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Das Westfälische Literaturarchiv

Zur Bedeutung literarischer Nachlässe

Im kulturellen Bewusstsein unserer Zeit wird literarischen Nachlässen eine große Bedeutung beigemessen. Sie besitzen einen hohen kulturgeschichtlichen Wert. Schriftsteller perspektivieren Geschichte aus ihrem Blickwinkel und lassen im Subjektiven Objektives sichtbar werden. Die Sicherung, Pflege und Aufbereitung von literarischen Nachlässen ist die vordringliche Aufgabe von Literaturarchiven. Sie sind so etwas wie das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft. Mit ihrer Tätigkeit stellen sie der literaturwissenschaftlichen Forschung einen Fundus an Dokumenten und Materialien zur Verfügung.
Auf bundesrepublikanischer Ebene gibt es eine Vielzahl von Institutionen, die sich der literarischen Nachlasspflege widmet. Zu nennen sind das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar, die Stiftung Weimarer Klassik und das Archiv der Berliner Akademie der Künste. Vergleichbare nationale Institutionen sind das Österreichische Literaturarchiv in Wien und das 1991 gegründete Schweizerische Literaturarchiv in Bern. Daneben existieren zahlreiche regionale Literaturarchive zu thematischen Schwerpunkten. In der Bundesrepublik gibt es heute über 220 solcher spezieller Sammelstellen, Forschungsinstitute und Arbeitsstellen zu bestimmten Autoren, literarischen Gattungen oder literarischen Epochen. Jede größere deutsche Universitäts- und Landesbibliothek verfügt heute über regionale Sammelgebiete. Diese Sammlungen bilden oft den Grundstock für eigenständige Dokumentations- und Arbeitsstellen.

Die Situation in Westfalen

Der hohe kulturelle Wert literarischer Nachlässe steht auch in NRW außer Frage. Regionale Kulturpflege ist allgemein stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und öffentlicher Stellen gerückt. Die Neubewertung geht – neben einer stärkeren politischen Akzentuierung des Regionalen („Europa der Regionen“) – einher mit einem allgemeinen Aufschwung der regionalen Literaturforschung.
Literarische Nachlässe werden in Westfalen – wie andernorts auch – arbeitsteilig gesammelt. Die Landesbibliotheken in Münster, Dortmund und Detmold bilden in dieser Hinsicht die wichtigsten Anlaufstellen. Hier existieren besondere Schwerpunkte, wobei allerdings die Gegenwartsliteratur weitgehend ausgeklammert bleibt. Als vierte größere Sammelinstitution ist das Fritz-Hüser-Insitut für deutsche und ausländische Arbeiterliteratur in Dortmund zu nennen. Vereinzelt befinden sich weitere literarische Nachlässe in Gemeinde-, Stadt- und Kreisarchiven.
Aufs Ganze gesehen sind im Bereich der literarischen Nachlasspflege – trotz der genannten Aktivitäten – zahlreiche Defizite auszumachen. Schon 1978 wurde in NRW in einem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten auf erhebliche strukturelle Mängel im Bereich der Nachlassarchivierung hingewiesen. Diese betrafen
– das Fehlen geregelter Zuständigkeiten beim Nachlasserwerb; es regiere noch immer das Zufallsprinzip oder eine unproduktive Konkurrenzsituation
– fehlende bzw. unzutreffende Maßstäbe bei der Einschätzung des Wertes eines Nachlasses
– das Fehlen einer aktiven Nachlasserwerbspolitik, die eine Beratung von Autoren und Erben einschließt
– keine oder nur geringe Abstimmung bei Autographenankäufen
– mangelnde germanistische Kompetenz der Archivstellen
– mangelnde Möglichkeiten zur Erschließung von Nachlässen
– das Fehlen einer Zentralkartei nordrhein-westfälischer Autographen
– mangelnde Kommunikation der Archive untereinander.
Diese Probleme konnten bis heute nur ansatzweise beseitigt werden. Von verschiedenen Seiten ist mehrfach auf die nach wie vor schwierige Lage der literarischen Nachlässe in der Region aufmerksam gemacht worden. Diese unbefriedigende Situation ist auf NRW-Ebene aktuell intensiv erörtert worden. In Westfalen wurden die Diskussionen im Rahmen der Literaturkommission aufgenommen und weitergeführt. Konsequent verfolgte die Kommission seither – unterstützt durch die Abteilung Kulturpflege des LWL – das erklärte Ziel, ein „Westfälisches Literaturarchiv“ zu gründen.

Das „Westfälische Literaturarchiv im Westfälischen Archivamt“

Als Ergebnis dieser Bemühungen kam es im März 2001 durch Beschluss der Landschaftsversammlung zur Gründung eines „Westfälischen Literaturarchivs im Westfälischen Archivamt“. Das neue Archiv ist als gemeinschaftliches Unternehmen der Literaturkommission für Westfalen und des Westfälischen Archivamts konzipiert. Es befindet sich zunächst in einer Anlauf- und Probephase, die mit dem vorhandenen Personal bewältigt werden soll. Nach Ablauf etwa eines Jahres wird dem Kulturausschuss über die Arbeitsergebnisse Bericht erstattet. Dieser wird dann darüber beraten, ob und ggf. in welchem Umfang für die anfallenden Arbeiten die personellen Rahmenbedingungen verändert werden müssen.
Durch die Zusammenarbeit der Literaturkommission und des Archivamts erfüllt das Archiv zwei Grundvoraussetzungen. Auf archivarischer Seite werden die notwendigen konservatorischen Rahmenbedingungen sowie eine fortwährende Erschließung und Betreuung sowie Benutzung durch geregelte Öffnungszeiten gewährleistet. Auf literarischer Seite kommt das germanistische Fachwissen bei Fragen der Erschließung, Aufarbeitung und Übernahme von Nachlässen hinzu.
Grundstock des Archivs ist der Nachlass Ernst Meisters, der dem Archiv von der NRW-Stiftung übergeben wurde. Weitere Institutionen haben inzwischen das Angebot unterbreitet, Nachlässe zu übergeben. Von der Ernst-Meister-Gesellschaft wurde der Nachlass Erich Jansens – eines der renommiertesten westfälischen Autoren der literarischen Moderne – zur späteren Übernahme angeboten. Vor allem aber haben sich Schriftsteller an die Literaturkommission mit der Bitte gewandt, ihren Nachlass aufzunehmen und zu betreuen. In einigen Fällen sind bereits Teile von Nach- bzw. Vorlässen übergeben worden.
Voraussetzung für die Übernahme eines Nachlasses in das „Westfälische Literaturarchiv“ ist ein definierter Qualitätsstandard. Ein Kriterium hierfür kann die Aufnahme der Autoren ins „Westfälische Autorenlexikon“ sein. Von den Mitarbeitern der Literaturkommission und des Archivamtes wird zunächst über die grundsätzliche Archivwürdigkeit eines angebotenen Nachlasses befunden. In einem zweiten Schritt wird die Zweckmäßigkeit der Verwahrung im Archiv geprüft bzw. ein sinnvoller anderer Aufbewahrungsort vermittelt. Das „Westfälische Literaturarchiv“ versteht sich nicht als zentrales Literaturarchiv für die Region. Es ist vielmehr einem Prinzip der Regionalisierung verpflichtet. Soweit einzelne Autoren bzw. Nachlässe einen starken örtlichen bzw. regionalen Bezug aufweisen, sollen sie am Ort in der Region verwahrt werden, vorausgesetzt, dass dort eine gesicherte fachliche Betreuung gewährleistet ist. Das Literaturarchiv tritt nicht in Konkurrenz, sondern sieht sich als Kooperationspartner der genannten Sammelstellen in Münster, Dortmund und Detmold.
Längerfristig möchte das Literaturarchiv als Anlauf- und Clearing-Stelle für Fragen, die mit literarischen Nachlässen zusammenhängen, fungieren. Dies schließt eine Beraterfunktion für kleinere kommunale Archive ebenso ein wie für Autoren, die sich mit der Frage konfrontiert sehen. Das Literaturarchiv will im Sinne heutiger Schriftsteller tätig werden, eine aktive Nachlasssammelpolitik betreiben und Antworten auf so drängende Fragen wie „Wohin mit meinem Nachlass?“, „Was ist überlassungswürdig?“ geben. Mittelfristiges Ziel ist der Aufbau eines vollständigen Nachlasskatasters für westfälische Dichternachlässe.



Westfälisches Literaturarchiv im Westfälischen Archivamt

1. Grundsätze für ein Westfälisches Literaturarchiv

Das Westfälische Literaturarchiv hat die Aufgabe, literarische Nachlässe einer vorgegebenen Wertigkeit und von gesamtwestfälischer Bedeutung zu übernehmen, zu erschließen, zu erforschen und zugänglich zu machen. Die Archivierung der Bestände erfolgt im Westfälischen Archivamt.

Das Westfälische Literaturarchiv wird arbeitsteilig vom Westfälischen Archivamt - Archiv LWL - und der Literaturkommission für Westfalen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe betreut. Das Westfälische Archivamt steuert das archivfachliche Wissen sowie seine Erfahrungen aus jahrzehntelanger Tätigkeit im Bereich der regionalen Archivpflege bei, die Literaturkommission bringt ihre Kenntnis der westfälischen Literaturgeschichte der Vergangenheit und der Gegenwart sowie ihre Kontakte zu Autoren und Autorenverbänden mit ein.

Die ErfĂĽllung dieser gemeinsamen Aufgabe setzt eine enge Zusammenarbeit und klare Kompetenzaufteilungen zwischen beiden Dienststellen voraus.


2. Gemeinsame Aufgaben des Westfälischen Archivamts und der Literaturkommission für Westfalen

2.1. Eine Expertengruppe von Vertretern der Literaturkommission und des Westfälischen Archivamts prüft literarische Nachlässe aus Westfalen auf ihre Archivwürdigkeit und die Zweckmäßigkeit einer Verwahrung im Westfälischen Literaturarchiv. Das Ergebnis der Beratungen führt zu einer Archivierungsempfehlung. Grundlage der Prüfung ist die Aufnahme der Autoren in das von der Literaturkommission herausgegebene „Westfälische Autorenlexikon“.

2.2. Nach Sichtung der Nachlässe entscheidet die Expertengruppe, ob und in welchem Umfang die Nachlässe übernommen werden können. Nachlassteile, die keinen Bezug zum Werk oder zur Person des Nachlassers und keine kulturhistorischen Anschlüsse vermitteln, werden in der Regel nicht übernommen.

2.3. Voraussetzung der Ăśbernahme eines Nachlasses ist das Bestehen eines gĂĽltigen Deposital-, Kauf- oder Schenkungsvertrages.

2.4. Die Übernahme des Nachlasses erfolgt in Abstimmung mit der Literaturkommission durch das Westfälische Archivamt.


3. Aufgaben der Literaturkommission fĂĽr Westfalen

3.1. Die Literaturkommission stellt die Kontakte zu potentiellen Nachlassgebern her.

3.2. Die Literaturkommission übernimmt – auch in Verbindung mit dem Verband deutscher Schriftsteller (VS) und den Literaturbüros in Westfalen – die Funktion einer Informations- und Clearing-Stelle in allen mit westfälischen Dichternachlässen zusammenhängenden Fragen. Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe entwickelt die Literaturkommission im Laufe der Zeit ein vollständiges Nachlasskataster für westfälische Dichternachlässe.

3.3. Die Literaturkommission kümmert sich um die wissenschaftliche Erforschung der Nachlässe. Sie benutzt ihre Publikationsorgane einschließlich Internet, um die Arbeitsergebnisse zu veröffentlichen.

3.4. Die Literaturkommission kooperiert eng mit bestimmten Museen, z.B. mit dem Westfälischen Literaturmuseum Haus Nottbeck, bei der Präsentation von Nachlassteilen. Soweit Archivalien ausgestellt werden sollen, vgl. Ziff. 4.2.

3.5. Die Literaturkommission unterstützt das Westfälische Archivamt bei der Erschließung der Nachlässe, d.h. bei der Ordnung, Verzeichnung und Findbucherstellung.


4. Aufgaben des Westfälischen Archivamts

4.1. Die Erschließung der Nachlässe, d.h. die Ordnung, Verzeichnung und Findbucherstellung, wird vom Westfälischen Archivamt mit fachlicher Unterstützung der Literaturkommission durchgeführt. Die Arbeitsergebnisse werden publiziert.

4.2. Das Westfälische Archivamt entscheidet, welche konservatorischen Maßnahmen im Rahmen der Bestandserhaltung durchzuführen sind. Es ist auch verantwortlich für die sachgerechte Behandlung von Nachlassteilen bei Ausstellungen u.ä.

4.3. Die Benutzung der Bestände des Westfälischen Literaturarchivs erfolgt im Westfälischen Archivamt. Dafür gilt die Benutzerordnung des Westfälischen Archivamts – Archiv LWL –, sofern nicht andere vertragliche Regelungen (vgl. Ziffer 2.3.) getroffen worden sind.


Rickmer KieĂźling, Katharina Tiemann

(Westfälisches Archivamt)

Dr. Walter Gödden, Dr. Jochen Grywatsch

(Literaturkommission)