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Walter Gödden: Die LWL-Literaturkommission für Westfalen – zum Profil einer wissenschaftlichen Institution zwischen Grundlagenforschung und populärer Vermittlung

Würde man mich heute aus heiterem Himmel fragen: »Wie ist die Literatur-kommission für Westfalen (LiKo) aufgestellt, wie ist sie zu dem geworden, was sie ist?« würde ich – ganz unreflektiert und spontan sagen: »Es hat sich halt so ergeben.«

Das klingt natĂĽrlich lapidar und vielleicht sogar ein wenig kokett. Was es natĂĽrlich nicht soll. Aber damals, vor gut 12 Jahren, wussten wir wirklich nicht, wohin die Reise geht.

Es löste sogar ein eher mulmiges Gefühl aus, sich nach erfolgter Gründung innerhalb eines Ensemble von insgesamt sechs wissenschaftlichen Kommissionen positionieren zu müssen – darunter altehrwürdige, traditionsbeladene mit teilweise über 100 Jahren geschichtlichem Background, ein eingespieltes Team also.

Andererseits, und da darf ich mich weiter outen, auch ein Aufatmen: Endlich selbständig! Endlich ein eigener Etat! Aber auch – wiederum – das bange Gefühl, neue Verantwortlichkeiten haushalterischer Natur, wie es im bedrohlichen Verwaltungsdeutsch heißt, bewältigen zu müssen. Nun ja, lautete damals meine Devise: Augen zu und durch, da konnte man wohl nur dazulernen.

Und – das wurde mir erst im Nachhinein recht deutlich: Nun war man – per definitionem – nicht mehr in erster Linie Urheber eigener Projekte, sondern in der Rolle eines Moderators: Es sollte das zum Druck befördert werden, was aus dem Kreis der Kommissionsmitglieder an Offerten hervorging und von Vorstand und Mitgliederversammlung gutgeheißen wurde. Also Redaktionstätigkeit, Publikationen ausschreiben, Abrechnungen prüfen, als Bindeglied zur Verwaltung operieren, kurzum: verwalten statt selbständig walten. All das sollte/musste sich erst einmal einspielen. Ob es sich bis heute tatsächlich eingespielt hat, vermag ich nicht wirklich zu beantworten.

Aber der Arbeitsbereich blieb. Er gestaltete sich nicht anders als im Jahrzehnt zuvor. 1989 hatte mir die LWL-Kulturabteilung die Möglichkeit eingeräumt, ein Referat Literatur aufzubauen. Nach vielen Jahren Droste-Forschung eine willkommene Erweiterung des Arbeitsspektrums.

Die folgenden gut zehn Jahre Referat Literatur kamen vor allem der Grund-lagenforschung zugute, in der Hauptsache der Arbeit am Westfälischen Autorenlexikon, ferner dem neuen Periodikum Literatur in Westfalen. Beiträge zur Forschung, und auch der Ausstellungstätigkeit – ich nenne hier exemplarisch nur Als Westfalen lesen lernte – eine erste Aufarbeitung der Lesekultur in Westfalen seit 1750 – sowie Ansichten aus der Traumstadt, eine Ausstellung über den Münsterer Formvirtuosen und Freigeist Peter Paul Althaus, der – nicht ohne Grund – im Schwabinger Exil Literatur-, eher aber noch Kabarettgeschichte schrieb, hierzulande aber längst vergessen war.

Doch zurück zur Kommissionsgründung. Mit dem vierbändigen Westfälischen Autorenlexikon, das über 2.200 Autorinnen und Autoren detailliert porträtiert, war ein wichtiger Grundstein gelegt. Auf diesem Gleis lief es dann zunächst auch weiter. So, als habe sich zwischenzeitlich nicht viel verändert.

Mit einer Ausnahme freilich. Im Jahr eins nach der Gründung der Literaturkommission erschien der erste Band unserer Schriftenreihe, eine Monografie über den westfälischen Stürmer und Dränger Anton Mathias Sprickmann, Westfalens ersten Schöngeist, der gleichzeitig der Mentor der Droste gewesen war. Dass eine solche Schriftenreihe ein Standbein der Kommission bilden sollte, war allen klar. Die Reihe bot und bietet bis heute ein offenes Publikationsforum mit Monografien, Tagungsbänden, Ausstellungskatalogen, Werkausgaben und Dokumentationen zur Wirkungsgeschichte bzw. bibliografischer Natur. Eine eigene, von Uwe-Kai Ketelsen herausgegebene Sonderabteilung beschäftigt sich mit historischen Anthologien aus der Arbeitswelt – auch das ein Themenfeld, dem sich die Literaturkommission öffnete.

Nach 11 Jahren sind wir jetzt bei Band 50 der Schriftenreihe angekommen – es erscheinen also durchschnittlich fünf Veröffentlichungen pro Jahr. Es wird deutlich, dass das Thema westfälische Literatur hinreichend Themen und Material abwirft – die Gründung einer eigenen Kommission für Literatur also gerechtfertigt war.

Dass wir uns damals, in den Anfängen, thematisch noch in einer Sondierungs- und Findungsphase befanden, zeigt Band zwei unserer Schriftenreihe: Region - Literatur - Kultur. Regionalliteraturforschung heute – die Dokumentation eines Symposions, bei dem – und das mag man heute als richtungsweisend fĂĽr unsere Kommission werten – nicht nur Fachwissenschaftler zu Wort kamen, sondern auch Schriftsteller, namentlich der Schweizer Autor Hans Boesch, der serbische Autor Dragan Velikić und auf deutscher Seite Ludwig Homann.

Es folgten in den kommenden Jahren weitere Tagungen, davon allein drei zum Thema Jüdische Literatur in Westfalen, eine Art Sonderforschungsbereich, initiiert und aufgebaut von Prof. Dr. Hartmut Steinecke mit Iris Nölle-Hornkamp als Projektmitarbeiterin. Die LiKo verzweigte sich also, wobei Äste und Triebe teilweise ein Eigenleben entwickelten… – die Hauptarbeit am Projekt Jüdische Literatur in Westfalen wurde an der Universität Paderborn geleistet, wo unter anderem eine einzigartige Datenband zur jüdischen Literatur in Westfalen entstand.

Größere Tagungen widmeten sich Peter Hille – im Besonderen seiner Bezie-hung zu Else Lasker-Schüler – sowie im Varus-Jahr 2009 dem Hermann-Mythos in nationaler Perspektive – auch diese Tagungen mit künstlerischem Beiprogramm.

Hinzu kamen kleinere Archivtagungen sowie Tagungen der Droste-Gesellschaft, bei der die Literaturkommission personell federfĂĽhrend mitbeteiligt war. Im Schnitt kommt man so auf eine Tagung pro Jahr.

Und weil wir gerade bei der Statistik sind: In der Schriftenreihe erschienen vier Werkausgaben: zu Katharina Schücking, zu Levin Ludwig Schücking, zu Peter Hille (2-bändig) und zu Gustav Sack.

Hille und Sack bildeten wiederum eigene Schwerpunkte der Reihe, auf Seiten Hilles flankiert durch zwei umfangreiche Bände zur Wirkungsgeschichte und eine ebenso umfängliche Hille-Chronik, auf Seiten Sacks durch einen umfangreichen Ausstellungskatalog.

Einige Jahre lang war die LiKo so etwas wie »Mit-Gesellschafterin« einer Hille-Forschungsstelle an der Universität Paderborn. Dort lagerten die Arbeitsmaterialien der erwähnten Hille-Ausgabe (ca. 50 Ordner), die sukzessive in Münster bearbeitet wurden und inzwischen einen adäquaten Platz hier im Westfälischen Literaturarchiv gefunden haben.

Die übrigen Bände der Schriftenreihe bieten ein mixtum compositum, worauf ich hier nicht im Einzelnen eingehen kann. Verwiesen sei auf unsere Homepage, die sämtliche Veröffentlichungen detailliert vorstellt.

Was auch für die Reihe Tonzeugnisse zur westfälischen Literatur gilt, mit der wir im Jahre 2000 erstmals unvertrautes Gelände betraten. Denn es war sicherlich nicht selbstverständlich, dass eine Kommission, die man zuallererst mit dem Büchermachen identifiziert, in Archiven auch nach dem gesprochenen Wort, nach Tonbändern und Toncassetten, fahndete.

In der genannten Reihe erschienen bislang elf Produktionen. Die auf zwei CDs dokumentierten Tagungsbeiträge des »Schmallenberger Dichterstreits« 1956 gewährten erstmals genauere Aufschlüsse über den Verlauf des später als legendär eingestuften Treffens. Zuvor war man auf Spekulationen und die einseitige konservative Presse-Berichterstattung angewiesen. Das programmatische Referat des Münsterer Literaturdozenten Clemens Heselhaus, das den Schmallenberger Literaturstreit vom Zaun gebrochen hatte, war nur ansatzweise bekannt und wurde nie publiziert. Auf einem Tonband im Nachlass des westfälischen Schriftstellers Erwin Sylvanus in der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund fand sich nicht nur der Mitschnitt des Heselhausschen Referats, sondern auch eine Tonaufzeichnung der anschließenden, hitzigen Diskussion.

Für Zündstoff war damals reichlich gesorgt, warf doch die jüngere Schrift-stellergeneration um Paul Schallück und Hans Dieter Schwarze der älteren ihre NS-Vergangenheit vor und forderte eine neue Ausrichtung der westfälischen Literatur: Keine verstaubten Heimatromane mehr, sondern eine kritische, weltoffene europäische Literatur, wie sie die Gruppe 47 propagierte.

Band 2 der Tonzeugnis-Reihe fußt auf akustischem Material aus dem Nachlass Ernst Meisters, konkret auf dessen Lyrik-Lesungen im privaten Kreis und in Buchhandlungen. Vom Autor gesprochen, eröffnen die Texte einen ganz eigenen Zugang zu Meisters oft als schwierig angesehenem Werk. Die Tonbänder fanden sich in der Wohnung seiner Witwe und hatten jahrelang, ja Jahrzehntelang kein Interesse geweckt.

Band 3 war dem Warendorfer Autor Paul Schallück gewidmet. Auf der Doppel-CD »Daran glaube ich« sind, teilweise von Schallück selbst gesprochen, charakteristische Texte dieses Weggenossen von Heinrich Böll zu hören.

Band 4 der Tonzeugnis-Reihe stellte die Brecht-Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann vor, die selbst eine respektable Autorin war. Anhand von 52 Tonbändern – Interviewmaterial, das anlässlich der DDR-Fernsehproduktion Die Mitarbeiterin (1972) entstand – wurde ein Lebensbild Elisabeth Hauptmanns entwickelt, das Einblick gibt in ihr literarische Schaffen und das Treiben der »Brecht-Factory«. Auch dies nahezu einzigartige Dokumente von literarhistorischem Rang, die längst ad acta gelegt waren.

Von den weiteren CDs sei hier nur die zu Reinhard Döhl (1934–2004) genannt, der mit seinen acht Hörspielen in den 1960er und 70er Jahren maßgeblich zur Etablierung des Neuen Hörspiels in Deutschland beitrug – die CD präsentiert Auszüge aus seinen Hörspielen und würdigt darüber hinaus Döhls Bedeutung als Rundfunkdokumentarist – sowie Bruno Gluchowskis Arbeiter-Hörspiel Der Durchbruch, das zu den einflussreichsten Hörspielen in der WDR-Geschichte zählt und wegweisend war für die Konstituierung der Gruppe 61, der Gluchowski angehörte. Die Veröffentlichung 2011 fand ein großes Medien-Echo.

Ist schon die Tonzeugnis-Reihe einigermaßen ungewöhnlich, so sind es die Ausstellungen der Literaturkommission im Besonderen. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem Zeitraum nach 2007. Die Liko hat acht große, eigene Ausstellungen realisiert, die in teilweise umfangreichen Katalogen dokumentiert sind. Nimmt man noch jene Ausstellungen in Nottbeck hinzu, die unter der Ägide der Literaturkommission stattfanden – also auch die Übernahme fremder Ausstellungen – , steigt die Zahl der von uns verantworteten Literaturausstellungen auf 42 an. Dazu gleich noch ein paar Worte mehr im Zusammenhang mit dem Museum für Westfälische Literatur.

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