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Kerstin Glasow: »im spitzen Winkel gegeneinander denken«

Der Briefwechsel zwischen Hesse und Wilhelm Schäfer

Aus dem Katalog: "Beiden Rheinufern angehörig". Hermann Hesse und das Rheinland (hrsg. v. Sabine Brenner, Kerstin Glasow und Bernd Kortländer), Düsseldorf 2002 (Reihe: Ausstellungskataloge des Heinrich-Heine-Instituts, hrsg v. Joseph A. Kruse) - vgl. dort: alle Fußnoten und Quellenangaben, die hier aus technischen Gründen entfallen!)

Mit dem Briefwechsel zwischen Hermann Hesse und Wilhelm Schäfer liegt die Korrespondenz von zwei bedeutenden Persönlichkeiten des literarisch-kulturellen Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Schäfer war eine der wichtigsten Bezugspersonen Hesses im Rheinland. Ihm gelang es aufgrund seiner persönlichen Verbindung mit Hesse, diesen durch die Mitgliedschaft in »rheinischen« Verbänden, die Mitwirkung an der Kulturzeitschrift »Die Rheinlande«, durch Lesereisen und persönliche Einladungen zumindest zeitweise in das Kulturleben im Rheinland zu integrieren. Der Rhein selbst wird für Hesse und Schäfer zu einer Metapher ihrer Freundschaft, denn der Fluß verbindet die unterschiedlichen Wohnorte der beiden Autoren, die sich trotz der großen räumlichen Distanz beide an den Ufern des Flusses befinden: »[U]nd wenn ich über meinen weitgebreiteten Rhein hinsehe, ist es immer das gleiche Wasser, das vor 8 Tagen Ihr Boot [...] trug.«

Die Beziehung der beiden Autoren, die fast ausschließlich durch die Briefe gepflegt wurde, zeichnet sich durch eine Ambivalenz aus, bei der der freundschaftliche Austausch über literarische Belange auf der einen Seite, politische und weltanschauliche Differenzen auf der anderen Seite stehen. Diese Freundschaft, die über die unterschiedlichsten Staatsformen und die gravierenden politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts bestehen blieb, war dennoch eine unpolitische in dem Sinne, daß Fragen der aktuellen politischen Umstände nur marginal behandelt bzw. völlig ausgeklammert wurden.
Vom Sommer 1903 bis zum Juli 1947 erstreckt sich der schriftliche Austausch zwischen Hesse und Schäfer. Dieser Zeitraum von 44 Jahren ist in 77 Schreiben von Hesse an Schäfer und in 52 Briefen und Postkarten Schäfers an Hesse dokumentiert. Die Quantität der Briefe ist in den Jahren von 1903 bis 1914 am größten. In diesem Zeitraum wechseln fast monatlich Briefe zwischen den beiden Schriftstellern hin und her. In den folgenden Jahren sind mit Lücken nur noch wenige Briefe pro Jahr vorhanden, und zwischen 1918 und 1924 kommt es zu einem völligen Stillstand des brieflichen Austauschs. Aber trotz der Perioden, in denen der Briefwechsel ruht, nimmt die Anteilnahme am Geschick des anderen und das Interesse an der literarischen Entwicklung des Briefpartners nie ab. Dies zeigen die letzten Briefe aus den Jahren 1942 bis 1947, in denen die Korrespondenz überwiegend aus Gratulationen zu Preisverleihungen und Geburtstagswünschen besteht. 1903, zu Beginn des Briefwechsels, befinden sich die Autoren auf unterschiedlichen Stufen des Schaffens: Schäfer ist seit 1900 Herausgeber der Zeitschrift »Die Rheinlande«, für die er beständig Beiträger sucht.

Schäfer ist zwar auch außerhalb seiner Zeitschrift literarisch tätig und schon vorher mit Dramen und kürzeren Texten in Erscheinung getreten, aber erst 1908 wird er als Schriftsteller mit den »Anekdoten« von einer breiten Öffentlichkeit anerkannt. Der Beginn des Briefwechsels liegt auch vor dem ersten großen Erfolg Hesses. Nachdem er durch »Peter Camenzind« literarischen Ruhm erlangte, wandten sich viele Menschen mit einer Vielzahl von Anliegen an ihn, so daß er im Laufe seine Lebens mehr als 35.000 Briefe schrieb. Zum Zeitpunkt des ersten schriftlichen Kontakts mit Schäfer ist Hesse ein noch weitgehend unbekannter Autor, kurz darauf macht ihn der 1904 im S. Fischer Verlag veröffentlichte Roman »Peter Camenzind« berühmt. Ein Vorabdruck erscheint bereits im Herbst 1903, auf den Schäfer in dem ersten von ihm erhaltenen Brief Bezug nimmt: »[...] in der neuen Rundschau las ich den Anfang Ihres Romans mit seltenem Entzücken. Das wird wieder einmal eines jener schönen Bücher, die nur Deutsche schreiben können, und es wird eines der besten.«

Hesse suchte nur in wenigen Ausnahmefällen aktiv persönliche Kontakte zu Schriftstellerkollegen. Auch bei dem vorliegenden Briefwechsel scheint Schäfer der Initiator des Jahrzehnte währenden Gedankenaustauschs gewesen zu sein, denn in dem ersten vorhandenen Brief geht Hesse auf die Anfrage Schäfers nach einem Beitrag für dessen Kulturzeitschrift »Die Rheinlande« ein: »Lieber Herr Schäfer! Da sind noch ein paar Verse, die ich heute in einem Notizbuch fand. Vielleicht dient Ihnen etwas davon?«
Auffallend sind die unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte der beiden Briefpartner, die den gesamten Briefwechsels hindurch weitgehend unverändert bleiben. Während der Herausgeber der »Rheinlande« größtenteils geschäftliche Anliegen äußert, die Anfragen nach abdruckbaren Texten sowie Bitten um Ratschläge Hesses bei Buchprojekten oder bei der Suche nach Autoren betreffen, artikuliert Hesse in seinen Briefen besonders häufig persönliche Anliegen und Probleme, seine Gesundheit, die Familie und Angriffe auf seine Person betreffend. Er nimmt jedoch auch Anteil an den Veröffentlichungen Schäfers, und seine Rezensionen in diversen Zeitschriften machen seine literarische Wertschätzung Schäfers, die er auch in den Briefen äußert, öffentlich. Hesse schätzt Schäfer als Förderer des kulturellen Lebens am Rhein und sieht in ihm den Mann, »ohne den man sich das heutige rheinische Kunstleben nimmer denken kann, ein Freund und Antreiber, ein Förderer und Kenner, ein unerbittlicher, respektloser Kritiker des Mäßigen und ein Verkünder des Guten«.

Zudem läßt Hesse, als er während des Ersten Weltkriegs für die »Bücherzentrale für deutsche Kriegsgefangene« tätig ist, Schäfers »Anekdoten« in dem dieser Institution angeschlossenen Verlag drucken.
Trotz der unterschiedlichen Charaktere und literarischen Entwicklungen sind die beiden Briefpartner bereit, sich auf das ganz andere des Gegenüber einzulassen und in Rezensionen nachzuvollziehen. Schäfer empfindet Hesses Anerkennung seiner literarischen Leistungen von Beginn des Briefwechsels an als beflügelnd: »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie mich bis auf den Grund der Seele diese Anerkennung froh gemacht und entlastet hat. [...] Wenn jetzt etwas rascher und freier ein neues Buch von mir kommt: so ist Ihr Brief der größte Helfer dazu.«
Ebenso schätzt Hesse die Rezensionen des Freundes als Unterstützung und Hilfe zur literarischen Weiterentwicklung: »Auch in anderer Weise hat Ihr Artikel gut getan und lernen helfen. Noch lieber aber und unersetzlicher ist mir die Wärme und der herzliche Wille rechten Verstehens, mit dem Sie, ein fremder Mensch von ganz anderer Art, mich anfassen. Das ist etwas Seltenes, das ich Ihnen nach Möglichkeit zu vergelten trachte.« Diese Aussage Hesses bringt gleichzeitig auch die Verschiedenheit der beiden Schriftsteller zum Ausdruck (»ein fremder Mensch von ganz andere Art«).

Dieser gegenseitigen freundschaftlichen Verbundenheit, Anteilnahme und literarischen Wertschätzung stehen einerseits das rein geschäftliche Verhältnis zwischen dem Herausgeber Schäfer und dem Autor Hesse und andererseits eine zunehmende Entfremdung entgegen. Zu Differenzen auf der geschäftlichen Ebene kommen unüberbrückbare Wesensunterschiede, derer sich beide Männer bewußt sind. So äußert Schäfer bereits 1907: »Ich weiß genau, was und wieviel von meiner Art Ihnen fremd ist.« Hesse, der nach seinem eigenen Geständnis im Vergleich zu Schäfer »so wenig Flügel« hat, bewundert die Schaffenskraft und Belastbarkeit des Freundes. Er sieht in der Verschiedenheit der Charaktere und der Lebensführung keinen Konflikt für die Beziehung: »meine Freundschaft gehört Ihnen, gerade auch wenn unsere Temperamente u. Gehirne auseinanderstreben.« Auch Schäfer versteht diese Wesensverschiedenheit als Möglichkeit der gegenseitigen Anregung und des Ausgleichs. 1909 erklärt er in einem Brief an Hesse: »Sie haben das lebendigste Leben als Kur nötig. Sollen wir wetten, daß ich einen fliegenden Silberfisch aus Ihnen machen könnte? Sie sind der Melancholiker des Lebens am andern Ufer und sind noch eigensinnig und stolz darauf.«

 
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