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Michael Limberg: »wo ich nötigenfalls zu lesen bereit bin«

Hesses Lesereisen im Rheinland

Bis vor wenigen Jahren waren selbst Hesse-Kenner der Ansicht, dass Hermann Hesse in seinem Leben nur sehr selten öffentlich vorgelesen hĂ€tte. GenĂ€hrt wurde diese Meinung zum einen von Hesse selbst, der an den wenigen Stellen, an denen er sich dazu Ă€ußerte, stets seinen Widerwillen vor solchen Auftritten kund tat, zum anderen lag es wohl daran, dass die Bibliographien von Waibler und Bareiss, beide in Hesses Todesjahr 1962 erschienen, unter dem Stichwort "Lesungen" nur ungefĂ€hr 30 Angaben verzeichnen, die sich zudem auf 20 Lesungen beziehen und den Zeitraum von 1905 bis 1929 umfassen.

Diese AufzĂ€hlung konnte zwar nicht vollstĂ€ndig sein, z.B. waren weder die Lesung in Braunschweig 1909 erwĂ€hnt, bei der Hesse den alten Wilhelm Raabe besucht hatte, noch die berĂŒhmt-berĂŒchtigte Lesung 1912 in SaarbrĂŒcken, die Hesse in der ErzĂ€hlung Der Autorenabend fĂŒr die Nachwelt festgehalten hat, aber wesentlich mehr war wohl nicht zu erwarten. Als ich Heiner Hesse, dem zweiten Sohn des Dichters, 1992 von meinem Plan erzĂ€hlte, eine Dokumentation der Hesse-Lesungen zu erstellen, schickte er mir eine Liste mit rund 130 Daten, die er in mĂŒhsamer Kleinarbeit aus Briefen und anderen Dokumenten zusammengesucht hatte. Viele Angaben, vor allem solche, die vorher schon mit einem Fragezeichen versehen waren, hielten einer ÜberprĂŒfung nicht stand, dafĂŒr kamen im Lauf der Zeit neue Lesungen dazu. Inzwischen lassen sich 107 Daten nachweisen, hauptsĂ€chlich anhand von Zeitungsartikeln.


Den Ort DĂŒsseldorf suchte man allerdings auf Heiner Hesses Liste vergeblich. Bei Recherchen fand sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach ein kurzer Artikel aus der Zeitschrift Die Rheinlande, die schon sehr frĂŒh Texte von Hesse veröffentlicht hatte. In der Aprilausgabe 1909 berichtet der Herausgeber, Wilhelm SchĂ€fer, ĂŒber das DĂŒsseldorfer Schauspielhaus und erwĂ€hnt dabei, dass Hermann Hesse dort am 28. Februar "seine behagliche Prosa und die melancholischen Gedichte zum EntzĂŒcken des Publikums" vorgetragen habe. Das war bisher nicht bekannt. Es gab zwar den Brief Hesses an Stefan Zweig vom April 1909, in dem er dessen weite und ausgedehnte Reisen bewunderte, er hingegen sei "kĂŒrzlich rheinab bis DĂŒsseldorf gekommen und fand das schon kĂŒhn und weit"(Prater 1981, S. 43), aber Sinn und Zweck dieser Reise wurden nicht erwĂ€hnt. Aufgrund einer Postkarte von Joseph Feinhals an Hesse (im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern), die sich auf seinen Aufenthalt in DĂŒsseldorf bezieht und auf der die Namen der Maler Max Clarenbach und August Deusser erwĂ€hnt werden, vermutete man, sein Besuch am Rhein hĂ€tte mit einer Kunstausstellung zu tun.


Ein Blick in die DĂŒsseldorfer Tageszeitungen jener Zeit bestĂ€tigte SchĂ€fers Hinweis. Alle Ausgaben brachten einen gleichlautenden kurzen Lebensabriss Hesses sowie den Vermerk, dass der Dichter der "großen Gemeinde, die er in unserer Stadt hat, willkommen sein wird", und da es sich um eine Veranstaltung des Schauspielhauses handelte, wurde auf sie natĂŒrlich auch in der tĂ€glichen Theater-Annonce hingewiesen. Nicht zu erklĂ€ren war zunĂ€chst jedoch die Tatsache, dass keine einzige Zeitung eine Besprechung brachte, weder eine positive noch einen Verriss. Ohne Wilhelm SchĂ€fers Hinweis hĂ€tte man vermuten können, die Lesung wĂ€re kurzfristig abgesagt worden, aber SchĂ€fer war ja dabei gewesen, wie er ausdrĂŒcklich betonte. Des RĂ€tsels Lösung fand sich schließlich in einem Aufsatz von Herbert Eulenberg, der zu der damaligen Zeit Dramaturg am DĂŒsseldorfer Schauspielhaus und verantwortlich fĂŒr die sonntĂ€glichen MatinĂ©en war. In der Festschrift Das DĂŒsseldorfer Schauspielhaus. Ein Vierteljahrhundert deutscher BĂŒhnenkunst von 1930, also 21 Jahre nach jener Lesung, schreibt er: "NachtrĂ€glich muss ich es noch als einen besonderen GlĂŒcksfall fĂŒr unsere Sonntagsfeiern im Schauspielhaus ansehen, dass unsere Darbietungen nicht in den Zeitungen besprochen und von ihnen begleitet wurden. Die DĂŒsseldorfer Presse hatte nĂ€mlich damals einstimmig beschlossen, sich Sonntagsruhe zu gönnen und keinerlei Veranstaltungen, die an solchen Tagen stattfanden, ihrer Erörterung zu unterziehen. Infolgedessen wurden auch unsere sonntĂ€glichen Morgenstunden von der Presse nicht beachtet und totgeschwiegen."


Demnach hĂ€tte es außer SchĂ€fers wenigen Zeilen keinen anschaulicheren Bericht gegeben?


Schon damals wurde anscheinend im Ruhrgebiet mehr gearbeitet als in DĂŒsseldorf. FĂŒr die dortigen Redakteure galt zum GlĂŒck die Sonntagsruhe nicht, und so fand sich in der in Essen erscheinenden Rheinisch-WestfĂ€lischen Zeitung vom 1.3.1909 eine ausfĂŒhrliche Besprechung von Hesses Auftreten. Und so erlebten ihn die Zuhörer: "Eine schlanke, jugendliche Erscheinung, die mit raschen, etwas linkischen Schritten das Lesepult zwischen sich und das Publikum zu bekommen eilte, aus der schwarz-umrandeten Hornbrille einen flĂŒchtigen Blick in den Saal sandte, sich freundlich und unverbindlich verneigte und dann in jener schlichten, ungezwungenen, niemals erregten Art zu sprechen begann, die mit dem dörflerischen Schnitt der Joppe so prĂ€chtig und natĂŒrlich zu dem Stil der ErzĂ€hlungen Hermann Hesses passt."


Durch Zufall fand ich im Dumont-Lindemann-Archiv in DĂŒsseldorf den Theaterzettel vom 28.2.1909, und dort machte man mich auch auf einen Brief Eulenbergs an den Direktor des Schauspielhauses, Gustav Lindemann, vom 10. Januar 1909 aufmerksam. Eulenberg bat darin um einen vierwöchigen Urlaub, um "seine Seele fern von DĂŒsseldorf spazieren zu fĂŒhren und eine Reise nach Rom zu machen.[...] Die MatinĂ©enfrage wĂŒrde ich [...] in meiner Abwesenheit so regeln, dass eine musikalische wĂ€re; eine zweite wĂŒrde Wilhelm SchĂ€fer (100 Mark), eine dritte Hermann Hesse (umsonst, nur ReisevergĂŒtung) und eine vierte Herr Dr. Bruck freundlich ĂŒbernehmen."


Hatte Hesse also die weite Reise unternommen, um schließlich gratis aufzutreten? Aufschluss darĂŒber gab der Nachlass Wilhelm SchĂ€fers, der sich im Heinrich-Heine-Institut befindet und u.a. auch zahlreiche Briefe Hesses an SchĂ€fer enthĂ€lt. Bei der Durchsicht dieser Briefe stellte sich dann heraus, dass die DĂŒsseldorfer Lesung tatsĂ€chlich mehr oder weniger zufĂ€llig zustande gekommen war.


Hesse und SchĂ€fer standen seit 1903 in reger Verbindung. FĂŒr den Zeitraum von 1903 bis zur Lesung im Februar 1909 verzeichnet das Heine-Institut 35 Schreiben Hesses und 26 Gegenbriefe SchĂ€fers. Man traf sich auf den Festen des von SchĂ€fer gegrĂŒndeten "Verbandes der Kunstfreunde in den LĂ€ndern am Rhein", und mit SchĂ€fer und dem Maler E. R. Weiss hatte Hesse im Juli 1904 in einer feucht-fröhlichen Nacht am Bodensee Abschied vom Junggesellendasein genommen: "Dann in der MorgenfrĂŒhe ruderten, sangen und krakeelten wir noch eine Stunde auf dem See." (Hesse an Gustav Keyssner, 15.7.1904).

Er hatte schon lĂ€ngere Zeit vorgehabt, SchĂ€fer einmal in seinem Wohnort Vallendar in der NĂ€he von Koblenz zu besuchen und wartete nur auf eine gĂŒnstige Gelegenheit. Die ergab sich, als im Juli 1908 von Koblenz die Anfrage kam, ob er im Winter dort vorlesen wolle. "NatĂŒrlich ‚will’ ich nicht," teilte er SchĂ€fer am 13.7.1908 mit, "aber vielleicht wĂ€re das eine Gelegenheit, meinen Besuch bei Ihnen auf Kosten der Koblenzer auszufĂŒhren."


SchĂ€fer muss diese Gelegenheit dazu benutzt haben, Hesse zu einem Auftritt bei den sonntĂ€glichen Morgenfeiern im DĂŒsseldorfer Schauspielhaus zu ĂŒberreden. Mit seiner Anfrage bei Herbert Eulenberg, ob Hesse am 28. Februar dort lesen solle und könne, rannte er offene TĂŒren ein. "Aber natĂŒrlich kann und soll er das", antwortete Eulenberg. "Ich habe es soeben schon proklamiert zur allgemeinen Freude. [...] Das Reisegeld von Koblenz bis hier könnten wir fĂŒr Hesse noch auftreiben, wenn‘s gewĂŒnscht wĂŒrde." (Brief vom 15.2.1909) Schade sei nur, dass er keinen von ihnen antreffen wĂŒrde, denn er, Eulenberg, sprĂ€che am gleichen Tag in Paris ĂŒber Heinrich Heine.


Mitte Februar 1909 waren Hesses PlĂ€ne soweit gediehen, dass er SchĂ€fer genauere Einzelheiten geben konnte: "Gegen den 22.[Februar] komme ich dann zu Ihnen. [...] Der Landgerichtsrat HĂ€ndler [aus Koblenz] will mich, da ich doch nicht bei ihm wohne, wenigstens zum Essen haben. Falls er sich an Sie wendet, bitte den Freitag vorzuschlagen, an dem mein Vortrag ist, da versĂ€umt man nichts und kann ihm den Gefallen tun. Dann können wir etwa den Samstag nach DĂŒsseldorf, wo ich nötigenfalls am Sonntag zu lesen bereit bin." (Brief vom 12.2.1909) Er nĂ€hme nur ein Billet bis Frankfurt, wo er sich dann SchĂ€fers FĂŒhrung anvertraue.

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