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Werner Rügemer: Der Abfall – Schaffer

Verzögerte Mitteilungen einer behinderten ABM-Kraft

Ein Auszug aus: Colonia Corrupta. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2002, 4. Auflage 2003


I.
Sie werden es sicher verstehen, daß ich erst jetzt mit der Wahrheit herausrücke. Ich hatte Angst. Da ich meine Arbeit nun los bin, brauche ich einige Ängste nicht mehr zu haben. Dafür habe ich neue. Aber lassen wir das jetzt. Ich wollte sofort raus damit, an die sogenannte Öffentlichkeit, damals vor einem Jahr, oder dann vor einem halben Jahr, als Kollege Papenhorst fristlos gekündigt wurde, weil er dem Vorstand seinen Verdacht mitgeteilt hatte.

Aber wer würde mir helfen, mir glauben? Papenhorst hatte sich sofort nach einer neuen Arbeit umgesehen, und er fand tatsächlich eine, in Leipzig. Mit unserem Institut wollte er nichts mehr zu tun haben. Er ist weit weg und froh, daß er den Ärger los ist, und aufregen will er sich nicht mehr, auch wenn er im Recht ist, er hat es am Herzen. Kollege Krautkrämer rechnete sich als einziger von uns die Chance aus, damals jedenfalls, nach dem Ende der Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme im Institut übernommen zu werden, vielleicht auch deswegen, weil er am meisten in dem Klüngel mit drinsteckte. Am Anfang hatten wir uns doch so gut verstanden, aber dann hat er mir mitgeteilt: "Wenn es zum Gerichtsverfahren kommt, werde ich bestimmt nicht lügen, aber an vieles werde ich mich einfach nicht erinnern, ich hab's ja jetzt schon fast vergessen."

Ich war damals zum Arbeitsamt gegangen, zu meinem Arbeitsberater, und hatte versucht, ihn über die Zweckentfremdung von mehreren hunderttausend DM für ABM in unserem Institut zu informieren. Er tat uninteressiert und raunzte mich an: "Seien Sie froh, daß Sie endlich einen Arbeitsplatz haben." Ich bat ihn: "Geben Sie mir die Namen der Ausschußmitglieder, die im Arbeitsamt die ABM bewilligen." Mein Berater sah mich freundlich an: "Die kann ich Ihnen nicht geben - Datenschutz, Sie verstehen."

Dann hatte ich mir einen Rechtsanwalt, Spezialist für Arbeitsrecht, gesucht. Der machte mir klar: "Wenn Sie durch solche Aufklärungsaktivitäten nachhaltig den Betriebsfrieden stören, dann können Sie erstmal nichts gegen die Kündigung machen, auch wenn Sie vielleicht im Recht sind. So ist das nun mal im Arbeitsrecht". Da ich nach meiner Arbeitslosigkeit endlich wieder einen Arbeitsplatz hatte, wollte ich den bis zum Ende des Zweijahresvertrages nicht gefährden. Und ich mußte mich bis mindestens 1. Dezember des Jahres halten, sonst war mein dreizehntes Monatsgehalt gefährdet, auf das ich zum ersten Mal in meinem Leben Anrecht hatte. Sowas konnte ich bestimmt gut gebrauchen, wenn ich wieder arbeitslos sein würde.

II.
Er ist Mitglied im Rat unserer Stadt. Ich hatte ihn nicht gekannt, nicht einmal seinen Namen, obwohl ich ziemlich aufmerksam den Kommunalteil der örtlichen Zeitung lese. Nennen wir ihn Ernst Schaffer, weil er ein ernster Schaffer ist, wie Sie noch sehen werden. Ernst Schaffer war mir vor zwei Jahren wie ein rettender Engel erschienen.

Schaffer ist Vorsitzender eines Vereins, der ein Institut betreibt. Der Verein heißt Dom-Instituts-Verein oder Rhein-Instituts-Verein oder Prinzengarden-Instituts-Verein, das tut nichts zur Sache. Belassen wir es bei Rhein-Instituts-Verein, das klingt unverfänglich, denn Köln liegt nun mal am Rhein. Schaffer hatte mich zuhause angerufen, mit einer überaus freundlichen, ja einschmeichelnden Stimme, obwohl wir uns gar nicht kannten: "Ja, wir haben es geschafft, wir haben Ihre Stelle durch, Sie können kommen, in drei Wochen fangen Sie an. Ich freue mich ganz besonders für Sie persönlich."

Ich war durch lange Arbeitslosigkeit zermürbt; und nun sollte ich in seinem Institut eine Arbeit bekommen, die mich sofort faszinierte: Wir sollten alle Einleitungen sogenannter wassergefährdender Stoffe aus Gewerbebetrieben in die öffentliche Kanalisation im ganzen Stadtgebiet erkunden. Und den Betrieben sollten Rat und Hilfe bei der Rückhaltung, Vermeidung oder Vorbehandlung der Schadstoffe gegeben werden. Denn die Schwermetalle, AOX, PAK, Chlorverbindungen, Dioxin undsoweiter, davon haben Sie gewiß gehört, sie machen die Kanalrohre kaputt, machen das Klärwerk immer teurer und landen am Ende, auf Umwegen, doch im Klärschlamm und im Grundwasser. Hier etwas zu verändern: Das schien mir der Umweltschutz zu sein, den wir heute brauchen.

Das ganze Projekt trug den schönen Titel "Rheinischer Umwelt-Lotse". Es sollte ein Modell auch für andere Städte in unserem Bundesland sein, in dem die Gewässer durch die traditionelle Industriedichte stärker belastet sind als in anderen Bundesländern. Das Umwelt-Ministerium in der Landeshauptstadt förderte das Projekt. Der Kölner Stadtverwaltung fehlte es an Personal und Geräten. Schaffer und seine Freunde wußten das und wollten tatkräftig zupacken. Im Rathaus der Stadt gründeten sie ihr Rhein-Institut.

Zunächst sollten am Institut neun Leute angestellt werden. Es war zwar kein Geld da, aber das war auch nicht nötig. Beim Arbeitsamt hatte der Verein den Antrag gestellt, sie alle über ABM zu finanzieren. Das war schon damals wegen der Kürzungen nicht leicht, und bei dem praktisch nicht vorhandenen Eigenanteil.... Das widersprach so mancher Bestimmung für die Durchführung von ABM. Aber Schaffer schaffte es: die neun Stellen wurden vom Arbeitsamt bewilligt, und zwar, ganz unüblicherweise, zu 100 Prozent und sofort für zwei Jahre.

Da hatte sich die erste unauffällige Eigenschaft unseres ernsten Schaffers ausgezahlt: er ist nicht nur Vorsitzender des Vereins, der die neun Stellen beantragt hatte, sondern auch Mitglied im Bewilligungsausschuß des Arbeitsamtes, der über den Antrag zu beschließen hatte.

Daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beim Arbeitsamt so günstig ausgestattet wurden, hing damit zusammen, daß wir neun alle schwerbehindert waren. Wir vermuteten, daß das von Schaffer und seinen Freunden nicht aus humanitären oder gar humanen Gründen so beantragt worden war, aber wir waren damit einverstanden, denn wir hatten ja schließlich etwas davon, nicht wahr? Unsere erste Arbeit bestand darin, unsere Schwerbehinderung genau - oder auch nicht so genau - aufzuschreiben. Der Geschäftsführer appellierte an unsere Kreativität.

So kreierten wir auf der Grundlage unserer mehr oder weniger behinderten Körper einen vielfältigen Geräte- und Möbelbedarf. Kollege Müntefering brauchte wegen eines blinden Auges einen großen und teuren Bildschirm. Kollegin Förster beispielsweise brauchte wegen ihrer Pollenallergie unbedingt einen tragbaren Computer, einen laptop, damit sie bei Pollenwarnung zuhause arbeiten könne. Wir strengten unsere Kreativität an, wir waren noch in der Probezeit und freuten uns, daß wir unserem Arbeitgeber gefällig sein konnten, der schon angedeutet hatte, daß er uns ohne Begründung kündigen könne.

Mit unseren kreativ gewendeten Behinderungen stellte das Institut einen Antrag auf Bezuschussung behindertengerechter Arbeitsplätze beim Landschaftsverband Rheinland. Das Institut bekam die Mittel rasch und unbürokratisch bewilligt; daß der aufgeblähte Antrag von 200.000 DM auf 120.000 DM zurechtgestutzt wurde, gehörte zum Betriebsgeräusch und störte Ernst Schaffer und seine Freunde nicht. Das bedeutete Highscreen statt IBM, aber damit hatten wir gerechnet.

Ein zweiter unauffälliger Umstand hatte sich ausgewirkt: unser Ratsmitglied schafft nicht nur als Vorsitzender des Instituts-Vereins, der die Zuschüsse beantragt hatte, sondern auch als Mitglied im Aufsichtsgremium des Landschaftsverbands, der die Zuschüsse zu bewilligen hatte. Die neuesten Computer und der laptop, der große Bildschirm und die sechs anderen Bildschirme, Drucker und Graphik-Software blühten uns ins Haus, Stühle und Schreibtische, ein Konferenztisch, Regale, Diktiergeräte, Büroschränke, Aktenordner und Kugelschreiber und Textmarker und Radiergummis und schließlich gerahmte und verglaste Van-Gogh-Nachdrucke von IKEA regneten mit Hilfe unseres weißhaarigen, goldrandbebrillten Wohltäters aus öffentlichen Mitteln auf uns herab.

Unsere Gehälter bekamen wir drei Wochen später als üblich. Schaffer schützte technische Probleme vor, bis uns durch einen Hinweis der behinderten ABM-Buchhalterin klar wurde: die anfangs in die Hunderttausende gehenden Vorauszahlungen des Arbeitsamtes parkte das Institut auf Festgeldkonten, um die eigene Kasse aufzufüllen. Obwohl insbesondere Kollege Papenhorst dagegen protestierte, änderte es sich nicht. „Wenn Ihr hier einen Personalrat gründen wollt, kann ich sehr unangenehm werden“, drohte Schaffer einmal leutselig, aber streng, nachdem er wohl mitgekriegt hatte, worüber wir so diskutierten.

III.
Jetzt hätten wir arbeiten können. Das taten wir zunächst auch. Wir errechneten, daß wir nach den Vorgaben unseres Rechtsstaates auf dem Gebiet unserer Großstadt ungefähr 6.000 Betriebsstätten erfassen müßten, die Schadstoffe in die öffentliche Kanalisation einleiten. Das hätte auch dem notleidenden Stadtsäckel etwas eingebracht: Gebühren wegen Belastung des Abwassers einerseits, geringere Aufwendungen für Kanalsystem und Klärwerke andererseits. Wieviele hunderte von Millionen DM das sein könnten, das konnten wir dann leider nicht mehr ausrechnen.

Das zuständige Amt für Stadtentwässerung hatte bis zu seinem 42. demokratischen Nachkriegsarbeitsjahr erst 524 solcher Betriebsstätten erfaßt, wie uns zögernd mitgeteilt wurde. Da hätten wir also eine Menge zu tun gehabt. Aber irgendetwas fing an zu haken. Einmal waren wir mit Schaffer in dem Amt, das die 2.200 Kilometer des öffentlichen Kanalnetzes und die fünf städtischen Klärwerke betreibt. Wir legten das Landeswassergesetz auf den Tisch und lasen Paragraph 59, Absatz 2 vor. Darin werden die Ämter für Stadtentwässerung verpflichtet, alle Betriebe zu ermitteln und zu kontrollieren, die Schadstoffe in die Kanalisation und damit in die Klärwerke und damit schließlich auch in den Wasserkreislauf einleiten.

Der städtische Abwasserchef guckte ungläubig seinen guten alten Freund Ernst Schaffer an: welche Leute hatte er ihm da mitgebracht? Von diesen Paragraphen habe er noch nie etwas gehört, und das könne doch da gar nicht drinstehn, stotterte er. Einen solchen Aufruhr könne man doch der Industrie nicht zumuten. Was würden die Freunde von der IHK sagen? Schaffer lächelte gefroren in die Runde. Seitdem hatten wir auf unseren gut ausgestatteten Arbeitsplätzen nicht mehr viel zu tun.

Schaffer und seine Freunde hatten alles nicht so ernst gemeint. Unsere Vorschläge, wie man das Projekt anders durchführen könne, würgten sie ab. Sie hatten anderes für uns zu tun, nachdem wir mit dem guten Zweck erst einmal bewilligt waren. Wir sollten Fortbildungsseminare organisieren. Das Institut wollte sowieso schon länger sein Geld mit Fortbildungsseminaren für kommunale Bedienstete verdienen.

Ein Tag Fortbildung kostet der entsendenden Kommune pro Teilnehmer ein paar hundert Mark. Das ist in diesem Geschäft vergleichsweise wenig. Die enge Verbindung mit der Stadtverwaltung verschafft unserem Volksvertreter zudem so manchen Vorteil. Weil er Ratsmitglied ist, bekommt sein Institut Räume im Rathaus umsonst, auch mal den Ratssaal.

Weil der Ratssaal im Rathaus ist, ist es dann zum Beispiel für die Dezernenten für Abfall und Abwasser einfacher, bei diesen Fortbildungsseminaren ihre Referate zu halten. Dann ist der Dienstweg aus ihrem Dienstzimmer zum Seminar kurz, und das knappe Honorar von 500 DM, das ihnen das Institut für ihre einstündigen dienstlichen Äußerungen vor ihren Angestellten in der Dienstzeit bezahlt, läßt sich rechtfertigen.

Die Fortbildungsseminare wurden aber noch auf anderen Wegen gefördert. Eines Tages machte eine frohe Botschaft die Runde durch unsere behinderten Dienstzimmer: „Trienekens spendet 5.000 Mark.“ Damit könne das Institut die Seminargebühren für solche Teilnehmer finanzieren, deren städtische Behörden gerade kein Geld mehr in ihrem einschlägigen Budget haben. Der Geschäftsführer erklärte uns freudestrahlend, das hätten wir Schaffer zu verdanken, er sei vor kurzem Mitglied im Aufsichtsrat der neuen Müllgesellschaft geworden. Er habe schon mit Herrn Trienekens gesprochen. „Jetzt geht es aufwärts,“ strahlte der Geschäftsführer. So konnten wir in den folgenden Tagen die noch etwas magere Teilnehmerliste des nächsten Fortbildungsseminars um weitere Namen erweitern und freuten uns des verheissungsvollen Spenders, von dem wir schon in der Zeitung gelesen hatten.

IV.
Wir hatten uns anfangs gewundert, warum das Institut auf dem Gelände der Fleischversorgung Köln GmbH untergebracht ist. Der Geschäftsführer murmelte etwas von "günstiger Miete". Schließlich stellte sich bei einem der eiligen Besuche unseres Arbeitsgebers am Institut eine seiner weiteren unauffälligen, nützlichen Eigenschaften heraus. Er müsse an dem Tage noch nach "nebenan", bemerkte Schaffer nebenbei, es sei Aufsichtsratssitzung. Auf unsere verwunderte Frage antwortete er, der, wie im Bilderbuch, sich vor uns in seinem fernsehgerechten dunkelblauen Zweireiher mit dem taubenblauen Hemd und der gedeckt-bunten Krawatte gönnerhaft in Positur warf: "Wußten Sie denn nicht, daß ich im Aufsichtsrat des Schlachthofs bin?"

Zu jener Zeit stellte sich heraus, daß die Freunde von "nebenan" Hilfe brauchten. Die kommunale Abwassersatzung schreibt vor, daß von den Betrieben, die das öffentliche Abwasser weit über dem Durchschnitt des Verschmutzungsgrades häuslicher Abwässer belasten, ein sogenannter Starkverschmutzerzuschlag zu erheben ist. Damit sollen die Mehraufwendungen für die Klärwerkskosten gedeckt werden. Das leuchtet Ihnen sicher genau so ein wie den Mitgliedern unseres Stadtrates, als sie die Satzung beschlossen.

Was aus täglich 600 geschlachteten Rindern oder Schweinen an Blut, Magen- und Panseninhalten, Borsten, Pisse und Fetten in das öffentliche Abwasser geschwemmt wird, ist nicht wenig. Wenn Sie jetzt noch dazurechnen, was aus den jeweils paar hundert zwecks Entfettung und Entwässerung eingesalzenen Rinderhäuten an Lake heraustropft und in die Kanalisation abgeht und wenn Sie noch das dazurechnen, was an scharfen Reinigungsmitteln täglich hinterherläuft - der Schlachthof muß schließlich sauber bleiben -, dann werden Sie es wahrscheinlich spontan für naheliegend halten, daß der Starkverschmutzerzuschlag von der Schlachthofgesellschaft erhoben wird.

Unserem fernsehgerecht herausgeputzen Schaffer war aber das blaue Hemd des Mitglieds im Aufsichtsrat des Schlachthofs näher als der finanziell dürftige Ratsrock. Im Aufsichtsrat des Schlachthofs bekommt er eine zusätzliche steuerfreie Aufwandsentschädigung und die günstige Miete für sein Institut.

Der Schlachthof gab beim Rhein-Institut ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag. Dafür stand ein alter Freund Schaffers zur Verfügung, nennen wir ihn Dr. Möpken, bis zu seiner Pensionierung Leiter des städtischen Abwasserlabors. Er nahm mithilfe chemischer Formeln kreativ die Kurve und argumentierte: Gerade heute, wo die öffentlichen Abwässer mit industriellen Schadstoffen so stark belastet sind, sei eine regelmäßige biologische Beigabe, seien ein paar Tausend tägliche Liter natürlichen warmen Blutes wie aus dem Schlachthof geradezu eine ideale Ergänzung... Man müsse auf diesem Gebiet jetzt auch ökologische Gesichtspunkte einbeziehen... Und da die internationale Klärwerkstechnologie gerade im Übergang zur dritten biologischen Klärstufe...

Fleißige "ABM-Kräfte" übernahmen das Abtippen, Gestalten und Vervielfältigen des umfangreichen Gutachtens. Es wurde mit Schaffers eigener Hand auf dem kurzen Dienstweg allen einschlägigen Amtsleitern und Dezernenten auf den Tisch gelegt. Die 50.000 DM Gutachter-Honorar für das Schaffer-Institut und für Dr. Möpken konnten die Freunde von nebenan umso mehr mit Freuden löhnen als sie nunmehr und ohne lästige Diskussion im Rat von der jährlichen Zahlung von etwa 500.000 DM Starkverschmutzerzuschlag ganz unbürokratisch entbunden waren.

Wenn Sie nun meinen, daß unser Ihnen unbekannter Hinterbänkler Ihre und unsere Stadt etwas teuer zu stehen komme, dann haben Sie zwar recht, aber wenn Sie annehmen, das sei schon alles, dann sind Sie vielleicht doch noch etwas naiv: Die Brauereien z.B. müßten eigentlich auch einen Starkverschmutzerzuschlag bezahlen. Das Bierbrauen ist leider keine so saubere Angelegenheit, wie Sie vielleicht bisher im nüchternen oder angenehm angeschickerten Zustand gedacht haben, wenn Sie das örtliche Obergärige genießerisch in sich hineinschütten.

Die Brauereien hatten sich derweil hinter dem Schlachthof verschanzt und die Zahlung ihres Starkverschmutzerzuschlags mit Hinweis auf die dort anstehende Entscheidung ausgesetzt. Nach der Schlachthofentscheidung war dann auch dem Oberstadtdirektor klar, daß er den Rat Ihrer und meiner Stadt gar nicht mehr zu fragen brauchte, um die wissenschaftlich schlüssige Entscheidung auch für die Brauereien zu fällen. Ich erwähne nur der Ordnung halber, daß per Ratsentscheid vom 17.12. 1992 die bereits seit neun Jahren unveränderten Nutzungsgebühren des Schlachthofs für das städtische Gelände für ein weiteres Jahr genehmigt wurden, selbstverständlich mit Zustimmung unserer nichtsahnenden Umweltfreunde, der Grünen.

V.
Wer gedacht hätte, daß das vorzeitige Ende des beim Arbeitsamt beantragten "Rheinischen Umweltlotsen" irgendeinen der Verantwortlichen am Institut gestört hätte, lag schief. Im Gegenteil, jetzt kamen ihre Interessen deutlicher zum Vorschein. Dr. Möpken holte sich eigenhändig den laptop ab, den der Landschaftsverband für Kollegin Försters pollenallergische ABM-Kraft bewilligt hatte – der agile Pensionär war technischen Neuerungen gegenüber schon immer aufgeschlossen. Er widmet sich mithilfe des Gerätes seitdem zuhause einträglich der Erstellung weiterer Gutachten, die nun von weiteren um die Umwelt besorgten Schlachthöfen aufgrund des domstädtischen Erfolges bei ihm angefordert werden.

Vorstandsmitglied Professor Willermann - so könnte er heißen - vom örtlichen Lehrstuhl für Siedlungswasserbau an der Fachhochschule Köln-Deutz, der sein Zubrot in seiner knapp bemessenen Beamtenfreizeit nicht nur an rheinischen, sondern auch neuseeländischen Klärwerken verdienen muß, pflegte in verbindlichem, aber offenbar langjährig geübtem Kommandoton per Telefon nun häufiger durchzugeben, daß das von ihm im Intercity nuschelig besprochene Band mit seinem nächsten Referat über die "Feststsoffretention in Nachklärbecken" am Bahnsteig 6, Abschnitt A, vor der Abfahrt um 16 Uhr 29 nach München abzuholen und sauber abgetippt am übernächsten Tag, mit Ausdruck in doppelter Ausfertigung und auf Diskette gespeichert, am Bahnsteig 4, Abschnitt B, vor der Abfahrt nach Dresden um 12 Uhr 54 "von einer der ABM-Kräfte" ihm pünktlich auszuhändigen sei. "Eine andere ABM-Kraft" könne mittlerweile das Referat ins Englische übersetzen, damit es ihm bei seiner Rückkunft aus Dresden am Bahnsteig soundso überreicht werde, sodaß er es endlich der führenden Fachzeitschrift in den USA für die Unterrichtung der schon ungeduldig wartenden transatlantischen Klärschlammszene zuschicken könne.

Auch Dr.-Ing. Trauernicht - nennen wir ihn einmal so - trat nun stärker in Erscheinung. Graue Eminenz des Instituts, ist er Vorsitzender von dessen unvermeidlichem wissenschaftlichem Beirat und zugleich Ministerialrat in der Abteilung IV B "Wasserwirtschaft und Gewässerschutz" im Ministerium für Umwelt, Wasserordnung und Abfallwirtschaft in der nahen Landeshauptstadt. Trauernicht hatte das Projekt des Rheinischen Umwelt-Lotsen eingefädelt, denn er hat so manchen Einblick in die giftigen Abwässer des Bundeslandes; über das Ende des Projekts trauerte er nicht, auch wenn damit die Verordnungen, die aus seiner Abteilung stammen, Makulatur blieben. Dieser nur scheinbare Widerspruch war für ihn Routine.

Er ließ dem Institut seine Möglichkeiten in anderer Weise zugute kommen. Weil die Gewässer und Kanäle unseres Bundeslandes wirklich nicht in bestem Zustand sind, muß Dr.-Ing. Trauernicht im Auftrag seines nordrhein-westfälischen Umwelt-Ministers ständig neue Verordnungen entwerfen. Weil aber alle nicht eingehalten werden, ist in den zuständigen Ämtern der Kreise und kreisfreien Städte eine gewisse "Rechtsunsicherheit" entstanden, wie sein sozialdemokratischer Minister das gewöhnlich umschreibt. Um nun schon im Vorfeld die rechtsverunsicherten Beamten in die neue und voraussehbar wieder nicht einzuhaltende Verordnung - nehmen wir als Beispiele die Verordnung über die Niederschlagsentwässerung im kommunalen Mischsystem - einzubeziehen, damit sie nachher wissen, was sie trotz Verordnung (nicht) zu tun haben, machte das Institut dazu eine seiner inzwischen bewährten Fortbildungsmaßnahmen.

Ministgerialrat Trauernicht hätte die einschlägig befaßten Beamten der Unteren Wasserbehörden, der Ämter für Stadtentwässserung, der Regierungspräsidenten und der Abwasserverbände zu einer Dienstbesprechung einladen können. Eigentlich.

Dann aber hätten weder er noch das Institut etwas daran verdient. So aber lud das Rhein-Institut für den vergleichsweise günstigen Preis von 425 DM pro Teilnehmer zu einer eintägigen Fortbildung ins Rathaus unserer Stadt ein. Die Behörden und Verbände, die gut 200 fortbildungsverdonnerte Beamte entsandten, zahlten damit für eine Veranstaltung, die sie auch umsonst hätten haben können; und Trauernicht konnte für das von ihm in dienstlicher Eigenschaft und während der Dienstzeit gehaltene Referat das Honorar einstreichen, das ihm sein eigenes Institut dafür zahlte und das er sonst nicht bekommen hätte. So waren auch die Aufwandsentschädigung für Geschäftsführer Krummer und seine inzwischen zu überhöhtem Gehalt eingestellte Ehefrau gesichert, bis zur nächsten Fortbildung, die von uns behinderten "ABM-Kräften" schon geplant wurde.

Der Geschäftsführer, nennen wir ihn also Krummer, kümmerte sich sowieso nur etwas widerwillig um das Institut. Die 9.000 DM Aufwandsentschädigung im Monat, die ihm Schaffer und der Vorstand für seine nebenamtliche Geschäftsführertätigkeit genehmigten, konnten ihn nicht zufriedenstellen. Er wollte sich als Umwelt-Consulter selbständig machen. In einigen Räumen auf dem Schlachthofgelände, die praktischerweise mit dem Institut verbunden waren, betrieb er seine Selbständigkeit. Die bestand zunehmend darin, die nicht ausgelasteten Kapazitäten der ABM-Kräfte für seine Privatfirma zu nutzen.

Mithilfe des ministerialen Förderers aus der Abt. IV B erhielt sie den Auftrag des Ministers, ein Klärschlammentsorgungskonzept für das Bundesland zu entwickeln. Die Landwirte nehmen den Schlamm kaum mehr als Dünger ab, und die kommunalen Deponien sind voll. Krummer soll die Bauern von der Unschädlichkeit der giftstoffhaltigen Abwasserrückstände überzeugen. Weitsichtig hat er auch einen Vertrag mit der unerfahrenen Regierung eines neuen Bundeslandes namens Thüringen entworfen, wo der Klärschlamm bereits unruhig seiner rheinischen Entsorgung entgegenharrt.

Auch diesen Auftrag brachte Krummer unter das Dach des "Rheinischen Umweltlotsen". Krummer machte sich bzw. seine billigen "ABM-Kräfte" an die Arbeit. Der grosse Bildschirm mit dem Laserdrucker aus der öffentlichen Wundertüte kamen dem freien Unternehmer gut zupaß.

Nun stehen die Klär-, Kompostier- und Verbrennungs-Anlagen, die Krummer aufzusuchen hat, weit verstreut im Bundesland. Mit der Begründung, am Institut seien die vielen Schwerbehinderten beschäftigt und müßten neuerdings wegen schwerer Erkrankungen von zuhause zur Arbeitsstelle und zurück transportiert werden, wurden beim Landschaftsverband diesmal zwei Autos für Krankentransporte beantragt.

Sie wurden unbürokratisch bewilligt. Bald standen zwei dunkelblaue VW Polo Caravan mit grünen Autokennzeichen vor der Institutstür. Krummer hatte sie mit großen Schriftzügen "Rheinischer Umweltlotse", mit Institutsadresse, Telefon- und Faxnummer versehen lassen. Das grüne Kennzeichen hat nicht unmittelbar mit Ökologie zu tun, wie Sie vielleicht vermuten, sondern mit Steuerhinterziehung. Das Finanzamt hatte auf Schaffers Antrag wegen des guten menschlichen Zwecks die beiden Autos von der Kfz-Steuer befreit. Da es aber keine Beschäftigen am Institut gab, auf die die Zweckbestimmung zutraf, konnten Krummer und seine Ehefrau und als besondere Vergünstigung auch mal eine behinderte ABM-Kraft die beiden Fahrzeuge frei benutzen, für das Institut, privat oder für die Consulting-Firma.

Krummer, einmal in Fahrt, war der Meinung, als freier Unternehmer mit einem in die notleidenden neuen Bundesländer ausgreifenden Aktionsradius müsse er ein standesgemäßes standing haben. Da die pollenallergische ABM-Kraft nicht so viel zu tun hatte, aber, wie sich herausstellte, die französische Sprache in Wort und Schrift beherrschte, ließ Krummer die Kollegin Förster nun in der Dienstzeit den Kauf eines Bungalows nebst Grundstück auf der Ile d' Oléron an der französischen Atlantikküste abwickeln.

Da waren Bauzeichnungen und Notariatsverträge vom Französischen ins Deutsche und wieder zurück zu übersetzen. Krummers Sonderwünsche nach Erweiterung der Terrasse, nach Verlegung der Steckdose für den Waschmaschinenanschluß, nach Einbau einer zusätzlichen Balkontür mußten in unmißverständliche französische Fachausdrücke gebracht werden, damit keine Mißverständnisse oder Mehrkosten entstünden. Hilfsbereit wie er war, brachte Krummer der Kollegin ein Lexikon ins Büro mit.

Ich kann zu unserer teilweisen Ehrenrettung sagen, daß uns allmählich Bedenken kamen. Gemotzt und uns beim Kaffeetrinken über den Klüngelsverein lustig gemacht - das hatten wir von Anfang an. Zwei von uns teilten dem Vorsitzenden Schaffer in einem Brief mit, daß wir am Institut Zweckentfremdung öffentlicher Mittel und Betrug vermuten, daß das aufhören sollte und daß wir ihm das bei Interesse gerne genauer darlegen wollten.

Der gewählte Volksvertreter und seine Freunde hatten kein Interesse. Die zwei Briefschreiber wurden fristlos entlassen. Der eine wurde mit einer Änderungskündigung wieder eingestellt, die eine monatliche Gehaltsrückstufung von 1.000 DM beinhaltete. Die Gehaltsrückstufung brachte dem Institut darüberhinaus den Vorteil, daß dem Arbeitsamt gegenüber das höhere Gehalt abgerechnet und der "ABM-Kraft" das niedrigere ausgezahlt wurde.

Hier flossen die einschlägigen Erfahrungen des verdienten Arbeiterfunktionärs ein, denn Schaffer ist nicht nur vom Rat der Stadt in den Verwaltungsausschuß und den ABM-Bewilligungsauschuß des Arbeitsamtes gewählt worden, sondern noch in einen anderen Ausschuß des Arbeitsamtes: in den Ausschuß für anzeigepflichtige Entlassungen. Falls, wie zu erwarten, das Arbeitsgericht die fristlose Kündigung für nichtig erklärt, braucht Schaffer wegen der Nachzahlung keine Angst zu haben: die 30.000 DM übernimmt ja „sein“ Arbeitsamt.

VI.
Wie war er doch so freudestrahlend damals ins Institut gekommen, als wir arbeitslosigkeitserlösten Schwerbehinderten erwartungsfroh auf unseren schönen Arbeitsplätzen saßen und arbeiten wollten! "Wissen Sie", erzählte uns Schaffer während seiner ersten Besuche volksnah und ungebeten immer wieder, wenn wir im Empfangsraum um ihn herumstanden, "ich habe ein neues Leben angefangen. Ich war über dreißig Jahre verheiratet. Jetzt lebe ich mit meiner neuen Lebensgefährtin in Mannheim, weit weg von dem Trubel hier. Sie arbeitet und ich bin Hausmann. Das tut gut." Schaffer strahlte und wollte Zustimmung hören.

Wir fanden es nicht besonders befremdlich, daß der Edelproletarier der sozialen Ratsfraktion bei seinen eiligen Besuchen im Institut sich nicht weiter nach uns Beschäftigten erkundigte. Leutselig belästigte er uns aber ausführlich mit den Umständen seiner nachholenden Individualemanzipation. "An meine Frau muß ich 1.800 Mark im Monat zahlen. Das will verdient sein. Viel mehr als 2.000 Mark bringt mir das Ratsmandat auch nicht ein", berichtete er in einer Mischung zwischen Verbitterung und Stolz.

Die monatliche Aufwandsentschädigung von 631 DM für das Ratsmandat bessert der Hinterbänkler durch Fraktions-, Rats- und Ausschußsitzungen auf, die jeweils 26 DM einbringen. Er sitzt für seine Fraktion in den Ratsausschüssen Umweltschutz, Allgemeine Verwaltung und Rechtsfragen und als stellvertretender Vorsitzender im Ausschuß Öffentliche Einrichtungen und Abfallwirtschaft: Da gibt es schon was zum Aus- und Absitzen. Ein größerer Batzen kommt durch die Aufsichtsgremien zustande, in die der emanzipationshungrige Frührentner von seinen Parteifreunden und vom Rat plaziert wurde. Zu den schon erwähnten Gremien nenne ich Ihnen der Vollständigkeit halber noch die Tätigkeit Schaffers im Aufsichtsrat der KölnMesse GmbH, im Kreispolizeibeirat (deren Vorsitzender er ist), im Beirat der Westdeutschen Landesbank und im Aufsichtsrat der kürzlich mit des Genossen Oberstadtdirektors Hilfe gegründeten Abfallverwertungs- und Entsorgungs GmbH Köln (AVG), die eine grosse Müllverbrennungsanlage bauen will.

VII.
Wir schwerbehinderten Naivlinge hätten alles schon vorher wissen können. Wie sich als gängige Münze über "Abfall-Schaffer" bei unseren Nachfragen in der politischen Szene herausstellte, hatte er sein Modell des der Stadt so teuren Umweltschutzes schon Jahre vorher erfolgreich erprobt.

Er hatte als Werkzeugmacher im drittgrößten Betrieb der Stadt angefangen, in dem Motoren für Traktoren und Schiffe und Panzer hergestellt werden. Der Fleißige war dann zum Betriebsrat und schließlich zum Umweltschutzbeauftragten von KHD aufgestiegen. Er wußte, wovon er sprach, wenn er uns, was gelegentlich vorkam, begeistert von den Tonnen giftiger Karbidschlämme berichtete, die da einfach aufs Gelände nahe am Rhein gekippt worden seien, damals in der seligen Zeit, als es den modernen Quatsch mit den grünen Umweltgesetzen noch nicht gegeben hat.

1985 hatte er dann, nachdem er den unvermeidlichen Trend der Zeit erkannt und die Funktion des betrieblichen Umweltschutzbeauftragten der Motorenfabrik übernommen hatte, in dieser und in seiner gleichzeitigen Eigenschaft als Vorsitzender des Ratsausschusses für Öffentliche Einrichtungen und Abfallwirtschaft seinem Brötchengeber einen Vertrag mit dreijähriger Laufzeit eingefädelt: Die beim Guß der Motorblöcke mit Phenol und Kohlenwasserstoff verseuchten Gießereischlämme in der Jahresmenge von 35.000 Tonnen wurden nun, als Hausmüll deklariert, für 9 DM pro Tonne auf der Vereinigten Deponie Ville abgelagert, obwohl sie laut der im Rat von Schaffer mitbeschlossenen Entgeltordnung als Sondermüll für mindestens 36 DM pro Tonne hätten bezahlt werden müssen. Laut Bericht des städtischen Rechungsprüfungsamts von 1987 gingen damit dem städtischen Haushalt Gebühren in Höhe von 3,8 Millionen DM verloren, was freilich eine sehr nachsichtige Berechnung darstellte, aus welchen Gründen auch immer. Übrigens waren die Verträge zwischen KHD und der Stadt nicht mehr aufzufinden gewesen.

Schaffer hatte sich mit der Aktion von Seiten der sogenannten Öffentlichkeit und der Gewerkschaften soviel Kritik bzw. von Seiten der Unternehmensleitung soviel Lob eingehandelt, daß er mit guter Abfindung und Rente das Arbeitsleben hinter sich lassen konnte. Mit seinem verdienstvollen Kavaliersdelikt hatte er sich in seiner Partei endgültig als Abfallautorität durchgesetzt. Er hatte dann das Rhein-Institut gegründet , wurde abfallpolitischer Sprecher der SPD-Ratsfraktion und stieg endgültig in die erste Reihe der Hinterbänkler auf.

VIII.
Der jungverliebte Hausmann hatte uns eingeschärft, daß wir ihn in den Sitzungswochen von Dienstag (Fraktion und Ausschüsse) bis spätestens Donnerstag (Stadtrat) unter seiner Fraktionsadresse, ansonsten zuhause in Mannheim erreichen. Er bedauerte, daß er vom Rat die Fahrkarte nur für diese Tage ausgestellt bekomme und deshalb immer nur kurz im Institut sein könne.

Naturgemäß beschäftigt ihn die Tatsache, daß er sein Ratsmandat laut Kommunalwahlgesetz unberechtigt ausübt, denn er müsste in der Domstadt wohnen. Aber es ist ihm nicht wirklich ein Problem. Niemand vermißt ihn in der SPD-Hochburg im rechtsrheinischen Buchheim, wo er bei der letzten Kommunalwahl im Jahre 1989 noch die dort übliche lustlose absolute Mehrheit bekam, heruntergeronnen auf 50,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung war dort mit 54,3 Prozent, wie in sozialdemokratisch dominierten Arbeiterstadtteilen üblich, sehr niedrig geworden, und die Republikaner hatten mit 8,3 Prozent ein gutes Ergebnis erzielt. Da fällt es außer dem eisern schweigenden Vorstand des dahindämmernden Ortsvereins niemandem auf, daß der Gewählte den Wahlkreis seitdem nicht mehr von innen gesehen hat.

Unter der falschen Telefonnummer, die man beim SPD-Unterbezirk, in der Fraktion und im Handbuch für Rat und Verwaltung erfährt, wird unser in südliche Gefilde hinwegemanzipierter Volksvertreter von einer gequälten Frauenstimme als unbekannt verzogen bezeichnet. Der letzte irrtümliche Anruf für den Abgeordneten, so die Stimme, sei vor einem Jahr gekommen, vielleicht auch vor zwei. Das kann der Stimme und ihm nur recht sein, finden Sie nicht?

Chronik einer schonenden Abwicklung
Der Artikel führt am 27.5.1993 zu einer von Bärbel Höhn/Grüne beantragten Aktuellen Stunde im NRW-Landtag. Umweltminister Matthiesen: "Dieser dubiose Artikel ist Gegenstand von 28 Unterlassungs- und Widerrufserklärungen geworden. Ich bin sehr gespannt, wie der jetzt Beschuldigte reagieren wird. Weitere Klagen der im Artikel genannten Personen werden folgen..." Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Kölner Rat und Landtagsabgeordnete Klaus Heugel bekräftigt in der selben Sitzung, dass der verdiente Betriebsrat Erich Schäfer, der bei KHD schon erfolgreich gegen kommunistische Funktionäre gekämpft habe, sich von solchen Anwürfen nicht unterkriegen lasse. Oberbürgermeister Burger teilt den Grünen im Kölner Rat mit: "Erich Schäfer wird Herrn Rügemer auf 28 Unterlassungs- und Widerrufserklärungen verklagen."

Davon bleibt zwei Wochen später eine Klage von Schäfer/Schaffer mit 6 Punkten übrig, verbunden mit der Forderung nach 500.000 Mark Ordnungsgeld, ersatzweise zwei Jahre Haft. Die anderen im Artikel genannten Personen verzichten auf eine Klage. Schäfer verliert die Klage und bezeichnet sich aufgrund der Verfahrens- und Rechtsanwaltskosten als „ruiniert“.

Das Rhein-Institut des ehemaligen Betriebsrats verliert fünf Arbeitsgerichtsprozesse, die NRW-Regierung muss ihre Aufträge zurückziehen, das Institut löst sich auf.

Das von Schäfer wegen seines Wohnsitzes in Süddeutschland unberechtigt wahrgenommene Kölner Ratsmandat wird ihm von der Verwaltung als ordnungsgemäss bestätigt. Oberstadtdirektor Ruschmeier am 20.7.1993: "Herr Schäfer ist mit alleiniger Wohnung für die Adresse Annabergstr. 11, 5000 Köln 80 gemeldet. Das Bestehen dieser im Einwohnergrunddatensatz gespeicherten Meldeverhältnisse hat mir Herr Schäfer bestätigt."

Kurt Holl, Mitglied im Kölner Polizeibeirat , verlangt am 18.6.93 den Rücktritt Schäfers vom Vorsitz des Beirats – keine Reaktion.

Der Landschaftsverband Rheinland holt still und leise die bezuschussten Autos, Computer und Möbel aus dem Rhein-Insitut ab. Direktor Dr. Fuchs am 31.8.93: „Ich bitte um Verständnis, daß ich über Einzelheiten keine Auskunft erteilen darf."

Der EXPRESS stellt am 8.9.93 das "Enthüllungsbuch“ von Henning Venske vor: „Korruption, Klüngel und Filz in Deutschland", mit Beispielen aus Düsseldorf und anderen Städten. Unterschlagen wird, daß auch "Der Abfall-Schaffer" enthalten ist.

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung am 9.11.93: "... liegen der Abschlußbericht des Arbeitsamtes Köln und die Stellungnahme des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit vor. Danach ist es bei der Bewilligung und Durchführung der ABM zu Verfahrensmängeln gekommen. ... ließ sich jedoch ein Leistungsmißbrauch in nennenswertem Umfang nicht feststellen."

Direktor Manstetten, Arbeitsamt Köln, am 22.11.93, nachdem er eine angekündigte Pressekonferenz abgesagt hat: "An den Vorwürfen ist nichts dran. Wir fordern aber 10.000 DM zurück. Das sind Zinsgewinne mit ABM-Geldern, die den Beschäftigten vom Rhein-Institut zu spät ausgezahlt wurden."

November 1993: Der Gerichtsvollzieher will 25.000 DM eintreiben, die das Rhein-Institut laut Arbeitsgerichtsurteil an einen zu unrecht fristlos Entlassenen zahlen muß. Schäfer hat jedoch die Räume im Schlachthof fluchtartig ohne Angabe einer Adresse verlassen.

Die Staatsanwaltschaft geht den Angaben wegen des unberechtigten Ratsmandats ebensowenig nach wie die örtlichen Tagespresse. Schäfer wird ein Jahr später ohne Angabe von Gründen von der Kandidatenliste der Kommunalwahl gestrichen, behält aber seine Mitgliedschaften in den Gremien der KölnMesse, des Schlachthofs, des Arbeitsamtes, der Westdeutschen Landesbank und des Polizeibeirats usw.

Als Bericht über die von Schäfer, Matthiesen usw. zunächst im Rhein-Institut begonnene, gesetzlich vorgeschriebene, dann aber abgebrochene Erfassung der industriellen Abwassereinleitungen in die Kölner Kanalisation verfasst der Autor das Buch „Staatsgeheimnis Abwasser“ (1995).


Von Arschlöchern, Sozialmietern und anderen Demokraten

„Das sind so große Arschlöcher, da kann ein ganzer Lkw durchfahren“ - das war eine der kurfürstlichen Unappetitlichkeiten, die von den rheinischen Großmedien quotengeil aufgeschnappt und unters demokratiemüde Publikum gejubelt werden. Diesmal durfte mit „Arschlöchern“ der höchstbezahlte Unterhaltungsbeamte Deutschlands jene Kritiker bezeichnen, die auf einen Umstand hingewiesen hatten, den sie schon 18 Jahre lang geduldet hatten, daß der Herr Antwerpes nämlich im Kölner Nobelviertel Lindenthal eine 170 Quadratmeter große Wohnung in einer Gründerzeitvilla bewohne und dafür an seinen Staat, der Eigentümer und Vermieter ist, seit 1994 nur eine Sozialmiete von 9,42 Mark pro Quadratmeter bezahle. Bei seinem Einzug 1980 habe er sogar nur 5,73 Mark bezahlt. Das sei doch bei einem Monatseinkommen von 14.000 Mark aufreizend wenig.

Dabei hatten es die genannten Kritiker gnädigerweise schon unterlassen zu erwähnen, daß der Herr Antwerpes das genannte Einkommen ja dreizehnmal im Jahr bezieht, während er ganz bürgernah die Sozialmiete nur zwölfmal im Jahr bezahlt. Davon abgesehen, daß die genannten Kritiker unerwähnt gelassen hatten, daß zum kurfürstlichen Einkommen noch Ortszuschlag, Unkostenpauschale, Urlaubsgeld und Nebeneinkünfte zu rechnen wären. Auch hatten die Kritiker davon abgesehen darauf hinzuweisen, daß, wenn man so korrekt sein wollte wie der Herr Antwerpes ansonsten dienstlich immer behaupte vorzugehen, man auf jeden Fall zum Beispiel auch geldwerte Dienstvergünstigungen einrechnen müsse, etwa wenn der staatsbeamtete Chauffeur während der Dienstzeit im Dienstwagen die Hemden des Herrn aus der Reinigung hole und dann bei der kurfürstlichen Gattin in der Max-Bruch-Straße Nr. 8 abgebe. Übrigens hatten die gnädigen Kritiker schließlich auch davon abgesehen zu erwähnen, daß zu der 170-Quadratmeter-Wohnung im Erdgeschoß noch ein standesgemäßer 600 Quadratmeter großer Garten gehört, in dem der fürstliche Sozialmieter nach Dienst- und Schimpfschluß im frischen Hemd die Seele baumeln lassen kann.

Nachdem einer seiner Kritiker im Fernsehn das mit den Arschlöchern und der Sozialmiete bundesweit bekannt gemacht hatte, zog der Herr Antwerpes vor Gericht: Er wollte verbieten lassen, daß die 5,73- bzw. 9,42-Mark-Miete öffentlich als „Sozialmiete“ bezeichnet wird. Obwohl es sich dabei gewiß nicht um einen juristisch korrekten Begriff handelt und außerdem Mietpreise für Sozialwohnungen etwa in der verkommenen SPD-Vorzeigesiedlung Köln-Chorweiler auch schon bei 14 Mark pro Quadratmeter liegen können (zudem bei Wohnungen ohne Garten), kam der „Rächer aus der Zeughausstraße“ (EXPRESS) mit seiner Klage nicht durch, und so hatte er, so schien es, ein Einsehen. Er entschuldigte sich: „Ich entschuldige mich bei allen, die sich angesprochen fühlten, mit dem Ausdruck des höchsten Bedauerns. Da ist die Contenance mit mir durchgegangen.“ Sowas kann ein solcher sich schon mal leisten, und da die „Arschlöcher“ sich offensichtlich auch gar nicht beleidigt gefühlt und den Herrn Antwerpes nicht wegen Beleidigung verklagt hatten, was eigentlich nahegelegen hätte, war die Sache damit erledigt.

Ein Teil der gnädigen Kritiker, die mit Bezug auf die ortsübliche Vergleichsmiete den kurfürstlichen Mietvorteil seit 1980 auf etwa 200.000 Mark und die von den steuerzahlenden „Arschlöchern“ und anderen Demokraten bezahlten Ausstattungs- und Renovierungsarbeiten an der Villa mit rund einer Million errechnet hatten, brachten „den Skandal“, wie sie das nannten, vor den Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen. Warum sie die Ministrantenkorruption des Leiters der Bezirksregierung so aufblähten, ist unersichtlich. Der Staatssekretär Gerlach vom Finanzministerium, ein aufstrebender guter Genosse aus der regierenden Staatspartei, wies aber gewichtig irgendein gemutmaßtes Klüngelverhalten zugunsten ihres obersten Kölner Sozialmieters schon deshalb weit von sich, weil „das Mietverhältnis vom stellvertretenden Regierungspräsidenten Steup betreut worden ist, und Herr Steup ist ja immerhin ein CDU-Mann.“ Als hätte die Kontrolle eines hochrangigen SPD-Beamten durch einen hochrangigen CDU-Beamten jemals stattgefunden, jedenfalls in der neueren Demokratiegeschichte und schon gar im Reiche der Bibel- und Wirtschaftsprediger Rau und Clement. Es handelt sich ja schließlich nicht um eine Kontrolle, sondern, wie der aufstrebende Gerlach sich ja schon ziemlich deutlich ausdrückte, um eine „Betreuung“.

Der Express, der jeden Furz des bekanntesten deutschen Sozialmieters zum medialen Großereignis aufbläht, titelte nach dem Ende der Arschlöcher-Affäre: „Endlich! Stadt jagt Sozialschmarotzer!“ Natürlich enttäuschte der EXPRESS seine Leser und Leserinnen, zitiert wurde Sozialdezernentin Ursula Christiansen, die von ihrer konsequenten Jagd auf Sozialhilfeempfänger zurückkam: „Der Schaden beläuft sich pro Fall im Schnitt auf 200 bis 500 Mark.“ Da wissen wir nun wenigstens, warum das Sozialamt bei seiner Jagd auf Sozialschmarotzer nie richtig zu Geld kommt.

Ungenehmigte Grabungen in der Archäoszene

Seit ich aus dem Rechnungsprüfungsamt der Stadt rausgedrängt wurde, mit einer guten Abfindung, kann ich viel spazierengehen. Da kann man mal über die Vergangenheit nachdenken, über den ganzen Quatsch zum Beispiel, den man jahrelang mitgemacht hat. Und was einem dann die Leute so mitteilen, auch ehemalige Kollegen aus der Stadtverwaltung, die noch da arbeiten! Manchmal sprudelt es richtig. Da packt mich der alte Beruf, der übrigens viel mit Archäologie zu tun hat: Schicht um Schicht tiefer graben, Belege abkratzen, von allen Seiten begucken. Zum Beispiel neulich traf ich den Kollegen K. von der Bodendenkmalpflege. Ich ging gerade am Heumarkt spazieren. Das gucke ich mir gerne an, seit da wieder gegraben wird. Kollege K. ging auch da rum, etwas frustriert, wie mir schien, aber freundlicher als früher, als ich immer seine Abrechnungen prüfen mußte. Er hatte beruflich hier zu tun, er soll in Vertretung der Frau Spiegel in Fachaufsicht machen über die privaten Grabungsfirmen, die jetzt im Auftrag von Hochtief hier buddeln. Seitdem treffen Kollege K. und ich uns öfter am Heumarkt. Inzwischen kommen gelegentlich noch Kollege P. vom Stadtmuseum und Kollegin F. vom Römisch-Germanischen Museum dazu. Ob das alles stimmt, was die mir erzählen? Jedenfalls bilden wir in Dienst- und Freizeit eine lustig-frustrierte Hobby-Archäologen-Runde. Wir graben alles Mögliche aus. Manchmal ziehen wir uns in ein nahegelegenes Brauhaus zurück und halten unsere Erkenntnisse auf Stößen von Bierdeckeln fest.

Der Byzantinist
In der ersten Schicht unserer ungenehmigten Grabung haben wir zunächst einen leibhaftigen Professor aus der Jetztzeit freigelegt. Er steht voll im Saft der kleinen, aber feinen Kölner Archäoszene. Er ist der Chef und heißt Hellenkemper. Jeder richtige Klüngelant beginnt mit einer harschen Kritik des Klüngels. So auch Hellenkemper, als er noch nicht Direktor des Römisch-Germanischen Museums und Professor war. Schrieb der heiße Jungsporn damals in seinem Artikel „Archäologie und U-Bahn-Bau in Köln“: „... hat die Kölner Archäologie fünf schwarze Jahre im Dienst des Fortschritts erlebt, von 1964 bis 1969... Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, hier wird nicht der U-Bahn-Bau beklagt, sondern die Versäumnisse der archäologischen Bodendenkmalpflege... Eine mit dem Bauvorhaben abgestimmte Rettungsgrabung hätte einen bedeutenden wissenschaftlichen Ertrag für die Geschichte des römischen Köln erbracht.“

Diese Kritik hinderte den Jungarchäologen nicht, danach nun selbst weitere schwarze Jahre im Dienst des Fortschritts zu organisieren. Als er ab 1981 verantwortlich war für die Grabungen beim Bau des Rheinufertunnels und der Philharmonie, ließ er hunderte von LKW-Ladungen mittelalterlicher Kölner Kulturschichten schnell auf diverse Müllkippen verteilen. Schulkinder fanden damals schöne Antiken auf der Müllkippe Immendorf, und das Stadtmuseum kaufte eine herrliche Bronzeschale, die Hellenkemper als Leiter der Abteilung Bodendenkmalpflege im Römisch-Germanischen Museum bei der gesetzlich vorgeschriebenen Ausgrabung hätte zutage fördern müssen.

An der Bonner Universität hat Hellenkemper seinen Doktor als historischer Geograph gemacht. In seiner Dienstzeit hielt er danach an der Kölner Universität Seminare in „Byzantinischer Archäologie“, in einer Wissenschaft also, die es bis dato nicht gegeben hatte. Auf diesen Ausweg war er verfallen, da ihn das Archäologische Institut der Universität mit Seminaren nicht betraut hatte. Die Byzantinisten freuten sich über den kreativen Neuzugang. Zur Belohnung brauchte der Chef der Kölner Bodendenkmalpflege keine eigene Habilitationsschrift zu verfassen wie sonst üblich, um habilitiert zu werden. Es reichte die „wissenschaftliche Gesamtleistung“ seiner Seminare. Und so wurde er als Nicht-Archäologe von Nicht-Archäologen schließlich noch zum Professor der „Byzantinischen Archäologie“ ernannt.

Der Ministeriale
Die nächste Schicht unserer ungenehmigten Grabungen erschloß uns noch einen Professor. Heinz Günther Horn, Referent für Bodendenkmalpflege im Düsseldorfer Ministerium für Landesentwicklung, hat zehn Semester lang während seiner Dienstzeit den Weg von Düsseldorf nach Köln und zurück auf sich genommen, um an der Kölner Universität Seminare zum „Denkmalrecht in den römischen Provinzen“ abzuhalten: Denkmalrecht I, im folgenden Semester Denkmalrecht II, dann Denkmalrecht III undsoweiter; danach im Zyklus „Was ist ein Bodendenkmal“, „Was ist Bodendenkmalpflege“ undsoweiter. Für seine dergestaltige „wissenschafltiche Gesamtleistung“ während der Dienstzeit wurde er im Juni 1995 an der Kölner Universität habilitiert, und zwar von einem Gremium, dessen Mitglieder sämtlich von den finanziellen Zusatzmitteln abhängen, die der nunmehrige Professor Horn als zuständiger Referent des Düsseldorfer Ministeriums verteilt.

Bei wichtigen archäologischen Fragen tritt nun der akademisch geadelte Ministeriale in Köln als Gutachter auf. Dabei betrachtet es der oberste Archäologe des Bundeslandes als seine Aufgabe, mit der Ausweitung seines eigenen Arbeitsplatzes die Archäologie mehr oder weniger sanft zum Verschwinden zu bringen. So bezeichnete er beispielsweise die in einer Neubaugrube am Perlenpfuhl gefundenen zentnerschweren Pfeilerbasen und Säulenstümpfe aus römischer Zeit als „sensationellen Fund“; andererseits dürften „dem Investor keine Opfer in Sachen Denkmalschutz zugemutet“ werden. Dabei geht die marktwirtschaftliche Radikalität bekehrter Sozis auch hier weiter als die Marktwirtschaft selbst: Hatte doch der Bauherr, die Richmodis-Grundstücksgesellschaft, angeboten, ein kleines archäologisches „Forum-Museum“ unter dem Perlenpfuhl einzurichten, da dort noch weitere Funde zu erwarten sind. Der Byzantinist und der Ministeriale lehnten dankend ab.

Der Investor
Für die Freilegung der nächsten Schicht hatte unsere Grabungsrunde, die wiederum im Brauhaus Sion tagte, noch Zugang aus dem Büro des Oberstadtdirektors. Auch ein etwas geheimnisvoll tuendes Ratsmitglied der schwarzen Fraktion gesellte sich zeitweise dazu und brachte ein paar hochwichtige Unterlagen mit, die wir freilich selbst schon ausgegraben hatten.

Bekanntlich sind die Kassen der Stadt Köln leer. Das erzählen uns zumindest der Oberbügermeister Burger und der Oberstadtdirektor Ruschmeier, deren Taschen voll sind. In dieser Frage, der wir bei unseren Brauhausrunden später einmal auch noch nachbohren wollen - im Rahmen der Kölner Aktual-Archäologie - sind noch interessante Grabungsfunde zu erwarten. Weil die öffentlichen Kassen also leer sind, empfehlen uns die Herren mit den vollen Taschen neuerdings immer folgende Lösung: Ein privater Investor muß her. Der zahlt selbst, ist billiger, effizienter, flexibler undsoweiter. Im Falle des Heumarkts heißt der Investor Hochtief AG, ein alter Bekannter, der zur großen RWE-Familie gehört, die schon mit dem Milliarden-Müllofen undsoweiter zugange ist.

Nun schreibt glücklicher- oder auch unglücklicherweise die Landesbauordnung vor, daß pro soundsoviel Quadratmeter Büro-, Kneipen-, Wohnungs- usw. -Fläche in den Innenstädten ein Autostellplatz zur Verfügung zu stellen ist. Wer keine Stellplätze baut, muß eine Stellplatzabgabe an die Stadt bezahlen. Damit kann die Stadt dann zum Beispiel Tiefgaragen bauen. Sie kann das Geld, wie in diesem Falle 10 Millionen DM, auch an eine Firma verschenken, die sich zu diesem Zwecke Investor nennt. Was die Hochtief AG auch tat. Hochtief suchte sich dann ein schönes und rentierliches Plätzchen für die Tiefgarage aus, den nördlichen Heumarkt. Da dort aus zweitausendjähriger Kölner Altlast vielleicht der archäologisch interessanteste Platz Mitteleuropas liegt, ist der Investor gesetzlich verpflichtet, anstehende archäologische Grabungen zu bezahlen. Also beschloß der Kölner Rat: „Der Investor führt die erforderlichen Grabungen auf eigene Rechnung durch.“ Der mit 10 Millionen DM bereits beschenkte Investor wurde aber erwartungsgemäß - und vom Oberstadtdirektor unterstützt - frech und verlangte, daß die Stadt auch die Grabungen bezahlt.

Daraufhin beschloß die Ratsmehrheit, daß Hochtief aus der leeren Stadtkasse weitere 6,1 Millionen DM erhält. Folgenden herrlichen Satz haben wir aus der dazugehörigen Ratsvorlage ausgegraben: „Die unter Umständen erforderliche Anfinanzierung in Höhe von 300.000 DM wird in 1995 durch Haushaltsreste sichergestellt.“ Unter Umständen! Anfinanzierung! Haushaltsreste! Irgendwo sind in der leersten Stadtkasse immer schöne Reste zu finden, man muß nur suchen - eine alte Archäologenweisheit übrigens. Dem Investor wurde noch zugestanden, daß er ein Erbbaurecht auf 50 Jahre (mit Verlängerungsoption) hat, daß „der Erbbauzins bis zum Erreichen der Wirtschaftlichkeit ausgesetzt“ wird und daß er die Tiefgarage nach Fertigstellung auch verkaufen darf, wenn er möchte.

Die Ausgräber
1992 begann unter Leitung von Sven Schütte, damals Leiter des Amtes für Bodendenkmalpflege, die Testausgrabung am nördlichen Heumarkt. Hellenkemper hatte die Leitung des Amtes abgegeben, weil er inzwischen zum Direktor des Römisch-Germanischen Museums geworden war. Sein Aufstieg fiel unglücklicherweise mit dem Abstieg des Museums zusammen. Es hatte in den 70er Jahren als vorbildlich in Deutschland gegolten und hatte zunächst 700.000 Besucher jährlich angezogen. Danach wurde auf diesem Gebiet in Köln nicht mehr viel getan, vielmehr setzte sich nun auf der anderen Seite des Doms der Schokoladenfabrikant mit seinem Kunstmuseum durch. Die Besucherzahlen fielen in Hellenkempers Zeit auf 300.000 im Jahr.

Byzantinist Hellenkemper, nun als Abwickler der Kölner Archäologie eingesetzt, erwartet von der zweitausendjährigen Altlast am Neumarkt archäologisch nichts: keine Kaiserköpfe, keine Goldsärge, nur Funde aus dem Alltag der handwerkelnden und handeltreibenden Kölner. Im Römisch-Germanischen Museum plaziert er nun Ausstellungen über „25 Jahre Sendung mit der Maus“ und ähnlich Beliebiges. Hellenkemper setzte Schütte und die Testausgrabung ab, Schütte wurde ins Stadtmuseum strafversetzt. Hellenkemper bekam - zusätzlich zu seiner Direktorenstelle im Museum - wieder die Leitung des Amtes für Bodendenkmalpflege.

Zunächst beantragte er im Januar 1996 das wichtigste, nämlich eine Gehaltserhöhung für sich selbst. Dann sorgte er in Abstimmung mit dem Oberstadtdirektor und dem Investor dafür, daß mit den Ausgrabungen zwei Privatfirmen, nämlich die „Arbeitsgemeinschaft Heumarkt“ beauftragt wurde. Die eine der beiden Firmen, die Land GmbH, ist die größte Grabungsfirma Deutschlands. Eine öffentliche Ausschreibung wurde dadurch umgangen, daß der Auftraggeber der Grabung eben ein privater Investor ist. Der Rat beschloß brav „die Reduzierung des Grabungsstandards“ und drängt nach vier vertrödelten Jahren nun plötzlich auf Zeitersparnis. Ob Hochtief die 6,1 Millionen ganz für die Grabungen ausgibt, ist nicht verpflichtend festgelegt.

Der nördliche Heumarkt
In der letzten Schicht unserer ungenehmigten Grabungen kommen wir nun auf das sozusagen eigentliche Objekt. Köln stellt die größte kontinuierliche Ansiedlung seit der Römerzeit in Deutschland dar. Auf dem Heumarkt wurde von den Römern gebaut - die Mauern sind gut erhalten -, danach zweitausend Jahre nicht mehr. Der Bereich wurde aber die ganze Zeit über genutzt, als Markt, als Platz für Handwerkerbuden („Gademmen“). Köln als größte Stadt Mitteleuropas war Hansestadt und Umschlagplatz zwischen Nord und Süd, West und Ost. Noch in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts wurden hier Kartoffeln, Kaninchen und Gemüse aus dem Vorgebirge verkauft. Da nicht neu gebaut wurde, sind die abgelagerten Reste all dieser Tätigkeiten chronologisch übereinander gelagert, nicht miteinander vermischt. Das ergäbe, bei sorgfältiger Grabung, beispielsweise die Möglichkeit, eine für ganz Mitteleuropa gültige Keramik-Chronologie zu erstellen.

Der Byzantinist aber, der die Fachaufsicht über die Grabungen hat, ist an einer schnellen Lösung interessiert, wie schon beim Rheintunnel und der Philharmonie. Der Byzantinist, der Ministeriale, die Kulturdezernentin Dittrich von Weringh sind dabei, eine gemeinsame Privatstiftung „Archäologie in Köln“ zu gründen. Sie suchen mithilfe privater Investoren Spektakuläres, um den „Standort Köln“ attraktiv zu machen. Unter ihrer Anleitung wird der ungeliebte Jahrtausendschutt vom Heumarkt fachaufsichtlich abgeräumt. Mit der unmittelbaren Fachaufsicht haben sie mit Elisabeth-Maria Spiegel sicher die richtige betraut: Sie hat keine einschlägige Berufsausbildung, ist aber Tochter des ehemaligen Diözesanbaumeisters Schlombs und Schwester der Direktorin eines Kölner Museums. Papa hat ihr damals die Stelle in der Bodendenkmalpflege verschafft. In Veröffentlichungen der kleinen, aber feinen Kölner Archäoszene darf sich die abgebrochene Archäologiestudentin auch schon mal als Wissenschaftlerin und Doktorin bezeichnen.

Die ansonsten nun weniger beschäftigten Mitarbeiter des Amts für Bodendenkmalpflege können während der Dienstzeit in Brauhäuser gehen, unserer frustiert-fröhlichen Runde mal Unterlagen mitbringen oder auch einer bezahlten Nebentätigkeit nachgehen - ein breites Spektrum dienstlicher Handlungen also, von denen ein Teil vielleicht dann doch letztendlich dem echten archäologischen Fortschritt dient. Die Bierdeckel mit unseren Brauhausprotokollen wollen wir in den Grundstein der Tiefgarage einschmuggeln. Vielleicht kommt ja irgendwann ein richtiger Klüngelarchäologe...


Werner Rügemer lebt als freier Journalist und Autor in Köln. Das Buch „Colonia Corrupta“ enthält weitere Texte, etwa zur Kölner Müllverbrennungs-Anlage, zu Konrad Adenauer als Kölner Oberbürgermeister, zu Kurt Freiherr von Schröder, Otto Wolff von Amerongen und zum Verlag DuMont Schauberg (Kölner Stadt-Anzeiger, Express, Kölnische Rundschau, Kölner Illustrierte, Radio Köln, Kölner Wochenspiegel …)