Meine Damen und Herren,
meine kleine, Michael Klaus gewidmete Rede nenne ich Carmina Buerana, was - wie jeder hier im Musiktheater sicher weiß - nichts anderes heißt als: Lieder aus Buer oder Bueraner Gesänge.
„Jetzt ist Josef ja tot“ begann Michael Klaus einmal einen (himmlisch) grotesken Text und literarischen Totentanz, und jetzt ist Michael ja tot – und hat also eine glänzende Zukunft endgültig hinter sich.
Als ein engagierter NRZ-Redakteur dem Kritischen Lexikon der Gegenwartsliteratur, dem renommierten KLG, vor kurzem antrug, einen Lexikonartikel zu Michael Klaus endlich aufzunehmen, meinte man dort abwehrend: Klaus? Kennen wir nicht. Machen wir nicht. Soviel zur Unsterblichkeit eines PEN-Club-Vizepräsidenten.
Oder, um mit Michael selbst zu spotten: „Hab von einem ein Buch gelesen. Fand ich unheimlich stark. Entweder heißt der Autor Fritz mit Vornamen oder der, der mir das Buch geliehen hat Wer weiß Näheres?“
Näheres? Gern, bitteschön.
Der jüngst zu Unrecht verstorbene Schriftsteller Michael Klaus gehört zu den Großen der Literatur, nicht nur des Ruhrgebiets.
Er darf getrost in einer losen Reihe mit Ralf Rothmann und Nicolas Born, mit Marion Poschmann oder Jürgen Lodemann genannt werden, wenn von haltbaren Schreib-Waren aus der Metropole Ruhr die Rede ist, die sich selbst kürzlich wieder mal einen neuen obszönen Slogan verpasste: „Wo das geht, geht alles“, heißt es jetzt bei der Ruhr.2010.
Michael allerdings hätte mindestens 60 oder 65 Jahre alt und zwei Romane älter werden müssen. Oft entdecken die großen Feuilletons erst in diesem Autorenalter die bis dato nicht beachteten leisen, sperrigen Schriftsteller, die kleinen Zen- und Nonsens-Meister des bestechend Fragilen, des Brüchigen, des unverwüstlich Vorläufigen - solche wie Wilhelm Genazino oder Ror Wolf zum Beispiel.
Oder eben – wenn alles gut gegangen wäre – Michael Klaus, der ein schreibender Allrounder war und Form um Form erprobte. Er war Heim-, Bühnen- und Medienarbeiter und irgendwann endlich auch Vortrags- und Handlungsreisender, Dozent und Agent seiner Kunst in Hamburg, Berlin oder München, was er sehr genoss.
Als Leser und Interpret seiner eigenen Texte war Klaus unübertroffen: ein sonor-bäriger Buddha auf der Bühne.
Apropos Bär! Michael Klaus wurde in Brilon-Wald, im Sauerland geboren. Wäre er dort geblieben, so befürchtete er einmal, säße er irgendwann nächtens auf dem Dach seines Eigenheimes „und würde schreien oder mit Steinen schmeißen“.
So aber kam er weltenweit über Brilon hinaus, auch wenn er in Gelsenkirchen hängen blieb, wo er zuletzt in Buer als freier Schriftsteller wohnte und an chronischem Geldmangel litt, bis ihm ein Ehrensold des Landes NRW ein paar Sorgen abnahm. Natürlich ‚schrie’ Michael auch hier – aus guten Gründen. Zuletzt legte er sich ausgerechnet mit Schalke an und dessen Sponsor Gazprom. Doch viel lieber legte er leise Texte als Steinchen aus, um seine Leser aus dem Tritt und aus dem Trott zu bringen statt ans Steinewerfen.
Michael Klaus wurde als Satiriker bekannt, wenn man denn von Bekanntheit überhaupt sprechen darf – in Gelsenkirchen und Umgebung jedenfalls ist er längst weltberühmt. Doch im Satiriker steckt auch ein geborener Erzähler, einer, der abwarten konnte, beobachtete, geduldig und genau hinsah. So wurde er einer aus der Bruderschaft der Alltagserzähler, der Sarkasten und Lakoniker.
Gelangten Michael Klaus‘ frühe Ich-Erzähler einmal vor die Haustür und blieben nicht in der nächsten Kneipe oder in einem Kinofilm hängen, dann ging‘s mit Familie oder allein mit Sohn schon mal bis nach Holland oder Prag. Doch selbst da fand sich immer wieder ein Stück Gelsenkirchen. Kein Wunder – schrieb doch der Schweizer Franz Hohler schon 1970 über Gelsenkirchen – einen Ausspruch Debussys zitierend: Ça ne commence pas, ça ne finit pas, ça dûre seulement. Das fängt nicht an, das hört nicht auf, das dauert nur. Wär’ doch auch ein schöner Slogan für Schalke oder die Kulturhauptstadt, nicht wahr?
Michael Klaus’ Echos darauf, seine Texte also, scheinen dagegen aus dem und für den Augenblick geschrieben und können dennoch das Leserbewusstsein nachhaltig so durchlöchern, dass es - neu gelüftet – wieder Raum bietet für Phantasie, Träume, Obsessionen....
Wie ein Kater mit ausgreifendem Revierverhalten ging er aus von Bücherregalen, den Plattenspielern und Nierentischen, den Wohnungen, vom Familiären, der Verwandt- und Nachbarschaft, den Kneipen, um schließlich heißhungrig um so mehr vom Rest der Welt, vom Rest des Weltlichen, des Sinnlichen, vor allem: des Weiblichen zu träumen.
„Sagen lassen sich die Menschen nichts, aber erzählen lassen sie sich alles“ (hat Bernard von Brentano einmal geschrieben). Und von Michael Klaus ließ man sich gerne viel erzählen, sogar vom Ruhrgebiet, dessen Menschen und Geschichten.
Nur dazu musste einer eben Worte, Sätze oder Mini-Dramen (er-)finden können wie Michael, der über Gelsenkirchens Altstadt schrieb: „Dieser Stadtteil wird nachts beleuchtet von der Panik seiner Bewohner!“
Und damit hatte er zugleich das Lebensgefühl vieler Ruhrgebietler und Provinzler in Berlin oder anderswo kalt erwischt: das Gefühl, immer bloß in einem Vorort einer Vorstadt ein Vorleben zu führen. Vom Weggehen zu träumen und dann das Reisetagebuch doch am heimischen Küchentisch zu schreiben.
Michael brachte sie zur Sprache und zum Sprechen: verlorene Verlierer, verbrauchte Verbraucher, abseitige Mitläufer, kleine Anarchisten und Saboteure des Alltags - lieferte Nahaufnahmen von Weitsichtigen und Zukurzgekommenen, jeder in seiner eigenen Parallelwelt, lange bevor das Wort erfunden wurde.
Diese „hochgradig gestörten(n) Leute“ – wie Michael sie nannte – diese richtig schrägen Typen zeigte er in solch abschüssig-schräger Perspektive, dass sie einem plötzlich wieder ganz und gerade und gar nicht so schief gewachsen erschienen.
Michael Klaus‘ Texte sind oft kurz, aber nie machen sie kurzen Prozess. Viele sind vertrackte Urlaubsgrüße aus dem Alltag. „Das Unauffällige ist übrigens auch brauchbar“, schrieb Michael und: „Es sind meist die Details, die Glaubwürdigkeit ausmachen. Und natürlich die angemessene Sprache. Also genau hinhören: Mit welchen Worten gibt dir die Geliebte den entscheidenden Tritt?!“
Der Literaturwissenschaftler Erhard Schütz schrieb über Michael: „Solche Texte hat im Deutschen Robert Walser geschrieben. Und Peter Altenberg, ein anderer Meister von Text-Essenzen hat gesagt, er schreibe zwar kurze, aber keine kleinen Texte.“
Ja, das war und ist Michael Klaus: Ein meisterhafter Autor von keinen kleinen Texten.
Und noch etwas schaffte Michael – und das nicht erst seit seiner Krankheit: die eigene Wehleidigkeit und die der anderen zu überwinden und ins Ästhetische zu übersetzen, sie in gekonnte Melancholie, abgründigen Humor und Literatur zu verwandeln.
Eine von Michaels Stärken war die punktgenaue Inszenierung von Schwäche. Auch sich selbst, sein Ich als Grübler, Zauderer, verstrickt in Liebesversuche... inszenierte er als umwerfend komische Figur.
„Schwächen, so menschlich sie auch sein mögen, interessieren mich nicht“, zitierte Michael deshalb einmal - wirklich nur augenzwinkernd – den New Yorker James Salter, den er bei einer Veranstaltung des Literaturbüros Ruhr im Gelsenkirchener Schloss Horst kennen gelernt hatte. Seitdem gebe er seinen Figuren gern mehr starke (Buch-)Seiten. Was ihn nicht daran gehindert hat, kurz darauf unter dem Titel: „Schimanski muss leiden“ das Drehbuch zu einem Tatort-Krimi zu schreiben. Und nicht zu vergessen: Michael Klaus (auch hierin Ror Wolf verwandt) war einer der ersten, der den Fußball für die Literatur wiederentdeckte.
Als Auftragsarbeit für Schalke 04 schrieb er den Text für das Musical „Nullvier. Keiner kommt an Gott vorbei“ und das Libretto für „Die Tiefe des Raumes“, ein Fußballoratorium der RuhrTriennale.
Zuletzt erschien von ihm der Herz und Verstand gleichermaßen berührende Roman „Totenvogel, Liebeslied“ im Oberhausener Asso-Verlag, der erneut bewies: Michael Klaus schreibt am stärksten über die Irrungen-Wirrungen jener, die ins Verlieren investieren müssen - und dazu gehörte er als Krebskranker zuletzt ganz sicher auch selbst.
Seine längeren Erzählungen, vor allem die letzten, sind auch zärtlich-verzweifelte Liebes- und Abschiedsbriefe, die von Verfluchungs- und Fluchtversuchen handeln und sich als literarische Roadmovies tatsächlich auf die gerne große Reise nach außen und innen begeben.
Der Roman „Totenvogel, Liebeslied“ allerdings erzählt auch vom grantigen schwarzen Schaf der Familie: voller Bitterkeit gegen ungelebtes Leben und leergeträumte Mitmenschen - und dennoch kuriert Michaels menschenfreundlicher Grundton auch hier selbst hartnäckige Zyniker. Hoffentlich erscheint bald auch sein letztes Manuskript, ein erschütternder Text über das Sterben und die Einsamkeit, seine letzten „Tage auf dem Balkon“.
In ihm erweist sich Michael noch einmal als später Nachfahre Michel de Montaignes, der nicht nur geschrieben hat: Philosophieren heißt Sterben üben, sondern auch den schönen Satz: „Das Besondere unseres Menschseins besteht darin, daß wir zugleich des Lachens fähige und lächerliche Wesen sind.“ Des Lachens fähige und lächerliche Wesen.
Es wird Zeit, dass Michael Klaus endlich mehr Leser findet! Es wird Zeit, dass seine Texte von einem großen Literaturverlag aus den Nischen der verdienstvollen Kleinverlage (wie Asso in Oberhausen) herausgeholt werden oder dass eben der AssoVerlag Michael groß macht!
Ich muss dann nicht mehr getröstet werden, weil Michael jetzt tot ist und muss nicht länger traurig sein, weil seine Texte manchmal schon kurz nach Erscheinen verschollen waren, statt in ganz Deutschland vergriffen.
Also, kurz und gut: Danke Michael, man sieht sich.
Diese Rede wurde am 1.12.08 Kleinen Haus des Musiktheaters im
Revier (MiR)/Gelsenkirchen gehalten.