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Bernd Kortländer: Religiöse Dichtung am Niederrhein im 19. und 20. Jahrhundert

Über Kirchenlieder und Gesangsbücher. Ein Vortrag
4. Kirchenlieddichter am Niederrhein: Heinrich Bone


Die Bewegung ergriff selbstverständlich auch das Rheinland und den Niederrhein, und für einige Zeit scheint insbesondere Düsseldorf eine Keimzelle der Erneuerung des katholischen Kirchengesangs geworden zu sein. Insbesondere zwei Lehrer am Düsseldorfer Gymnasium waren es, die eine wichtige Rolle spielen. Einer davon war der musikalisch versierte J.B.C. Schmidts, der 1836 im Verlag Schreiner in Düsseldorf eine „Sammlung von Kirchengesängen für katholische Gymnasien“ herausbrachte. Im Vorwort heißt es: „Herr Bohne hierselbst verdanke ich die Bearbeitung der alten Texte; ihm besonders, und, für den zweiten Theil der Sammlung, auch dem Herrn Pfarrer Heinen aus Rheindorf, die vielen Original Beiträge, die entweder mit anerkannt guten Melodien versehen, oder von mir neu componirt wurden.“

Der genannte Pfarrer Engelbert Michael Josef Heinen gab 1843 einen dicken Band „Rheinische Glockentöne“ heraus, auf den mich Herr Gussone aufmerksam machte und in denen auch die für Schmidts geschriebenen und von diesem vertonten Lieder enthalten sind.

Interessanter ist natürlich der Hinweis auf Heinrich Bone, den Reformator des katholischen Gesangbuches, der für die Schmidtssche Sammlung 24 neu geschriebene Texte beisteuerte, die alle auch 1847 in sein „Cantate!“ eingingen und der, wie wir hörten, die Bearbeitung der alten Lieder vornahm. Bone, 1813 im sauerländischen Drolshagen geboren, hatte in Bonn Philologie, Philosophie und Theologie studiert und 1835 sein Lehrerexamen abgelegt. Von 1835 bis 1839 ist er Lehrer in Düsseldorf, hat Umgang mit den Künstlern- und Gelehrten der Stadt - Düsseldorf ist damals, zur Zeit Immermanns und der anbrechenden Blüte der Düsseldorfer Malerschule ein „Weimar am Rhein“. Später macht er Karriere, wird 1859 Direktor des Mainzer Gymnasiums, verliert diesen Posten aber mit dem beginnenden Kulturkampf 1873 zwangsweise. Er stirbt am 10. Juni 1893 in Wiesbaden.


Bones erster Band „Gedichte“, 1836 ebenfalls bei Schreiner in Düsseldorf erschienen, erweist ihn literarisch als einen typischen Vertreter des literarischen Biedermeier. Die Sammlung mit den vielen Zyklen, Gruppen und Abteilungen, mit ihrer Bandbreite von Balladen bis zu kleinen Naturbildern, ihrem Springen vom Trinklied zur Legende, ist ein treues Abbild des literarischen Zeitgeschmacks. Bones Vorbilder reichen von Goethe über Uhland bis zu Heine, für einen jungen Lyriker damals ein völlig normaler und erwartbarer Befund. Individualität kommt am ehesten in der starken geistlichen, schließlich christ-katholischen Prägung weiter Teile des Bandes zum Ausdruck. Teilweise haben bereits Gedichte in dieser ganz frühen Sammlung den Ton des Kirchenliedes - ob die bei Schmidt aufgenommenen darunter sind, konnte ich nicht überprüfen - auch dies zugleich ein typisches Kennzeichen der Zeit, die mit der Mischung der Töne und Formen, auch der Mischung von Gebrauchstexten und literarisch motivierten Texten keinerlei Probleme hatte. In dieser frühen Phase verstand Bone sich noch als literarischer Autor, auch wenn ihm die Kunst, wie er mehrfach in den Gedichten betont, nur Dienerin der Religion ist. 1839 folgte dann noch ein Band „Legenden“, 1840 „Veilchensamen. Lieder für Kinder“ und 1856 „Sonette“; damit war Bones im engeren Sinne literarische Karriere beendet.


Den selben heute seltsam anmutenden Mix aus Lyrik der Hochliteratur und Kirchenliedern wie seine Gedichtbücher bietet auch ein weit verbreitetes Lesebuch, das der Schulmann Bone im Jahr 1840 bei Dietz in Köln herausbrachte und das bis 1906 65 Auflagen erlebte. Wir finden darin Gedichte von Goethe, Schiller, Uhland, Brentano oder Rückert gemischt mit Kirchenlieder. Auch einen Text von Friedrich Spee, oder besser, der Unterschrift folgend, die Bone selbst gewählt hat: „Nach Friedrich Spee“, enthält dieses Lesebuch: „Aufruf an die Vögelein (Wacht auf ihr schöne Vögelein...)“. Dieser Text zeigt, daß auch Bone im Blick auf sein schulisches Publikum massive Eingriffe in den Text vornahm.

Seine eigentliche Tat wurde dann das „Katholische Gesangbuch. Nebst einem vollständigen Gebets- und Andachtbuche“, das er unter dem Titel „Cantate!“ 1847 zuerst in Mainz herausbrachte, eine Sammlung, die vom Bibliographen des katholischen deutschen Kirchenliedes, Friedrich Bäumker, als die größte editorische Leistung des 19. Jahrhunderts auf diesem Gebiet gewürdigt wurde.
Im bei Bäumker komplett abgedruckten Vorwort legt Bone im einzelnen Rechenschaft über seine Arbeit ab, die, wie er schreibt, motiviert wurde von der schmählichen Unterdrückung der alten Lieder. Dabei zeigt er ein feines Bewußtsein für die Unterscheidung Zweckform Kirchenlied und literarische Form Gedicht: Aus dieser Unterscheidung rechtfertigt er die Bearbeitung der alten Lieder, die als nur historisch interessante Kunstgegenstände ihre ursprüngliche Form hätten behalten müssen, für den Zweck des Dienstes im Hause des Herrn aber neu eingekleidet werden dürfen: „Alte Lieder mit treuer Anhänglichkeit und nach nothwendigen Anforderungen umzugestalten, war auch in alten Zeiten schon oft Sitte und Bedürfniß“, erläutert er sein Prinzip und fährt fort: „Sollen neue Lieder hinzukommen ... so werden auch sie am besten gedeihen, wenn sie in einem liebevollen Studium des Alten wurzeln, ...“ (314) Bone schöpfte, wie schon Arnim und Brentano für ihr „Wunderhorn“, insbesondere aus Johannes Heringsdorfs „Geistlichem Psälterlein“ erschienen in Köln im Jahre 1673.

Vier Gruppen von Liedern unterscheidet er schließlich, aus denen sein Gesangbuch sich zusammensetzt: 1. Die sogenannten alten Lieder, womit solche aus voraufklärerischer Zeit gemeint sind, vor allem aus dem 16 und 17. Jahrhundert, wobei manche kaum einer Änderung bedurften; manche zwar im einzelnen geändert, „aber im Ganzen durchaus ihren alten Bau und ihr altes Gepräge beibehalten“ mußten und nur wenige, „sowohl wegen der Sprache als der Gedankenform“, gründlich verändert werden mußten.(318) 2. Neuere Lieder, aus dem 18. Jahrhundert, die er nicht sehr schätzt, die aber so bekannt sind, daß man sie nicht fortlassen kann. 3. Originallieder, wobei er etwas verklausuliert zu verstehen gibt, daß er mit einer Ausnahme in dieser Kategorie nur Lieder von sich selbst aufgenommen hat. Schließlich 4. Übersetzungen aus dem Lateinischen, die bis auf wenige Ausnahmen von ihm stammen.

Bones Rückgriff auf die alten Lieder verstärkte sich noch in der 2., vermehrten Auflage von 1851, die mir vorlag. Von den 69 Weihnachtslieder z.B. sind dort 21 neu hinzugekommen, darunter so ehrwürdige Lieder wie „Als ich bei meinen Schafen wacht“ von Friedrich Spee und die beiden vorreformatorischen „Ave Maria, gratia plena“ und „Es ist ein Ros entsprungen“. Überhaupt zeigt eine Überprüfung, daß Bone z.B. von den 36 Spee-Liedern 31 in sein „Cantate!“ aufgenommen hat. Im Vergleich zum „Gotteslob“, in dessen Stammteil noch 7 Texte Spees zu finden sind, ist das eine enorme Zahl. Allerdings mußte seine Sammlung auch Zugeständnisse an den Zeitgeschmack machen, und so findet man unter den neu aufgenommenen die beiden Lieder aus Christoph Bernhard Verspoels Liederbuch von 1810, beide aus dem 18. Jahrhundert stammend: „Heiligste Nacht“ und „Menschen, die ihr wart verloren“.


Bones „Cantate!“ ist heute im „Gotteslob“ nur mehr mit 8 Liedern vertreten; im Diozösananhang der Kölner Ausgabe finden sich immerhin 16 Texte und Übersetzungen aus dieser Quelle. Die Verweise des „Gotteslobes“ sind allerdings nach einer ersten Überprüfung nicht sonderlich dienlich, zumindest bedeutet der Hinweis: „Text: Bone, 1851" nicht notwendig, daß die Texte auch von Bone stammen. So ist etwa der Text von Nr. 220: „Das ist der Tag, den Gott gemacht“ von Gellert, und das Lied 842 „Ihr Hirten erwacht“ stammt aus einem Salzburger Gesangbuch von 1783. Auch die Übersetzungen, die den Liedern 112 („Herr send herab uns deinen Sohn“/ Veni redemptor gentium), 584 („Christi Mutter stand in Schmerzen“/ Stabat mater dolorosa) und 589 („Alle Tage sing und sage“/ Omni die dic Mariae) zugrundeliegen, gehen teilweise auf frühere Bearbeitungen zurück.



5. Religiöse Dichtung am Rhein im 20. Jahrhundert


Der Blick auf die geistliche Dichtung des 19. Jahrhunderts zeigt, wie sich die Mitglieder des Milieus mit ihrem Festhalten vor allem an der strikten Unterordnung der Literatur unter die Religion und unter die Kirche immer weiter in die selbstgewählte Isolation begaben und positive Ansätze zu einer Erneuerung geistlicher Dichtung, etwa im Werk der Droste-Hülshoff, nicht weiterverfolgt wurden. Was unter den Bedingungen des Milieus an Literatur entstand, ist kaum der Betrachtung wert und soll hier nicht weiter verfolgt werden.


Andererseits treten seit dem poetischen Realismus Zweckformen und im engeren Sinne literarische Formen wieder deutlicher auseinander, die Autonomie der Kunst setzt sich in der sich rasant entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft endgültig durch. Das geht soweit, daß, nachdem, einem Wort von Hans Bänzinger zufolge, zunächst die Literatur aus der Kirche ausgetreten ist, zum Jahrhundertende hin die Literatur die Tendenz hat, selbst zur Kirche zu werden. Es wird zunehmend schwieriger, die metaphysisch-religiösen Anteile, die in sehr vielen Kunstwerken auszumachen sind, in christlicher oder gar in konfessioneller Hinsicht auszulegen. Die Grenze ist nur dann eindeutig zu ziehen, wenn entweder die Autoren selbst sich bekennen, oder wenn das Werk die Zuordnung leicht macht.

So sind jetzt und bis heute etwa die Kirchenliedautoren wirkliche Spezialisten geworden, die man überwiegend nicht in literarischen, sondern nur in theologisch-kirchlichen Nachschlagewerken findet. In welche tatsächliche Konkurrenz Kirche und Kunst treten, zeigt sehr anschaulich die von Herbert Eulenberg begründete Tradition der Morgenfeiern am Düsseldorfer Schauspielhaus. Eulenberg, der bekennender Monist war, sah diese Sonntags um 11 Uhr angesetzten Kunstfeiern explizit als Ersatz für den kirchlichen Gottesdienst und hatte sich entsprechend mit den Düsseldorfer Kirchenvertretern und der katholischen Presse herumzuschlagen.

Andererseits war die Grenze zwischen religiöser Literatur im engeren und im weiteren Sinne häufig auch sehr schmal. Eine Autorengruppe, auf die das zutrifft, und die für den Niederrhein von Bedeutung wurde, war die neuromantische Bewegung der „Charontiker“, die sich um die Jahrhundertwende in Berlin konstituierte. In Zentrum des „Charon“-Kreises stand der aus Essen gebürtige und in Gelsenkirchen aufgewachsene Dichter Otto zur Linde. Ziel seiner Erneuerung der Literatur war die Abkehr von rationalistischen Theorien und vorgestanzten intellektuellen Strukturen hin zur Öffnung des Menschen für die Lebenswirklichkeit, für „Praxis“, aber auch für eine pantheistische, mystisch inspirierte Religiosität (vgl. etwa ein Gedicht wie: „Gott ist Eins und ohne Zweites -/ Gott ist leer, und voll in sich./ Geb ich Gott das Unbedingte,/ Nehm ich ihm, was ihn bedingt...“ usw. ) Die 'metrische Befreiung' der Lyrik führte dabei zu einem sehr eigenartigen, dem Sprachrhythmus angepaßten Vers, der die radikale Neuerungsbemühung sehr treffend, wenn auch meist nicht sehr überzeugend, anzeigte. Die etwas verquaste Philosophie zur Lindes dreht sich um das Numinose, das Heilige, ohne offen ins Christlich-Konfessionalle umzuschlagen.

Das tut sie aber bei zweien seiner Jünger, den zum engeren „Charon“-Kreis gehörenden Karl Röttger und Erich Bockemühl, die in Düsseldorf-Gerresheim bzw. in Drevenack bei Wesel als Lehrer arbeiteten und für die regionale Literatur des Rheinlands durchaus von Bedeutung waren.

Der protestantische Röttger (1877-1942), aus dem westfälischen Lübbecke bei Minden gebürtig, bemühte sich tatkräftig um die Erneuerung der Form der Legendendichtungen und gab 1907 eine Sammlung „Moderne Jesusdichtung“ heraus; er schrieb Gedichtbücher wie „Lieder von Gott und dem Tod“ (1912), „Buch der Mysterien“ (1929), mit Texten, die oft genug den sehr persönlichen Gebetston annehmen („Weißt du noch, mein Gott? Ich wollte dich oft/ In meiner Kammer haben. Du aber/ Warst schon lange da.“ )

Der katholische Rheinländer Bockemühl (1885-1968) begann mit zwei Lyrikbänden in der Tradition des „Charon“, „So still in mir“ (1911) und „Worte mit Gott“ (1913), die noch ganz aus der mystisch-religiösen Inspiration der zur Lindeschen Philosophie leben („Das Schönste ist: sich ganz als Eins zu fühlen/ Im Denken und im Tun -/ Und ohne Lüge sein./ Und eins zu sein mit Gott -/ Und selber Gottes Stimme./ Das ist das Schönste und das ist das Glück.“ ) 1921 gab auch er ein Buch mit Jesuslegenden heraus mit dem schlichten Titel „Jesus“. 1960 erschien dann eine gesammelte Auswahl seiner religiösen Gedichte: „Atem des Ewigen“. Sie zeigen den Verfasser, etwa in dem Zyklus „Worte mit Gott“ oder den „Christus“-Gedichten auf eher schlicht-konventionellen Pfaden, die mehr wenig von der ursprünglichen Inspiration seiner charontischen Verse vermitteln können.

Erwähnenswert in dieser Tradition ist noch der in Düsseldorf ansässige Victor Meyer-Eckhardt, der 1927 ein Gedicht-Sammlung „Das Marienleben“ herausbrachte. Anders als die beiden zuvor erwähnten Autoren ist Meyer-Eckhardt allerdings ganz der kunstreligiösen Richtung zuzuschlagen, die sich der Figur der Maria unter ästhetischen Vorzeichen näherten. Rilke hatte hier 1913 mit seinem „Marienleben“ den Boden bereitet und viele Autoren folgten ihm auf diesem Weg. Meyer-Eckhardt, der sich in der Tradition Nietzsches und Georges sah, stellt dem Marien-Band dann auch einen Dionysos/Apollon - Band gegenüber.


Wichtiger als der im übrigen kaum rezipierte „Charon“ wurde für die religiöse Orientierung vieler Autoren am Niederrhein die literarische Seite der Arbeit des Düsseldorfer Priesters Carl Sonnenschein, der ich jetzt einen kurzen Seitenblick widmen möchte. Sonnenschein war von 1906 bis 1918 in Mönchen-Gladbach in der Zentrale des „Volksvereins für das katholische Deutschland“ für die Studentenarbeit zuständig. Er vertrat einen für damalige Zeiten liberalen Katholizismus, was allerdings von heute aus betrachtet noch nicht viel heißen will, trat aktiv für die Zentrumspartei ein und für christliche Gewerkschaften. Ziel des 1908 von ihm gegründeten Sozialen Studenten Sekretariats (SSS) war es, eine Brücke zu schlagen von der Gruppe der Akademiker zu der der Arbeiter und Angestellten. Für die christlich grundierte Literatur am Niederrhein war Sonnenschein in verschiedener Hinsicht von Bedeutung:

Zum einen förderte er direkt die sogenannte Arbeiterliteratur, soweit sie unter christlichen bzw. katholischen Vorzeichen stand, ein Umstand, den man versteht, wenn man an das Programm seines Sekretariats denkt. So hat er sowohl den Gladbacher Kesselschmied Heinrich Lersch, später Inkarnation des „Arbeiterdichters“, wie auch den ebenfalls aus dem Gladbacher Handwerkermilieu stammenden Gottfried Kapp und Hans Leifhelm, einen weiteren Gladbacher, entdeckt und persönlich gefördert. Auch die Dichter der Gruppe „Werkleute auf Haus Nyland“, Josef Winckler und Jakob Kneip, aber auch den von diesen herausgebrachten Christoph Wieprecht hat er gestützt, indem er ihnen z.B. Druckmöglichkeiten anbot oder vermittelte.

Darüber hinaus hat Sonnenschein aber auch sonst jungen katholischen Autoren des Rheinlands in seinen „Sozialen Studentenblättern“ oder einer anderen Zeitschrift oder dann in den Broschüren, die das Sekretariat während des 1. Weltkrieges massenhaft an die Front schickte, Publikationsmöglichkeiten geboten, Autoren wie Heinrich Zerkaulen, Carl Salm, Wilhelm Lennemann u.a. Eine enge Beziehung gab es auch zu dem Pfarrer und Dichter Ernst Thrasolt (Ps. für Josef Matthias Tressel), der von 1908-11 die Zeitschrift „Das heilige Feuer“ herausgab, sich nach dem 1. Weltkrieg einige Jahre in Düsseldorf aufhielt und später in Berlin eng mit Sonnenschein zusammenarbeitete.

Besonders naheliegend war das Interesse Sonnenscheins an den sogenannten „Arbeiterdichtern“ und sein Einfluß ist hier unübersehbar. Ähnlich wie bei ihm läßt sich auch im literarischen Werk z.B. von Heinrich Lersch das Bemühen beobachten, die Widersprüche und Brüche der kapitalistischen Gesellschaft zwar im Detail genau und durchaus wirklichkeitsnah wahrzunehmen, sie aber letztlich im Bezug auf das jenseitige Heil zu glätten und in eine Totalitätsvorstellung zu zwingen, die dann eine radikale Kritik dieser Gesellschaft doch verhindert.

Die Beschreibung der Industriewelt bei Lersch hat durchaus Züge der Naturfrömmigkeit früherer Tage: So wie man dort Gott aus dem Buch der Natur las, so las man jetzt Gott aus den Hochöfen und Schmiedehämmern des Industriegebietes an Rhein und Ruhr (vgl. etwa den Schluß des Gedichts „Fahrt in die Industrie“: „Die Pressen, die Hämmer, die Feuerfluten,/ Die Öfen, die Flammen, die Dämpfe, die Gluten,/ Die Menschen, Maschinen, verschlungen im Lauf:/ Öffnet euch, Tore, ihr Türen, springt auf!“)


Ebenfalls noch im weitesten Sinne aus dem Einflußbereich Sonnenscheins und seiner Freunde ist der Ansatz des Neusses Dichters Karl Gabriel Pfeill zu sehen, der zu Pfingsten 1919 zusammen mit einer Gruppe von Gleichgesinnten in Neuss eine Bewegung mit dem Namen „Der weiße Reiter. Jungrheinischer Bund für kulturelle Erneuerung“ aus der Taufe hob und im folgenden Jahr eine Publikation unter dem Titel „Der weiße Reiter. Das erste Sammelbuch“ herausbrachte. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges und dem Auslaufen der expressionistischen Bewegung gewann die christlich inspirierte Dichtung wieder deutlich an Zugkraft unter den Autoren, übrigens im gleichen Maße, in dem die Lyrik als Gattung an Bedeutung verlor. Man suchte verstärkt nach dem „Heiligen“ in der Welt, das vielleicht in der Lage sein könnte angesichts von Chaos und wachsender Inhumanität so etwas wie Führung und Richtung vorzugeben.

Ein Autor wie Alfred Mombert wird für viele Autoren gerade am Rhein, z.B. im Bund der rheinischen Dichter, wo er eine vielbewunderte Vorbildrolle hatte, zu einer zentralen Figur; seine Mythen von Sfaira dem Alten und von Aeon liefern Weisheits- und Logosgestalten, in denen sich das Heilige verkörpert; sie stellen eine höhere Seinsordnung dar, bezeugen deren konkrete Existenz, die dem menschlichen Handeln als Wirkraum vorgegeben ist. Der stets bedrohten Herrschaftswelt des Menschen steht so die unverrückbare und unangreifbare Herrschaftsordnung Gottes gegenüber.

Aus diesem Hintergrund ist auch das Programm des „Weißen Reiter“ zu verstehen, der sich das damals sehr verbreitete Motto aus der Schrift „Das Christentum oder Europa“ des Novalis als Motto nimmt: „Europa hat keine Zukunft mehr, es sei denn eine christliche.“ Schon das Anknüpfen an die romantische Programmschrift zeigt an, daß diese Bewegung, zieht man das pathetische Getöse des Programms einmal ab, im Grunde immer noch die Positionen der katholischen Literatur des 19. Jahrhunderts vertritt: Strikte Unterordnung der Kunst unter die Religion; Gott und Gottesverehrung als der letzte Zweck der Kunst; die neue Kunst, der „neue christliche Monumentalstil“, als Ausdruck der Einheit und Totalität der explizit katholischen Welt. Gerade dieses Beharren auf der Konfessionalität, wird bereits in dem insgesamt noch recht vorsichtigen Ankündigungstext des Unternehmens deutlich, der separat zu Pfingsten 1919 erschienen war. Dort heißt es: „Die Mitarbeiter dieses Bandes wollen Vorläufer, Wegbereiter jener erahnten neuchristlichen Epoche, wie ihres künstlerischen Ausdruckes sein. Sie erblicken in der Inspirierung der wahrhaft fortführenden modernen Kunstrichtung durch die katholischen Mysterien die einzige Möglichkeit, das Chaos heutiger Kunst und Dichtung zu entwirren und aus den Nebeln des Suchens dem Echten, Wahren eine Blickrichtung ins Ewige aufzuschlagen.“ Pfeill hat diese Programmatik 1921 in einem Artikel in einer von Sonnenscheins Zeitschriften im einzelnen erläutert und dabei die Bindung an die Katholizität noch viel stärker herausgestellt.

In der Praxis der Zeitschrift sah das so aus, daß neben historischen Texten und Abhandlungen (von Brentano, Novalis, Katharina Emmerick, Augustinus, Guardini) jüngere christliche Dichter mit ihren Texten, meist Gedichten, stehen. Dazu gehören u.a. Franz Johannes Weinrich (mit dem größten Gedichtanteil), der herausragende Konrad Weiss mit zwei eindrucksvollen Beiträgen, Ernst Thrasolt, in dessen „Heiligem Feuer“ (s.o.) Pfeill bereits früher publiziert hatte, Leo Weismantel (mit einem Dramenauszug), Josef Winckler und Pfeill selbst. Die Gedichte sind durchweg religiösen Inhalts, teilweise im Gebetton gehalten, teilweise auch in der allegorischen Form, wie sie typisch ist für die moderne katholische Literatur. Pfeill hat sich offenbar besonders nah an den Stil Thrasolts angelehnt, den er als Protagonisten der „heroisch-katholischen Idee des absoluten Opfers“ bewunderte.

Widrige äußere Umstände, insbesondere mangelnde Gelder und wohl auch kontroverse Diskussionen im katholischen Milieu über den „Weißen Reiter“, machten dem Unternehmen bald ein Ende. Als 2. Band erschien 1923 Pfeills Gedichtband „Vom Licht bedacht der Mund der Nacht“; als 3. und letzter Band dann 1924 August Hoff: „Die religiöse Kunst Johann Thorn Prikkers. (Tafelwerk)“.


Schon das Programm des „Weißen Reiter“ zeigt das Unbehagen dieser Erneuerungsbewegung am eingeschlagenen Weg der deutschen Nachkriegsgesellschaft in eine republikanische Verfassung. Die Beschwörung des „neuen Weltalters“, des „neuen Reiches“, aber auch die Betonung des Hierarchiegedankens, die Erwartung des Heils von jenem „weißen Reiter“, all das deutet auf antidemokratische Ideen und Vorstellungen. Und in der Tat sehen wir Pfeill selbst in den 30er Jahren dann als offenen Bewunderer Hitlers, in dem er gewissermaßen den „heiligen Michael“ erkennt, der gekommen ist, die Welt zu erneuern. Er steht damit stellvertretend für einen nicht geringen Teil des rheinischen Katholizismus, dem das tiefe Unbehagen an einer radikalen Öffnung der Gesellschaft schwerer wog als alle Vorbehalte, die selbstverständlich gegenüber den neuen Machthabern bestanden.

Die NS-Zeit mit ihrem verstärkten Zugriff auf die Jugendmusikbewegung, brachte auch für das religiöse Lied neuen, freilich notwendiger Weise angepaßten Schwung. So erschien 1938, herausgegeben vom Jugendhaus Düsseldorf, ein Liederbuch „Kirchenlied, eine Auslese geistlicher Lieder“, das auch eine Vielzahl neuer Lieder enthielt mit Texten meist von Georg Thurmair und Melodien von Adolf Lohmann, das nach dem Urteil der Chronisten den Durchbruch für die Singbewegung bedeutete und für das Kirchenlied wichtige Anregungen brachte.

Nach 1945 gab es, wie man weiß, zunächst erneut eine starke geistliche Rennaissance in der deutschen Literatur, an der Autoren aus unserer Region aber nicht an führender Stelle beteiligt waren. Zwar führt seit den 50er Jahren Heinrich Böll die Auseinandersetzung mit dem rheinischen Katholizismus, ohne daß man sein Schreiben als religiöse Literatur fassen könnte. Interessant ist übrigens, daß es der katholische Stadtdechant, Domkapitular Grosche war, der Böll beharrlich seit dessen Stiftung im Jahre 1953 für den Großen Literaturpreis des Landes NRW vorschlug, den dieser dann doch erst 1959 erhielt, nachdem ihn zuvor z.B. Stefan Andres und Gertrud von le Fort, zwei typische Vertreter der religiösen Nachkriegsliteratur, erhalten hatten.

Auf modernere religiöse Literatur unserer Region, wie etwa auf die Texte von Ludwig Soumagne, Hans Dieter Hüsch oder Wilhelm Goessmann, kann ich hier nicht eingehen, sondern möchte sie statt dessen ihrer geschätzten Lektüre empfehlen.

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