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Wolfgang Delseit: »Verdrießlichkeiten mit Parasiten [...] bin ich gewöhnt«

Das »Westdeutsche Hermann-Hesse-Archiv« in Köln

Aus dem Katalog: "Beiden Rheinufern angehörig". Hermann Hesse und das Rheinland (hrsg. v. Sabine Brenner, Kerstin Glasow und Bernd Kortländer), Düsseldorf 2002 (Reihe: Ausstellungskataloge des Heinrich-Heine-Instituts, hrsg v. Joseph A. Kruse) - vgl. dort: alle Fußnoten und Quellenangaben, die hier aus technischen Gründen entfallen!

»An die Verdrießlichkeiten mit Parasiten der Berühmtheiten bin ich gewöhnt und lerne allmählich sie nicht mehr ernst zu nehmen. [...] Die schlimmste Affäre dieser Art war das Kölner ›Hesse-Archiv‹, gegründet ohne mein Wissen und sehr gegen meinen Geschmack von einem Mann, der manche Jahre mit mir in Austausch gestanden hatte und durch den Krieg aus der Bahn geworfen war. Anfangs tat er mir leid, und ich gab ihm Bücher, Drucke, Handschriften etc., aber er entwickelte sich zu großer Geschicklichkeit, sammelte Adressen aller Leute, die je mir nahe gestanden waren, meiner Schwester, meiner Freunde etc etc, bettelte alle um Briefe, Bücher, Manuskripte, Aquarelle etc. an, dann mehr und mehr auch um Geld, kam zu einer Zeit, wo der Devisen wegen noch kaum jemand aus Deutschland ausreisen konnte, immer wieder in die Schweiz, knöpfte hinter meinem Rücken (ich kam erst ganz allmählich drauf) meinen Freunden immer wieder Hunderte ab, ließ sich von seiner Behörde in Köln, wo er Lehrer war, gewisse Tage oder Halbtage für sein angeblich gemeinnütziges Archiv freigeben etc etc. Diese klägliche Sache hat jetzt, ich hoffe für immer, ein Ende gefunden: der Mann in Köln hat sein ganzes zusammengebetteltes Archiv für viel Geld dem Museum in Marbach verkauft«. Diese Philippika aus des Dichters Hand in einem Brief an Karl Schmid aus dem Jahre 1957 kennzeichnet in groben Zügen die Geschichte des 1948 in Köln gegründeten »Westdeutschen Hermann-Hesse-Archivs« (im weiteren WHHA), das bis 1957 von seinem Gründer, dem Kölner Mittelschullehrer Erich Weiß , betreut und geleitet wurde.

»[E]r war ein guter Propagandist seines einsatzvollen Tuns und seiner durchaus respektablen Leistungen; nur wer es genauer wußte, konnte unterscheiden, was davon auf ihn selber zurückzuführen war und woran er wenig oder gar keinen Anteil hatte. Er besaß Talent, andere vom Sinn seines Tuns zu überzeugen und zum Mitwirken zu motivieren, und wenn er dabei nicht selten die Selbstlosigkeit seines Wirkens als einen Dienst am Werk Hermann Hesses herausstellte, geschah das aus voller Überzeugung.«

Hesse selbst sah dies anders: »Mein Verhältnis zum ›Archiv‹ lernen Sie aus der Beilage kennen. Inzwischen mußte ich den Mann noch durch einen Anwalt warnen lassen. Erstens flunkert er ziemlich viel bei den Besuchen, die er überall macht, beschnüffelt und bespitzelt mein Leben, zweitens schröpft er überall meine Freunde, Angehörige und Bekannte.«
Und Weiß: »Hesse scheint mit Blindheit geschlagen und sieht nicht, wie man für ihn arbeitet, sieht nicht ein Werk, das in seiner Art einmalig ist.«
Zwischen Hesse und Weiß bestand anfangs durchaus ein persönlicher – auch freundschaftlicher – Kontakt: Anfang der 20er Jahre muß Weiß seine Leidenschaft für Hesse und dessen Werk entdeckt und auch den Kontakt zu dem Autor hergestellt haben. Er besuchte Hesse 1931 in Montagnola, wandelte auf seinen Spuren in Calw und Gaienhofen, lernte Ludwig Finckh kennen – ihm hatte Hesse die Buchausgabe von »Peter Camenzind« (1904) gewidmet –, der ihn 1932 in Memel besuchte und seine Begegnung mit Weiß 1936 im Kapitel »Bernstein« (Erzählung »Der Preußenhof«) erwähnte. Während seiner französischer Gefangenschaft am Ende der Zweiten Weltkriegs sandte Hesse an Weiß Bücher und Briefe. Zahlreiche persönliche Widmungen, mit kleinen Aquarellzeichnungen versehen, zierten die Originalausgaben im Bestand von Weiß.

Für die Zeit nach 1945 sind weitere Treffen zwischen beiden nachgewiesen. 1946 reiste Weiß – ausgestattet mit Barmitteln aus der Erbschaft seines in den USA verstorbenen Vaters – zu den Wirkungsstätten Hesses nach Calw, Maulbronn, Korntal, Blaubeuren und an den Bodensee nach Gaienhofen. Im Sommer 1948 besuchte er Hesse erneut in Montagnola und berichtete über das in Gründung befindliche Archiv und seine Arbeit. Zunächst ganz im Sinne Hesses, der feststellte, »Herr Weiß ist ein treuer und lieber Mensch, aber sein Hesse-Archiv etc. ist eine rein private Sache«. Er war anfangs auch gewillt, dieses private Engagement zu unterstützen, in dem er dem Archiv Manuskripte überließ. »Ferner sende ich Ihnen«, schrieb er Weiß, »was von ›Gedichten an H. H.‹ sich noch fand. Es gibt aber sehr viele, die ich nicht mehr habe, z. B. eins von Anita Franck, von Ivan Heilbut u. a. Wenn Sie sich einen Überblick schaffen wollen, müßten Sie sich diese noch von Freunden wie Natter, Ob.bürgerm. O. Hartmann zusammenbitten.« Weiß muß diese Worte Hesses als Bestätigung seiner Pläne verstanden haben, denn bereits im »Dritten Archivsonderdruck für den Mitarbeiter-, Förder- und Freundeskreis« des WHHA erschienen – unter dem Titel »Dank des Herzen« – »Gedichte an Hermann Hesse«.

Geboren wurde die Idee zur Gründung des Privat-Archivs bereits 1947, als in Köln wie in anderen Orten der 70. Geburtstag des nicht unumstrittenen Schriftstellers und Goethe-Preisträgers gefeiert wurde, der im Jahr zuvor den Literaturnobelpreis für sein Lebenswerk erhalten hatte. Weiß, der zu diesem Zeitpunkt noch in Köln-Lövenich wohnte, wohin seine Familie 1944 evakuiert worden war, plante und organisierte eine Ausstellung über »Mensch und Werk« – so der Untertitel der »Hermann Hesse Ausstellung«, die vom 21. Juni bis 6. Juli 1947 in der »Neuen Bücherstube« in der Weyerstr. 98 gezeigt wurde. Interessant ist auch das Rahmenprogramm zur Ausstellung, die bereits verschiedene Veranstaltungen des späteren Archivs vorwegnimmt: Am 2. Juli 1947 fand eine »Hermann Hesse Feier« statt: Nachdem der Düsseldorfer Schriftsteller Herbert Eulenberg (ein langjähriger Freund von Weiß) die Laudatio auf Hesse gehalten hatte, trug der Rezitator Karl Steinbach »Gedichte« vor und las – unterbrochen von dem »Eva Klein-Franke-Streichquartett« mit dem »Streichquartett A-dur« von Wolfgang Amadeus Mozart – aus dem »Glasperlenspiel«. Tags darauf warf Eulenberg für den »Nordwestdeutschen Rundfunk« einen 15-minütigen »Blick in die Hermann Hesse-Ausstellung«. Bereits am 28. Juni hatte Weiß das Publikum mit »Hermann Hesse – eine Plauderei für Bücherfreunde« auf Ausstellung und Geburtstagsfeier eingestimmt.

Solche Veranstaltungen prägten das weitere Leben des »Mitarbeiter-, Förderer- und Freundeskreises« des im Spätsommer 1948 gegründeten WHHA in der Unkeler Str. 12 im Kölner Stadtviertel Klettenberg, wohin Weiß mit seiner Familie zwischenzeitlich gezogen war (April/Mai 1949). Zahlreiche Hauskonzerte , Lesungen, Vorträge , Archivfahrten und Treffen wurden organisiert, Liebhaberdrucke hergestellt und an die Mitglieder des »Mitarbeiter-, Freundes- und Förderkreis« verteilt. Die meisten Veranstaltungen sind für die Jahre bis 1951 aufgrund von Besprechungen in der örtlichen Presse nachzuweisen: »Hermann-Hesse-Feiern« anläßlich des Geburtstages, »Hermann-Hesse-Abende«, Musikalische Lesungen, Klavier-, Kammermusik- und Kompositionsabende. Weiß arbeitete zusammen mit der »Gemeinschaft der Künstler und Kunstfreunde e. V.«, den »Freunden der ›Mittwochsgespräche‹« oder der »Westdeutschen Konzertdirektion« die unterschiedliche Programme aus, in deren Zentrum immer das Werk Hesses stand; Kooperationen bestanden auch mit dem »Rheinisch Bergischen Künstlerkreis« um Carlo Mense und Franz M. Jansen. Bevorzugter Veranstaltungsort in Köln war das britische Kulturzentrum »Die Brücke«. Unmittelbare Veranstaltungen des Archivs waren hier kostenfrei, der gedruckte Programmzettel war zugleich Eintrittskarte: »Eintritt erheben wir grundsätzlich nicht. Sonst sagt H. womöglich, wir wollten mit seinem Namen ›verdienen‹.«

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