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Enno Stahl: Übernahme literarischer Bestände. Prolegomena zu einer Systematisierung

2. Ein Dokumentationsprofil kultureller Ãœberlieferungen?



Sie sehen, ich habe die Überschrift mit einem Fragezeichen versehen. Letztlich traf ich zufällig in der Straßenbahn auf eine hochrangige Abordnung des Landesarchivs NRW, Abt. Rheinland, gerade auf dem Weg zur Staatskanzlei, ich erzählte von unserer Tagung. Der Präsident des Landesarchivs fragte verwundert: Ja, wollen Sie das denn wirklich? Kulturelle Überliefe¬rungen in das Korsett eines Profils zwängen?

Dieses Argument hat Hand und Fuß. Gerade kulturelle Überlieferungen sind, und das war ja ein deutlicher Tenor meiner bisherigen Ausführungen, äußerst vielgestaltig, heterogen. Kann es wünschenswert sein und wäre es überhaupt möglich, sie systematisch zu profilieren? Kann es einen gemeinsamen Nenner geben, fällt dabei nicht Wichtiges unter den Tisch? Mag alles sein.
Aber gerade aufgrund der komplexen Ausgangslage, die ich skizziert habe, der Masse an Materialien, erscheint mir zumindest sinnvoll, eine Richtlinie zu erarbeiten, ein Grundgerüst, das – ohne allzu verbindlich zu sein – immerhin Ansätze und Argumente für Übernahmeentscheidungen liefern könnte.

Eine derartige Entscheidungshilfe hat eine Arbeitsgruppe der Bundeskonferenz der Kommunalarchive für ihren Bereich formuliert, Herr Weber hat darüber berichtet. Mitgeteilt hat die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe Irmgard Christa Becker, damalige Vorsitzende dieses Kreises, im Archivar Mai 2009 (62. Jg., Heft 2, S. 122-131, auf ihren Beitrag beziehe ich mich hier. Mir scheint, dass ihre Ergebnisse eine gute Basis abgeben, um sich daran zu orientieren, sie in Teilen sogar auf den Bereich der kulturellen Überlieferungen direkt zu beziehen, ich kann das an dieser Stelle natürlich nur anreißen. Folgende Aufgaben misst die BKK-Arbeitsgruppe einem Dokumentationsprofil im kommunalen Archivbereich zu –

- Erfassung der lokalen Lebenswelt in systematischen Kategorien auf der Grundlage des Zeitgeschehens in der Kommune
- Festlegung von Dokumentationszielen für die ermittelten Kategorien vor der Bewertung
- Wertanalyse der bereits im Archiv vorhandenen Quellen bezogen auf die Dokumentationsziele
- Erarbeitung des Quellenfundus, der zum Erreichen der Dokumentationsziele archiviert werden muss (Becker, 123)



Übersetzt in die Anforderungen des literarisch-kulturellen Bereichs würde das heißen: Die Erstellung systematischer Kategorien, in denen sich das literarische Leben im lokalen / regionalen oder nationalen Bereich erschöpfend niederschlägt, also was gehört essenziell dazu, was nicht? Was genau macht das literarische Leben des betreffenden Territoriums aus, woran lässt es sich messen? Aus einer infrastrukturell motivierten Perspektive heraus wären das neben Autoren sicher auch Verlage, Veranstalter und Buchhändler, alle Personen, die letztlich an literarischen Netzwerken und Kommunikationsprozessen beteiligt sind.

Damit verbunden ist natürlich eine Reflexion auf die Dokumentationsziele für die einzelnen Kategorien. Wenn wir beispielsweise den Buchhandel im Rheinland dokumentieren wollten, kann es für das Rheinische Literaturarchiv nicht darum gehen, die Bestände sämtlicher Buchhandlungen hierzulande zu übernehmen. Stattdessen müssen an dieser Stelle Relevanzkriterien formuliert werden, die definieren, was für die jeweilige Ebene, das jeweilige Archiv zwingend überlieferungswürdig wäre. Um im Beispiel zu bleiben: Vermutlich reicht in diesem Fall das bloße Wissen darüber aus, welche Buchhandlungen es gegeben hat, also eine Liste.

Ist aber eine Buchhandlung ein kommunikativer Knotenpunkt, weil dort Autoren verkehren, über Jahrzehnte hinaus Lesungen mit renommierten Schriftstellern stattfinden, kann es durchaus wichtig sein, ihren Bestand zu übernehmen. Auf einer nationalen Ebene, ich spreche hier jetzt mal ganz frech für Marbach und Berlin, wird eine einzelne Buchhandlung vermutlich kaum interessant erscheinen, um das Dokumentationsziel „Nachvollzug des literarischen Lebens in Deutschland“ zu erfüllen, aber eben der Suhrkamp Verlag. In diesem Zusammenhang muss natürlich auch die Frage der Fragen der archivarischen Zunft beantwortet werden, das Orakelspiel, nämlich: Was werden zukünftige Forschergenerationen für wichtig erachten, was werden die Themen wissenschaftlicher Untersuchungen in fünfzig, in hundert Jahren sein? Auch die Antwort auf diese Frage muss in die Konstitution des Dokumentationsziels einfließen.

Dass die eigenen Bestände daraufhin untersucht werden müssen, was bereits darin enthalten ist, um die Dokumentationsziele zu erfüllen, bzw. was vielleicht noch fehlt, ist selbstverständlich. Die „Ermittlung und Zusammenstellung relevanter Archivbestände und Registraturbildner“ (Becker, 123), um etwaige Lücken zu schließen bzw. kontinuierlich den Anforderungen des Dokumentationsprofils gerecht zu werden, ist eine weitere Aufgabe, die es zu lösen gilt. Dazu muss das jeweilige Archiv, immer natürlich aus der Perspektive seines spezifischen institutionellen Auftrags, festlegen, was „wichtige“ Autoren sind, welche anderen Funktoren des literarischen Lebens, der literarischen Infrastruktur in die Erwerbsstrategien mit einbezogen werden müssen. Welche ihrer Materialien werden gebraucht, was muss dokumentiert werden?
Auch der „Dokumentationsgrad“ muss hier kritisch überprüft werden, wie genau muss die Analyse ein, wie umfangreich die Materialübernahme, kurz: Es geht um eine Wertanalyse der avisierten Unterlagen nach qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten.

In der Folge präzisiert Becker die verschiedenen Aufgabenbereiche des angestrebten Dokumentationsprofils. Zunächst entwickelt sie daher „Kategorien lokaler Lebenswelt“. Da hier auch die Kultur erwähnt wird, im Besonderen: „Historische Identität und Erinnerungskultur / Darstellende Kunst / Bildende Kunst / Musik / Lese- und Buchkultur sowie sonstige Kulturvermittlung“, ergibt sich an dieser Stelle ein Abgrenzungsproblem. Dieses ließe sich dann leicht lösen, wenn die Stadtarchive sich in ihrer Übernahme kultureller Bestände auf den engeren lokalen Zusammenhang beschränkten, dies aber auch tatsächlich täten. Das wäre sogar sehr wichtig.

In der Praxis aber sind wahrlich nicht alle Kommunalarchive an der Übernahme kultureller Bestände interessiert. Vernünftiger Weise sollten hier in einem Territorium Absprache erfolgen zwischen Stadtarchiven und etwaigen regionalen Kulturarchiven, welche die Zuständigkeiten bzw. Übernahmekapazitäten kooperativ klären.

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