Norbert Reimann (Hrsg.): Praktische Archivkunde
Rezensiert von Max Plassmann
Norbert Reimann (Hrsg.): Praktische Archivkunde. Ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste. Fachrichtung Archiv. Münster: Ardey Verlag 2. Aufl. 2008, ISBN 978-3-87023-255-9, € 29,90.
Wenn eine Einführung in das archivische Arbeiten (für Archivarinnen und Archivare, nicht für die Benutzung) bereits nach vier Jahren eine zweite Auflage erlebt, spricht dieser Erfolg eigentlich für sich. Offenbar wurde das Werk nicht allein von den Auszubildenden zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste – Fachrichtung Archiv (FAMI) gekauft, für die es ursprünglich unter Federführung des Archivamts des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe konzipiert und erstellt wurde, sondern es hat verdientermaßen eine weitere Verbreitung gefunden. Insofern kann die „Praktische Archivkunde“ innerhalb der archivarischen Zunft als so bekannt und bewährt gelten, dass eine neuerliche Besprechung eigentlich unnötig ist.
Sie hat ihren Ursprung in der Einführung der dualen Ausbildung zum FAMI im Jahr 1998. Weniger für deren betriebliche, praktische Anteile, als für die in der Berufsschule zu absolvierenden theoretischen fehlte es damals an einem Lehrbuch, das nicht nur den Auszubildenden, sondern auch den vielfach nicht archivisch vorgebildeten Lehrkräften eine grundlegende Orientierung über alle wesentlichen archivischen Arbeitsbereiche bot. Ein regelrechtes Lehrbuch existierte damals aber auch nicht für andere archivische Ausbildungsgänge, so dass dringender Bedarf bestand, ein solches zu erarbeiten. Zwar liegt der Fokus auf den Bedürfnissen der FAMIs, jedoch sind diese in weiten Teilen deckungsgleich mit denen der Anfänger aller anderen Ausbildungsgänge und natürlich auch mit denen aller im Archivwesen Tätigen, die keine eigene Archiv-Ausbildung durchlaufen haben. Schließlich ist es auch in vielen Teilen ein sinnvoller Leitfaden für Benutzerinnen und Benutzer, die sich vor ihrem Archivbesuch über archivische Arbeitsweisen informieren wollen.
Die erste wie die zweite Auflage der „Praktischen Archivkunde“ enthalten dementsprechend einen Rundblick über alle wesentlichen archivischen Arbeitsbereiche, von der Behördenbetreuung im Vorfeld über die Übernahme und Bewertung, Sammlungstätigkeit, den Aufbau einer Archivbibliothek, die Erschließung, die Bestandserhaltung und Archivtechnik, die Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit bis hin zum Einsatz neuer Informationstechnologien. Ergänzt wird dieser Überblick durch eine Einführung in die Grundlagen des Archivwesens allgemein, in das Berufsbild des FAMI sowie in die wesentlichen historischen Hilfswissenschaften, in die Quellenkunde, Schriftkunde und Verwaltungsgeschichte. Musterformulare, ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein hilfreiches Glossar archivischer Fachbegriffe schließen den Band ab. Überarbeitet wurde im Vergleich zur ersten Auflage insbesondere der Abschnitt über die Informationstechnologien, da in diesen der schnellste Wandel erfolgt.
Die einzelnen Beiträge stammen von unterschiedlichen Verfassern und variieren daher naturgemäß in ihren Schwerpunktsetzungen. Durchgängig handelt es sich um kurze Einführungen, die für den Laien verständlich bleiben.
Wer tiefschürfende, theoriegeleitete Debatten über kontroverse Themen der Archivarbeit erwartet, wird hier zurecht nicht fündig. Denn darin liegt gerade der Wert des Bandes, der einen schnellen, umfassenden Einstieg ermöglicht – und bisweilen sicher auch für den erfahrenen Archivar hilfreich ist, der ein neues Arbeitsgebiet zu übernehmen hat.
Das Berufsbild der FAMIs ist übergreifend angelegt, und zwar sowohl hinsichtlich der Zusammenarbeit mit mehr oder minder benachbarten Berufssparten (Bibliothek, Dokumentation) als auch innerhalb des Archivwesens spartenübergreifend. Die Absolventen sollen also in die Lage versetzt werden, in allen denkbaren Archivtypen eingesetzt zu werden. Die „Praktische Archivkunde“ hat dennoch eher die klassischen Archivsparten im Blick, v.a. staatliche und kommunale Archive. Dies sollte jedoch Vertreter der übrigen Sparten nicht abschrecken, denn in mehrfacher Hinsicht empfiehlt es sich, bei der Darstellung der archivischen Arbeit von den öffentlichen Archiven auszugehen. Zum einen überschneiden sich die Arbeitsweisen aller Archive in vielfacher Hinsicht. Grundlegende technische, juristische und organisatorische Fragen betreffen alle Sparten gleichermaßen. Zum anderen hat sich historisch das deutsche Archivwesen seit dem 19. Jahrhundert aus dem staatlich-kommunalen heraus entwickelt, das damit prägend für die meisten anderen Sparten wurde.
Wünschenswert für eine 3. Auflage (die in einigen Jahren zu erhoffen ist) wäre es aber, den Bereich der Nachlässe breiter in einem eigenen Kapitel zu behandeln bzw. den ganzen Bereich der Sammlungen etwas zu vertiefen. Denn jetzt werden diese Arbeitsfelder, aus staatlicher und kommunaler Sicht völlig zurecht, als nichtamtliche Überlieferung pauschal der amtlichen gegenübergestellt. Der Realität vieler Archive entspricht dies jedoch nicht, denn ihnen fehlt etwa als Literaturarchiv, als Archivabteilung eines Museums oder als Spezialsammlung der Bereich der amtlichen Überlieferung vollkommen. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass FAMIs auch in diesen Bereichen tätig werden, so dass eine Vertiefung hier auch dem Primärzweck der „Praktischen Archivkunde“ dienen und ihr gleichzeitig weitere Zielgruppen erschließen würde.
Max Plassmann
Universitätsarchiv Düsseldorf
plassman@ub.uni-duesseldorf.de