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„Wörter tun mehr weh als Messer“

Im Nachgang: Walter Gödden zur Verleihung des Westfälischen Literaturpreises an Wiglaf Droste

Am 29. November 2005 nahm Wiglaf Droste im Museum für Westfälische Literatur den Westfälischen Literaturpreis entgegen. Das Medien-Echo war beträchtlich, und der Preisträger erzählte in Interviews aus dem Nähkästchen.

Der Preisträger war sichtlich gerührt. Für Wiglaf Droste ist es die bislang größte literarische Ehrung neben dem Ben-Witters-Preis vor zwei Jahren. Der etablierte Annette von Droste-Hülshoff-Preis (Westfälische Literaturpreis), mit dem zuvor unter anderem Ernst Meister, Peter Rühmkorf und zuletzt Hans-Ulrich-Treichel ausgezeichnet wurden, sichert Droste einen veritablen Platz in der bundesdeutschen Literaturlandschaft.


Eben hierauf hob Landesdirektor Wolfgang Schäfer in seiner Begrüßungsrede ab, nachdem zuvor Landrat Dr. Wolfgang Kirsch den neuen Preisträger mit einem „I’m glad it’s you“ auf dem Kulturgut des Kreises Warendorf willkommen geheißen hatte. Schäfer: „Mit dem aktuellen Preisträger wird die thematische Palette der Droste-Preisträger um eine weitere Nuance erweitert. Die Jury entschied sich für einen Autor, der auf vielen Bühnen zu Hause ist. Er verkörpert par excellence den Typus eines modernen Medienarbeiters: Wiglaf Droste ist wirklicher Dichter im traditionellen Sinn (der seinem Auditorium auch schon mal in wahrhaftiger Dichterrobe gegenübertritt), dann aber auch scharfzüngiger Feuilletonist, Essayist, Satiriker, Romanautor, Hörbuchsprecher und vieles mehr. Seine spitze Feder ist gefürchtet – das liebt sein Publikum an ihm – und zeugt – und das beeindruckte die Jury – von so hoher sprachlicher Virtuosität, dass der Vergleich mit den großen Vorbilder Tucholsky, Kästner, auch Heinrich Heine sich gradezu aufdrängt. Ich bin sehr froh, dass das Bekenntnis zur Moderne und zum literarisch-politischen Engagement mit dem diesjährigen Preisträger fortgesetzt wird. Wiglaf Droste befindet sich da – auch was frühere Droste-Preisträger angeht – in bester Gesellschaft – ich erinnere etwa an Paul Schallück oder Peter Rühmkorf.“


Die Laudatio hielt Dr. David Eisermann, Moderator und Kritiker des WDR. Er betonte: „Droste hat in den unterschiedlichsten Genres gearbeitet und dabei immer wieder Beweise großen formalen Könnens geliefert - vom Roman über die Erzählung bis hin zur Glosse und den genuinen Formaten der Satire - Liedtext und Gedicht... Als Moderator für Unterhaltungssendungen auf WDR2 habe ich schon Anfang der 90er Jahre mitbekommen, daß derselbe Wiglaf Droste, der als Autor für die Zeitschrift Titanic tätig war, auch mit Lesungen und Konzerten auf sich aufmerksam zu machen wußte. Er war hörbar besser als die anderen... Gerade seine Glossen zeigen ihn hier als fabelhaften Präsentator der eigenen, oft ganz aktuell entwickelten Texte...

Wiglaf Drostes Witz hat eine durchweg trockene, treffende und immer originelle Qualität, die ihn von aller rheinischen Verbindlichkeit absetzt und die ich mir gern mit seiner westfälischen Herkunft erkläre... Wenn es darum geht, einen Text so treffend wie nur möglich so formulieren, dann ist Wiglaf Droste rücksichtslos - und dafür bin ich ihm nicht nur als Radiomoderator und Kritiker, sondern einfach als sein Leser und Zuhörer dankbar. Im Zweifel entscheidet sich Wiglaf Droste immer für den Text - er kennt dann buchstäblich keine Verwandten mehr… Für die Satire gilt, was für jede Art von Literatur gilt: über die die Qualität entscheidet nicht die astreine Haltung, sondern allein, wie ein Text geschrieben ist.“


Soviel Preis und Ehr hatten es dem vermeintlichen „Hardliner“ Droste sichtlich angetan. Sein „Danke!“ an Preisstifter, Jury und Publikum wirkte wie eine Erlösung. Denn nun konnte er „endlich“ loslegen - und war gleich in seinem Element. Einmal mehr stellte Droste seine Qualitäten als Entertainer unter Beweis. Und als Sänger. In Begleitung des „Spardosen-Terzetts“, mit dem er mehrere CDs eingespielt hat, gab er Songs zum besten, die für seine Fans längst zu Klassikern geworden sind: eine deutschen Verballhornung von Bob Dylans „Blowing in the wind“ etwa, eine von Jürgen Drews „geklaute“ Version von „Hotel California“ oder Country-Klassiker. Der lässiger Swing der „Spardosen“ löste gleich alle Verkrampfung. Und das Publikum um so dankbarer über eine Preisverleihung, die so gar nichts Steifes und Trockenes an sich hatte.


Bei Drostes Solo-Lesung durften seine Westfalen-Texte nicht fehlen. Der Schluss seiner autobiographischen Reminiszenz „Tünseliges Ostwestfalen“ („Mit dem Wort Heimat verbinde ich keine Landschaft - wozu auch? Eine Sprache, in der Dölmer, Hachos und Tünsel durcheinander ramentern, wullacken und kalbern, ist Heimat genug“) erlangte im Kontext der Preisverleihung fast programmatischen Charakter. In der Story „Ich schulde einem Lokführer eine Geburt“, die im Bielefelder Hauptbahnhof ihren Ausgang nimmt, ließ er eine Spitze auf die Bielefelder Pastorentochter Antje Vollmer folgen. Als er die aktuelle Papstwahl in „Flaschendrehen im Vatikan“ aufs Korn nahm, zog er damit auch manch unfreiwilligen Lacher auf seine Seite. Wie auch bei „Ratzinger will wie Jesus werden“, das an Ratzingers Diktum „Die erste Reform, die wir brauchen, ist die, der Botschaft Jesu Christi treuer und ähnlicher zu werden“ anknüpft:


Die Menschheit soll wie Jesus werden
Nicht erst im Himmel, nein: auf Erden?
Doch ich sage nur: Wohlan –
Ratzinger, geh du voran!
Du willst sein wie Jesus Christus?
Nimm den Hammer, und dann bist du’s!
Vergiß die langen Nägel nicht
Denn du bist kein Leichtgewicht.
Vorbildlich fĂĽr alt und jung
Ist die Eigenkreuzigung
Schon in drei Tagen bist du schlaff
Bis dahin grĂĽĂźt dich: Drostes Wiglaf


Beim Publikum entschuldigte sich Droste augenzwinkernd mit den Worten: „Sie haben mir den Preis verliehen, deshalb dürfen meine besten Texte nicht fehlen!“


Als Referenz an Annette von Droste-Hülshoff las Droste einige Gedichte aus seinem neuen Lyrikband „Nutzt gar nichts, es ist Liebe“, darunter auch eine Hommage an seinen Freund und Meisterkoch Vincent Klink, mit dem er zusammen die alternative Gourmet-„Kampfschrift“ (O-Ton Droste) „Häuptling eigener Herd“ herausgibt. Klink betrat dann auch selbst die Bühne und machte als versierter Querflötist aus dem „Spardosen –Terzett“ ein „Spardosen Quartett“ – ein weiterer Höhepunkt des Abends.. „Danke Nottbeck“, hauchte Droste sonor ins Mikrofon, und alle hofften, dass er bald zu einem Gastspiel wiederkommt.


„...nicht mit der Nähnadel zur Schießerei...“

Die Auszeichnung Drostes mit dem Westfälischen Literaturpreis fand in Öffentlichkeit und Medien ein breites Echo. Die Heilige und das Biest – wie soll das zusammenpassen? Es passe vielleicht nicht maßgenau, räumte Droste im Gespräch ein, zwischen dem westfälischen Edelfräulein und ihm gäbe es jedoch durchaus Gemeinsamkeiten. In der Liebe zu Land und Leuten beispielsweise und zur westfälischen Sprache. Das Ostwestfälische sei ein sehr lautmalerisches Idiom, das mit seinen originellen Wortschöpfungen viel zu bieten habe.
Der WDR-Hörfunk räumte der Preisvergabe gleich eine halbe Stunde Interviewzeit ein. Moderator Jürgen Wiebicke scheute nicht vor unbequemen Fragen zurück, um den – so Wiebicke – „bösesten aller Satiriker im Lande“ aus der Reserve zu locken. Doch surprise, surprise: Droste erwies sich weder als gefürchtetes Rauhbein noch als Haudrauf. Stattdessen zeigte er sich nachsichtig gestimmt, fast ein wenig altersmild.


„Ich fühle mich mit 44 Jahren zum ersten Mal privilegiert, ein Westfale zu sein“, hob er hervor. Hinter seiner Nominierung zum Droste-Preis habe er zunächst einen Witz vermutet. Anschließend habe er sich vergewissert, wer den Preis vor ihm erhalten habe. Wäre Wolf Biermann darunter gewesen, hätte er ihn partout abgelehnt. Mit Rühmkorf, von der Grün und Sarah Kirsch befinde er sich allerdings in guter, ja bester Gesellschaft. Rühmkorfs Bonmot „Wer Lyrik schreibt, ist verrückt, / wer sie für wahr nimmt, wird es“ sei allein schon preiswürdig.


Inzwischen lehnt es Droste ab, stets mit dem „Hammer in der Hand“ zu schreiben. Seine Veröffentlichungen sind mit den Jahren differenzierter geworden. Auch räumt er der Form nunmehr einen höheren Stellenwert ein. Dies sei auch eine Frage des persönlichen Stils („Man sollte schon irgendwann seinen Leben eine zumindest rudimentäre Form geben“). Er sei aus dem Alter heraus, in dem er, wie früher, alles „roh heraushauen“ wolle. Er würde seine Kritik heute nicht weniger harsch, dafür aber präziser formulieren.

Wenn Franz Josef Degenhardt ihn als „Tucholsky von heute“ bezeichne, empfinde er dies als großes Kompliment, weil das Lob von einer Seite komme, die sich im Werk Tucholskys gut auskenne. Auch Tucholsky habe seine sprachlichen Waffen genau zu nutzen gewusst und sei nicht „mit der Nähnadel in der Hand zur Schießerei“ gegangen.


Auf sein Einzelkämpferdasein angesprochen, führte Droste an, dass Gruppenbildung im „Ballsport zwar prima“, beim Denken jedoch eher hinderlich sei. Aus diesem Grund habe er sich auch nie als Literaturfunktionär betätigt. Dies schließe jedoch nicht aus, dass er auch weiterhin gern mit anderen kollaboriere wie mit dem genannten Vincent Klink. Früher - in seiner Zeit als „taz“- und „Titanik“-Redakteur - habe er es sehr geschätzt, im Redaktionskollektiv Sachen zu entwickeln, doch diese Episode sei abgeschlossen.


Den Interviewer überraschte Droste nicht nur mit einem Bekenntnis zur Naturlyrik und zur Natur, sondern auch damit, sich das Werk Annette von Droste-Hülshoffs noch einmal vorzunehmen. Wie sein lyrisches Vorbild Peter Hacks schätze er Verse der Droste wie „...Fühl ich stark mich wie ein Hüne / Von Zerfallendem umgeben“ („Das alte Schloss“). Einer solchen Weltauffassung könne er sich fraglos anschließen, ohne allerdings gleich in Depression zu verfallen. Das öffentliche und politische Leben sei heute „nicht mehr satisfaktionsfähig“ und das Vokabular und Ausdrucksinstrumentarium, vor allem der Jugend, derart verkümmert, dass man sich ernsthaft sorgen müsse. Das gelte auch für den politischen Wortgebrauch, der mehr denn je mit Verlogenheit und Euphemismus durchsetzt sei.

Aufgabe des Satirikers sei es, den „sprachlichen Müll herunterzutragen“, der sich seit den 1970er Jahren angesammelt habe. Damals seien Begriffe wie „Entsorgungspark“ für Endlagerstätten für Atommüll aufgekommen. Seitdem sei die „Verkleisterung“ der Sprache kontinuierlich fortgeschritten. Das Problem bestehe darin, der politischen Unkultur etwas abzugewinnen, das – in künstlerischer Hinsicht – keinen „neuen Mist“ darstelle – ein durchaus schwieriges Unterfangen. Er selbst wolle sich, gelobte er, nicht mehr zu intensiv mit Themen beschäftigen, die ausschließlich Überdruss hervorriefen. Denn dann bestehe die Gefahr, dass seinen Texten jener Überdruss anzumerken sei, was zu Lasten der literarischen Qualität gehe.


Auf seinen Ruf als „böser Zyniker“ angesprochen, erklärte Droste, dass seine Neigung zur literarischen Aggressivität und „Lust an der Attacke“ immer eine Vorgeschichte hätten. „Ich geh ganz gern dahin wo es weh tut. Ich bin zwar kein Masochist, möchte aber wissen, wie die Welt wirklich ist.“ Man könne sich das Leben zwar durch Hübschreden verschönern, das aber sei „keine erwachsene Form, mit dem Leben umzugehen“. Wenn er mit seinen Texten verletze, liege ein Anlass vor und er wolle diese „Hässlichkeit und Dummheit mit Verve und Schwung“ wieder aus seiner Welt eliminieren. Das könne dem Verursacher der Dummheit in der Tat wehtun. Die Pflicht des Autors sei es, bei der Wahl seiner sprachlichen Mittel Sorgfalt walten zu lassen, denn - so Droste - „Wörter tun mehr weh als Messer“.


Das Interview mit Wiglaf Droste unter dem Titel "Ich geh' gerne dahin wo's weh tut" lief auf WDR 5 in der Sendung „Redezeit“. Es kann als Live-Stream im Internet angehört werden:
http://www.wdr5.de/sendungen/neugier_genuegt/642138.phtml


Wiglaf Droste ĂĽber den Westfalen:
Ich glaube, der Westfale ist tendenziell ein Melancholiker. Das hat eine komische Seite, wenn man den Humorbegriff weiter fasst. Humor ist eine Haltung zur Welt. Man sieht die Menschen nicht so, wie sie gesehen werden wollen, sondern so, wie sie sind. Die Versuche von Menschen, sich als etwas anderes darzustellen, kann man abstoßend und heuchlerisch finden. Man kann sie aber auch grundkomisch finden. Viele Leute lassen sich blenden, aber eigentlich sieht man immer, wenn jemand heuchelt oder lügt. Man kann nicht sagen, dass der Westfale an sich unbestechlich ist, aber er lässt sich nicht so leicht beeindrucken. Wenn jemand behauptet, "Ich bin ein ganz doller Hecht", sagt der Westfale "Wollen wir doch mal sehen" oder "Zamma" und bleibt ruhig sitzen. Das ist eine gesunde Haltung. Das tut mir auch in Berlin gut, denn die Stadt ist voll von tollen Hechten. Wer genau hinsieht, stellt fest, es gibt ein paar Leute, die sind große Klasse, aber das sind eigentlich nie diejenigen, die damit hausieren gehen. Das ist eine Lebenserfahrung, die in Westfalen mit der Muttermilch oder der Kartoffel verabreicht wird.

Über seinen Text „Tünseliges Westfalen“ (Abdruck im Westfalenspiegel 5/2005), der mit den Worten „Der Ostwestfale sieht manchmal aus wie eine Kartoffel, und immer spricht er so. Er sagt nicht wirklich oder Wurst, sondern wiaklich und Wuast, der Nachmittag ist ihm ein Nammiitach und das Abendbrot ein Aaahmtbrot. Ich weiß das, ich komme da wech...“ erläuterte Droste: „Der Text ist eine Liebeserklärung an Westfalen, das merken die Leute. Der Westfale hat es ganz gerne, wenn eine Liebeserklärung nicht so plump verabreicht wird. Der Kartoffel-Vergleich ist keine blöde Ironie. Das ist schon so gemeint. Wenn man sich in diesem Landstrich umkuckt, sind die Menschen nicht für ihre äußerliche Schönheit berühmt. Ich habe auch in den Spiegel gekuckt, bevor ich das geschrieben habe. Wenn man so aussieht wie ich, hat man das große Glück, dass man nicht als Model enden muss. Es gibt ja Männer, die ihr Geld als Unterhosenmodel verdienen müssen. Das ist ein unglaublich hartes Schicksal, das ich niemals erleiden möchte.“ (Quelle: WDR-Online; das Interview führte Sandra Fomferek).