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Bernd Kortländer: Rheinische Schriftsteller als Vermittler der literarischen Moderne

Ein Vortrag
IV.
Die Ãœbersetzungen

Insgesamt lieferte das Ewers-Übersetzungskartell Übertragungen zu ca. 15 Autoren, 10 aus dem Französischen, 5 aus dem Englischen, wobei bei einigen von Ewers ohne Nennung eines Übersetzers herausgegebenen Büchern nicht klar ist, ob er hier nicht auch übersetzerisch tätig war. Aus seiner Arbeit als Reihenherausgeber weiß man, daß er auch nicht davor zurückschreckte, Texte , etwa die von Oskar Pannizza, die in seiner „Galerie der Phantasten“ erschienen, stilistisch zu bearbeiten. Ganz ähnlich ist er im übrigen auch mit den Texten von Herrmann Harry Schmitz verfahren, wo er sich brüstet, sie überhaupt erst zur Druckreife gebracht zu haben.

Ich kann im folgenden natürlich nicht alle Übersetzungen vorstellen und habe deshalb einige französische Autoren herausgegriffen, bei denen sich das Vorgehen des Kartells besonders deutlich zeigen läßt.
Der erste in dieser Reihe ist:


Théophile Gautier


Erste gemeinschaftliche Leistung der Übersetzergruppe ist die Übertragung des französischen Romantikers Théophile Gautier (1811-1872). Gautier entwickelte die unter dem Schlagwort „L‘art pour l‘art“bekannt gewordene Kunstlehre, deren Kern in einer gegen die Romantik und gegen die Tendenzkunst gerichtete Aufwertung der Form bestand und ist insofern ein wirklicher Wegbereiter der literarischen Moderne. Inhaltlich hatte Gautier eine Neigung zu Themen der schwarzen Romantik, beschäftigte sich in Texten wie „Opium“ („La pipe d‘Opium“) und „Der Haschischklub“ („Le club des Haschischiens“) auch mit dem Verhältnis von Rausch und Kunst. Man erkennt bereits die Anknüpfungspunkte, die es hier für Ewers gab.

Als erstes Werk übersetzte Ilna - unter der Mithilfe von Hanns Heinz - eine Sammlung von drei Erzählungen, die unter dem Titel „Eine Nacht der Kleopatra“ 1902 im Berliner Messer Verlag erschienen. Noch im selben Jahr folgte - diesmal von Ilna Ewers allein verantwortet - ein weiterer Band mit Erzählungen „Die tote Geliebte“. Wie die beiden Titel bereits andeuten ging es in diesen Geschichten um Themen aus dem Bereich der phantastischen Literatur, um lebende Tote und orientalische Pracht. In „Die tote Geliebte“ - in der späteren Version heißt der Titel genauer „Die verliebte Tote“ (La Morte amoureuse) - verfällt ein Priester der Kurtisane Clarimonde, die als „Menschenfresserin, als weiblicher Vampyr“ gilt und ihre Liebhaber umzubringen pflegte. (Messer, S. 43) Den Namen Clarimonde verwendet Ewers später in seiner bekanntesten Erzählung „Die Spinne“ für die geheimnisvolle Männer mordende Spinnerin. Es gelang ihm dann, den auf Übersetzungen spezialisierten Verlag Rothbarth in Leipzig zu einer 6-bändigen Sammelausgabe der Werke Gautiers zu bewegen, die in den beiden folgenden Jahren, zu einer Zeit, als die Trennung des Paares bereits begonnen hatte, erschienen. Jetzt firmiert ausschließlich Ilna Ewers-Wunderwald als Übersetzerin, obwohl selbstverständlich die beiden früheren Bände, wenn auch in veränderter Form, verwertet wurden. Diese Sammelausgabe wurde in den 20er Jahren noch einmal aufgelegt, jetzt im Magazin-Verlag Jacques Hegner.

Band 1 der Sammelausgabe enthält die Übersetzung des Romans „Mademoiselle de Maupin“, den Gautier als junger Mann 1835 herausbrachte. In dem Buch geht es weniger um Handlung, schon gar nicht um die historische Vorlage, sondern um Haltungen der Protagonisten, zweier junger Frauen und eines Dandys. Es geht um die Möglichkeit eines wahrhaft schönen und erfüllten Lebens, um die Liebe und die Geschlechterdifferenz, all dies eingehüllt in einen Ästhetizismus, der die Kunst strikt heraushalten will aus der bürgerlichen Welt des Nutzens. Der Maler und Dichter d‘Albert ist der Prototyp jenes später von Baudelaire verherrlichten Dandys. In der Vorrede zum Roman hat Gautier zum ersten Mal seine Vorstellung vom L‘art pour l‘art, von der prinzipiellen Zwecklosigkeit der Kunst entwickelt.

Die Ewers mußten sich von Gautier und den Themen des Romans angezogen fühlen. Das Dandytum war ein Ideal, das auch Hanns Heinz und seine Frau unbedingt anstrebten und zu erfüllen versuchten. Und genau wie Madelaine de Maupin, die zugleich in einer Männerrolle als Theodor auftritt und von der schönen Rosette ebenso geliebt wird wie von d‘Albert -hatte auch Ilna Ewers-Wunderwald einen Zug zum Androgynen: Sie trug zu dieser Zeit meist Männerkleidung und rauchte genau wie ihr Mann Unmengen von Zigaretten. Gautier paßte in die Tradition, auch als Ziehvater von Baudelaire und Freund von Heinrich Heine, dessen ironischen Ton man im übrigen in „Mademoiselle de Maupin“ zu hören vermeint.

Schaut man sich die Übersetzung des Romans allerdings ein wenig aus der Nähe an, so stößt man durchweg auf Haarsträubendes. Das Original ist mehr als doppelt so lang wie die Übersetzung, die aber dennoch genauso 17 Kapitel hat wie der französische Text. Beim Vergleich zeigt sich schnell, daß die Übersetzerin oder vielleicht ihr Korrektor nach einem Prinzip verfährt, das ich aus meiner kindlichen Lektürepraxis bei Karl-May-Romanen erinnere: Alles, was den Handlungsfaden nicht unmittelbar voranbringt, wird auf ein Minimum verkürzt oder ganz übersprungen, jede Beschreibung, jede Betrachtung schrumpft auf das Allernötigste zusammen. Da Gautiers Roman aber ganz wesentlich von der Stimmung lebt, von dem Habitus der Figuren, und die Handlung relativ nebensächlich ist, kann man sich das Ergebnis vorstellen. Daneben ist die Übersetzung aber auch schlampig und fehlerhaft, gelegentlich sogar auf Vokabelebene. Das Deutsch ist häufig schwerfällig und holprig: „Ich fühlte, daß zwischen ihnen eine Gemeinschaft bestände, und hätte alles darum gegeben, wenn ich gewußt hätte, worin diese bestand.“ (113) Auch zahlreiche Druckfehler finden sich; in einem Exemplar aus der Bibliothek von Rolf Bongs sind einige davon mit Bleistift im Text markiert.

Insgesamt hat man beim Vergleich von Original und Übersetzung das Gefühl, als habe jemand - am ehesten wohl Hanns Heinz Ewers, vielleicht auch ein Redakteur des Rothbarth-Verlages - nachträglich die zunächst vollständige Übersetzung eingestrichen. Man erinnert sich an Worte, die Hanns Heinz Ewers am 15.1. 1912 seiner Mutter in Zusammenhang mit dem Roman „L‘Eve future“ von Villiers de l‘Isle-Adam schrieb: „...manches muß gestrichen werden, da die Sache sonst zu langweilig ist!“ Offenbar ist auch der Roman von Gautier nach diesem Muster eingestrichen worden, wodurch der raffinierte Gesamteindruck dieses Werks weitgehend verloren geht.


Villiers de l‘Isle-Adam


Sehr entschieden und mit hohem Aufwand ist Ewers für das Werk des eben genannten französischen Phantasten, des Grafen Auguste Villiers de l‘Isle-Adam (1838-1889) eingetreten, eines Bewunderers Baudelaires und Freundes von Mallarmé. Am 13. Januar 1908 schloß Ewers einen Vertrag mit dem Müller-Verlag über eine Villiers-Ausgabe in sieben Bänden, und im selben Jahr erschien der 1. Band. Villiers ist ein Autor, dem Ewers sich sehr nah fühlen konnte. Seine Themen sind in der Kurzprosa der „Contes cruels“ und „Nouveau contes cruels“ Formen ungewöhnlicher, gebrochener oder gesteigerter Wirklichkeitswahrnehmungen, im Roman „L‘Eve future“ die Erfindung eines künstlichen Menschen und in den Dramen der Okkultismus als weitere Möglichkeit, einer unpoetischen Gegenwart von Nutznießern und Positivisten zu entkommen. Für die Villiers-Übersetzung arbeitete Ewers mit seiner Mutter als Partnerin. Sie übersetzte gewissermaßen als Versuchsballon einen Teil der „Grausamen Geschichten“, der bereits 1904 im Eißelt Verlag in Berlin herauskam. Die Bände 2-4 der Ausgabe erschienen 1910, Bände 5-7 1914, für alle Bände bis auf Band 5 wird Hanns Heinz als Übersetzer genannt, und auf Band 5 ist außen ebenfalls sein Name als Übersetzer aufgedruckt. Ob ihm wirklich die Autorschaft an allen anderen Bänden zusteht ist nach den Bemerkungen, die sich verstreut im Briefwechsel zwischen Mutter und Sohn finden, ungewiß. So schreibt er etwa im Sommer 1912 im Blick auf die anstehende Übersetzung von Band 5 mit den noch fehlenden Geschichten: „Meine liebe Mama, bitte nimm die deutschen Villiersbände und die französischen und sieh nach, welche der franz. Geschichten noch nicht übersetzt sind!! - Stelle die Titel bitte fest, weil sie für den nächsten Villiersband übersetzt werden müssen! Manche davon sind bereits von dir übersetzt, z.T. auch in dem bei Eisselt erschienenen Villiersband enthalten!! Sammle also etwas das Material!“ Und am 2. September 1913 hakt er noch einmal nach: „Ist denn von Villiers alles fertig??? Das ist die Hauptsache, daß das Werk zum Abschluß kommt“.

Im Januar 1912 hatte es in Bezug auf die Übersetzung von „L‘Eve future“geheißen: „„L‘Eve future“ folgt zugleich! (Es fehlen leider 2 Seiten) - es ist in Düsseldorf das ganze M.S. (denn in diesen Drucksachen ist viel gestrichen!! Zuviel!! Vergleiche also mit dem M.S. (von I[lna]s Hand ...) manches muß gestrichen werden, da die Sache sonst zu langweilig ist! Aber nicht zuviel! Nimm auch das schon deutsch erschienene Buch „Die Eva der Zukunft“ (Verlag Hans v. Weber, München; in der Übers. von Annette Kolb, BK) zu Hilfe, lass es dir von Bongs besorgen!“ Hier haben wir die gesamte Übersetzergruppe beisammen: Ewers, der seine Mutter bittet, ein Manuskript von Ilnas Hand - offenbar war die Übersetzung bereits sehr viel früher entstanden - durchzugehen und es mit einer anderen Übertragung zu vergleichen, die Bongs besorgen sollte. Im „Literaturführer“ hat Ewers in seinem Artikel über Villiers im übrigen vor der Lektüre des Franzosen gewarnt, da dieser „auf einer Kulturstufe steht, wie sie kaum ein zweiter Lebender bisher erreicht hat. - Daher sind seine Bücher auch viel zu schwer, ja fast unverständlich für die Masse des Volkes, nur der wirklich Gebildete möge nach ihnen greifen.“ (Führer, 1911, S. 177) Im Vorwort zur Übersetzung von 1904 heißt es ironisch: „... jemand, der z.B. „Jörn Uhl“ zu Ende lesen kann, wird niemals fähig sein, sich in Villiers wunderbaren Zaubergärten zurechtzufinden.“

Im Vorwort zum 1. Band der Ausgabe wiederholt er seine Lobsprüche über einen Dichter, den er als den wahren Erben Hoffmanns und Poes ansieht.

Schaut man hier auf die Qualität der Übertragung, so fällt das Urteil, zumindest bei der von mir vorgenommenen Stichprobe, positiver aus als bei Gautier. Als zufälliges Beispiel habe ich die erste der „Contes cruels“ mit dem Titel „Les Demoiselles de Bienfilâtres“ herausgegriffen. Erschienen ist sie zuerst in dem laut Titelblatt von Hanns Heinz betreuten Band 1 der Sammelausgabe von 1908 unter dem nicht ganz korrekten Titel „Das Fräulein von Bienfilâtre“, während sie in dem von Maria Ewers 1904 bereits herausgebrachten Band noch nicht enthalten war. Trotzdem sollte man hinter die Urheberschaft von Hanns Heinz ein Fragezeichen setzen. Es ist eine kleine unaufgeregte Geschichte aus dem bürgerlichen Leben, in der die Doppelmoral der guten Gesellschaft auf äußerst ironische Weise bloßgestellt wird. Ein ehrbares Freudenmädchen stirbt aus Schande, weil sie sich in einen Studenten verliebt, dessen größter und einziger Fehler ist, daß er kein Geld hat und deshalb kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft ist; er ist nicht „seriös“, um es mit dem Wort zu sagen, das auch die französische Fassung verwendet („son crime était de n‘être pas sérieux“). Als der Student in ihrer Todesstunde mit einer Handvoll Goldstücken auftaucht, stirbt sie in Frieden mit den Worten auf den Lippen: „Il a éclairé !“, (Es ist Licht geworden! übersetzt Ewers), eine bitter-ironische Antwort auf die der Geschichte als Motto vorangestellten letzten Goethe-Worte: „Mehr Licht!“ Gleichzeitig liegt in dem Wort „éclairer“ aber auch eine Anspielung auf den Glanz des Geldes im Spiel, wie überhaupt der Anspielungsreichtum der Sprache die Geschichte zu einem echten Prüfstein für die Übersetzung macht, einem Prüfstein, dem die Ewers-Familie nicht wirklich gerecht werden konnte.
Die Übersetzung enthält zwar keine wirklichen Übersetzungsfehler. Hier und da sind Halbsätze oder kleinere Einschübe ausgelassen, teilweise offenbar, weil der Sinn nicht klar geworden war. Der Text wird dadurch allerdings nicht wesentlich verändert. Trotzdem kann die Übersetzung eben deshalb nicht wirklich befriedigen, weil der durchgängig sehr ironische Ton des Originals nicht getroffen ist.
Schließlich seien noch zwei weitere Autoren erwähnt, für die die Ewers-Mannschaft sich übersetzend eingesetzt hat.


Frédéric Boutet und Claude Farrère

1909 erschien, verziert mit einem wunderschönen Einband von Ilna Ewers-Wunderwald, die Übersetzung eines französischen Autors der jüngeren Generation, Frederic Boutet (1874-1941), dessen erster Erzählungsband „Contes dans la Nuit“ 10 Jahre zuvor herausgekommen war. Boutet gehörte zum Kreis um Apollinaire, war mit Oscar Wilde befreundet, und auch Ewers lernte ihn persönlich kennen und stand mit ihm im Briefwechsel. Die Bekanntschaft reichte so weit, daß Boutet sich bereit fand, für die Ewersche Übersetzung seiner „Geschichten in der Nacht“ ein Vorwort „Über das Grauen“ zu schreiben, ein Text, der heute nur mehr in der deutschen Übersetzung existiert und jüngst für eine französische Neuausgabe der Erzählungen ins Französische rückübersetzt werden mußte. Boutet analysiert dort zunächst die Wirkungsweise des Grauenhaften und seinen Zusammenhang mit dem Grotesken und liefert dann einen kurzen Überblick über die Geschichte der phantastische Literatur. Dabei ergibt sich für die neuere Zeit die auch von Ewers immer wieder beschworene Linie von Hoffmann über Poe, Gautier, Baudelaire zu Villiers , ergänzt um eine Reihe anderer Namen. Ans Ende der Kette setzt Boutet seinen Freund Hanns Heinz Ewers, der wie kaum ein anderer Dichter berufen sei, „Dichter des Grauens und der Seelenqualen zu sein, da er sein ganzes Leben dem Studium dieser Emotionen gewidmet hat.“ (13) Hier sieht man einmal mehr den strategischen Sinn von Ewers Übersetzungsarbeit, der auf diese Weise versuchte, ein Netzwerk zu knüpfen, wovon dann auch seine Originalwerke zu profitieren vermochten. In der Folge erhielt dann Maria Ewers aus‘m Weerth den Auftrag zu einem weiteren Band mit Erzählungen von Boutet, die 1913 unter dem Titel: „Seltsame Masken“ bei Georg Müller erschienen. Boutet griff auf die gängigen Themen der phantastischen Literatur zurück, Doppelgänger-Motiv (La Double vie de Claude Mercoeur), Nekrophilie (La Victoire véritable), der Tod (La Dernière aventure), die Masken (Masques différents). Ewers schreibt über die Qualität seiner Texte in einer späteren Ausgabe des „Literaturführers“: „Boutet durchleuchtet die Tiefen der menschlichen Psyche, durchwandert die Irrwege des Intellekts und gelangt nicht selten in jenes Nebelland des Unerforschten und Unerforschlichen, durch das die Grenze von Vernunft und Wahn führt. Dabei ist er sprachlich stets ein eleganter Plauderer und weiß einen oft über alles Grauen hinwegzuschwatzen.“ (Führer, 1921, S. 35) Ein heutiger Leser dürfte erhebliche Schwierigkeiten haben, hinter dem jugendstilig-empfindsamen Parlando dieser Geschichten Spuren von Grauen oder Geheimnis aufzuspüren.

Als Maria Ewers im Sommer 1913 einen dritten Band Boutet vorschlägt, schreibt ihr Sohn zurück: „Boutet - nein! Müller kann doch nicht fortwährend Boutet bringen; wegen Farrère werde ich ihm schreiben!!“ (2.9.1913) Auch Claude Farrère, der im bürgerlichen Leben Charles Bargonne hieß und Marineoffizier war (1876-1957), gehörte zu Generation der jungen französischen Literatur. Ewers war auf ihn durch seinen erfolgreichen Erzählungsband „Fumée d‘Opium“ von 1904 aufmerksam geworden, den Mutter Maria übersetzte und mit einem Vorwort des Sohnes und einer schaurig-schönen Umschlagzeichnung der Schwiegertochter 1911 bei Müller herausbrachte. 1914 folgte noch ein Band mit Geschichten aus dem Marine-Milieu der französischen Hafenstadt Toulon. Das Opium Buch berichtet in den ersten beiden Teilen Legenden und Geschichten vom Opium-Rauchen; in den beiden letzten, in Ich-Form verfaßten Teilen begleitet der Leser die Karriere eines Opium-Rauchers von den Extasen des Rauschs bis zum Tod in den Wahnzuständen des Entzugs. Gerade diese letzten Teile sind auch heute noch ein echter Schocker. In seinem Vorwort schreibt Ewers: „Claude Farrère kennt ... die Seele des Opiums. Wie Hoffmann die Seele des Alkohols fand, Poe die des Laudanums, so fand Claude Farrère ... des Opiums opalene Seele. Denn irgendwo schlummert in jedem Gifte ein seltsames Leben, eines, das aus dem toten Ding ein selbstatmendes Wesen macht. Weit, an den letzten Grenzen, wo Lüste und Qualen eins werden, da, wo aller Kunst tiefste Quelle ist, da atmet auch das Leben der Gifte.“ Und dann folgt pathetisch-anspielungsreich der Satz: „Wenige kennen die Wege. Claude Farrère ging sie, mein Kamerad ---“ (7) Die Affinität von Ewers zu Farrère lag aufgrund der eigenen Drogen-Experimente und seiner Theorien über die Möglichkeiten der Erweiterung des künstlerischen Prozesses durch die Einnahme von Rauschmitteln nahe. Auch hier also wieder eine strategische Verstärkung des Netzwerkes auf dem Wege der Übersetzung.


V.

Zur der Zeit als Hanns Heinz Ewers und seine Familie sich daran machten, bedeutende französische Vertreter der Moderne nach Deutschland zu vermitteln und damit zugleich die Traditionslinie jener Literatur zu stärken, auf der auch Ewers selbst sein Werk ansiedelte, hatte eine andere Düsseldorfer Übersetzerin bereits einen Beitrag in eine ganz ähnliche Richtung geleistet. Hedda Eulenberg hatte in den Jahren 1901-04 fast im Alleingang eine Gesamtausgabe von Edgar Allan Poe, dem Leitstern aller phantastischen Literatur übersetzt, und zeitgleich, nur mäßig unterstützt von ihrem ersten Ehemann Arthur Möller-Bruck, zwei wirklich bedeutende Franzosen: Guy de Maupassant und Jules Barbey d‘Aurevilly (1808-1889), aber auch kleinere Vertreter der phantastischen Richtung wie Jean-Marie Marnière oder G. Lagros de Langeros. Sie übertrug zudem Klassiker der Richtung wie de Quinceys „Bekenntnisse eines Opiumessers“ oder Karl Joris Huysmans Roman „Die Kathedrale“. Mit Hedda Eulenberg habe ich mich bereits an anderer Stelle, in der Festschrift für die verehrte Frau Prof. Cepl-Kaufmann, auseinandergesetzt und will darauf hier jetzt nicht weiter eingehen. Es ist immerhin erstaunlich, wie sehr ihre Affinität zur phantastischen Literatur mit der des Ewers-Clans übereinstimmt, und da man ausschließen darf, daß das etwas mit der rheinischen oder gar Düsseldorfer Luft zu tun hat, wäre an dieser Stelle dringend nach dem besonderen Stellenwert dieser Art von Literatur im Kaiserreich zu fragen, was ich jetzt aber nicht mehr tun kann und werde. Meine bisherige Arbeit zu den Übersetzungen von Hedda Eulenberg und der Ewers-Familie waren mehr ein Bericht von einer Baustelle als die Beschreibung eines fertigen Gebäudes. Viel bleibt zu tun, insbesondere hinsichtlich der Übersetzungskritik, um jenen am Ende doch nicht gänzlich unerheblichen Beitrag der verschiedenen Düsseldorfer Übersetzer an der Vermittlung der modernen europäischen Literatur nach Deutschland abschließend einordnen und beurteilen zu können. Ich hoffe Ihnen in nächster Zeit von Fortschritten berichten zu können.

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