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Günter Herzog: Erste Erfahrungen zur Formulierung eines Dokumentationsprofils aus dem Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels ZADIK, Köln

Um diese beiden Pole der ideellen und kommerziellen Kunstvermittlung dreht sich das Dokumentationsziel des ZADIK, das sowohl als Kunstarchiv als auch als Wirtschaftsarchiv fungiert. Angesichts der bisherigen Vernachlässigung des Kunsthandels seitens der Kunstgeschichte liegt jedoch die Priorität der Arbeit des ZADIK im kunsthistorischen Aspekt, das heißt, es arbeitet stärker daraufhin, die Geschichte des Kunsthandels in die Geschichte der Kunst als in die Geschichte der Wirtschaft zu integrieren. Die Sammlungen des ZADIK zielen generell darauf ab, die äußeren und inneren Bedingungen und Zusammenhänge des Kunsthandels zu dokumentieren, seine Strukturen, seine berufsständischen Organisationsformen, seine Kommunikationen, seine wechselseitigen Beziehungen zur allgemeinen Kultur, zur Wirtschaft, zur Politik, zum Recht, zu den Medien und anderen Institutionen unserer Gesellschaft. Die zu sammelnden Dokumente sollen Aufschluss geben über die Wechselbeziehungen und Interaktionen zwischen Galeristen und Kunsthändlern, Künstlern und ihren Ausbildungs- und Verbandsinstitutionen, Sammlern, Kuratoren und anderen entscheidenden Vertretern öffentlicher Sammlungen und Kunstvereine, Kritikern, Kulturverwaltungen und Kulturpolitikern und den Medien.

Dokumentiert werden sollen das jeweilige Berufsbild, die soziale Stellung und Rolle und das soziale und ökonomische Verhalten der jeweiligen Teilnehmer des Kunstmarktes. Dokumentiert werden soll die Entwicklung des Kunstmarktes, seine Preisbildung und Preisentwicklung, das Phänomen der Marktbeobachtung und seine Rückwirkung auf die Entwicklung des Marktes; weiterhin die verschiedenen Vermarktungsformen von Kunst (Galerie, Kunsthandlung, Edition, Kunstmesse, Art Consulting, Auktionshandel etc.), die Entwicklung der Galerie- und Messearchitektur und anderer räumlicher, sowie auch programmatischer Formen der Warenpräsentation und des Marketing.

Zur Erreichung dieses Dokumentationszieles ließe sich folgendes vorläufiges Dokumentationsprofil vorstellen: Im einzelnen Galeriebestand soll dokumentiert werden die individuelle kunsthistorische und kunstwirtschaftshistorische Lebensleistung des Bestandsbildners und sein individueller Beitrag zur Geschichte der Entwicklung des Kunstsystems. Hier ist besonders wichtig das eigene Galerieprogramm, das wir anhand einer Chronologie an die Geschichte des Bestandsbildners anhängen. Aus diesem geht auch hervor, welche Künstler die Galerie in welchem Schwerpunkt vertreten hat. Wichtig in der Ausstellungschronologie sind eventuelle Erstausstellungen und andere Schlüsselausstellungen nationaler und internationaler Künstler.

Hat der Bestandsbildner bestimmte Künstler vertraglich an sich gebunden? Wie war das Geschäftsfeld des Bestandsbildners strukturiert; hat er eine eigene Verlags- oder Editionstätigkeit betrieben oder eigene Werkstätten (z. B. Rahmen- oder Multiplebau) geführt. Mit welchen anderen Galeristen und Händlern (national und international) hat er zusammen gearbeitet? An welchen Kunstmessen hat er teilgenommen? Hat er kuratorische Tätigkeiten übernommen, Ausstellungs- und Sammlungskonzepte entwickelt? War er engagiert in Verbänden, Beiräten Kommissionen und sonstigen Gremien? Zu welchen wichtigen Sammlern und Museumsleuten stand er in welchen Beziehungen? Hat er eine eigene Kunstsammlung gebildet, hat er eine eigene Stiftung gegründet, hat er Auszeichnungen erhalten?

Weitere Spezifikationen eines Dokumentationsprofils ergeben sich anhand der im ZADIK verwendeten Klassifikation der zu sammelnden Dokumente, wie sie etwa am Beispiel des Bestands der Galerien Thannhauser (A 77) auf der website des ZADIK einsehbar ist. Diese Klassifikation wurde bei der Gründung des ZADIK erstellt und war angelehnt an Klassifikationsmuster von Literatur- und Wirtschaftsarchiven. Die folgende Auflistung begrenzt sich auf die wichtigsten kunsthandelsspezifischen Aspekte. Zu archivieren sind sämtliche Publikationen der Galerie (Einladungen, Faltblätter, sonstige Werbeträger, Plakate, Kataloge, Editionen etc.), die Geschäftsakten mit Rechts-, Grundstücks-, und sonstigen Eigentumsunterlagen wie Gründung, Eintragung ins Handelsregister, Verträge, Patente, Lizenzen, Urkunden und Dokumente über Angebote, Rechnungen, Kommissionen, joint ventures, Gutachten zu Kunstobjekten, Speditionsunterlagen, Messeteilnahmen, Versicherungsunterlagen, Angebote (auch in Form von Konzepten für die Kunstausstattung öffentlicher Sammlungen und Bauten, Kunst am Bau und anderes).

Eine äußerst wichtige Kategorie mit hoher Informationsdichte stellen die von den Bestandsbildnern selbst zusammengestellten 'Materialsammlungen' zu Künstlern dar. Hierin finden sich etwa von den Künstlern selbst hergestellte 'Bewerbungsmappen' mit selbst geschriebenen Lebensläufen und selbst gefertigten Reproduktionsfotos ihrer Werke, Interviews als Manuskripte mit Anmerkungen oder in Form gedruckter Zeitungsausschnitte mit handschriftlichen Anmerkungen. Mit derzeit ca. 250.000 Stücken stellen die Fotodokumente in den Beständen des ZADIK eine ebenso umfangreiche wie aussagekräftige Dokumentengattung dar. Einen großen Anteil nehmen zwar die Reprofotos ein, deren Dokumentationswert wegen ihrer teils massenhaften Reproduktion eher gering ist, dafür aber sind die einzigartigen, oft von den Bestandsbildner selbst gemachten Aufnahmen von ihren Galerieräumen, Ausstellungsinstallationen, Künstlerateliers, Ereignissen wie Ausstellungsvorbereitungen, -aufbau und -eröffnungen, Atelierbesuche, Performances, Aktionen, Feste, Vorträge, Lesungen, Künstler beim Arbeiten, Künstler beim Signieren und viele andere mehr, von außerordentlichem dokumentarischen Wert, ebenso wie die Tonträger mit Aufzeichnungen von Eröffnungsreden und -vorträgen, sonstige Vorträgen und Diskussionen, Musikaufführungen; Lesungen, Performances etc., bei den Kunstkritikern überwiegend in Form von Aufzeichnungen von Interviews.


Auch die Übernahmepraxis des ZADIK unterliegt einigen Besonderheiten. Das ZADIK kann nicht ankaufen, sondern muss die Bestandsbildner dafür gewinnen, ihm ihre Archive kostenlos zu überlassen. Die aktive Akquisition lässt erkennen, dass es den Donatoren sehr schwer fällt, sich von ihren Archiven zu trennen. Für die meisten Galeristen sind ihre Archive die wichtigste Arbeitsgrundlage, und erst mit der Schließung der Galerie kommt eine Abgabe ihres Archivs überhaupt in Betracht. So geschieht es meistens, dass eine Abgabe recht kurzfristig erfolgt, so dass die Idealsituation, sich ein komplettes Galeriearchiv vor Ort anschauen und daraus die oben genannten archivwürdigen Materialien frei auswählen zu können, bisher nicht eingetreten ist. Der Standard-Donatorenvertrag ermöglicht dem Donator die Entscheidung, sein Archiv entweder direkt in das Eigentum des ZADIK zu geben, oder sein Archiv dem ZADIK zunächst für die Dauer von 10 Jahren als Leihgabe zu überlassen. Wenn innerhalb der 10 Jahre nicht anders entschieden wird, geht das Archiv nach Fristablauf in den Besitz des ZADIK über, und in der Regel ist das auch der Fall. Im Donatorenvertrag ist festgelegt, dass das ZADIK nach Rücksprache mit dem Donator über die Materialien, die nicht seinem Sammlungsprofil entsprechen, frei verfügen kann. Diese Materialien werden an andere Archive oder Bibliotheken abgegeben.


Anmerkungen
[1] www.zadik.info
[2] http://www.aaa.si.edu/collections
[3] http://archives2.getty.edu:8082/xtf/search?browse-creator=first;sort=creator
[4] http://forschung.gnm.de/download/dkaliste.pdf
[5] http://website.rkd.nl/Collecties/Archivalia/090514-compleet-archievenoverzicht-2.pdf
[6] Hans Peter Thurn: Der Kunsthändler. Wandlungen eines Berufes.  München 1994, S. 8.
[7] Svetlana Alpers: Rembrandt als Unternehmer: sein Atelier und der  Markt. Köln 1989.
[8] Pierre Assouline: Grâces lui soient rendues: Paul Durand-Ruel, le  marchand des impressionnistes. Paris 2002; Claudia Herstatt: Wie alles  begann. Paul Durand-Ruel war der Erfinder des Galerienwesens - Erst  jetzt wird er wieder geehrt. In: Die Zeit, 29.1.2004.  http://pdf.zeit.de/2004/06/Kunstmarkt_6.pdf
[9] Walter Grasskamp: Kunst und Geld. Szenen einer Mischehe. München  1998, S. 15-22.
[10] Günter Herzog: Aus dem Himmel auf den Markt. Die Entstehung der  Kunstmesse und die 'Säkularisierung' der modernen Kunst. In: Ders.,  Brigitte Jacobs, Eberhard Illner (Hrsg.) Kunstmarkt Köln ´67.  Entstehung und Entwicklung der ersten Messe für moderne Kunst.  1966-1974. = sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels.  Heft 6, Köln 2003, S. 11-18.
[11] Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen  Urteilskraft. 14. Aufl. Frankfurt/M. 2002, 426.
[12] Willi Bongard: Das Geschäft mit der Kunst (I): Maler, Bilder,  Spekulanten. In: Die Zeit, 26.11.1965. Im Januar 1968 führte Bongard  in der deutschen Presse die erste Kunstmarktseite ein. Linde Rohr- Bongard (Hrsg.): Kunst = Kapital. Der Capital Kunstkompass von 1970  bis heute. Köln 2002, S. 10.

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