und bildende Künstler durch Preise und die Veröffentlichung literarischer Werke als Verbandsgabe zu fördern.

Nach außen trat der Verband nicht nur durch die Zeitschrift, sondern auch mit jährlichen Ausstellungen und Künstlerfesten in Erscheinung, an denen auch Hermann Hesse teilnahm. Als Mitglied besuchte er unter anderem im Jahr 1905 die Generalversammlung des Verbandes in Koblenz. Dort zelebrierten die Mitglieder sich selbst und ihr kulturelles Engagement mit einem pompösen Frühlingsfest. Über diese Veranstaltung berichtete Hesse anschließend unter dem Titel »Ein rheinisches Künstlerfest« in der »Neuen Zürcher Zeitung«. In seinem Artikel bezeichnet Hesse den Verband als »große und für das deutsche Kunstleben unabsehbar wichtige Unternehmung« und prophezeit eine davon ausgehende »mächtig befreiende Wirkung auf unser Kunstleben« . Wie die Gründer der Vereinigung verstand auch Hesse den »Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein« als »Gegengewicht gegen das leidige Berlinertum« . Über diese Mitgliedschaft hinaus gewann Schäfer Hesse auch als literarischen Berater bei der Auswahl der Autoren für die vom Verband veröffentlichten Jahresgaben.

Zwischen 1904 bis 1916 war Hesse mit Artikeln in der »Rheinlande« vertreten und in diesem Zeitraum – abgesehen von Schäfer selbst – der meistgedruckte Autor der Zeitschrift. Insgesamt erschienen 53 Beiträge von Hesse; pro Jahr stellte er dem Herausgeber Schäfer vier bis sechs Erzählungen und Gedichte als Erst- oder Nachdruck, Buchrezensionen und Skizzen zur Verfügung. Darüber hinaus beriet er Schäfer auf Nachfrage auch inhaltlich und stellte den Kontakt zu anderen Autoren her.

Der Beginn von Hesses Mitarbeit an der Zeitschrift resultierte aus einer Anfrage Schäfers, der brieflich den Kontakt initiierte. Die in dem ersten erhaltenen Schreiben Schäfers an Hesse erwähnte »venetianische Geschichte«, die Novelle »Donna Margherita und der Zwerg Filippo«, wurde in gekürzter Fassung im siebten Band der »Rheinlande« als erster Text Hesses in dieser Zeitschrift veröffentlicht. In den folgenden Jahren war Hesse regelmäßig mit kurzen Erzählungen und sogar mit einem Auszug aus seinem »Peter Camenzind« vertreten. Verstärkt publizierte er in den Jahr 1907 und 1908, wo seine Texte in jedem zweiten Heft der monatlich erscheinenden Zeitschrift abgedruckt wurden. Dabei handelt es sich meist um kurze Erzählungen und Buchbesprechungen, die bis zu drei Seiten umfassen, aber auch um längere Erzählungen Hesses wie z. B. »Meine Kindheit«, die in der folgenden Ausgabe der »Rheinlande« mit »Meine Schulzeit« fortgesetzt wurde (»Die Rheinlande«, 13/1907, H. 1 und 2).

Schäfer, der Hesses Texte und seine Sprache in Rezensionen immer wieder lobend hervorhob, betonte auch gegenüber dem Freund die Bedeutung, die Hesses Mitwirken an der Zeitschrift für ihn als Herausgeber habe: »[I]ch kann Sie für unser erstes Heft nicht entbehren; darin muß etwas von Ihnen sein.« Hesse ließ sich von Schäfer zu Themen anregen, die er dann in der Zeitschrift umsetzte. So folgte er Schäfers Bitte, obwohl er behauptet, er »mache doch nichts mehr auf Bestellung« , Beiträge zum Briefwechsel zwischen Theodor Storm und Gottfried Keller und über die Ausgabe von Goethes Briefen zu verfassen, die beide im Jahr 1904 in der »Rheinlande« erschienen.

Zwischen dem Autor Hesse und dem Verlag Fischer und Franke, der »Die Rheinlande« herausgab, kam es offensichtlich zu Auseinandersetzungen. Hesse hatte in einem »nicht ganz artigen Brief« gedroht, den Verlag zu diskreditieren, sollte ihm nicht ein kostenloses Belegexemplar der Hefte überlassen werden, in denen seine Texte abgedruckt worden waren.
Schäfer schätzte Hesse sehr als Autor, verstand es jedoch auch, diesen für seine Zeitschrift zu verpflichten, indem er fordernd immer wieder nach Beiträgen verlangte. War Hesse nicht bereit, den Aufforderungen nachzukommen, folgte eine Ermahnung Schäfers: »Aber bitte seien Sie nicht gar zu eigensinnig faul. Denken Sie, daß ich Tags für andere schufte und abends und Nachts für mich die Stunden stehle [...].« Im April 1910 fühlte Hesse sich so sehr von Schäfers Drängen unter Druck gesetzt, daß er ihm in einem Brief vorwarf:

»Schade daß Sie mir nicht glauben und mich dauernd für einen ganz anderen Mann halten als ich bin. Ich kann tatsächlich nicht leicht und froh produzieren, sondern bin müde und habe Mühe mit jeder Kleinigkeit. [...] und vo[n] meinen Freunden hilf keiner auch nur mit einem Wort oder einer Schonung, sondern jeder will nur Arbeit und Hilfe von mir haben [...] und wenn ich trotz Frau und Kindern einmal meinen alten Lieblingsplan ausführe und mich erschieße, so habt Ihr Freunde redlich zum Entschluß beigetragen.«

Hesse reagierte auf die Mahnungen Schäfers auch mehrmals mit dem Hinweis auf seine schlechten Konditionen bei der »Rheinlande«. So betont er in einem Brief: »Freilich ist mir die Mitarbeit bei Ihnen, da ich anderwärts im Honorar stark gestiegen bin, ein mehr ideales Vergnügen geworden [...].« Offenbar sank während der Jahre Hesses Honorar »bis auf die Hälfte des Einstigen« , wie er 1912 anmerkte.
Ungeachtet der geschäftlichen Konflikte fühlte sich Hesse dem Redakteur der »Rheinlande« verpflichtet und stellte ihm trotz der geringeren Bezahlung Texte wie die Novelle »Novembernacht« zu Verfügung: »Beim März würde es mehr tragen, aber ich möchte nicht bei Ihnen ganz untreu werden, umsomehr da ich sonst zur Zeit Ihnen nichts zum Drucken habe.«

Obwohl Schäfer Hesse immer wieder auffordert, ihm Beiträge zu senden, lehnte er auch Texte mit der Begründung ab, »ich möchte meinen Lesern sagen, wer Hesse ist, und das kann ich mit und neben diesem Stück nicht.« Schäfer hatte also eine bestimmte Vorstellung von Hesses Schreibweise und den Themenkreise, die er verarbeitete, und legte Hesse in seiner Zeitschrift auf dieses unveränderliche Image fest. Diese Reduzierung Hesses, die keine anderen Facetten des Autors als die zuvor festgelegten zuließ, findet ihren Ausdruck auch im Abruch der Zusammenarbeit während des Ersten Weltkriegs. Im Jahr 1916 riß Hesses Mitarbeit abrupt ab als die politischen Ansichten Hesses, der sich zum Pazifismus bekannte, und die ideologische Ausrichtung der konservativ-deutschtümelnden »Rheinlande« mit einer bedenklichen Vorstellung von Deutschtum und Volk zu offensichtlich divergierten.