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Sabine Brenner: Hermann Hesse und der >>Frauenbund zur Ehrung rheinischer Dichter<<

Hesse und das Rheinland
Aus dem Katalog: "Beiden Rheinufern angehörig". Hermann Hesse und das Rheinland (hrsg. v. Sabine Brenner, Kerstin Glasow und Bernd Kortländer), Düsseldorf 2002 (Reihe: Ausstellungskataloge des Heinrich-Heine-Instituts, hrsg v. Joseph A. Kruse) - vgl. dort: alle Fußnoten und Quellenangaben, die hier aus technischen Gründen entfallen!

Zu den Organisationen und Vereinen, die nach der Jahrhundertwende die ›rheinische‹ Kultur stärken wollten, zählt auch der »Frauenbund zur Ehrung rheinländischer Dichter«. Er wurde vom umtriebigen Wilhelm Schäfer in Absprache mit seinem Schriftstellerkollegen Hermann Hesse initiiert. So entwarf Schäfer im Vorfeld der Gründung ein Rundschreiben und schlug in seinem Brief vom 9. Mai 1908 vor: »Lieber Hermann Hesse, nicht wahr, dies darf ich ›vertraulich‹ an zwanzig Damen weitergeben? Nachher verschwinden dann unsere Namen auf das prompteste und wir lassen die Weiblichkeit Vorstände bilden.« Dieser antwortet ihm umgehend: »Ja, der ›vertrauliche‹ Gönnerton ist ganz recht, ich habe nichts dagegen.« In dem nunmehr von beiden unterzeichneten Rundschreiben beklagen sie, »daß ein Durchschnittsmaler in Deutschland sorglos von seinem Pinsel leben kann, indessen viele anerkannte Maler genau so wenig aus ihrer Kunst existieren können, wie es z. B. Fontane und Gottfried Keller konnten, von denen der eine bis in sein Alter bei der ›Zeitung‹ bleiben mußte und der andere ein Kantonsschreiber war.« Diese desolate Lage wollen Hesse und Schäfer »wenigstens für unsere rheinländische Heimat« verbessern, indem sie »die rheinländischen Frauen zur Pflege heimatlicher Dichtkunst« aufrufen.

Das Schreiben traf auf eine unerwartet große Resonanz. Nach der Darmstädter Sitzung des »Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein« wurde am 3. Juli 1909 als Filiation der »Frauenbund zur Ehrung rheinländischer Dichter« gegründet. Unter der Leitung der Ersten Vorsitzenden Elsa Römheld und ihrer Stellvertreterin Grete Litzmann wuchs die Mitgliederzahl bald auf 1.000 an. Ziel des Bundes war es, »in jedem Jahr ein Buch eines rheinländischen Dichters zur ersten Auflage zu bringen, die ausschließlich für die Mitglieder des Frauenbundes bestimmt« und mit einem Ehrenhonorar verbunden war. Die Auswahl der zum Druck kommenden Bücher erfolgte durch einen Leseausschuß gebildet aus dem Kreis der weiblichen Verbandsmitglieder; die Vorschläge, aus denen dieser Ausschuß auswählte, machte Schäfer zusammen mit Hesse, später gemeinsam mit Wilhelm Schmidtbonn. Hierbei wird deutlich, daß die Frauen zwar als Mäzenatinnen willkommen waren, die eigentlichen Entscheidungen über die zu krönenden Werke fielen jedoch in der von Schriftstellern besetzten Kommission. In dieser Jury hielt Schäfer – wie auch in seiner Funktion als Herausgeber der »Die Rheinlande« oder als Schriftführer des »Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein« – die Fäden fest in der Hand. Den »Frauenbund« verstand er dabei als ein weiteres kulturpolitisches Instrument, um seine landschaftsorientierten Literaturvorstellungen umsetzen zu können.

Hesse hingegen versuchte Zeit seines Lebens, die Übernahme offizieller Ämter zu umgehen. Daher war ihm seine Jurytätigkeit im »Frauenbund« schon bald unangenehm. Am 18. August 1909 schreibt er Schäfer: »Als erste Frucht der Darmstädter Gründung traf heute dieser Brief bei mir ein. Ich schicke ihn nicht, weil ich ihn für wichtig hielte oder ihn zu beantworten gesonnen wäre, sondern weil ich fragen möchte, an wen ich solche Anfragende jeweils verweisen soll. An Sie? Oder nach Darmstadt? Denn vom Lesen der Einsendungen aller Autorinnen und Autoren kann leider nicht die Rede sein, da ich schon so mehr lesen muß als für meine Augen und Nerven gut ist.« Daraufhin antwortet ihm Schäfer: »Lieber H.H., bitte lassen Sie alles Frauenbündlerische, was Ihnen nicht paßt, an mich gehen: ich werde mit dem Damenzeug schon fertig.«

Trotz dieser immer wieder geäußerten Bedenken engagierte sich Hesse im Laufe der Jahre für viele Preisträger des »Frauenbundes« und machte seinen Einfluß als prominentes Mitglied der Jury geltend. Als ersten Schriftsteller krönte der Bund 1909 Schmidtbonn, der seinen schlichten Geburtsnamen Schmidt als persönliches Bekenntnis zu seiner Heimat in den Künstlernamen »Schmidtbonn« umgewandelt hatte, für sein Drama »Der Zorn des Achilles«. Für dieses Werk hatte sich auch Hesse ausgesprochen: »Schmidt-Bonn empfehle ich unbedingt. Das Einzige, was mich an dem schönen, starken Stück zuweilen störte, ist der Wagnerisch-pathetische Rhythmus. Aber das ist Nebensache. Dieser germanisch-individualistische Achill zwischen den klugen feigen Griechen ist prächtig. Ich stimme unbedingt zu – mit der Bitte aber, nächstesmal womöglich Erzählung oder Lyrik zu wählen, teils der Abwechslung wegen, teils im Interesse der lesenden Weiblein.« Mit Schmidtbonn erhielt ein Autor den Preis, der das Ehrenhonorar wie viele andere mittellose Kollegen »blutnötig« hatte. Sein Dank an Schäfer fällt daher um so überschwenglicher aus:

»Lieber Wilhelm Schäfer, ich erhielt heute einen Geldbrief aus Elberfeld vom Frauenbund mit zwölfhundert Mark! Wie ich aus dem Bett sprang und im Hemd einen Tanz durchs Zimmer ausführte, das können Sie sich wohl vorstellen. Mich hat die Ehrung an sich so gefreut, so tief in mich hinein, wie nie eine Liebe, die ich vorher im Leben erfuhr – dass muss ich sagen. Aber ich habe mich auch über das Geld gefreut, gefreut – so sehr, dass ich heute den ganzen Tag als ein anderer Mensch umherlief.«

Nach Schmidtbonn werden in den nächsten beiden Jahren Benno Rüttenauer, Herbert Eulenberg und Ludwig Finckh geehrt. Von dem Plan, der Lesekommission den Roman einer Autorin vorzuschlagen, sehen Schäfer und Hesse ab. So rät Hesse:

»Anna Schiber würde ich einstweilen aus dem Spiel lassen. Sie kann etwas, aber sie hat mit ihrem Roman ›Gute Geister‹ den Erfolg, den sie verdient, reichlich gehabt. Wenn später einmal unsre Frauen am Rhein wild werden und unsere moderne Literatur nimmer aus der Hand fressen, dann können wir immer noch die Schiber als Brompulver verabreichen. Einstweilen wollen wir der Zukunft dienen, und die zielt doch wohl auf die Sorte Schaffner – Paquet etc. hin.«

Aber nicht nur in den Anfangsjahren, sondern bis zur Auflösung des Bundes 1917 wird keine Schriftstellerin gekrönt.
Im Jahr 1911 tritt der erste Preisträger Schmidtbonn, nicht zuletzt wegen Hesses Überlastung, der Jury bei. Ihm schlägt Schäfer vor:

»Unterdessen ist der Frauenbund wieder fällig, der diesmal 2000 Mark zu vergeben hat. Was sollen wir da machen? [...] Ich weiß nichts als eben den alten 77jährigen Christian Wagner aus Warmbronn. Ich weiß nicht, ob Du diesen Schwabenbauer kennst und seine vielfach ungeschickten, manchmal aber erschütternden Dichtungen. Der Mann, der [...] seit Jahrzehnten in ärmlichen Verhältnissen lebt, hat nun auch noch das Mißgeschick, mit seinem letzten Band vergebens bei den deutschen Verlegern hausieren zu gehen. Ich dachte nun, durch irgendwen aus seinen sechs Bänden eins auswählen zu lassen und so den Mann womöglich noch vor seinem Tod eine reine und schöne Anerkennung zu bereiten. Seine Kunst wie sein ungebeugter Charakter verdienen beides reichlich und wir würden uns selber ehren, wir ›Jungen‹, dadurch.«

Die Lesekommission des Frauenbundes erkannte Wagner schließlich einstimmig und »ohne Einwände« den Preis zu, was »vielleicht auch mehr dem Gewicht des Namens Hermann Hesse als Schirmherr zuzuschreiben ist«, wie Elisabeth Schäfer, Schriftführerin des Bundes, in ihrem Brief vom 15. Mai 1912 an Hesse schrieb. Hesse teilte schon seit langem Schäfers positive Einschätzung der Werke Christian Wagners und übernahm nicht zuletzt deshalb die Aufgabe, für den Frauenbund eine Auswahl aus dessen Gedichten zu treffen. Dies sah Hesse allerdings als Herausforderung an: »Das Schwere ist, ein schönes Buch zu machen, da das Beste von Wagner schwer lösbar zwischen Ungeglücktem steckt.« Die nicht unbeträchtliche Mühe mit der Auswahl der Gedichte, die sich unter anderem in einem umfangreichen Briefwechsel mit Wagner niederschlug, honorierte der Frauenbund mit 500 Mark. Die »Gedichte« erschienen schließlich mit einem Geleitwort Hesses 1912 bei Georg Müller in München.

Im darauffolgenden Jahr sorgte die Preisverleihung bereits im Vorfeld für einen großen Eklat. Hesse und Schmidtbonn hatten sich für Schäfers »Rheinsagen« ausgesprochen, aber aus dem Kreis der Mitglieder formierte sich starker Widerstand gegen diese Vorgehensweise. So schreibt die Vorsitzende der Lesekommission Grete Litzmann an Schäfer: »Ich habe leider die unangenehme Mitteilung zu machen, dass in diesen Tagen mir von zwei Seiten die Mitteilung zugegangen ist [...] es möchte bei der diesjährigen Generalversammlung die Frage zur Diskussion gestellt werden, ob Mitglieder der Vorschlags- oder Lesecommission als Preisträger in unserem Bunde überhaupt in Frage kommen könnten, es verstiesse gegen die guten Sitten. An und für sich wäre gegen diesen Antrag gar nichts einzuwenden, peinlich wird die Sache nur in diesem Jahr, wo es sich um die Preiskrönung Ihrer Rheinsagen, als um einen akuten Fall handelt, und ich fühlte deshalb die Verpflichtung, Ihnen von diesem Zwischenfall Kenntnis zu geben.« Schmidtbonn, der einen Durchschlag dieses Briefes erhalten hatte, antwortet auch im Namen Hesses an Grete Litzmann: »Ich denke, wir drei Mitglieder der Vorschlagskommission sind durch unsere guten und ehrlichen Namen vor dem Verdacht geschützt, jemals anders zu urteilen als nach dem Anlass und der Untersuchung der literarischen Würdigkeit eines Preiskandidaten. Es ist kein Zweifel, dass kein würdiger rheinischer Dichter [...] zu finden ist als Wilhelm S. Ich und jedenfalls auch Hermann Hesse waren uns wohl bewusst, dass, als wir Schäfer vorschlugen, kleine und enge Menschen mit zweideutigen Verdächten kommen würden. [...] Die Verdächtler hätten nur einen Grund misstrauisch zu sein und von Freundesvorschiebung oder von ›eine Hand, die die andere wäscht‹, zu sprechen, wenn es sich um irgend eine kaum zweifelhafte Nichtbegabung handelte.« Schäfer zeigte sich über diese Anschuldigungen ebenfalls erbost und enttäuscht zugleich. Mit dem Vermerk »vertraulich« gekennzeichnet, ließ er Schmidtbonn wissen: »Wenn ich auch vor diesen edlen Frauen ein Subjekt bin, so bleibe ich sonst doch immer noch Wilhelm Schäfer, und der wäre ich auch hier gern geblieben. Wenn ich das Geld nicht so blutnötig hätte, die Herrschaften könnten schon jetzt meinen Arsch besehen.«

Die Preiskrönung im Jahr 1913 verzögerte sich aufgrund dieser internen Querelen erheblich. Neben Schäfer hatten unter anderen noch Harry Kahn, Karl Röttger und Alfons Paquet Manuskripte für den Wettbewerb eingereicht. Paquet, der zwei Jahre zuvor mit seinem Gedichtband »Held Namenlos« vom »Frauenbund« abgelehnt worden war, drängte nach mehreren Monaten Wartezeit vehement auf eine Entscheidung des Bundes: »Die Lesekommission versagt glänzend. Frau Litzmann versprach mir noch Anfang Juli die Erledigung der Angelegenheit in drei Wochen; Ende August schrieb sie mir, dass einzelne Damen das Manuskript wochenlang behielten, aber noch immer scheint es seine Rundreise nicht beendet zu haben, und selbst die Mitteilung, dass ich das Manuskript zurückziehe, hat nichts genützt. Ohne die ewigen Vertröstungen hätte ich natürlich die Arbeiten längst bei Redaktionen verwendet und könnte, abgesehen von der Ehre, die mir in diesem Falle zu einer Art Misshandlung geworden ist, auf die in Aussicht stehenden 1200 Mark pfeifen. Wenn ich bis zum 5. September das Manuskript nicht wiederhabe, werde ich Schadensersatzansprüche stellen müssen«. Als diese Frist verstrichen ist, schreibt er Schäfer: »[J]etzt habe ich Hesse gebeten, der Schiedsmann zu sein, der wohl nötig ist nun festzustellen wie weit der Frauenbund seine Verantwortung gegen mein Eigentum bereits außer Acht gelassen hat.« Zu einer Schlichtung durch Hesse kam es aber nicht mehr. Der wenige Tage zuvor von Paquet als »Frauenbund zur Kränkung rheinischer Dichter« bezeichnete Zusammenschluß, sagte ihm noch im September für seine »Erzählungen an Bord« den zweiten Preis zu, und daher legte Paquet seinen Brief vom 5. September, da die Sache für ihn »auf diese gute Weise jetzt erledigt ist [...] ad acta« . Für Schäfer jedoch stellte die Preisteilung eine weitere Demütigung dar, was dazu führte, daß er sich immer weniger für den Frauenbund engagierte. Gleichzeitig versuchten die Frauen zunehmend, unabhängiger von der Vorschlagskommission zu agieren und die Absprachen zwischen Schäfer, Hesse und Schmidtbonn zu unterbinden. Im März 1914 schreibt Schäfer empört an Schmidtbonn:

»[D]ie Frauenbündlerinnen haben ja beschlossen (ohne uns zu fragen), daß wir unsere Vorschläge getrennt machen sollen. Also schlage Du den Servaes vor mit seinem Drama; Hesse übernimmt dann den Walser mit einem Buch ›Kleine Sachen‹, das glaube ich reizend sein wird; und ich vertrete den Kölner Karl Becker, von dem ich in den ›Rheinlanden‹ verschiedene Sachen hatte, und der mir wirklich begabt scheint.«

Nicht zuletzt aufgrund von Hesses Vorschlag wurden 1914 Robert Walsers »Kleine Dichtungen« gekrönt. Damit erhielt der erst posthum in größerem Umfang bekannt gewordene Walser zu Lebzeiten seine einzige Ehrung. Im gleichen Jahr erschien ebenfalls als Erstausgabe des Frauenbundes Herbert Eulenbergs »Der Morgen nach Kunersdorf«, allerdings »ohne ausdrückliche Genehmigung der Generalversammlung und der Lesekommission« . Im Juli 1914 kommt es dann endgültig zu einer Umstrukturierung des »Frauenbundes«, die sich schon im Jahr zuvor angekündigt hatte. Schäfer, Hesse und Schmidtbonn legen ihre Ämter in der Vorschlagskommission nieder und der Bund beschließt, künftig ohne eine solche Kommission zu arbeiten. Darüber hinaus wird die Bezeichnung des Bundes, wahrscheinlich als Reverenz an die deutschen Soldaten im Feld, in »Frauenbund zur Ehrung deutscher Dichter« abgeändert. Ida Schoellers Pläne, als »würdigen Abschluß« der »rheinländischen Periode« einer Dichterin aus der Region den Preis zu verleihen, scheitern. 1915 ehren die Frauen Josef Wincklers »Mitten im Weltkrieg« und 1917 als letztes Werk den Roman »Die drei Kinder« von Hermann Sinsheimer.