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Eberhard Illner (Köln): Sammlung und private Archive - eine Aufgabe für kommunale Archive?

Vortrag zum Thema Archive und kulturelle Ãœberlieferungen

Wenn hier das Stilelement einer rhetorischen Frage genutzt wird, dann mit dem Ziel etwas auf den Prüfstand zu stellen, was in den Archiven und speziell in den kommunalen Archiven seit Jahrzehnten, ja z.T. seit Jahrhunderten mit Selbstverständlichkeit betrieben wurde und wird: die Sammlung und Archivierung von Dokumenten zur Stadtgeschichte aus nichtamtlichen Provenienzen. Schließlich verstanden und verstehen sich Gemeindearchive insbesondere in kleineren Orten mit großer Bürgernähe als ein universelles Depot der historischen Überlieferung aller Bürger samt ihrer Organisationen in allen ihren Verzweigungen von a wie dem Architektenverein bis Z wie Zirkus.

Die Archivare tun dies als gute Chronisten ihrer Stadt, wie es ihnen seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer Reihe von Städten von Amts wegen aufgetragen worden war.


Sie tun es zweitens nicht nur als professionelle Archivare, die den wissenschaftlich arbeitenden Historiker aber auch den interessierten Laien mit authentischem und aussagekräftigem Material zu versorgen haben. Schließlich wollen die mit kritisch-rationalen Methoden arbeitenden Historiker nicht nur eine – die amtliche – Sicht der Dinge, sondern auch die andere und in jüngster Zeit dazu noch die alternative Sicht.


Die Archivare sammeln nichtamtliche Provenienzen drittens als eine Art Dienstleister für die Vereinigungen, politischen Parteien oder auch Unternehmen der eigenen Stadt, die mit der längerfristigen und sachgerechten Archivierung selbst überfordert sind. Insbesondere die Dauerhaftigkeit ist bei den meisten privaten Registraturbildnern oder auch bei freien Sammlern und Sammelvereinigungen nicht gewährleistet.


Sie tun es viertens – und dies nun mit positiven und in die Zukunft gerichteten Blick - als Historiker einer Gemeinde oder einer Stadt, die den Bürgern eine Identifikationsprojektion mit unverwechselbarer Geschichte und Gegenwart ist. Diese lokale Identifikation und kollektive Lebensorientierung an der eigenen Geschichte des näheren Umfeldes – früher hätte man gesagt: Heimat - gilt es zu stärken, damit eben nicht das Spezifische einer Stadt im internationalen main stream untergeht.


Dies gehört mit zu einer verantwortungsvollen Kulturpflege, die nach dem Subsidiaritätsprinzip des Grundgesetzes zunächst den Ländern und auf örtlicher Ebene den Kommunen in der Ausführung übertragen worden ist. Dieser Gesamtauftrag der Verfassung wird in der derzeitigen Diskussion um sogenannte "Pflichtaufgaben" und "freiwillige Aufgaben" häufig außer Acht gelassen.


Städte und Gemeinden bestehen aus weit mehr als der puren Durchführung ihrer im engeren Sinne gesetzlich definierten Auftrags- und Selbstverwaltungsfunktionen samt Ausführungsbestimmungen. Ein kommunales Gemeinwesen ist mehr als die Summe ihrer behördlichen Pflichtaufgaben wie sie derzeit von Controllern reduzierend allenthalben verstanden wird. Leider ist es diesen an Gesetzestexten klebenden Verwaltungsreformern nicht beizubringen, daß der Parlamentarische Rat seinerzeit eigene Kulturgesetze und damit die von diesen immer wieder abgefragte "gesetzliche Grundlage" gar nicht vorgesehen hat. Und das aus weiser Erfahrung heraus, denn sonst hätten wir ja heute eine Kulturbürokratie, die wie zu NS-Zeiten die Kultur erstickt hätte. Im Aufbruchsgeist der neuen deutschen Republik verkündete deshalb der Deutsche Städtetag in seiner Stuttgarter Erklärung 1952 die freiwillige Selbstverpflichtung der Städte zu umfassender Kulturpflege. Über viele Jahrzehnte war es Ehrenpflicht der Städte und Gemeinden, die Bibliotheken, das Theater und eben auch das Archiv selbstverantwortlich zu betreiben.


Betrachtet man in der kommunalen Kulturpflege, Einzelbereich Archiv, die Aufgabenstellung aus dem Blickwinkel der heutigen Verwaltungsorganisatoren, so wird die Archivierung der amtlichen Provenienzen nach den Bestimmungen der GGO, der Schriftgutordnungen und der jeweiligen Landesarchivgesetze als Pflichtaufgabe – übrigens als reine Registraturpflege ohne großen Benutzerdienst und Öffentlichkeitsarbeit– verstanden. Die Pflege der privaten Archive sowie die Sammlungstätigkeit im Bereich der Zeitgeschichte oder der Historischen Hilfswissenschaften o.ä. wird dagegen als freiwillige Aufgabe und deshalb als verzichtbar eingestuft. So geschehen im Sommer 2003 im Historischen Archiv der Stadt Köln mit einer Beschlussvorlage für den Rat zur Aufgabe der Abteilung Sammlungen und Nachlässe mit vier Mitarbeitern und Rückgabe von etwa 700 privaten Archivfonds aus 200 Jahren Sammlungstätigkeit, darunter die Archive des Kölner Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll oder jenes von Hans Mayer, das von Jacques Offenbach oder des Architekten Dominikus Böhm. Sogar die privaten Archive der ehemaligen Kölner Oberbürgermeister sollten aus dem Stadtarchiv, das man ja in Festreden gerne als das "Gedächtnis der Stadt" bezeichnet, entfernt und an die jeweiligen Familien zurückgegeben werden. Man schreckte also selbst vor solchen Respektlosigkeiten nicht zurück.

Erst mit einer Protestaktion Kölner Autoren, einer Pressekampagne in der FAZ und vielen direkten Interventionen besonnener Politiker konnte in letzter Minute ein solch sinnloser Beschluss verhindert werden. Für die selben Controller, die sich nun wieder im Hause auf der Suche nach Einsparpotential befinden, bedeutete dies nur eine Schlappe, aber keine endgültige Niederlage. Man könnte mit Nietzsche, der die Gedächtnislosigkeit seiner Zeit geißelte, kommentieren: "Selig sind die Vergesslichen, denn sie werden mit ihren Dummheiten fertig."


Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gefahr, einen ganz wesentlichen Aufgabenbereich kommunaler Archive zu verlieren, ist vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Finanzsituation der Kommunen durchaus real und - ich bin sicher - in vielen Ihren Häusern in der ein oder anderen Form als Einsparpotential personell oder auch sachlich von den Organisatoren entdeckt worden.

Wir müssen uns also wappnen und uns nicht nur gegenüber Anfechtungen mit fachlich überzeugenden und verständlichen Argumenten zur Wehr setzen, sondern vor allem in einer "Vorwärtsbewegung" die Rolle der Archive bei der Erhaltung und Nutzbarmachung dieses wichtigen Kulturgutes in der Öffentlichkeit deutlich machen.


Einige dieser Argumente möchte ich aufführen, wobei ich vom abstrakten, über das historische zum sachzuständigen hin zum pragmatischen und finanziellen mehrere Argumentationsfelder ansprechen möchte.


Zunächst das allgemein-abstrakte Argument:

Für das moderne historische Gedächtnis gilt die kalifornische Redensart: "history is five days old". Die postindustrielle Gesellschaft zeichnet sich durch eine zunehmende Gedächtnislosigkeit aus. Gedächtnis wird an den PC, das Internet und die Datenbank delegiert. Jeder kennt deren Halbwertzeit. Der Erinnerung wird in Zukunft die Basis entzogen. Auch ein "verordnetes Erinnern" tut sich schwer, wenn man an die Diskussion um eine zentrale Gedenkstätte für die NS Opfer denkt. Wir wissen jedoch aus der eigenen Nachkriegsgeschichte, dass die verdrängtem Memorabilien in der menschlichen Psyche in Wahrheit nicht verloren gehen.


Das heißt: selbst wenn man den Versuch macht, die schriftliche Überlieferung zu unterbrechen – sei es durch einen bewussten Versuch einer Damnatio memoriae wie etwa die Bücherverbrennung oder auch durch einfaches "Nichtsammeln" und damit einer Art versickernder Kassation – so wird die Gesellschaft dennoch immer wieder eingeholt von ihrer eigenen Geschichte. Es stellt sich jedesmal die Frage, warum etwas vergessen worden ist oder sogar bewußt vergessen werden soll. Keiner kommt an der eigenen Geschichte vorbei.


Und weiter: Ist denn tatsächlich gewollt, in einer Gesellschaft zu leben mit einem Tag- zu Tag Gedächtnis als Voraussetzung für ein politisches System, in dem letztlich das gebrochene Wort gilt, weil man sich problemlos auf das Kurzzeitgedächtnis der Gesellschaft verlassen kann?


Genau hierin liegt die Aufgabe und damit auch der spätere Wert der archivischen Überlieferung insbesondere der Sammlungs- und Nachlaßbestände: der Nachwelt einmal genau jene Quellen anbieten zu können, die Legenden und Mythenbildung entgegenwirken; mit denen richtig gestellt werden kann, was Ideologen des Tages verschwiegen oder verbogen haben. Nur ein authentisches Quellenzeugnis vermag dies zu leisten. Wenn dies fehlt, wird es schwer.

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